Weiter Horizont
Der
kubanisch-amerikanische Pianist Aruán Ortiz läßt mit einem Trioalbum aufhorchen
cw. Obwohl schon seit Jahren auf der amerikanischen Jazzszene aktiv, ist der kubanische Pianist Aruán Ortiz (Jahrgang 1973) in Europa nur Insidern bekannt. Jahrelang hat er mit Wallace Roney gespielt. Vor zehn Jahren trat er das erste Mal mit seinem eigenen Trio in Erscheinung, jetzt hat er für das Schweizer Intakt-Label ein weiteres bemerkenswertes Jazzpianotrio-Album aufgenommen. Ortiz spielt keinen typischen Latin-Jazz, sondern reichert seine einfühlsamen Kompositionen mit Elementen aus verschiedenen Musikstilen an.
Sie sind in Kuba geboren. Heute leben Sie in New York. Wie kamen Sie in
die USA?
Aruán Ortiz: Ich
verließ Kuba 1996, als ich 23 Jahre alt war, um zum Musikstudium nach Europa zu
gehen. Ich lebte eine zeitlang in Frankreich, dann in Spanien. Danach ging ich
nach Boston, wo ich kurzzeitig am Berklee College of Music studierte, um danach
dort zu unterrichten. Anschließend spielte ich sechs Jahre in der Gruppe des
Trompeters Wallace Roney, auch viel mit seinem Bruder, dem Saxofonisten Antoine
Roney.
Sie wohnen inzwischen in Brooklyn, wo es eine lebendige Jazzszene gibt.
Sind Sie deshalb dort hingezogen?
Aruán Ortiz:
Nein, die Schwester meiner Frau lebte dort. Deshalb zogen wir dahin. Ich wohnte
damals in Boston, trat aber oft in New York auf. Ich begann mit dem Gedanken zu
spielen, nach Harlem zu ziehen, auch wegen der Musikgeschichte. Allerdings fanden
wir keine geeignete Wohnung und in Brooklyn wurde etwas frei. Also ließ ich
mich dort mit meiner Familie nieder. Erst dann wurde mir klar, dass es hier
eine Menge Musiker gibt. Tim Berne, Stephan Crump und andere leben in der
Nachbarschaft. Unsere Kinder gehen in die gleiche Schule. Oft treffe ich den
einen oder anderen Kollegen, wenn ich meinen Sohn vom Unterricht abhole. Es
existiert eine wunderbare Community dort. Auch der Schlagzeuger meines Trios,
Gerald Cleaver, wohnt in Brooklyn, während der Bassist Eric Revis in Los
Angeles zuhause ist. Wenn Eric Revis an einem bestimmten Termin nicht kann,
greife ich auf Brad Jones zurück, der ebenfalls in Brooklyn daheim ist. Ich
habe einen Pool von Musikern, die meine Stücke kennen und auf die ich
zurückgreifen kann, wenn eines der regulären Mitglieder nicht abkömmlich ist
Welches Konzept verfolgen sie mit Ihrem Trio. Welche Musik schwebt
Ihnen vor?
Aruán Ortiz: Ich
erkunde die Musik meiner Heimat: das musikalische Erbe Kubas. Allerdings löse
ich die Töne aus ihrem ursprünglichen Kontext heraus und stelle sie in einen
anderen Zusammenhang. Ich versuche heute, nicht mehr in den Kategorien eines
bestimmten Stils zu denken. Ich bin an so vielen verschiedenen Arten von Musik
interessiert: von Singer/Songwritern zu avantgardistischer E-Musik und von
kubanischer Folklore bis zu Flamenco. Alle diese Klänge fließen irgendwie in
meine Arbeit ein. Auch die moderne klassische Musik von Katalonien interessiert
mich, Komponisten wie Frederic Mompou. Und dann natürlich der Jazz! Gleichzeitig
bin ich an visueller Kunst interessiert. Es gibt so viele Überlappungen von
Kunst und Musik. Der Großvater meiner Frau war ein kubanischer Künstler namens
Julio Girona. Er war mit vielen der bekannten kubanischen Malern des 20.
Jahrhunderts befreundet. Deshalb fühle ich mich der bildenden Kunst nahe. In
meiner Musik versuche ich, mit Klangfarben zu malen und daraus eine Struktur zu
entwickeln wie ein bildender Künstler. Es gibt eine direkte ästhetische
Verbindung zwischen Kunst und Musik.
Bis im Alter von 23 haben Sie in Kuba gelebt. Haben Sie dort die einheimischen
Musiktraditionen studiert – Rumba, Son?
Aruàn Ortiz: Nicht
studiert, die sind im Alltag dauernd um einen herum. Diese Musik hört man auf
der Straße, überall. Ich bin aber kein Spezialist dieser Stile, was es mir
erlaubt, freier mit diesen Traditionen umzugehen. Ich habe der kubanischen
Musik andere Stilelemente hinzugefügt, etwa aus dem Jazz. Das Gefühl der Musik
bleibt, aber sie entspricht dann nicht mehr dem konventionellen Verständnis.
Aus der Distanz betrachtet man diese Stilrichtungen mit einem weiteren
Horizont.
Wann begannen Sie, Ihr Instrument, das Klavier, zu spielen?
Aruán Ortiz:
Mein erstes Instrument war die Geige. Ich fing mit sieben Jahren an. Erst
danach kam das Klavier. Aber ich war nicht anders als andere Kinder: Ich wollte
nicht üben, sondern lieber draußen spielen. Erst in meinen Jugendjahren hat
mich das Piano stärker interessiert. Der Klang zog mich in den Bann. Ich spielte
in Gruppen außerhalb der Schule kubanische Musik - auf Hochzeiten, bei Parties
und Festen. Damals war ich 16 Jahre alt. Von da ab nahm ich das Klavierspiel
ernster. Chick Corea war mein erstes großes Vorbild. Ebenso war ich von
kubanischem Jazz inspiriert: Chucho Valdés war ein wichtiger Einfluß, auch
Pianisten wie Emiliano Salvador oder Pucho Lopez. Ich ging dann von meiner
Heimatstadt Santiago de Cuba aufs College nach Havana, was ein Schock war: Es
wurde mir blitzartig klar, auf welchem hohen Niveau dort Musik gemacht wurde.
Da konnte ich nicht mithalten.
Wie reagierten sie auf die Herausforderung?
Aruán Ortiz: Ich
begriff, dass ich mich voll aufs Klavier konzentrieren mußte, um in dieser Liga
mitspielen zu können. Ich hörte mit der Bratsche auf, die ich inzwischen
spielte, und versenkte mich ganz ins Pianospiel. Ich studierte die klassische
Klaviermusik: Bach, Chopin, Scriabin, Schumann, Schubert etc. - und widmete diesen
Komponisten meine ganze Zeit. Deswegen ging ich nach Spanien, um mein Pianospiel zu vervollkommnen. Nach der
klassischen Ausbildung schwenkte ich auf Jazz um. Mein Lehrer war Horacio Fumero, der 20 Jahre lang der
Bassist von Tete Montoliu war. Von ihm lernte ich, wie sich die Evolution des
Jazzpianospiels historisch vollzogen hat. Danach besuchte ich das Berklee
College of Music in Boston, um meine kompositorischen Fähigkeiten zu
entwickeln. Es ging darum, die eigene innere Stimme zu finden.
Einer ihrer wichtigsten Mentoren war Muhal Richard Abrams. Was haben
sie von ihm gelernt?
Aruán Ortiz: Ich
bin immer noch in ständigem Kontakt mit ihm. Sein Rat ist mir wertvoll. Er war
ungeheuer wichtig für mich und transformierte meine Sicht der Dinge. Er regte
mich an, mich mit Kunst zu beschäftigen, nicht in der Musik stecken zu bleiben,
sondern einen weiten Horizont zu entwickeln, mich allen kreativen Kunstformen
zu öffnen.
Aruán Ortiz Trio
(feat. Eric Revis & Gerald Cleaver): Hidden Voices (Intakt)
Das Interview erschien zuerst in Jazzthetik (jazzthetik.de)
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