Die Fotos zeigen die erste kubanische Damen-Show-Kapelle LAS ANACAONA mit der Trompeterin Luisa Cotilla aus den 1950er Jahren, wie sie damals in den Nachtclubs von Havana auftraten. Das Frauenorchester war in den 1930er Jahren von Cuchito Castro und ihren Schwestern gegründet worden. Schließlich spielten alle 11 Schwestern in der Gruppe. Die Gruppe spielte den traditionellen Son, der von Männern dominiert wurde, gaben Gastspiele in New York und Paris, gerieten aber nach der Revolution in Vergessenheit.
Friday, 27 March 2015
Wednesday, 25 March 2015
Interview mit SAM CHARTERS - Nachruf auf einen Musikforscher extraordinaire
Zeit der Entdeckungen
Niemand kannte die schwarze Musik besser als Samuel 'Sam' Charters. Der legendäre Bluesforscher hat Lightnin’ Hopkins wiederentdeckt, Aufnahmen
mit Muddy Waters gemacht und Country Joe & The Fish produziert. Jetzt ist er im Alten von 85 Jahren gestorben.
Ann und Sam Charters (Foto: Manuel Wagner)
CW. Samuel Charters (Jahrgang 1929) war einer der
bedeutensten Bluesforscher der Gegenwart. Er hat mehr als 30 Bücher veröffentlicht,
darunter etliche Standardwerke. In den 50er Jahren gehörte Charters zu den
ersten, die im amerikanischen Süden vergessene Bluesbarden aufstöberten. Als
Musiker studierte er Klarinette mit George Lewis in New Orleans und spielte mit
Danny Kalb (später: The Blues Project) in der Gruppe The New Strangers. Charters
produzierte mehr als 300 Alben für die Labels Folkways, Prestige, Vanguard und Sonet.
Aus Protest gegen die Kriegspolitik der USA wanderte er Ende der 60er Jahre
nach Schweden aus und pendelte seither zwischen Schweden und den USA.
Sie haben ihr Leben der
schwarzen Musik gewidmet. Wann erwachte ihr Interesse?
Sam Charters: Ich hörte meine erste Bluesplatte
1937, als mir mein Onkel Bessie Smith mit “Nobody knows you when you’re down
and out” vorspielte. Mein Onkel war elf Jahre älter als ich und ein Jazzfan,
der sich für außerdem Blues interessierte. Zuerst faszinierte mich der
klassische Blues von Bessie Smith und Ma Rainey, die von großen Jazzmusikern
wie Louis Armstrong begleitet wurden.
Sam Charters mit Muddy Waters (Sammlung: Sam Charters)
Als ich dann 1948 in Kalifornien mit einer Amateur-Dixielandkapelle
spielte, hörten wir am Ende jeder Probe immer unsere zwei einzigen Schellackplatten
an: Blind Willie Johnsons “Dark was the night, cold was the ground” und “Stones
in my passway” von einem Musiker namens Robert Johnson. Wir hatten keine
Ahnung, wer diese Sänger waren. Aber die Namen blieben im Gedächtnis haften. In
den 50er Jahren machte ich mich dann auf die Suche nach ihnen.
Es gab nur die alten
Schellackplatten. Niemand wusste, ob die längst vergessenen Bluesbarden auf den Scheiben
überhaupt noch am Leben waren. Wie stöberten Sie sie auf?
Sam Charters: Wir gingen in die schwarzen
Ghettos und fragten im Frisörsalon. Der Frisör kannte jeden. Wir mussten
aufpassen, dass uns die weißen Polizei nicht etappte, sonst hätte es Ärger
gegeben. Im Süden herrschte praktisch Apartheid und wenn man als Weißer ins
schwarze Ghetto ging, störte man die Ordnung.
In die Schellackplatten war der Aufnahmeort als
Code eingeritzt. Also fuhren wir in diesen Ort und fragten herum. War man in
der richtigen Ortschaft, fand man auch den jeweiligen Musiker, weil Musiker in
ihrer Community bekannt waren. Normalerweise gab uns der Frisör nicht die
Adresse, sondern kontaktierte den jeweiligen Musiker und fragte, ob wir ihn
besuchen könnten. Lightnin’ Hopkins fuhr mit seinem Auto an einer Ampel zu mir auf
und sagte: “Du suchst mich!”
Meine einzige Schallplatte von Robert Johnson
war in San Antonio in Texas aufgenommen worden. Die einzige Spur. Wir fanden
ihn nicht. Kein Wunder, denn er lebte in Mississippi. Für uns Bluesfanatiker
war es aufregend, diese Bluessänger aufzuspüren. Wir hatten keine großen
Kenntnisse. Jede Schallplatte, die wir fanden, war eine neue Entdeckung, jeder
Sänger eine neue Welt. Ich machte einen enormen Lernprozeß durch. Die fünfziger
und sechziger Jahre waren eine wunderbare Zeit. Wir bemerkten, dass es unter
der Oberfläche eine andere alternative Kultur in Amerika gab.
Das war Dedektivarbeit. Sie mussten das Puzzle
Stück für Stück zusammensetzen. Was genau haben sie gelernt?
Sam Charters: Die Plattenfirmen in den 1920er
Jahren waren ausschließlich an Blues interessiert. Das war das einzige was sich
im Norden verkaufte. Aber diese Musiker waren Songsters. Sie kannte die
unterschiedlichsten Songs, und nur ein paar davon waren Blues. Das waren jedoch
die einzigen Lieder, die aufgenommen wurden.
Das Problem für Leute wie mich war, dass wir
nicht religiös waren. Das machte uns blind für die Tatsache, dass die schwarze
Community tiefreligiös war. Achtzig Prozent der Lieder waren Spirituals und
Gospels, nur ein paar wenige Blues. Und diese Nummern waren wirklich keine
Hilfe in der Situation, in der sich die afro-amerikanische Bevölkerung befand. Im
Gegensatz dazu war die Kirche ihre einzige Stütze: ihr Zufluchtsort, ihr soziales
Zentrum, ihre Organisation. Der einzige Ort, wo sie freier waren als sonst. Die
Kirche hielt alles zusammen. Was oft übersehen wird, ist, wie hinterhältig das
Apartheid-System im amerikanischen Süden war. Es wurde mit Gewalt durchgesetzt.
In der Kirche war man davor in Sicherheit.
Jeder konnte sich im Gottesdienst äußern, man brauchte
nur aufzustehen. Für schwarze Bedienstete in weißen Haushalten war das die einzige
Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Lange habe ich die überwältigende
Bedeutung der schwarzen Kirche und der Religion für das Leben der
Afro-Amerikaner nicht wirklich verstanden. Die Gospel-Songs von Blind Willie
Johnson verkauften sich Ende der 1920er Jahre um ein Vielfaches besser als die
Blues-Nummern von Bessie Smith. Das heisst: die schwarze Community wollte mit Blues-Songs
nichts zu tun haben. Der Blues bestätigte und verstärkte nur die Vorurteile der
Weißen gegenüber den Afro-Amerikanern: dass sie sich dauernd betrinken, viele
Frauen haben, keine Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und Herumtreiber
sind. Genau dieses Bild zeichnete der Blues, der von den weißen
Schallplattenfirmen verkauft wurde: eine schwarze Community im Chaos –
verwahrlost! Deshalb wollte die schwarze Mittelschicht nichts mit dem Blues zu
tun haben. Es war schwierig für mich, das zu verstehen, weil ich ein typischer
Aussteiger und Rebell aus der Mittelschicht war, der Kirche und Religion
ablehnte. Ich begriff nicht, dass diese Dinge für die schwarze Bevölkerung essentiell
waren und immer noch sind. In Harlem gibt es heute 500 Kirchen. Ich habe dort
noch nie einen Bluessänger gehört.
War es Neugierde, Sturm und
Drang, der Reiz des Exotischen oder die Faszination schwarzer Musik - was war
ihre Motivation?
Sam Charters: Alles zusammen. Aber vor allem
wollte ich Aufnahmen machen. Ich kaufte mein erstes Tonbandgerät 1953, ein
unhandliches Riesending, und machten Aufnahmen von jedem Sänger, den ich traf.
Aus den Einspielungen stellte ich LPs für das Folkways-Label zusammen. Wir
hatten das Gefühl, etwas zu retten, was ansonsten verloren gegangen wäre. Das
erste Album, das ich herausgab, kam 1954 auf den Markt.
Folkways war ein kleines
unabhängiges Label mit ausgezeichneter Reputation, das von Moses Ash geleitet
wurde. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit?
Sam Charters mit Moses Ash (l.) (Sammlung: Samuel Charters)
Sam Charters mit Moses Ash (l.) (Sammlung: Samuel Charters)
Sam Charters: Moses Ash hatte verschiedene Plattenfirmen, die alle Pleite gingen, bevor er mit Folkways erfolgreicher war. Er betrachtete es als seine Mission, alles auf dem Planeten zu dokumentieren, was irgendeinen Klang von sich gab. Seine Vision war so umfassend, dass darin auch unsere Träume Platz fanden.
(Ann Charters schaltet sich ins Gespräch ein)
Ann Charters: Wir heirateten 1959 und
unternahmen dann die “Recording Trips” gemeinsam: Sam machte die Aufnahmen,
edierte das Material und schrieb die Liner-Notes, ich machte die Fotos.
Normalerweise bekam man von Folkways 50 Dollar pro Album, was nicht schlecht
war. Normalerweise wollte Moses Ash für die Veröffentlichungen nicht bezahlen,
in unserem Fall tat er es.
Folkways wurde von Mo Ash und Marian Distler
betrieben, die ausgleichend zu seiner schroffen Art wirkte. Die Geschäftsräume
waren in einem schäbigen Gebäude am Time Square. Unser Freund, der Folksänger
Dave Van Ronk, bekam einmal für eine Folkways-Einspielung lange Zeit kein Geld.
Er zog die abgerissensten Kleider an und ging zu Folkways. Er drohte Mo Ash,
dass, wenn er nicht sofort sein Geld bekäme, er vor dem Gebäude herumlungern
würde, damit jedermann sehen könnte, wie verwahrlost seine Künstler sind.
Bei den Parties von Folkways traf man die
ganzen Musiker und Literaten, die mit dem Label zu tun hatten. Pete Seeger war
da oder Jean Richie, die in einer Ecke saß und Lieder sang. Viele mochten Mo
Ash wegen dieser intellektuell stimulierenden Atmosphäre.
Sam Charters: Folkways verdiente nie richtig
Geld. Mo Ash kam aus einem begüterten Haus, doch seine Firma stand immer kurz
vor der Pleite. Er schuldete jedem Geld. Wenn auch nur einer der Schuldner einen
Zahlungsbefehl erwirkt hätte, wäre Folkways wie ein Kartenhaus eingestürzt.
Das große Plus von Folkways war, dass das Label
seine Veröffentlichungen bis in alle Ewigkeit im Katalog behielt. Diese
Garantie war allerdings auch fatal, weil die Platten irgendwo gelagert werden
mussten. Ashs ganzes Geld saß in diesen unverkäuflichen Platten fest. Obwohl
sie in kleinen Auflagen gepresst wurden, vielleicht dreihundert Stück, dauerte es
lange, bis sie verkauft waren. Als ich Mo Ash das letzte Mal traf, gab er mir
eine Schallplatte und sagte: “Charters, das must Du Dir anhören. Das ist die
besten Platte, die es gibt.” Auf der Platte sang ein Überlebender jiddische
Lieder aus den Nazi-Vernichtungslagern. Wer anders als Folkways hätte eine
solche Platte veröffentlicht?
Folkways war politisch links, wie wir alle damals,
und wurde deshalb vom FBI überwacht. Dass das Label Platten von Pete Seeger
herausgab, der als Kommunist galt, machte Folkways zum Ziel staatlicher
Bespitzelung.
Sie wurden mehr und mehr zum Plattenproduzenten.
Für das Plattenlabel Vanguard haben sie mit Country Joe & The Fish gearbeitet….
Sam Charters: Doch davor wurde ich von Prestige
engagiert, um im Süden Bluesaufnahmen zu
machen. Aber diese Platten verkauften sich nie in Massen. Wenn wir nach ein
paar Jahren tausend verkauft hatten, betranken wir uns zur Feier des Tages. Dann
nahm ich die Folksänger auf, die damals in Greenwich Village bekannt wurden:
Geoff Muldaur, Dave Van Ronk, Eric von Schmidt und die Holy Modal Rounders –
all diese Verrückten aus dem Village.
Sam Charters mit der Muddy Waters Band in Chicago
Danach wurde ich von Vanguard angeheuert, um die
Aufnahmen vom Newport Folkfestival von 1963 zu edieren. Danach gab mir das
Label 5000 Dollar und auf gings nach Chicago, um Aufnahmen u.a. mit Muddy
Waters zu machen. Drei Alben entstanden daraus. Dem folgte eine Reise nach San
Francisco, wo ich Country Joe & The Fish aufnahm. Die Band gehörte zur
radikalen Linken. Sie brachten zu ihren Auftritten eine lebensgroße Lenin-Pappfigur
auf die Bühne. Vanguard war ein mutiges Label. Es veröffentlichte sowohl Paul
Robeson als auch The Weavers mit Pete Seeger, die alle wegen ihren politischen
Ansichten Ärger hatten. Dann brachte Vanguard Joan Baez heraus, die ebenfalls
politisch kein Blatt vor den Mund nahm, und machte sie zu einem Star –
fantastisch.
In Downtown Manhattan gab
nicht nur die Folkszene in Greenwich Village, es gab bildende Künstler,
avantgardistische Komponisten wie John Cage, es gab Beat-Poeten,
Underground-Rocker und moderne Jazzmusiker. Warum wurde die Gegend zum
Treibhaus so vieler Entwicklungen?
Sam Charters: Wir waren alle bettelarm, aber in
Downtown Manhattan konnte man billig wohnen. Mit drei Tagen Arbeit in der Woche
kam man durch. Jobs waren leicht zu finden. Jeder hatte irgendeine kleine
Arbeit. Das reichte, um über die Runden zu kommen, und in der restlichen Zeit
konnten man kreativ sein.
Als das Folkrevival in Schwung kam, standen wir
auf einmal im Rampenlicht. Alles veränderte sich. Wir waren keine Außenseiter
mehr und erhielten Gehör. Wir waren sehr politisch. Ich teilte mit dem
Folkmusiker Dave Van Ronk eine Wohnung in der McDougal Street. Dort traf sich
Van Ronks Zelle der Socialist Workers Party – 12 Mitglieder. Wie sich später
herausstellte, arbeitete fünf fürs FBI. Oft ging man zu irgendeiner Demonstration.
Überall schossen Coffee Houses aus dem Boden. Die Beat-Lyriker Jack Kerouac und
Allen Ginsberg hatten ihr Hauptquartier in einer Kneipe gleich um die Ecke, wo
sie ihre Besäufnisse abhielten. Und es gab Jazz – überall! Wir hörten Miles
Davis mit Cannonball Adderley und John Coltrane das erste Mal in einem
Restaurant, wo man für 25 Cents einfach reingehen konnte und an einem Tisch
Bier trinken. Ging man die Straße runter, spielte in einer anderen Bar Charlie
Parker. Einmal landeten wir in einem richtigen
Loch von einer Bar und ein Pianist spielte die abgefahreste Musik: Thelonious
Monk! Es war eine schäbige Bar, kein Eintritt, Leute gingen ein und aus, und
hier spielte Monk an einem ausgeleierten Klavier mit seiner Band. Gleichzeitig
entstanden kleine Kunstgalerien. Es gab Happenings. Es war eine wunderbar
verrückte Zeit. Dann kam das Jahr 1957 und Elvis, und alles kam zum Stillstand.
Die Beat-Poeten gehörten zum
Underground. Allen Ginsberg war der bekannteste. Welche Rolle kam ihm zu?
(Ann Charters schaltet sich in das Gespräch ein)
Ann Charters: Allen Ginsberg war mit seinem
Gedicht “Howl” zu einer Berühmtheit geworden. Er lebte im East Village nicht
weit von uns. Jüngere Poeten wie Ed Sanders traten in seine Fußstapfen. Sanders
betrieb auf der Lower East Side den “Peace Eye Bookstore” und wurde bald mit
den Fugs bekannt. Eines Tages fand eine Dichterlesung gegen den Krieg in
Vietnam in der “St. Marks Church in the Bowery” statt. Mit unserem Tonbandgerät
nahm ich 25 Dichter auf, die dort lasen. Ausschnitte der Lesung erschienen 1967
auf der Langspielplatte “Poems for Peace”.
Sam Charters: Wir zogen nach Brooklyn, weil es
mit Kindern nicht mehr sicher auf der Lower East Side war. Allen Ginsberg
besuchte uns gelegentlich, um sich alte Blues-Platten anzuhören. Ich hatte
viele Schellacks und es gab ja damals noch keine Re-Issues. Wir sangen unserer
kleinen Tochter überlicherweise ein Gute-Nachtlied und Allen nahm daran teil.
Er beugte sich mit seinem buschigen Bart über das Bett und sang einen seiner
William-Blake-Songs - ziemlich laut. Sie sah ein bisschen verdattert aus, aber
schlief rasch ein. Am nächsten Morgen kam sie nicht aus ihrem Zimmer. Ich ging hinein.
Da stand sie und fragte: “Ist dieser Mann noch da?”
Bob Dylan wurde zum Superstar.
Die Plattenfirmen horchten auf, kamen ins Village um nach weiteren Musikern mit
Starpotential zu suchen. Wie veränderte das die Szenerie?
Sam Charters: Dylan wollte den Erfolg. Er war
eine komplizierte Persönlichkeit, aber Folksänger wie Phil Ochs verehrten ihn. Nachdem
er nach Woodstock in Upstate New York gezogen war, kam er nur noch einmal zu
einer unserer Partys. Er trug damals eine Halskrause nach seinem Motorradunfall.
Schon vor dem Hype hatte die Pille und LSD alles
verändert. Die rebellische Jugend wurde mit Sex und Drogen ruhig gestellt. 1966
war ich in San Francisco und jeder war total “stoned”. Das war nicht das, was
wir uns vorgestellt hatten. All die Freiheit, das Aufregende verflüchtigte
sich.
(Ann Charters schaltet sich wieder ein)
Ann Charters: Mit den harten Drogen ging es dann
erst richtig bergab. Die Lower East Side wurde gefährlich: Einbrüche,
Überfälle, Drogenhandel. Durch Sex, Drugs & Rock ‘n’ Roll kam die
idealistisch-politische Phase zu einem Ende.
DAS INTERVIEW WURDE ZUERST IN DER ZEITSCHRIFT JAZZTETHIK (www.jazzthetik.de) VERÖFFENTLICHT
Saturday, 21 March 2015
Drummer Jochen Rückert: Ein Kölner in New York
Lockerer Swing
Der Kölner
Schlagzeuger Jochen Rückert hat es auf der New Yorker Jazzszene geschafft
Konzert: 26. März, Jazzclub Singen / Gems
cw. 1998 wollte es der
Kölner Jazzschlagzeuger Jochen Rückert wissen: Er zog nach New York! Etwas
mulmig mag es ihm dabei schon zumute gewesen sein, gilt die New Yorker
Jazzszene doch als die härteste der Welt. In keiner anderen Stadt gibt es so viele
erstklassige Musiker – die besten auf dem Globus. Und gegen diese aberwitzige
Konkurrenz wollte sich der Deutsche durchsetzen? Doch Rückert schaffte das
Wunder! Er bestand den Test und wird heute selbst von Jazzstars wie John
Abercrombie oder Pat Metheny als Drummer gebucht. Am Donnerstag, 26. März,
kommt der Schlagzeuger nun mit seinem hochkarätigen Quartett auf Einladung des
Jazzclubs Singen ins Kulturzentrum Gems.
Einst waren
deutsche Jazzmusiker in den USA eine Seltenheit. Außer der Sängerin und
Pianistin Jutta Hipp, dem Vibrafonisten Karl Berger aus Heidelberg und dem
Multiinstrumentalisten Gunter Hampel aus Göttingen hat sich früher niemand in
die Höhle des Löwen gewagt. Selbst Posaunenweltmeister Albert Mangelsdorff
schreckte vor dem Sprung über den großen Teich zurück. Zu ungewiß und
risikoreich erschien das Wagnis, wobei Jutta Hipp als warnendes Beispiel diente.
Die Jazzvokalistin scheiterte in Amerika kläglich, hängte ihre musikalische
Karriere an den Nagel, um fortan als Näherin ein dürftiges Auskommen zu
verdienen.
Inzwischen sind
die beiden Kontinente enger zusammengerückt und der Musikeraustausch hat sich
vertieft. Amerikanische und europäische Jazzer spielen mittlerweile häufig sogar
in gemeinsamen Gruppen zusammen. Überdies ist die Zahl der deutschen
Jazzmusiker in New York beträchtlich gestiegen, wobei Rückert als einer der
Angesehensten der Jazz-Emigranten aus “Germany” gilt.
Rückert, der im
Mai seinen 40. Geburtstag feiert, machte sich zuerst auf der Kölner Jazzszene
einen Namen, wo er an der Musikhochschule Schlagzeug studierte, um anschließend
nach Amerika aufzubrechen. Nach einer schwierigen Anfangszeit, bei der es so
manche Durststrecke zu überbrücken galt, hat er sich inzwischen nicht nur als
Drummer und Begleitmusiker, sondern auch als Bandleader, etabliert. Was für einen
exzellenten Ruf der Kölner mittlerweile in New York genießt, ist daran ablesen,
dass in seinem Quartett Mark Turner spielt - einer der besten Jazzsaxofonisten
der Gegenwart.
Rückert steht
für einen flüssigen Stil, der locker swingt und in intensiven Improvisationen
die subtilen Feinheiten der Jazzmoderne erkundet. Vom Schlagzeugschemel aus gibt
er die Richtung vor und treibt mit federndem Trommelspiel seine Mitmusiker zu
Höhenflügen an, um sie sicher durch die kniffligen Harmoniefolgen zu leiten. Im
obligatorischen Drumsolo werden dann alle Register gezogen.
Doch Rückert hat
noch ein zweites musikalisches Standbein. Unter dem Namen Wolff Parkinson White
tummelt er sich auf der Electronic-Szene. Dabei nutzt er die unfreiwilligen
Wartezeiten auf Tourneen in Hotels und Flughäfen, um auf seinem Laptop neue
Stücke zu entwerfen. Manchmal klingt es nach rasantem Drum ‘n’ Bass, dann
wieder nach bedächtigem Dub. Seine umfassenden Rhythmuskenntnisse kommen ihm beim
digitalen Komponieren zu gute. Auch auf dem Laptop spielt Rückert Schlagzeug - nur
in elektronischer Manier.
Jochen Rueckert: We make the rules (Whirlwind)
Der Artikel erschien zuerst im Schwarwälder Bote.
Jazztrends: William Parker & Oliver Lake
Kreativer Geist
William Parker und Oliver Lake spielen ihr erstes gemeinsames Album ein
Die Musiker des Loftjazz hatten die Dogmen
des Freejazz der sechziger Jahre hinter sich gelassen. Wohl improvisierten sie weiterhin
frei, doch ohne sich Harmonien, Swing und Melodien kategorisch zu verweigern. Parker
und Lake spinnen den Faden weiter.
Der Kontrabassist bringt in kraftvollen
Ostinato-Figuren seinen sonoren Ton zur Geltung. Wenn er zum Bogen greift,
wechselt er oft ins höhere Register, um einen Schwarm heller Obertöne zu erzeugen
oder sein Instrument in dissonanter Freejazz-Manier knarren und kreischen zu
lassen. Oliver Lake antwortet mit druckvoll-robustem Spiel, in dem die gesamte Jazz-Moderne
präsent ist, wobei selbst in der größten Abstraktion die Verwurzelung im Blues spürbar
bleibt. Der Saxofonist greift in den Werkzeugkasten der radikalen Improvisation,
wenn er mit Überblaseffekten und Presstönen gelegentlich das Metall seines Instruments
zum Erzittern bringt. In diesen Momenten bestimmt eruptive Expressivität das
Spiel, danach werden wieder melancholische Stimmungen beschworen. Im Duo der
beiden lebt der kreative Geist der New Yorker Downtown-Szene fort.
William Parker / Oliver Lake: To Roy
(Intakt Records)
Die Besprechung erschien zuerst in der NZZ.
Monday, 2 March 2015
FUNDSACHEN: THE TRIO mit Hal Gaylor, Walter Norris und Billy Bean
THE TRIO mit Walter Norris (Riverside)
2. März 2015. Gerade war ich in Huddersfield (West Yorkshire), wo es noch einen richtigen Second-Hand-Plattenladen gibt, und habe eine erstaunliche LP gefunden, erschienen auf 'Riverside' - schon etwas zerschunden, und sie knackt auch leicht, aber immerhin: sie war nicht teuer und ist eine Perle. Das Cover erregte zuerst meine Aufmerksamkeit. In der rechten oberen Ecke war die Hülle wohl beschädigt und jemand hat per Hand mit Filzstift den Bandnamen ausgebessert. Die LP stammt von THE TRIO (so heisst die Band wirklich) mit dem ehemaligen Ornette Coleman-Weggefährten Walter Norris (1931-2011) am Piano. (In den 70ern spielte Norris mit Charles Mingus, bevor er Mitglied in der SFB-Bigband wurde und nach Berlin zog.) Die LP war von Orrin Keepnews produziert worden, der am 1. März 2015 91jährig verstorben ist und der Riverside zusammen mit Bill Grauer 1953 gegründet hatte. Das eindrucksvolle Cover stammte von Ken Deardoff, der zusammen mit Paul Bacon nahezu alle charakteristischen Riverside-Covers gestaltete. Der detaillierte Cover-Text stammt vom Gitarristen Jim Hall.
Norris war der einzige Name, den ich von den dreien kannte. Die Besetzung ist interessant, da die Gruppe auf ein Schlagzeug verzichtet und so die Tür zum kammermusikalischen Musizieren aufstieß. Anfang der 60er Jahre (die Aufnahmen entstanden im Juni 1961) war das recht außergewöhnlich, nicht in der typischen Jazzbesetzung aufzutreten. Äußerst intensives Ensemblespiel über Klassiker wie 'Smoke Gets In Your Eyes' mit Soli aller drei Instrumente. Nie ausufernd, sondern sehr ökonomisch gespielt, trotzdem große Virtuosität und Könnerschaft. Intime Klänge, ruhig, unaufgeregt, am stärksten in den Balladen. Erinnert mich an Aufnahmen von Bill Evans oder Don Friedman aus der gleichen Zeit. Auf dem Cover sind die drei mit Anzug und Kravatte abgebildet, was bis Mitte der 60er Jahre die Dienstkleidung von Jazzmusikern war. Es gibt selbst Fotos von deutschen Freejazzern, den 'jungen Wilden' Gunter Hampel und Manfred Schoof im gleichen Aufzug. In den 70er Jahren gab es eine andere Jazzgruppe, die sich ebenfalls The Trio nannte. Sie wurde von John Surman, Stu Martin und Barre Philips in England gebildet - eine gleichfalls wichtige Formation, die ins freie Spiel und in die Elektronik hinausgriff.
Sunday, 1 March 2015
AUGEundOHR: MINSTREL SHOW aus dem amerikanischen Süden um ca. 1900
MINSTREL SHOW
Die Fotographie der Crew einer 'Minstrel Show', die im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine feste Institution im Süden der USA waren und allerlei Entertainment und Musik boten. Sie reisten - einen Zirkus gleich - durch das Hinterland, bauten am jeweiligen Ort ihr Zelt auf und boten am Abend eine Vorstellung, zu der groß und klein strömten. Dabei traten Varieté-Künstler, Komiker, Akrobaten, Tänzerinnen und Hillbilly-Sänger, auch waren Feuerschlucker und irische Tenöre zu sehen. In diesem Fall scheint die Musikgruppe eine Kapelle afro-amerikanischer Blasmusiker mit Marschtrommel, Basstrommel, Klarinette und zwei Hörnern (ein weiterer Musiker verschwindet rechts aus dem Bild) zu sein, was nicht die Regel war, sondern im segregierten Süden eher die Ausnahme.
Unten eine ähnliche reisende Zelt-Show: The Carter Vaudeville Co.; Michigan 1911
Die Fotographie der Crew einer 'Minstrel Show', die im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine feste Institution im Süden der USA waren und allerlei Entertainment und Musik boten. Sie reisten - einen Zirkus gleich - durch das Hinterland, bauten am jeweiligen Ort ihr Zelt auf und boten am Abend eine Vorstellung, zu der groß und klein strömten. Dabei traten Varieté-Künstler, Komiker, Akrobaten, Tänzerinnen und Hillbilly-Sänger, auch waren Feuerschlucker und irische Tenöre zu sehen. In diesem Fall scheint die Musikgruppe eine Kapelle afro-amerikanischer Blasmusiker mit Marschtrommel, Basstrommel, Klarinette und zwei Hörnern (ein weiterer Musiker verschwindet rechts aus dem Bild) zu sein, was nicht die Regel war, sondern im segregierten Süden eher die Ausnahme.
Unten eine ähnliche reisende Zelt-Show: The Carter Vaudeville Co.; Michigan 1911
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