Thursday, 8 October 2015

Musikalische Avantgarde um 1400

Klänge aus Kirche und Kneipe

Ein Festival präsentierte Musik aus der Zeit des Konstanzer Konzils

cw. Einmal in seiner langen Geschichte stand Konstanz im Brennpunkt Europas. Vier Jahre lang von 1414 bis 1418 tagte das Konstanzer Konzil. Dafür kamen alle kirchlichen und weltlichen Authoritäten und Würdenträger in die Bodenseestadt: Könige, Fürsten, Bischöfe und Kardinäle. Selbst die Päpste gaben sich ein Stelldichein. Denn das war das Problem: Die katholische Kirche hatte sich im 14. Jahrhundert gespalten und nun stritten sich zeitweise drei Päpste um den Titel, “Stellvertreter Gottes auf Erden” zu sein. Diesen Mißstand sollte das Konstanzer Konzil beheben.

Um den 600. Jahrestag gebührend zu feiern, findet in den Jubiläumsjahren alljährlich ein viertägiges Festival unter dem Titel “Musikalische Avantgarde um 1400” statt. Die Konzertreihe präsentiert Klänge, die während des Konstanzer Konzils in der Bodenseestadt erschallten – in Kirchen, Kneipen und auf der Straße. Der diesjährige zweite Durchgang dieser hochkarätigen Veranstaltungsreihe, für die der SWR2 und die Stadt Konstanz verantwortlich zeichnen, ging gerade an verschiedenen Orten der Konzilstadt über die Bühne.

Das Schisma der Kirche und die daraus resultierende Rivalität verschiedener Päpste tat dem europäischen Musikleben Ende des 14. Jahrhunderts keinen Abbruch, sondern belebte es sogar. In seinem Palast in Avignon versammelte der französische Papst Clemens VI. die besten Sänger der damaligen Zeit. Komponisten schrieben Werken, die von der Hofkapelle aufgeführt wurden und – selbstverständlich! - den Papst in den höchsten Tönen lobten. Musik avancierte zur Propagandawaffe.
 
Begleitet von einer kleinen mittelalterlichen Handorgel mit Blasebalg intonierten die vier Sänger des französischen Spezialistenensembles La Main Harmonique eine Huldigungsmesse an den Papst von Avignon, sowie Motetten von Philippe de Vitry und Guillaume Dufay. Weil die Hauptstimme im Tenor lag, kam es den beiden Falsettstimmen zu, mit reicher Ornamentik die Melodie auszuschmücken und damit den Worte “Es findet sich niemand, der ihm gleicht” noch mehr Gewicht zu verleihen. Mit makelloser Stimmführung gelang es der französischen Gruppe die rhythmisch oft komplexe Polyphonie eindrucksvoll in Szene zu setzen, wobei die gotische Architektur des Konstanzer Münsters dafür die passende Kulisse abgab.


Das Gegenstück zu diesen geistlichen Gesänge bot in einem anderen Konzert, das passenderweise im Konzilgebäude direkt am See stattfand, das deutsche Ensemble Capella de la Torre. Es ließ die Musik der mittelalterlichen Stadtpfeifer aufleben. Diesen Musikanten oblag es mit lautem Instrumentarium wie Pommern, Trompeten, Posaunen und Trommeln offizielle Umzüge und Anlässe zu umrahmen, und auch gelegentlich zum Tanz aufzuspielen. Angeführt von den Schalmeienklänge der Ensembleleiterin Katharina Bäuml offerierte die Formation ein Programm aus vielen Teilen Europas, was den zahlreichen Musikstilen entsprach, die während des Konzils in den Straßen und Tanzsälen ertönten. Im Troß der Würdenträger tummelten sich damals Spielleute aus ganz Europa in der Stadt. Vielleicht liegt es an unseren mittlerweile verfeinerten Hörgewohnheiten oder am Funktionswandel dieser Tanzweisen, dass die einstmalige Gebrauchsmusik heute als Konzertmusik doch etwas eintönig wirkt.

Die Festivalbesprechung erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Zeitung in Ba-Wü.

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