Sunday 20 March 2016

Aruan Ortiz: Moderner Jazz mit Latin-Flair

Weiter Horizont

Der kubanisch-amerikanische Pianist Aruán Ortiz läßt mit einem Trioalbum aufhorchen



 














cw. Obwohl schon seit Jahren auf der amerikanischen Jazzszene aktiv, ist der kubanische Pianist Aruán Ortiz (Jahrgang 1973) in Europa nur Insidern bekannt. Jahrelang hat er mit Wallace Roney gespielt. Vor zehn Jahren trat er das erste Mal mit seinem eigenen Trio in Erscheinung, jetzt hat er für das Schweizer Intakt-Label ein weiteres bemerkenswertes Jazzpianotrio-Album aufgenommen. Ortiz spielt keinen typischen Latin-Jazz, sondern reichert seine einfühlsamen Kompositionen mit Elementen aus verschiedenen Musikstilen an. 

Sie sind in Kuba geboren. Heute leben Sie in New York. Wie kamen Sie in die USA?

Aruán Ortiz: Ich verließ Kuba 1996, als ich 23 Jahre alt war, um zum Musikstudium nach Europa zu gehen. Ich lebte eine zeitlang in Frankreich, dann in Spanien. Danach ging ich nach Boston, wo ich kurzzeitig am Berklee College of Music studierte, um danach dort zu unterrichten. Anschließend spielte ich sechs Jahre in der Gruppe des Trompeters Wallace Roney, auch viel mit seinem Bruder, dem Saxofonisten Antoine Roney.

Sie wohnen inzwischen in Brooklyn, wo es eine lebendige Jazzszene gibt. Sind Sie deshalb dort hingezogen?

Aruán Ortiz: Nein, die Schwester meiner Frau lebte dort. Deshalb zogen wir dahin. Ich wohnte damals in Boston, trat aber oft in New York auf. Ich begann mit dem Gedanken zu spielen, nach Harlem zu ziehen, auch wegen der Musikgeschichte. Allerdings fanden wir keine geeignete Wohnung und in Brooklyn wurde etwas frei. Also ließ ich mich dort mit meiner Familie nieder. Erst dann wurde mir klar, dass es hier eine Menge Musiker gibt. Tim Berne, Stephan Crump und andere leben in der Nachbarschaft. Unsere Kinder gehen in die gleiche Schule. Oft treffe ich den einen oder anderen Kollegen, wenn ich meinen Sohn vom Unterricht abhole. Es existiert eine wunderbare Community dort. Auch der Schlagzeuger meines Trios, Gerald Cleaver, wohnt in Brooklyn, während der Bassist Eric Revis in Los Angeles zuhause ist. Wenn Eric Revis an einem bestimmten Termin nicht kann, greife ich auf Brad Jones zurück, der ebenfalls in Brooklyn daheim ist. Ich habe einen Pool von Musikern, die meine Stücke kennen und auf die ich zurückgreifen kann, wenn eines der regulären Mitglieder nicht abkömmlich ist

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Welches Konzept verfolgen sie mit Ihrem Trio. Welche Musik schwebt Ihnen vor?

Aruán Ortiz: Ich erkunde die Musik meiner Heimat: das musikalische Erbe Kubas. Allerdings löse ich die Töne aus ihrem ursprünglichen Kontext heraus und stelle sie in einen anderen Zusammenhang. Ich versuche heute, nicht mehr in den Kategorien eines bestimmten Stils zu denken. Ich bin an so vielen verschiedenen Arten von Musik interessiert: von Singer/Songwritern zu avantgardistischer E-Musik und von kubanischer Folklore bis zu Flamenco. Alle diese Klänge fließen irgendwie in meine Arbeit ein. Auch die moderne klassische Musik von Katalonien interessiert mich, Komponisten wie Frederic Mompou. Und dann natürlich der Jazz! Gleichzeitig bin ich an visueller Kunst interessiert. Es gibt so viele Überlappungen von Kunst und Musik. Der Großvater meiner Frau war ein kubanischer Künstler namens Julio Girona. Er war mit vielen der bekannten kubanischen Malern des 20. Jahrhunderts befreundet. Deshalb fühle ich mich der bildenden Kunst nahe. In meiner Musik versuche ich, mit Klangfarben zu malen und daraus eine Struktur zu entwickeln wie ein bildender Künstler. Es gibt eine direkte ästhetische Verbindung zwischen Kunst und Musik.

Bis im Alter von 23 haben Sie in Kuba gelebt. Haben Sie dort die einheimischen Musiktraditionen studiert – Rumba, Son?

Aruàn Ortiz: Nicht studiert, die sind im Alltag dauernd um einen herum. Diese Musik hört man auf der Straße, überall. Ich bin aber kein Spezialist dieser Stile, was es mir erlaubt, freier mit diesen Traditionen umzugehen. Ich habe der kubanischen Musik andere Stilelemente hinzugefügt, etwa aus dem Jazz. Das Gefühl der Musik bleibt, aber sie entspricht dann nicht mehr dem konventionellen Verständnis. Aus der Distanz betrachtet man diese Stilrichtungen mit einem weiteren Horizont.  

Wann begannen Sie, Ihr Instrument, das Klavier, zu spielen?

Aruán Ortiz: Mein erstes Instrument war die Geige. Ich fing mit sieben Jahren an. Erst danach kam das Klavier. Aber ich war nicht anders als andere Kinder: Ich wollte nicht üben, sondern lieber draußen spielen. Erst in meinen Jugendjahren hat mich das Piano stärker interessiert. Der Klang zog mich in den Bann. Ich spielte in Gruppen außerhalb der Schule kubanische Musik - auf Hochzeiten, bei Parties und Festen. Damals war ich 16 Jahre alt. Von da ab nahm ich das Klavierspiel ernster. Chick Corea war mein erstes großes Vorbild. Ebenso war ich von kubanischem Jazz inspiriert: Chucho Valdés war ein wichtiger Einfluß, auch Pianisten wie Emiliano Salvador oder Pucho Lopez. Ich ging dann von meiner Heimatstadt Santiago de Cuba aufs College nach Havana, was ein Schock war: Es wurde mir blitzartig klar, auf welchem hohen Niveau dort Musik gemacht wurde. Da konnte ich nicht mithalten.

Wie reagierten sie auf die Herausforderung?

Aruán Ortiz: Ich begriff, dass ich mich voll aufs Klavier konzentrieren mußte, um in dieser Liga mitspielen zu können. Ich hörte mit der Bratsche auf, die ich inzwischen spielte, und versenkte mich ganz ins Pianospiel. Ich studierte die klassische Klaviermusik: Bach, Chopin, Scriabin, Schumann, Schubert etc. - und widmete diesen Komponisten meine ganze Zeit. Deswegen ging ich nach Spanien, um mein  Pianospiel zu vervollkommnen. Nach der klassischen Ausbildung schwenkte ich auf Jazz um. Mein Lehrer war Horacio Fumero, der 20 Jahre lang der Bassist von Tete Montoliu war. Von ihm lernte ich, wie sich die Evolution des Jazzpianospiels historisch vollzogen hat. Danach besuchte ich das Berklee College of Music in Boston, um meine kompositorischen Fähigkeiten zu entwickeln. Es ging darum, die eigene innere Stimme zu finden.

Einer ihrer wichtigsten Mentoren war Muhal Richard Abrams. Was haben sie von ihm gelernt?

Aruán Ortiz: Ich bin immer noch in ständigem Kontakt mit ihm. Sein Rat ist mir wertvoll. Er war ungeheuer wichtig für mich und transformierte meine Sicht der Dinge. Er regte mich an, mich mit Kunst zu beschäftigen, nicht in der Musik stecken zu bleiben, sondern einen weiten Horizont zu entwickeln, mich allen kreativen Kunstformen zu öffnen.

Aruán Ortiz Trio (feat. Eric Revis & Gerald Cleaver): Hidden Voices (Intakt)

Das Interview erschien zuerst in Jazzthetik (jazzthetik.de)

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