Verhüllungen
Ein
Streifzug durch die Geschichte des Jazzplattencovers
Jean-Michel Basquiat
cw. Nomen
est omen - Worte sind Zeichen - und Plattencovers sind Embleme! Im besten Fall übersetzen
sie die Musik der betreffenden Schallplatte ins Visuelle. Für Freejazzbassist Peter
Kowald (1944 - 2002) war die Plattehülle fast genauso wichtig wie die Musik.
Manchmal stammte die Cover-Art von Kowald selbst: eine halbabstrakte Kritzelzeichnung
mit Buntstiften etwa. Für seinen drei LP-Set “Duos: Europa-Amerika-Japan”
schwebte ihm jedoch etwas kühneres vor: Er wollte jeweils ein Gemälde eines zeitgenössischen
Künstlers aus Europa, den USA und Japan als Cover verwenden. Das Bild sollte so
avantgardistisch und radikal wie die Musik sein.
Als
Kowald 1986 das Projekt anging, lebte er für längere Zeit in New York. Für das
Cover der LP “Duos: Amerika” wollte er Jean-Michel Basquiat gewinnen.
Irgendjemand hatte ihm die Telefonnummer des New Yorker Künstlers gegeben, und
jetzt versuchte Kowald auf seinen Streifzügen durch die Lower East Side Basquiat
anzurufen. Immer wieder machte er an einer der blau-silbrigen Telefonboxen Halt,
zückte sein kleines Adressbuch und wählte die Nummer - vergeblich! Dann aufeinmal war Basquiat dran!
“Hat das irgend etwas mit Geld zu tun?” lautete dessen erste Frage. Kowald
redete mit Engelszungen bis Basquiat einwilligte, obwohl es sicher nichts mit
Geld zu tun hatte. Basquiat - der Jazzfan – stellte ein Gemälde zur Verfügung.
Als
Kowalds LP-Set 1991 erschien, war Basquiat bereits tot und die Langspielplatte
“on the way out”. Und erst durch ihr Verschwinden wurde deutlich, welch
großartiges Produkt sie eigentlich gewesen ist, verglichen mit ihrem
Nachfolger, der kleinformatigen CD. Im Gegensatz zur “Compact Disc” bot die LP
ein elaboriertes Format, eine Leinwand, die zur Gestaltung einlud und mit dem
aufschlagbaren Doppelalbum noch vergrößert werden konnte.
Obwohl
kreative Cover-Gestaltung häufig mit der Popmusik assoziiert wird, ging der künstlerische
Impuls ursprünglich vom Jazz aus - der Popmusik vor der Popmusik! Dort war man
in den vierziger und fünfziger Jahren dazu übergegangen, die Plattenhüllen als
neues Medium zu entdecken. Zuvor waren Schellackplatten schlicht in unbedruckte
Papphüllen verpackt worden, die später von den Musikhäusern, die sie
verkauften, für Werbezwecke genutzt wurden, indem sie etwa die Adresse des
Geschäfts auf die Kartonhüllen druckten.
Mit
der Zeit entstand aus der Plattenhülle ein eigenes Medium, das von Jazz-Labels
wie Clef, Prestige und Blue Note entwickelt wurde. Allerdings war
Columbia das erste Label gewesen, das anfing, der Verpackung ihrer
Schallplatten mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die Hüllen als verkaufsförderndes
Medium zu begreifen. 1939 kam Alex Steinweiss zu Columbia. Während seiner Zeit
als “Art Director” gestaltete er Hunderte von Schallplatten. Darüber hinaus vergab
er Design-Aufträge an externe Graphiker. Einer dieser Freiberufler war Robert
Jones, der bald von RCA Victor angeheuert wurde. Jones gab für RCA Plattenhüllen
bei Jim Flora in Auftrag, den er noch von seiner Zeit bei Columbia kannte.
Flora entwickelte einen speziellen Zeichenstil, der nicht ohne Humor war. Ein
anderer Illustrator war Andy Warhol, dem Jones ebenfalls ein paar Cover-Aufträge
für RCA zuschanzte, der aber auch für Blue Note zeichnete. 1954 übernahm Neil
Fujita den Designerposten bei Columbia, um eine neue Ästhetik zu entwickeln.
Sie sollte wie die Musik von Miles Davis, Dave Brubeck und Charles Mingus auf
der Höhe der Zeit sein. Fujita verwendete gelegentlich seine eigenen abstrakten
Gemälde als Bildmaterial oder Fotografien, die er farblich verfremdete.
Die
Konkurrenz schlief nicht. Verve, das wichtigste Label von Norman Granz, stellte
den Graphikdesigner David Stone Martin ein, dem es mit losen figürlichen
Zeichnungen gelang, dem Label ein eigenes Gesicht zu geben.
Moderne
Typographie mit oft großen Buchstaben und ein modernes Design, aber vor allem
die Verwendung von zeitgenössischen Fotografien, verliehen den Alben von Blue
Note eine visuelle Identität. 1953 war John Hermansader, der am New Bauhaus in
Chicago bei Laszlo Moholy-Nagy studiert hatte, zu der Firma gekommen und hatte
einen neuen Stil etablierte. Die Blue Note-Ästhetik wurde dann von Reid Miles
weiterentwickelt, der zwei Jahre später die Gestaltung übernahm. Als Miles 1967
das Unternehmen verließ, hatte er über 500 Covers entworfen und dabei vor allem
den Einsatz der Typographie vorangebracht. Die Schrift bildete nun bei manchen Hüllen
den Blickfang oder nahm die ganze Bildfläche ein. In den siebziger Jahren revolutionierte
Greed Taylor und sein CTI-Label erneut die Cover-Ästhetik. Mit Fotographien von
Pete Turner, die nicht mehr die jeweiligen Musiker zeigten, sondern futuristisch
eingefärbte Landschaften, Gebäude oder Gegenstände, entwickelte das Label eine
eigene Bildsprache.
In
dieser Zeit machte sich auch die Jazzperipherie mehr und mehr bemerkbar. Weil
sie in New York keine Auftrittsmöglichkeiten fanden, kamen Avantgardisten wie
Albert Aylor, Eric Dolphy und Cecil Taylor nach Kopenhagen. Dort spielten sie
im Jazzclub Montmartre oft wochenlange Engagements, manchmal mit ihren
amerikanischen Gruppen, dasnn wieder begleitet von Jazzmusikern aus Dänemark.
Eine moderne dänische Jazzszene entstand, die vor allem von zwei Labels
getragen wurde: Debut und Steeplechase. Die Transformation des Jazz von einer Tanz-
und Unterhaltungsmusik zu einer avantgardistischen Kunstform spiegelte sich in
den Plattencover der beiden Firmen wider, die avancierte Kunstformen, neues
Design und kühne Schriftzüge verwendeten.
Dass sich Jazzplattenhüllen verstärkt an aktuelle Kunsttrends
anlehnten, hatte mit dem Interesse von Jazzmusikern an der modernen Kunst zu
tun. Im Gegenzug gab es aber auch etliche bildende Künstler, die sich vom Jazz fasziniert
ließen. Eine Ausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum (noch bis zum 6. März zu
sehen) geht diesen Querverbindungen nach. 140 Kunstwerke, überwiegend Gemälde,
aber auch zahlreiche Plattenhüllen sind in der Ausstellung zu sehen, die die
letzten 100 Jahre umspannt.
Es beginnt in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Damals
schwappte der Jazz von den USA nach Europa und sorgte für Begeisterung bei
vielen bildenden Künstlern. Henri Matisse, Max Beckmann und Otto Dix – alle ließen
sich von der “Hot Music” inspirieren und verarbeiteten die Impulse auf der
Leinwand.
Nach
dem 2. Weltkrieg lösten sich die Formen zusehens auf. Die Kunst wurde abstrakter, während sich die
Jazzmusiker von Melodie, konventioneller Harmonik und Swingrhythmen lösten auf
dem Weg vom Bebop zum Freejazz. Der freie Jazz war geprägt von Spontanität und
Impulsivität und konnte leicht als Äquivalent des abstrakten Expressionismus’
oder von Jackson Pollocks “Tropfbildern” erscheinen. Nicht zufällig zierte das
Cover von Ornette Colemans epochemachendem Album “Freejazz” ein Gemälde von
Pollock.
Künstler
des Informel wie K. R. H. Sonderborg, Bernard Schultze und K.O. Götz erkannten
sich in der Nachkriegszeit in den rasanten Bewegungen und der Dynamik des
zeitgenössischen Jazz wieder, was später auch für “neue Wilde” wie A.R. Penck und
Albert Oehlen galt. Penck, der auch als Freejazz-Schlagzeuger aktiv war, entwarf
etliche LP-Cover - auch für Peter Kowald. Kowalds LP “Duos: Europa” verwendet
ein Gemälde von Penck. Es ist gleichfalls in der Stuttgarter Ausstellung zu
sehen.
Allerdings
sind die gegenseitigen Spiegelungen nicht immer so kongruent. 1963 zierte die
Hülle des Albums “Jazz made in Germany” von Klaus Doldinger ein Bild der
Schweizer Malerin Verena Loewensberg, einer Vertreterin der Zürcher Schule der
konkreten Malerei. Die quadratische Komposition ist aus Rechtecken
verschiedener Größen streng rational konstruiert, ganz im Gegensatz zu
Doldingers Jazz, der auf expressiven Ausdruck zielt. Vielleicht wollte man bei
der Plattenfirma Philips einfach nur signalisieren: Doldinger macht moderne
Musik und wählte dafür ein modernes Gemälde. Nicht immer muß der Bezug zwischen
Jazz und Kunst ein tiefschürfender gewesen sein.
Joaquim
Paulo / Julius Wiedemann: Jazz Covers;
669 Seiten, zahlr. Farbabbildungen (Taschen); 14,99 E
Ulrike
Gross / Sven Beckstette / Markus Müller: I Got Rhythm – Kunst und Jazz seit
1920; Deutsch & Englisch; 288 Seiten, 190 Farbabbildungen (Prestel) 49,95 E
(Im Museum: 35.00 E)
Cool
Scandinavians: Danish Jazz Cover Artwork From 1950 – 1970; 135 Seiten, zahlr.
Farbabb. (www.nytnordiskforlag.dk)
Die Ausstellung "Jazz & Kunst" in Stuttgart ist noch bis zum 6. März 2016 geöffnet:
http://www.kunstmuseum-stuttgart.de/presse/de/pTexts/151007_IGR_Faktenblatt_dbc78e.pdf
Der Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (jazzthetik.de)
Der Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (jazzthetik.de)
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