Wednesday, 25 May 2016

GRAINDELAVOIX: experimentelle frühe Musik

Die Noten hinter den Noten

Björn Schmelzer gilt als Enfant terrible der frühen Musik. Sein Ensemble Graindelavoix hat die Vorstellung von den Klängen des Mittelalters und der Renaissance revolutioniert. Mit Roland Barthes als Taufpaten greifen sie auf Techniken diverser Volksmusiktraditionen sowie der Idee einer “affektiven Exegese” zurück



Die Gruppe Graindelavoix aus Antwerpen ist ein “Early Music”- Ensemble mit einer eigenen Vision der frühen Musik. Unter der Regie von Björn Schmelzer wird die Polyphonie der Renaissance gegen den Strich gebürstet, um ihre tiefere Botschaft ans Licht zu bringen. “Emotionale Musikwissenschaft in Aktion” hat das die Kritik genannt.

Graindelavoix taucht tief in die verschlungene Vielstimmigkeit ein, um unter die Haut der Motetten, Messen und Madrigale zu gelangen und ihre Essenz herauszuarbeiten. Dabei schreckt die Gruppe nicht davor zurück, den “klaren schönen Gesang in durchdringende Schreie und Klagen” zu verwandeln, wie es im Text einer musikalischen Lamentation aus dem Jahr 1497 von Josquin Desprez auf den Tod von Johannes Ockeghem heißt.

Neben Werken von Desprez und Alexander Agricola enthält die aktuelle CD-Produktion “Cecus” der Gruppe auch Kompositionen von Pierre de la Rue, die 1506 aus Anlaß des Todes des jungen Königs Philipp des Schönen von Kastilien (er wurde nur 28 Jahre alt) entstanden sind. Diese Trauermotetten wurden bei nächtlichen Gedenkfeiern in Dorfkirchen überall in Spanien aufgeführt, wofür der Hof mit dem Sarg des Königs und einer beträchtlichen Trauergemeinde plus der Hofkapelle über Land zog. Am Ende der Trauerfeierlichkeiten wurde jedesmal der Sarg geöffnet, in der Hoffnung der Verstorbene werde von der Kraft der Gebete und Musik vom Tode erweckt. Mit der gleichen Intensität bringt Graindelavoix die frühe Musik zur Aufführung.

Christoph Wagner: Sie waren Chorknabe in Antwerpen. War das ihre erste Begegnung mit früher Musik?

Björn Schmelzer: Wir sangen Palestrina, Buxtehude, auch Bach, dazu gregorianische Choräle in der Kathedrale von Antwerpen. Der Chorleiter war ein Priester, der sich in der Tradition der großen Meister der Renaissance sah. Und tatsächlich war ja Ockeghem im 15. Jahrhundert an dieser Kirche tätig gewesen. Ich sang nicht freiwillig im Kathedralenchor, vielmehr war es der Wunsch meiner Mutter. Ich gehörte dem Chor bis zum Studium an, habe also die frühe Musik von Jugend auf eingesogen. Daneben sang ich mit ein paar Freunden in unserem eigenen Ensemble. 

Haben sie danach Musik studiert?

BS: Ursprünglich wollte ich Schauspieler werden, ging dann aber doch zuerst auf die Universität, um Musik zu studieren, was mir nicht gefiel. Ich sattelte auf Anthropologie um. Für meine Abschlußarbeit unternahm ich Feldforschungen in Sardinien, wo ich traditionelle Vokalpraktiken in ihrem sozialen Umfeld untersuchte. Das sprach mich mehr an als das Musikstudium, das ausschließlich aus Theorie und Analyse bestand. Das anthropologische Prinzip des Beobachtens und Partizipierens kam meinen Interessen entgegen.

Damals entdeckte ich die Gruppe “Studio der frühen Musik” von Thomas Binkley, weil es ihre Schallplatten in unserer Bücherei gab und ich sie im Film “Herz aus Glas” von Werner Herzog gesehen hatte. Ich fühlte mich von dem eigenwilligen Ansatz ihrer Musik angesprochen. Ich verstand nicht wirklich, was sie machten. Doch Musik, die ich nicht verstehe, fasziniert mich.
 
Wie kam es dann zur Gründung von Graindelavoix?

BS: Vielleicht war dafür meine Großmutter wichtiger, als alle Schallplatten früher Musik, die ich bis dahin gehört hatte. Sie sensibilisierte mich für ein Wissen, das nicht intellektueller Art ist, sondern intuitiv. Meine Großmutter war eine einfache Frau, besaß aber eine enorme praktische Intelligenz. Das entdeckte ich auch bei Sängern, die wunderbar singen konnten, aber keine Gesangsausbildung durchlaufen hatten.

Diese Erkenntnis bildete den Ausgangspunkt für Graindelavoix, weil es mir ermöglichte, einen anderen Ansatz zu wählen: nicht wissenschaftlich an die frühe Musik heranzugehen. Wir wollten uns von der Sterilität der akademischen Interpretation lösen. Mir ging es eher um Vibrationen. Ich wollte diese Klänge mit Leben erfüllen. Ich konnte mir eine andere frühe Musik vorstellen, weil selbstverständlich im 16. Jahrhundert die Stimmen nicht so uniform akademisch ausgebildet waren, wie es seit dem 19. Jahrhundert in Europa der Fall ist. Die Vorstellung von der Hygiene der Stimme und eines fast mechanischen Verständnisses von Musik gingen mir gegen den Strich. Ich wollte die frühe Musik aus der Praxis heraus entwickeln, eine Polyphonie voller Affekte kreieren, voller Emotionen, die den Leib miteinbezieht. Ich wollte den ganzen Reichtum des Ausdrucks zurückgewinnen, der ab dem 19. Jahrhundert in eine bestimmte Richtung kanalisiert worden ist. Ich wollte die frühe Musik wieder aufregend machen, auch für ein Publikum, das über die Spezialisten der Early Music Festivals hinausreicht. Wir möchten auch junge Leute ansprechen, die nicht über Beethoven oder Haydn zur “Early Music” kommen, aber vielleicht bestimmte Arten von Weltmusik kennen und von dort eine Verbindung zur frühen Musik herstellen können. Das bedeutet nicht, dass wir irgendwelche Fusionen etwa mit Jazz anstreben – im Gegenteil: Die Intensität unserer Aufführungen ist das verbindende Element.

Sie haben ihrer Gruppe den Namen eines berühmten Essays des französischen Philosophen Roland Barthes gegeben: “Grain de la voix - die Rauhheit der Stimme”. Was war die Idee?

BS: Ich hätte die Gruppe natürlich auch Orlando di Lasso Ensemble nennen können, habe aber den Namen des Texts von Roland Barthes gewählt, weil er unsere Intentionen am besten ausdrückt. Der Gruppenname ist ein Emblem. Er beschreibt unsere Arbeitsweise. Wie ein Schreiner nicht gegen die Maserung des Holz arbeitet, nehme ich die “Rauhheit” der Stimmen unserer Sänger und Sängerinnen auf und arbeite mit ihnen. Mit der Maserung - nicht dagegen!

Der Gruppenname bringt außerdem ein Element von Philosophie in die Musik ein…

BS: Genau! Mir erscheint der Bereich der frühen Musik bis heute intellektuell unterbelichtet. Die philosophische Reflektion kommt zu kurz. Ich bin etwa an der Frage interessiert, was Zeit bedeutet, weil wir ja, wenn wir ein Werk der Renaissance aufführen, einen Zeitausschnitt – sagen wir – aus dem 15. Jahrhunderts in die Gegenwart bringen. Fünf Minuten Renaissance wird mit einer Motette in die Jetzt-Zeit transportiert. Das ist für mich eine aufregende Idee, über deren Bedeutung sich nachzudenken lohnt. Der Gedanke ist für mich fast zu groß, das Phänomen zu komplex, dass ich begreifen könnte, was da passiert. Es grenzt ja an ein Wunder, dass wir mit einem Stück von Ockeghem fünf Minuten Zeit der Vergangenheit zurückbringen können. Ein ungeheurer Vorgang von Telepathie. Die Frage stellt sich: Ist eine emotionale Verbindung mit der Vergangenheit möglich, eine Verbindung, die auf Affekten beruht? Musik macht das möglich! Daneben verblassen Fragen der authentischen Aufführungspraxis.

Wie entstand die Gruppe und wie arbeitet sie?

BS: Nach dem Studium fand ich keinen Job und betrieb einen kleinen Antiquitäten-Laden in der Nähe von Brüssel. Dann gründeten wir die Gruppe mit vier Sängern von hier, wobei wir von Anfang an sehr an traditioneller Musik interessiert waren. Wir sind also eine Gruppe aus Antwerpen, obwohl ich heute oft der einzige aus meiner Heimatstadt bin. Mittlerweile kommen die Sänger und Sängerinnen aus den unterschiedlichsten europäischen Ländern, was verschiedene Temperamente und Mentalitäten ins Spiel bringt. Es war mir nie wichtig, hochprofessionelle Sänger und Sängerinnen für die Gruppe zu gewinnen, sondern interessante Persönlichkeiten mit einem eigenen Timbre der Stimme. Es gibt uns jetzt mehr als zehn Jahre und wir sind in dieser Zeit gewachsen sowie zusammengewachsen, was aber auch bedeuten kann, dass man den anderen mehr Raum läßt. Unser Verständnis für einander hat zugenommen und wir begreifen besser, auf was wir aus sind. Unsere Vision hat an Klarheit gewonnen. 

Wie sieht die musikalische Praxis der Gruppe aus?

BS: Meine anthropologische Feldforschungen in Sardinien waren dafür wichtig. Ich hörte Gesangsgruppen dort “Falso Bordone” singen, diesen “falschen Bass” oder “Fauxbourdon”, den ich als Vokaltechnik aus der Renaissance-Musik kannte. Aber die Sänger waren Fischer, Handwerker - einer betrieb einen Kiosk. Sie waren alles andere als ausgebildete Vokalisten. Sie konnten keine Noten lesen, konnten aber diese vierstimmige Polyphonie singen, was mich frappierte. Das war die Erleuchtung! Es wurde mir klar, dass sie mit der Musik ganz anders verbunden sind als klassische Musiker.

Kommt daher ihre Intention, die polyphonen Werke auswendig zu singen?

BS: In der mittelalterlichen Musik bildeten die Noten oft nur ein melodisches Gerüst, das nach Variationen und Ornamentierung verlangt. Darauf will ich hinaus: Elemente der Improvisation sollen in die Musik einfließen. Junge Sänger und Sängerinnen sind mehr und mehr in der Lage, sich kreativ in die Musik einzubringen und nicht am Notenblatt zu kleben. Oft kommen die Sänger ursprünglich aus einer Volksmusiktradition, in der Variations- und Improvisationstechniken in Gebrauch waren. Die haben sie dann allerdings während ihres Gesangsstudiums abgelegt. Ich möchte diese Potentiale für die frühe Musik wieder nutzen. Also: Singt die Renaissance-Polyphonie mehr mit dem Ohr und mit den Ornamentierungen, Mikrointervallen und dem Tremolo  traditioneller Musik! Wir probieren das aus, experimentieren damit, finden heraus, ob und wo es Sinn macht. Die Partitur fungiert als eine Art Leitschnur, aber eigentlich singen wir die Noten über den Noten.

Wo liegt die rote Linie, die verhindert, dass es in reiner Beliebigkeit endet?

BS: Ein umfassenderes, tieferes  Verständnis der Musik ist  vonnöten. Wenn wir eine Lamentation singen, müssen wir erst einmal wissen: Was ist eine Lamentation? Welche Funktion hatte sie? In welchem sozialen Kontext war sie von Bedeutung? All diese Fragen gilt es im Auge zu behalten. Was bedeutet es, wenn in Estland – wir haben einen estischen Sänger in der Gruppe – eine Frau für einen Verstorbenen eine Lamentation singt? Sie benutzt dazu Singtechniken, Intervalle, die jedermann mit einer Totenklagen assoziiert. Wir gehen dann an eine Lamentation z.B. von Josquin Desprez mit der simplen Idee und klaren Vorstellung heran, was eine Lamentation eigentlich ausmacht: Wir versuchen den Tod eines Menschen gesanglich zu beklagen! Wir versuchen, diese affektive Verbindung herzustellen, diese fundamentalen menschlichen Gefühle auszudrücken. Es ist eine physische Sache. Wir wollen die Gefühle und die Nerven der Zuhörer berühren. Deshalb brauchen wir das Wissen über den Kontext und die Funktion der Musik, um diese Dimension deutlich zu machen, sie vielleicht sogar noch zu verstärken. Das kann man affektive Exegese nennen.

Björn Schmelzer & Graindelavoix: Guillaume De Machaut / Messe De Nostre Dame (Glossa) 
Björn Schmelzer & Graindelavoix: Cecus (Glossa)

Monday, 23 May 2016

Bob Dylan zum 75.

Hey, Mr. Tambourine Man!

Bob Dylan wird 75 – alte Weggefährten, jüngere Liedermacher und besessene Dylan-Verehrer erinnern sich an Begegnungen mit ihm und seiner Musik 



cw. Eigentlich heisst er Robert Zimmerman, doch alle kennen ihn unter dem Namen: Bob Dylan! Vom Schriftsteller Dylan Thomas, den er verehrte, hat er sich den Namen entlehnt. Bob Dylan kam 1961 nach New York, wo er in den Folkclubs von Greenwich Village für Furore sorgte. Mit Songs wie “Blowing in the Wind”,  “Mr. Tambourine Man”, und “The Times They are a Changin” machte er weltweit Karriere und galt bald als die Stimme seiner Generation. Seitdem hat Bob Dylan immer wieder mit neuen Alben aufhorchen lassen und sich vielleicht als der größte Liedermacher aller Zeiten in die Annalen der Popmusik eingetragen. Am 24. Mai wird er 75 Jahre alt. Christoph Wagner hat alte Weggefährten und –gefährtinnen befragt, auch jüngere Kollegen und Bewunderer sowie Dylan-Experten, um ein Bild von diesem letzten Superstar des Pop zu gewinnen.

Carolyn Hester, Los Angeles (Folksängerin, auf deren erstem Album Bob Dylan 1961 mitwirkte. Es war seine erste Schallplattenaufnahme)

Image result for bob dylan carolyn hester photo“Ich war mit Bob Dylans Freundin Suze Rotolo eng befreundet und wir verbrachten viel Zeit zusammen, manchmal bei Konzerten. Als ich erwähnte, dass ich eine Schallplatte für Columbia Records machen würde, bekundete Bob Dylan sein Interesse, als Gitarrist dabei zu sein. Das Problem war:  Wir hatten bereits einen Gitarristen! Deshalb luden wir ihn als Mundharmonikaspieler zu den Aufnahmen ein. So lernte er den Produzenten John Hammond von Columbia Records kennen, der ihn dann unter Vertrag nahm.”

Happy Traum, Woodstock, USA (Folkmusiker und einstiger Nachbar von Bob Dylan)

“Ich traf Bob Dylan 1962 in Greenwich Village in Downtown Manhattan. Ich sang damals in der Folkgruppe The New World Singers. Bob Dylan mochte die Band. Er kam zu unseren Auftritten und gab uns Lieder von ihm zum Singen. Er war damals noch völlig unbekannt. 1963 war ich dann zum ersten Mal mit ihm im Studio. Wir nahmen Lieder zur Unterstützung der Zeitschrift “Broadside Magazine” auf, einem wichtigen Organ der Folkbewegung. Die New World Singers sangen Dylans “Blowing in the Wind” - die erste Einspielung des Titels! Er war im Studio dabei. Bei der gleichen Session sang ich mit ihm im Duett: “Let me die in my footsteps”. Ich sang die Führungsstimme, er die Begleitung, dazu spielte er Gitarre. Ein paar Jahre später zog ich mit meiner Familie raus aufs Land, nach Woodstock im Bundesstaat New York, wo auch Bob Dylan mit seiner Familie lebte. Damals gab es viele Musiker in Woodstock, eine richtige Künstlergemeinde.
Wir freundeten uns mit Dylans Familie an, besuchten uns oft und machten privat Musik zusammen. Er war sehr umgänglich. Bob Dylan war eine recht komplexe Persönlichkeit. In Woodstock lebte er sehr zurückgezogen von der Öffentlichkeit. Die Schallplatten, die er damals machte wie “John Wesley Harding”, spiegelten dieses ruhige Leben auf dem Land wider. 1973 machte ich ein zweites Mal Aufnahmen mit ihm: Wir gingen in New York ins Studio seiner Plattenfirma Columbia und nahmen vier Titel auf. Als er dann 1973 nach Kalifornien zog, brach der Kontakt etwas ab, obwohl ich ihn auch später noch ein paar Mal traf.”



Peter Stampfel, New York (Folk-Veteran mit den Holy Modal Rounders)

“Das erste Mal als ich Dylan sah, wusste ich nicht, wer er war: ein junger Bursche mit Stiefeln und einer Mütze auf, der nach Greenwich Village in Manhattan gekommen war, um ein bisschen Gitarre zu spielen. Ein paar Wochen später ging ich abends am Folkclub “Folk City” vorbei und sah durch das Fenster, wie er dort auf der Bühne stand mit seinem Mundharmonikahalter. Ich hörte nichts durch die Scheiben, konnte aber an seinen Bewegungen erkennen, dass er richtig Gitarren spielen konnte. Als ich ihn dann kurze Zeit später auf der Bühne erlebte, erstaunte mich sein Gesangstil, diese Mischung aus Rock ’n’ Roll und traditionellem Hillbilly-Singen. Er war in der Lage, diese beiden Stile zu verbinden. Er sang das gleiche Repertoire wie alle anderen Folksänger: alte traditionelle Lieder etwa von Woody Guthrie. Keiner erinnert sich mehr daran, aber am Anfang seiner Karriere alberte und kasperte Dylan auf der Bühne herum. Er hüpfte und bewegte sich wie ein unreifes Kind. Erst als er seine Mütze abnahm, hörte er auf, ein Clown zu sein.”

Jeffrey Lewis, New York (Anti-Folk-Songwriter und Bandleader)

“Bob Dylan habe ich das erste Mal gehört, als ich so 14 oder 15 war und gerne im Radio klassische Rockmusik hörte. Damals entdeckte ich all diese tolle Musik aus den Sechzigern. Bestimmte Lieder von Bob Dylan, die romantisch-schnulzigen, gefielen mir nicht. Das ist auch heute noch so. Aber eines Nachts hörte ich ”Ballad of a Thin Man” im Radio, und der Song zog mich in den Bann. Das Lied war lustig und verrückt. Darin kam eine einäugige Schnake vor. Jede Zeile war voller Überraschungen, wobei die Musik ziemlich cool klang, düster, schwer und bedrückend. Plötzlich fand ich Bob Dylan interessant. Ich schaute die Plattensammlung meiner Eltern durch. Sie hatten das betreffende Album und noch zwei oder drei andere Dylan-LPs. Ich überspielte sie auf Cassette und hörte sie jeden Morgen auf dem Weg zur Schule mit meinem Walkman in der U-Bahn. Was für tolle Musik! Seine romantischen Lieder sagen mir bis heute nichts, aber die lustigen, verrückten Songs sind voller Spaß, Brillanz und Energie. Bis heute gefällt mir der frühe Dylan am besten, diese wilde akustische Musik, auch wenn manche Leute meinen, er könnte nicht singen. Ich finde seine Stimme klingt jung und wild. Mit der Zeit beschaffte ich mir mehr und mehr Alben von Bob Dylan und finde, dass auf allen gute Musik ist.”

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Alex Neilson, Glasgow (Schlagzeuger, Sänger und Liederschreiber der Trembling Bells und von Crying Lion)

“Ich kam ziemlich spät auf Bob Dylan. Das erste Mal, dass mich seine Musik wirklich ergriff, war, als ich eine ‘Live’-Platte von ungefähr 1965 hörte. Es klang, als ob die Reiter der Apokalypse aus der Lautsprechern kämen. Ich bemerkte dann, dass es das berühmte “Judas”-Konzert war, wo Dylan als Verräter gescholten wurde, weil er elektrische und nicht akustische Gitarre spielte. Das war revolutionäre Musik in jeder Hinsicht. Von da an wurde Bob Dylan eine Obsession von mir. Ich begriff, dass seine Größe mit seiner Unergründlichkeit zusammenhängt. Je mehr man über ihn zu wissen glaubt, je mysteriöser wird der Mann.”

 Pete Coward, London (Musikjournalist und Dylan-Kenner)

“Bob Dylan inspiriert, weil er ein Genie mit Fehlern ist, und solche Fehler braucht es, um ein Genie zu sein. Er folgt den Worten von Leonard Cohen: "In jedem Ding ist ein Riß. Erst dadurch kommt Licht herein.” Deshalb erstaunt es nicht, dass seine beiden Versionen vom Song “Forever Young” ziemlich verschieden sind -  es verwundert nur. Doch Dylan sucht alles immer und immer wieder auf und überarbeitet es: seine Lieder, seine Stimme, sein Glaube. Und das macht er bis heute im Alter von 75 Jahren. Nicht weil er auf der Suche nach Perfektion ist, sondern weil es die ihm zugewiesene Rolle ist, als fehlerhaftem Genie und menschlichem Wesen.”

 Michael Moravek, Ravensburg (Sänger und Gitarrist der Planeausters)

“Es passierte in der Küche in der Richthofenstrasse in Balingen. Ich war 13 und mein Bruder rief mich ans Radio. Es kam gerade “Are You Ready”. Die Stimme elektrisierte mich, sie schien direkt aus einer Menschenseele heraus zu kommen und unterschied sich von allem, was ich bis dahin gehört hatte. Sie klang seltsam vertraut und verhakte sich in mir. Als heranwachsender Mensch konnte ich keine Wurzeln entwickeln, die sich an Orte festmachten. Durch Dylan habe ich damals meine eigene Sprache gefunden - nicht nur als Songwriter -, die mir ersatzweise zur Heimat geworden ist. Einer seiner großartigsten Songs? Covenant Woman. ‘You know that we are strangers / in a land we’re passing through’.”



Tuesday, 3 May 2016

Kubanische Klezmermusik. John Zorns 'Book of Angals, Vol 23'

Verblüffende Synthese

Kubanische Klezmermusik mit Roberto Rodriguez beim Jazzclub Singen


cw. Let’s klez! Seit 40 Jahren erlebt die jüdische Klezmermusik ein Revival. In ihrer vormaligen osteuropäischen Heimat durch Holocaust und 2. Weltkrieg vernichtet, waren es vor allem Musiker aus den USA, die die traditionelle jüdische Festtagsmusik wiederentdeckten und ihr zu einer weltweiten Renaissance verhalfen. Wie Blues, Tango oder Salsa gibt es heute Klezmergruppen nahezu überall auf dem Globus. Dabei treten immer mehr auch etwas abgelegenere Traditionslinien zu Tage, wie etwa die Klezmermusik auf Kuba, wo eine beachtliche Exilgemeinde jüdischer Emigranten strandete, um sich vor der Verfolgung in Europa in Sicherheit zu bringen.

Der Schlagzeuger Roberto Rodriguez stammt aus diesen Milieu. Er ist in der jüdischen Gemeinde in Kuba groß geworden und hat seit seiner Jugend bei Festen und Feiern jüdische Musik gespielt und dabei schon früh Klezmermelodien mit kubanischen Rhythmen vermischt. In den 1990er Jahre wanderte Rodriguez in die USA aus, wo er sich in New York niederließ, um weiterhin seine musikalischen Wurzeln zu pflegen. In Downtown Manhattan traf Rodriguez den Saxofonisten, Komponisten und Labelbetreiber John Zorn, der ihn ermunterte, die jüdisch-kubanische Klezmertradition weiterzuentwickeln.

Zorn schrieb eine Reihe von Kompositionen für Rodriguez, die dieser zuerst mit einer größeren Besetzung aufnahm (CD: Book of Angels, Vol 23) und jetzt mit seinem Cuarteto Aguares auf einer ersten Europatournee vorstellte, wobei er neben Auftritten in Slowenien, Holland und Österreich auch beim Jazzclub Singen im Kulturzentrum Gems vor vollem Haus gastierte. Rodriguez’ Ensemble besteht aus vier Meistermusikern, die die Latin-Klezermusik mit traumhafter Sicherheit in Szene setzen. Jonathan Keren an der Violine entpuppte sich als unglaublich fingerfertiger Virtuose, der dem Bandleader am Schlagzeug an technischer Brillanz in nichts nachstand. Am Piano, manchmal  akustisch, dann wieder in elektrisch, brillierte der junge Alon Nechustan mit markanten Soli, wobei Bassist Bernie Minoso das Ganze mit federnd-elastischen Baßlinien zusammenhielt.

Komponist John Zorn hat eine Musik kreiert, die eine wunderbare Melanche zwischen der oft träumerischen Melancholie osteuropäischer Klezmermusik und dem Drive und der Lässigkeit lateinamerikanischer Rhythmen darstellt. Dabei ist es dem Cuarteto Aguares gelungen, die knappen Vorgaben des Komponisten mit originellen Arrangements und gekonnten Improvisationen zu epischen Stücken auszubauen, die dennoch keine Sekunde langweilig wirkten. Vielmehr war es faszinierend zu hören, zu welch spannendem Mix sich die jüdische Musik in der kubanischen Diaspora formte. Rumba und Klezmer gehen dabei ein überraschende Synthese ein, die verblüfft und trotzdem vollkommen organisch wirkt.