Wednesday, 17 February 2016

100 JAHRE DADA

Den Irrsinn auf die Bühne bringen

Vor 100 Jahren wurde in Zürich der Dadaismus erfunden



cw. Am Abend - Samstag, den 5. Februar 1916 – betraten ein paar “phantastische Gestalten” die kleine Bühne im Nebenzimmer eines Restaurants in der Spiegelgasse 1 in der Zürcher Altstadt und skandierten: “Hollaka hollala / anlogo bung / biago bung / blago bung / bosso fataka”. Das Publikum aus Malern, Studenten, Neugierigen und Touristen, das dicht gedrängt in dem kleinen Saal stand, wusste anfangs nicht so recht, wie ihm geschah. Dann johlte es, lachte und beklatschte begeistert die Lesung, aber auch die Sketche, Rezitationen, Musik- und Tanzaufführungen sowie die Nonsens-Possen der humoristischen Art, die folgten.

So begann der erste Abend in einer ganzen Reihe von Aufführungen in dem Saal, der fortan “Cabaret Voltaire” genannt wurde. Es war die Geburtsstunde des Dadaismus, der Kunst- und Literaturströmung, die vor 100 Jahren Furore machte und bis heute wenig an Ausstrahlungskraft verloren hat. Die Aufführenden waren der junge Deutsche Hugo Ball und seine Frau Emmy Hennings sowie deren Freunde und Bekannte, unter denen sich Hans Arp, Marcel Janco und Tristan Tzara befanden. Sie waren  Flüchtlinge und Pazifisten, die sich vor den Schrecken des 1. Weltkriegs in die neutrale Schweiz gerettet hatten. Hier nun hielten sie mit Unsinns-Sketchen und skurrilen Lautgedichten der bürgerlichen Gesellschaft den Spiegel vor, die die Welt in die Kriegskatastrophe mit 17 Millionen Toten hineingerissen hatte.

Der Dadaismus war die Gegenreaktion auf diesen Irrsinn, und Dada antwortete auf Absurdität mit Absurditäten. Mit nihilistischem Spott wurden alle überlieferten Normen und Konventionen der Lächerlichkeit preisgegeben und für nicht mehr gültig deklariert, der herrschende Rationalismus für bankrott erklärt. Keiner der Beteiligten, die auf der Bühne im “Cabaret Voltiare” sonderbare Verrenkungen vollführten, Manifeste verlasen, mit Schluckauf-Salven, Bellen und Miauen sich produzierten oder eine unsichtbare Geige spielten, dachte an eine programmatische Bewegung künstlerischer Art. Erst später kristallisierte sich eine gemeinsame Strömung heraus, die die konventionelle Kunst, Dichtung und Poesie radikal durcheinander wirbelten. Die Welt stand Kopf, und Dada vollzog das künstlerisch nach.

Das Wort, das der Kunst-Bewegung ihren Namen gab, hatte Hugo Ball und Richard Huelsenbeck zufällig in einem französischen Wörterbuch gefunden: “Ich stand hinter Ball und guckte in das Wörterbuch”, beschrieb Huelsenbeck die Szene. “Ball wies mit dem Finger auf den Anfangsbuchstaben jedes Wortes, von oben nach unten. Plötzlich schrie ich: ‘Halt!’ Mir fiel ein Wort auf, das ich noch nie zuvor gehört hatte: Dada! Es ist ein Kinderwort, das im Französischen ‘Steckenpferd’ bedeutet. Für unsere Zwecke war es wie geschaffen. Der erste Kinderlaut ist der Ausdruck für das Primitive, den Ansatz beim Nullpunkt, das Neue in unserer Kunst. Wir konnten kein besseres Wort finden.”
 
Anfangs war die Dichtung das Medium, in dem sich der Dadaismus ausdrückte. Mit Nonsens-Poemen, mit Laut-, Zufall- und Simultangedichten, bei denen drei Rezitatoren in drei Sprachen gleichzeitig durcheinander sprachen, wurde experimentiert. “Schampa wulla wussa olobo” gab Hugo Ball von sich, während er in einem Kostüm aus Pappe, das ihn in eine abstrakt-kubistische Skulptur verwandelte, auf der Bühne herumhampelte. “Um ein dadaistisches Gedicht zu machen, nimm eine Zeitung, nimm eine Schere, wähle einen Artikel, schneide jedes Wort aus und gebe sie in einen Beutel. Dann nimm einen Schnitzel nach dem anderen heraus, wie sie aus dem Beutel kommen, und schreibe sie in der Reihenfolge auf”, lautete die dichterische Gebrauchsanweisung.

Nach der Poesie kam im März 1917 die bildenden Kunst hinzu, als Hugo Ball und Tristan Tzara in der Zürcher Bahnhofstraße die Galerie Dada eröffneten. Avantgardistische Kunst jeder Art wurde präsentiert. Je wilder und abstrakter, desto besser! Tzara, Hans Arp und Marcel Janco avancierte zu den bedeutensten Künstlern des Zürcher Dadaismus. Neben Einzel- und Gruppenausstellungen mit neuen künstlerischen Medien wie Collagen, Gips- und Holzreliefs wurde ein Programm geboten, das aus Vorlesungen und Soireen bestand, wo Jazzmusik gespielt und Maskentänze aufgeführt wurden, wo hintersinnige Gedichte aufgesagt wurden und kleine Theateraufführungen stattfanden. Auch ein “Klub der esoterischen Philosophen” gab sich ein Stelldichein. Ein Beobachter sprach von einem “Manikürsalon der schönen Künste”, der mit “etwas Verrücktem” die Kunst-, Musik- und literarische Szene “aufzupulvern” versuchte.
 
Die Öffentlichkeit war irritiert. Was sollte das alles bedeuten? Viele reagierten mit Kopfschütteln. Vlademir Lenin, der russische Revolutionär, befand sich 1916 ebenfalls im Zürcher Exil und wohnte in der gleichen engen Gasse der Altstadt nur einen Steinwurf vom Ort der Kunstrevolte entfernt. Registrierte er, was im Cabaret Voltaire vor sich ging? Und welchen Reim hätte er sich darauf gemacht? Dada sorgte für hitzige Kontroversen. Sogar Kritiker aus dem Milieu der literarischen Moderne meldeten sich zu Wort. Der Verleger Kurt Wolff, der Kafka, Georg Trakl und Heinrich Mann herausgab, konnte dem “Dadagelall” wenig abgewinnen. “Noch bevor ich mir des völligen Schwachsinns dessen, was unter dem Namen Dada veranstaltet und verunstaltet wurde, bewußt geworden war, hatte mich die Pedanterie, die Langeweile und der Stumpfsinn von dem Wahn geheilt, dass hier schöpferischer Spaß zu finden sei,” urteilte Wolff.

Nichts destotrotz breitete sich Dada-Bewegung aus. In Berlin, in New York, in Paris, Köln und Hannover fanden sich Mitstreiter, die heute große Namen in der Kunstgeschichte sind: Marcel Duchamp, Man Ray oder Kurt Schitters. In den 1920er Jahren verpuffte zusehens der Elan. Der Impuls hatte sich erschöpft. Die Dada-Aktivisten wandten sich anderen Ideen und Konzepten zu. Doch ihr Einfluß ist bis heute nicht versiegt. Immer noch ziehen Künstler Inspiration aus der radikalen Ablehnung ästhetischer Normen und hohler gesellschaftlicher Werte. Der Dadaismus als geistige Haltung und Innovationsprinzip wirkt fort: “Wuluba ssubudu uluw ssubudu / tumba ba- umf / kusagauma / ba umf”.

Ausstellung:
Genese Dada - 100 Jahre Dada Zürich / Arp Museum Bahnhof Rolandseck; 14. 2. – 10. 7. 2016


No comments:

Post a Comment