Blechreiz
Oliver
Leicht und sein Ensemble [Acht.]
definieren Bigbandmusik neu
Oliver
Leicht hat ein Faible fürs Großformat. Der Klarinettist aus Frankfurt (Jahrgang
1969) hat im Laufe seiner Karriere in diversen Großbesetzungen gespielt, ist
gegenwärtig in der hr-Bigband beschäftigt und betreibt mit [Acht.] eine mittelgroße Formation mit eigenwilliger
Besetzung. Mit einem prominenten Gast, dem amerikanischen Pianisten Jim McNeely,
hat Leichts [Acht.] gerade ein neues Album vorgelegt,
das aufhorchen lässt.
Welche Ideen inspirierten das neue Album?
Oliver
Leicht: Die konzeptionellen Ursprünge reichen bis in die Anfänge meiner
Tätigkeit als Komponist und Arrangeur zurück. [Acht.] war die erste Band, für die ich geschrieben
und arrangiert habe. Das ist schon mehr als zehn Jahre her und “The State of
Things” ist das dritte Album der Gruppe. Ich habe viel Bigband gespielt und
dadurch kam ich auf diese spezielle Klangfarbe: eine Jazzcombo (in diesem Fall
unser Quartett “Herrenrunde”) mit vier tiefen Blechbläser zu kombinieren, die
Posaune, Bassposaune, Horn, Tuba und Euphonium spielen. Dazu kommt der Pianist
Jim McNeely als Gast sowie die elektrische Klarinette, die manchmal wie ein
Synthesizer klingt. Die Musik von [Acht.] ist
die Essenz dessen, was ich am liebsten mochte aus all den verschiedenen
Bigband-Erfahrungen, die ich bis dahin gesammelt hatte. Die Klangfarben dieser
Instrumente kamen mir einfach ins Ohr. Der erste Versuch war noch mit zwei
Hörnern, von denen dann eines durch ein Euphonium ersetzt wurde.
Was fasziniert an den tiefen Bläserstimmen?
Oliver
Leicht: Der warme Blechklang zieht mich in den Bann. Den hatte ich in der Band
von Bob Brookmeyer kennengelernt. Das war die Hauptinspiration. Ich merkte,
dass der hohe Trompeten-lastige Sound normaler Bigbands nicht meine Sache ist,
sondern dass ich den tiefen warmen Klang bevorzuge.
Welche Art von Musik schwebt dir vor?
Oliver
Leicht: Ich bin nicht auf puren Jazz aus. Den Bläsern von [Acht.] kommt das entgegen, denn sie verfügen auch
über Erfahrungen mit klassischer Musik. Daraus ergibt sich eine ungeheure Vielfalt
an Möglichkeiten. Wenn ich komponiere, gehe ich sehr persönlich vor, schreibe
die Musik meinen Musikern auf den Leib. Ich weiß, was ihre Stärken sind und die
versuche ich zu nutzen. Mit reinen Jazzmusikern wäre das nicht möglich.
In Bigbandmusik ist häufig Komposition und Improvisation strikter getrennt
…..
Oliver
Leicht: Diese Grenze versuche ich zu verwischen, obwohl in meiner Musik der
Anteil der Arrangements den der Improvisation übersteigt. Ich denke nicht in
Blöcken: Komposition hier, Improvisation dort. Vielmehr soll alles ineinander
fließen. Ich versuche, den Doppelstrich auf dem Notenblatt, der einen Abschnitt
vom anderen trennt, für den Zuhörer nicht hörbar zu machen. In diesem Punkt ist
Jimmy Giuffre mein Vorbild. Seine Trios stehen für höchste Meisterschaft, weil
man nicht mehr sagen kann, was komponiert und was improvisiert ist, so
raffiniert ist alles verschränkt. Natürlich spielt Giuffre im Trio, und wir
sind neun Musiker. Deshalb muss ich damit anders umgehen. Aber das Prinzip ist
dasselbe.
Mit der Elektronik arbeitest du auf ähnliche Weise…
Oliver
Leicht: Auch hier sollen die Grenzen verschwimmen. Ich versuche, die Bläser so
einzusetzen, dass sie Eigenheiten elektronischer Klänge aufnehmen, etwa die
Repetition oder das An- und Abschwellen. Dabei wird nicht die Elektronik nachgeahmt,
vielmehr sollen sich die akustischen und synthetischen Sounds auf kreative
Weise ergänzen und vermischen. Es soll sich nicht anhören wie irgendwelche
elektronische Sounds, und da spielen dann noch ein paar Bläser dazu. Darüber
sind wir hinaus. Die Elektronik soll den akustischen Klang erweitern und
umgekehrt.
Gibt es eine bestimmte Traditionslinie im Jazz, auf die du dich
beziehst?
Oliver
Leicht: Die Linie Gil Evans, Bob Brookmeyer, Jim McNeely, Maria Schneider
fasziniert mich, wobei ich McNeely für einen der großartigsten Arrangeure der
Gegenwart halte. Was modernere großorchestrale Tendenzen betrifft, ist John
Hollenbeck mein Favorit, den ich auch dieser Schule zurechnen würde, der aber
etwas ganz Eigenes und Persönliches macht. Er beweist: Ein Arrangements ist
geglückt, wenn es aus einer kompositorischen Idee etwas Besonderes macht.
Im Gegensatz zu vielen Jazzmusikern ist deine Musik nicht auf Solos
fixiert?
Oliver
Leicht: Durch meine Erfahrungen mit den vielen Großbesetzungen, in denen ich
gespielt habe, ist es so, dass ich nicht so stark aufs Solospiel ausgerichtet
bin, sondern mehr den Gesamtklang der Gruppe im Auge habe. Darüber hinaus ist
mir das Zusammenspiel wichtig. Es kommt darauf an, als Gruppe gemeinsam zu
improvisieren.
[Acht.] spielt schon lange
zusammen. Die Besetzung hat kaum gewechselt. Wie kam die Gruppe zustande?
Oliver
Leicht: Die Rhythmusgruppe hat sich entwickelt, als wir noch alle in Köln
lebten und uns in den frühen Nuller-Jahren häufig bei mir zum Jammen trafen.
Dabei hat sich diese Besetzung herausgeschält. Das war der Grundstock. Dazu kamen
dann die Bläser. Ich hab zu Beginn ein Stück komponiert, um zu sehen, ob das
funktionieren könnte. Es klappte wunderbar. Dazu kommt auf dem aktuellen Album die
Elektronik. Das ist für meine Musik neu, obwohl ich mich schon lange damit
befasse.
Oliver
Leicht [Acht.]: The State of Things (FLOATmusic)
Das Interview erschien in der November/Dezember-Nummer der höchst empfehlenswerten Zeitschrift JAZZTHETIK - für Jazz und anderes (jazzthetik.de)