Sunday, 27 November 2016

Jazz im Südwesten: KRISCH TRIO mit LAUREN NEWTON

Atemberaubende Leichtigkeit

Das Dizzy Krisch Trio plus Lauren Newton im SWR-Landesstudio Tübingen


Jazzmusiker haben es schwer: überschaubares Publikum, magere Gagen, wenige Auftrittsmöglichkeiten. Da springt der Südwestdrundfunk als Unterstützer ein: Seit 16 Jahren veranstaltet das Landesstudio Tübingen einmal im Monat ein Jazzkonzert, das mitgeschnitten wird. Die Aufnahmen werden den Musikern kostenlos zur Verfügung gestellt, um daraus – falls geeignet -  eine CD-Veröffentlichung zu machen. Diese Kulturförderung eines öffentlich-rechtlichen Senders hat über die Jahre zu erstaunlichen Ergebnissen geführt. Eine ganze Reihe exzellenter CD-Produktionen sind entstanden, die die vitale Jazzszene Südwestdeutschlands seit der Jahrtausendwende dokumentieren.

Der Tübinger Vibrafonist Dizzy Krisch und seine Musiker haben die Möglichkeit beim Schopfe gepackt: Ein Auftritt vor zwei Jahren im Tübinger SWR-Studio ist jetzt als Tonträger erschienen. Am Freitag fand vor ausverkauftem Saal die CD-Taufe statt. “Lonely Woman” heißt das Album, das beim Kölner Label JazzHausMusik erschienen ist.

Krisch hat sein Quartett hochkarätig besetzt. Für ein federndes Fundament sorgt die Stuttgarter Bassistin Caroline Höfler. Am Schlagzeug setzt der seit Jahren in Ulm lebende Amerikaner Billy Elgart Akzente, und eine enorme Palette an vokalen Farben bringt die Stimmkünstlerin Lauren Newton ein, die ebenfalls Amerikanerin ist, aber seit längerem in Tübingen lebt. Zusammen ergibt das ein Ensemble, das aus der Crème der Jazzmusiker aus dem Südwesten besteht.


Den ersten Teil des Konzerts bestritt die Gruppe als Instrumentaltrio, wobei jeder der drei Musiker in den Kompositionen von Dizzy Krisch, plus einem Titel von George Gershwin, glänzen konnte. Vor allem der Bandleader ließ die Klöppel mit atemberaubender Leichtigkeit auf die Tonstäbe seines Vibrafons prasseln, angetrieben von einer famosen Rhythmusgruppe, die jeden Hackenschlag mitging. Nach der Pause komplettierte dann Lauren Newton das Ensemble und führte die Musik noch weiter über den Horizont des Mainstream-Jazz hinaus. Ob textloser Scat-Gesang oder fantasievolle Lautmalerei, ob dadaistische Wortspiele oder einfühlsame Lyrik-Interpretationen – Newton bewieß zum wiederholten Mal, dass sie zur Spitzenklasse des zeitgenössischen Jazzgesangs gehört. 

Die Konzertbesprechung erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung im Südwesten

Monday, 21 November 2016

Neue Akkordionmusik aus Portugal: Zwischen Tradition und Moderne

Okkulte Tänze

Einst war es das häßliche Entlein unter den Musikinstrumenten - heute ist das Akkordeon fast schon ein Hipster-Instrument. Durch die portugiesische Gruppe Dancas Ocultas erhält es neue Impulse


cw. Das Akkordeon gilt nicht gerade als genuines Jazzinstrument. Eher verbindet man es mit anderen Stilen: Cajun , Zydeco, TexMex, Musette oder Vallenato. Nach Art van Damme in den 1950er Jahren machte es im modernen Jazz erst wieder In den 1990er Jahren von sich reden. Damals schoben sich Musiker wie Richard Galliano und Jean-Louis Matinier in den Vordergrund, deren Impulse später von Vincent Peirani, Luciano Bondini oder Ted Reichman vom Claudia Quintett aufgegriffen und weitergeführt wurden. Außerdem meldete sich Kimmo Pohjonen lautstark, klanggewaltig und experimentierfreudig zu Wort.

Doch das Ensemble, das dem Akkordeon den meisten Respekt verschaffte, war Accordion Tribe, ein Quintett vom New Yorker Guy Klucevsek initiiert, das fünf Virtuosen des Akkordeons zusammenbrachte und eindrucksvoll demonstrierte, welches ungehobene Potenzial in dem lange verpönten Instrument noch steckt. Jetzt hat eine Gruppe aus Portugal den Faden aufgegriffen: Dancas Ocultas ist ein Quartett, das ebenfalls ausschließlich aus Akkordeonisten besteht, aber nicht wie Accordion Tribe im Experimentellen beheimatet ist, sondern die traditionelle Musik Portugals in die Moderne überführt.

In der portugiesischen Volksmusik spielt das diatonische Akkordeon seit dem 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle. Vor allem in der traditionellen Musik des Nordens gehört es zur Grundausstattung. Ein paar Pluspunkte zeichnen die Ziehharmonika aus: Sie ist relativ einfach zu spielen, kann sich selbst im Freien Gehör verschaffen und ist eine One-Man-Band. Das machte das Instrument bei Dorffesten und Hochzeiten unverzichtbar. Sogar bei der Weinherstellung kam es zum Einsatz. Wie alte Fotographien aus Portugal vom Anfang des 20. Jahrhunderts zeigen, wurden die gesammelten Trauben in einem riesigen Bottich von den Dorfbewohnern barfuß zu Saft gestampft, in Trab gehalten von den Klängen eines Akkordeons.

Aus diesen populären Traditionen zieht die Gruppe Dancas Ocultas ihre Inspiration. Wohl spielt das Akkordeon-Quartett vor allem eigene Kompositionen, doch sind diese stark von traditioneller Musik beeinflußt. Statt simpler Tanzrhythmen sind die Stücke oft in ungeraden Metren gehalten, dazu werden Melodien und Gegenmelodien raffiniert ineinander verflochten. “Das diatonische Instrument gilt normalerweise als relativ beschränkt, weil es nicht über alle Halbtöne verfügt und sein Klang als wenig wandelbar gilt,” erklärt Artur Fernandes, der Leiter von Dancas Ocultas, der heute an der Musikhochschule in Porto Komposition unterrichtet. “Doch das macht für uns gerade den Reiz aus. Die Beschränkung besteht vor allem im Kopf. Diese scheinbaren Grenzen haben uns animiert, seine Möglichkeiten stärker auszuloten und vielleicht sogar zu überschreiten.”   

Alle vier Musiker von Dancas Ocultas stammen aus der Gemeinde Águeda, 60 km südlich von Porto gelegen. Und jeder von ihnen spielte bereits als Kind Ziehharmonika – traditionelle und populäre Melodien, wo immer Musik gefragt war. Später gingen die vier aufs Musikkonservatorium, um noch andere Instrumente zu erlernen und sich im Ensemblespiel zu üben. Artur Fernandes studierte Saxofon und spielte klassische Musik in einem Saxofonquartett, was ihn auf eine verwegene Idee brachte: eine Gruppe ausschließlich aus Akkordeonisten zusammen zu stellen.

Das war vor 27 Jahren. Die Vision von Dancas Ocultas hat sich seither kaum verändert und trägt bis heute: neuartige Musik für das Instrument zu erwerfen, die einerseits zeitgemäß und trotzdem die Tradition nicht aus den Augen verliert. Ein wichtiger Anstoß erhielt Fernandes vor Jahren vom italienischen Akkordeonmeister Riccardo Tesi, der dem Portugiesen die Augen öffnete: “Tesi erzählt mir von all diesen tollen Akkordeonisten: Marc Perrone aus Frankreich, Kepa Junkera aus dem Baskenland. Mein Horizont explodierte förmlich. Ich besorgte mir ihre Schallplatten und plötzlich entdeckte ich überall auf dem Planeten fantastische Akkordeonmusik.”

Diese Öffnung ging mit einer gleichzeitigen Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln einher, was in Portugal in den frühen 1980er Jahren einsetzte, als eine folkloristische Bewegung die traditionelle Musik neu entdeckte. Aus beiden Bewegungen speist sich Dancas Ocultas.
 
Die vier Akkordeonisten verstanden sich nicht als eine Ansammlung von Solisten, sondern wollten explizit als Gruppe Musik machen, wodurch sie sich von Accordion Tribe absetzten, das zweifellos ein Solistenensemble war.

Weniger virtuos, dafür medodiefreundiger, tänzerischer und klangverliebter präsentieren Dancas Ocultas ihre Musik. Kunstvoll werden die verschiedenen Stimmen übereinandergelegt und mit wuchtigen Baßlinien verwoben, wobei auf dem aktuellen Album “Amplitude” noch eine andere Klangfarbe ins Spiel kommt. Das Album entsprang einer Kooperation mit dem Orquestra Filarmonia das Beiras, einem Sinfonieorchester aus der Heimatregion der Akkordeonisten, das die Musik samtweich mit wohligen Streicherklängen unterlegt oder ein anderes Mal kraftvoll verstärkt. Dabei gelingt das Kunststück, die beiden Pole - hier Volksmusik, da Kunstmusik - auf einfühlsame Weise zu verbinden.


Dancas Ocultas & Orquestra Filarmonia das Beiras: Amplitude (Uguru) 

Saturday, 5 November 2016

Bigbandmusik neu definiert: OLIVER LEICHT

Blechreiz

Oliver Leicht und sein Ensemble [Acht.] definieren Bigbandmusik neu


Oliver Leicht hat ein Faible fürs Großformat. Der Klarinettist aus Frankfurt (Jahrgang 1969) hat im Laufe seiner Karriere in diversen Großbesetzungen gespielt, ist gegenwärtig in der hr-Bigband beschäftigt und betreibt mit [Acht.] eine mittelgroße Formation mit eigenwilliger Besetzung. Mit einem prominenten Gast, dem amerikanischen Pianisten Jim McNeely, hat Leichts [Acht.] gerade ein neues Album vorgelegt, das aufhorchen lässt.

Welche Ideen inspirierten das neue Album?

Oliver Leicht: Die konzeptionellen Ursprünge reichen bis in die Anfänge meiner Tätigkeit als Komponist und Arrangeur zurück. [Acht.] war die erste Band, für die ich geschrieben und arrangiert habe. Das ist schon mehr als zehn Jahre her und “The State of Things” ist das dritte Album der Gruppe. Ich habe viel Bigband gespielt und dadurch kam ich auf diese spezielle Klangfarbe: eine Jazzcombo (in diesem Fall unser Quartett “Herrenrunde”) mit vier tiefen Blechbläser zu kombinieren, die Posaune, Bassposaune, Horn, Tuba und Euphonium spielen. Dazu kommt der Pianist Jim McNeely als Gast sowie die elektrische Klarinette, die manchmal wie ein Synthesizer klingt. Die Musik von [Acht.] ist die Essenz dessen, was ich am liebsten mochte aus all den verschiedenen Bigband-Erfahrungen, die ich bis dahin gesammelt hatte. Die Klangfarben dieser Instrumente kamen mir einfach ins Ohr. Der erste Versuch war noch mit zwei Hörnern, von denen dann eines durch ein Euphonium ersetzt wurde.

Was fasziniert an den tiefen Bläserstimmen?

Oliver Leicht: Der warme Blechklang zieht mich in den Bann. Den hatte ich in der Band von Bob Brookmeyer kennengelernt. Das war die Hauptinspiration. Ich merkte, dass der hohe Trompeten-lastige Sound normaler Bigbands nicht meine Sache ist, sondern dass ich den tiefen warmen Klang bevorzuge.

Welche Art von Musik schwebt dir vor?

Oliver Leicht: Ich bin nicht auf puren Jazz aus. Den Bläsern von [Acht.] kommt das entgegen, denn sie verfügen auch über Erfahrungen mit klassischer Musik. Daraus ergibt sich eine ungeheure Vielfalt an Möglichkeiten. Wenn ich komponiere, gehe ich sehr persönlich vor, schreibe die Musik meinen Musikern auf den Leib. Ich weiß, was ihre Stärken sind und die versuche ich zu nutzen. Mit reinen Jazzmusikern wäre das nicht möglich.

In Bigbandmusik ist häufig Komposition und Improvisation strikter getrennt …..

Oliver Leicht: Diese Grenze versuche ich zu verwischen, obwohl in meiner Musik der Anteil der Arrangements den der Improvisation übersteigt. Ich denke nicht in Blöcken: Komposition hier, Improvisation dort. Vielmehr soll alles ineinander fließen. Ich versuche, den Doppelstrich auf dem Notenblatt, der einen Abschnitt vom anderen trennt, für den Zuhörer nicht hörbar zu machen. In diesem Punkt ist Jimmy Giuffre mein Vorbild. Seine Trios stehen für höchste Meisterschaft, weil man nicht mehr sagen kann, was komponiert und was improvisiert ist, so raffiniert ist alles verschränkt. Natürlich spielt Giuffre im Trio, und wir sind neun Musiker. Deshalb muss ich damit anders umgehen. Aber das Prinzip ist dasselbe.


Mit der Elektronik arbeitest du auf ähnliche Weise…

Oliver Leicht: Auch hier sollen die Grenzen verschwimmen. Ich versuche, die Bläser so einzusetzen, dass sie Eigenheiten elektronischer Klänge aufnehmen, etwa die Repetition oder das An- und Abschwellen. Dabei wird nicht die Elektronik nachgeahmt, vielmehr sollen sich die akustischen und synthetischen Sounds auf kreative Weise ergänzen und vermischen. Es soll sich nicht anhören wie irgendwelche elektronische Sounds, und da spielen dann noch ein paar Bläser dazu. Darüber sind wir hinaus. Die Elektronik soll den akustischen Klang erweitern und umgekehrt.

Gibt es eine bestimmte Traditionslinie im Jazz, auf die du dich beziehst?

Oliver Leicht: Die Linie Gil Evans, Bob Brookmeyer, Jim McNeely, Maria Schneider fasziniert mich, wobei ich McNeely für einen der großartigsten Arrangeure der Gegenwart halte. Was modernere großorchestrale Tendenzen betrifft, ist John Hollenbeck mein Favorit, den ich auch dieser Schule zurechnen würde, der aber etwas ganz Eigenes und Persönliches macht. Er beweist: Ein Arrangements ist geglückt, wenn es aus einer kompositorischen Idee etwas Besonderes macht.

Im Gegensatz zu vielen Jazzmusikern ist deine Musik nicht auf Solos fixiert?

Oliver Leicht: Durch meine Erfahrungen mit den vielen Großbesetzungen, in denen ich gespielt habe, ist es so, dass ich nicht so stark aufs Solospiel ausgerichtet bin, sondern mehr den Gesamtklang der Gruppe im Auge habe. Darüber hinaus ist mir das Zusammenspiel wichtig. Es kommt darauf an, als Gruppe gemeinsam zu improvisieren.

[Acht.] spielt schon lange zusammen. Die Besetzung hat kaum gewechselt. Wie kam die Gruppe zustande?

Oliver Leicht: Die Rhythmusgruppe hat sich entwickelt, als wir noch alle in Köln lebten und uns in den frühen Nuller-Jahren häufig bei mir zum Jammen trafen. Dabei hat sich diese Besetzung herausgeschält. Das war der Grundstock. Dazu kamen dann die Bläser. Ich hab zu Beginn ein Stück komponiert, um zu sehen, ob das funktionieren könnte. Es klappte wunderbar. Dazu kommt auf dem aktuellen Album die Elektronik. Das ist für meine Musik neu, obwohl ich mich schon lange damit befasse.

Oliver Leicht [Acht.]: The State of Things (FLOATmusic)

Das Interview erschien in der November/Dezember-Nummer der höchst empfehlenswerten Zeitschrift JAZZTHETIK - für Jazz und anderes (jazzthetik.de)