Den
Irrsinn auf die Bühne bringen
cw. Am
Abend - Samstag, den 5. Februar 1916 – betraten ein paar “phantastische
Gestalten” die kleine Bühne im Nebenzimmer eines Restaurants in der Spiegelgasse
1 in der Zürcher Altstadt und skandierten: “Hollaka hollala / anlogo bung /
biago bung / blago bung / bosso fataka”. Das Publikum aus Malern, Studenten,
Neugierigen und Touristen, das dicht gedrängt in dem kleinen Saal stand, wusste
anfangs nicht so recht, wie ihm geschah. Dann johlte es, lachte und beklatschte
begeistert die Lesung, aber auch die Sketche, Rezitationen, Musik- und
Tanzaufführungen sowie die Nonsens-Possen der humoristischen Art, die folgten.
So
begann der erste Abend in einer ganzen Reihe von Aufführungen in dem Saal, der fortan
“Cabaret Voltaire” genannt wurde. Es war die Geburtsstunde des Dadaismus, der
Kunst- und Literaturströmung, die vor 100 Jahren Furore machte und bis heute
wenig an Ausstrahlungskraft verloren hat. Die Aufführenden waren der junge
Deutsche Hugo Ball und seine Frau Emmy Hennings sowie deren Freunde und
Bekannte, unter denen sich Hans Arp, Marcel Janco und Tristan Tzara befanden.
Sie waren Flüchtlinge und Pazifisten,
die sich vor den Schrecken des 1. Weltkriegs in die neutrale Schweiz gerettet
hatten. Hier nun hielten sie mit Unsinns-Sketchen und skurrilen Lautgedichten
der bürgerlichen Gesellschaft den Spiegel vor, die die Welt in die Kriegskatastrophe
mit 17 Millionen Toten hineingerissen hatte.
Der
Dadaismus war die Gegenreaktion auf diesen Irrsinn, und Dada antwortete auf Absurdität
mit Absurditäten. Mit nihilistischem Spott wurden alle überlieferten Normen und
Konventionen der Lächerlichkeit preisgegeben und für nicht mehr gültig deklariert,
der herrschende Rationalismus für bankrott erklärt. Keiner der Beteiligten, die
auf der Bühne im “Cabaret Voltiare” sonderbare Verrenkungen vollführten, Manifeste
verlasen, mit Schluckauf-Salven, Bellen und Miauen sich produzierten oder eine
unsichtbare Geige spielten, dachte an eine programmatische Bewegung künstlerischer
Art. Erst später kristallisierte sich eine gemeinsame Strömung heraus, die die
konventionelle Kunst, Dichtung und Poesie radikal durcheinander wirbelten. Die
Welt stand Kopf, und Dada vollzog das künstlerisch nach.
Das
Wort, das der Kunst-Bewegung ihren Namen gab, hatte Hugo Ball und Richard Huelsenbeck
zufällig in einem französischen Wörterbuch gefunden: “Ich stand hinter Ball und
guckte in das Wörterbuch”, beschrieb Huelsenbeck die Szene. “Ball wies mit dem
Finger auf den Anfangsbuchstaben jedes Wortes, von oben nach unten. Plötzlich
schrie ich: ‘Halt!’ Mir fiel ein Wort auf, das ich noch nie zuvor gehört hatte:
Dada! Es ist ein Kinderwort, das im Französischen ‘Steckenpferd’ bedeutet. Für
unsere Zwecke war es wie geschaffen. Der erste Kinderlaut ist der Ausdruck für
das Primitive, den Ansatz beim Nullpunkt, das Neue in unserer Kunst. Wir
konnten kein besseres Wort finden.”
Anfangs
war die Dichtung das Medium, in dem sich der Dadaismus ausdrückte. Mit
Nonsens-Poemen, mit Laut-, Zufall- und Simultangedichten, bei denen drei
Rezitatoren in drei Sprachen gleichzeitig durcheinander sprachen, wurde
experimentiert. “Schampa wulla wussa olobo” gab Hugo Ball von sich, während er
in einem Kostüm aus Pappe, das ihn in eine abstrakt-kubistische Skulptur
verwandelte, auf der Bühne herumhampelte. “Um ein dadaistisches Gedicht zu
machen, nimm eine Zeitung, nimm eine Schere, wähle einen Artikel, schneide
jedes Wort aus und gebe sie in einen Beutel. Dann nimm einen Schnitzel nach dem
anderen heraus, wie sie aus dem Beutel kommen, und schreibe sie in der
Reihenfolge auf”, lautete die dichterische Gebrauchsanweisung.
Nach
der Poesie kam im März 1917 die bildenden Kunst hinzu, als Hugo Ball und
Tristan Tzara in der Zürcher Bahnhofstraße die Galerie Dada eröffneten. Avantgardistische
Kunst jeder Art wurde präsentiert. Je wilder und abstrakter, desto besser!
Tzara, Hans Arp und Marcel Janco avancierte zu den bedeutensten Künstlern des
Zürcher Dadaismus. Neben Einzel- und Gruppenausstellungen mit neuen
künstlerischen Medien wie Collagen, Gips- und Holzreliefs wurde ein Programm
geboten, das aus Vorlesungen und Soireen bestand, wo Jazzmusik gespielt und
Maskentänze aufgeführt wurden, wo hintersinnige Gedichte aufgesagt wurden und
kleine Theateraufführungen stattfanden. Auch ein “Klub der esoterischen
Philosophen” gab sich ein Stelldichein. Ein Beobachter sprach von einem
“Manikürsalon der schönen Künste”, der mit “etwas Verrücktem” die Kunst-,
Musik- und literarische Szene “aufzupulvern” versuchte.
Die
Öffentlichkeit war irritiert. Was sollte das alles bedeuten? Viele reagierten
mit Kopfschütteln. Vlademir Lenin, der russische Revolutionär, befand sich 1916
ebenfalls im Zürcher Exil und wohnte in der gleichen engen Gasse der Altstadt
nur einen Steinwurf vom Ort der Kunstrevolte entfernt. Registrierte er, was im
Cabaret Voltaire vor sich ging? Und welchen Reim hätte er sich darauf gemacht?
Dada sorgte für hitzige Kontroversen. Sogar Kritiker aus dem Milieu der
literarischen Moderne meldeten sich zu Wort. Der Verleger Kurt Wolff, der
Kafka, Georg Trakl und Heinrich Mann herausgab, konnte dem “Dadagelall” wenig
abgewinnen. “Noch bevor ich mir des völligen Schwachsinns dessen, was unter dem
Namen Dada veranstaltet und verunstaltet wurde, bewußt geworden war, hatte mich
die Pedanterie, die Langeweile und der Stumpfsinn von dem Wahn geheilt, dass
hier schöpferischer Spaß zu finden sei,” urteilte Wolff.
Nichts
destotrotz breitete sich Dada-Bewegung aus. In Berlin, in New York, in Paris,
Köln und Hannover fanden sich Mitstreiter, die heute große Namen in der
Kunstgeschichte sind: Marcel Duchamp, Man Ray oder Kurt Schitters. In den
1920er Jahren verpuffte zusehens der Elan. Der Impuls hatte sich erschöpft. Die
Dada-Aktivisten wandten sich anderen Ideen und Konzepten zu. Doch ihr Einfluß ist
bis heute nicht versiegt. Immer noch ziehen Künstler Inspiration aus der
radikalen Ablehnung ästhetischer Normen und hohler gesellschaftlicher Werte. Der
Dadaismus als geistige Haltung und Innovationsprinzip wirkt fort: “Wuluba
ssubudu uluw ssubudu / tumba ba- umf / kusagauma / ba umf”.
Ausstellung:
Genese
Dada - 100 Jahre Dada Zürich / Arp Museum Bahnhof Rolandseck; 14. 2. – 10. 7.
2016
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