Grenzenlose
Fantasie
Das
Internationale Trickfilm Festival Stuttgart 2017 im Höhenflug
Öffentliches Filmegucken auf dem Stuttgarter Schloßplatz (Foto: Rose Revitt)
cw. Zeichentrickfilme
werden oft mit Kinderfilmen gleichgesetzt. Dass das eine unangemessene
Verallgemeinerung ist, beweist jedes Jahr das Internationale Trickfilm Festival
Stuttgart, das gerade zum 24. Mal stattfand. Das ITFS wartet mit einem
Themenspektrum auf, das von politisch über zeitbefindlich bis zu zwischenmenschlich
reicht und auch das Fantastische und Surreale einbezieht, ohne Slapstick und
Komik zu vergessen.
Dieses
Jahr stand das knapp eine Woche dauernde Filmereignis mit über 200
Veranstaltungen unter dem Motto „Animation without Borders – Grenzenlose
Animation“ und zog 90.000 Teilnehmer, Spezialisten und Fans aus der ganzen
Welt an. Alle Vorführungen sind in einem 200 Seiten dicken Programmheft
zusammengefasst. Sie verwandeln die Landeshauptstadt für sechs Tage in ein
globales Zentrum für Animation, Trickfilm, Visual Effects, Virtual Reality und
Bewegtbildkommunikation. Dabei kam bei diesem Durchgang dem Filmeschaffen in
der arabischen Welt besondere Aufmerksamkeit zu.
Zeichentrickfilme
können abendfüllende Langfilme sein, doch häufiger
sind Kurzfilme, wie sie unter den Stichworten „Young Animation“ und
„Internationaler Wettbewerb“ täglich zu sehen waren – zwischen zwei und zwanzig
Minuten lang. Die künstlerisch gelungensten Filme waren oft solche, die sich
erzählerisch beschränkten, eine kurze Geschichte ins Szene setzten oder ein
knappes Statement enthielten. Dem Iraner Alireza Hashempour, der an der
Baden-Württembergischen Filmakademie in Ludwigsburg studiert hat, ist dies mit
dem Dreieinhalbminüter „In one Drag – in einem Zug“gelungen. Der Film zeigt
einen Raucher, der eine Kippe wegwirft, die sich mit anderen Zigarettenstummeln
zu einem riesenhaften Zigarettenungeheuer vereinen, das dann den Übertäter in
einer Selbstgedrehten raucht. Hashempours Streifen überzeugte durch seine
knappe Handlung, die mit Witz ohne Umschweife auf den Punkt kam!
Neue Technologie in der GameZone (Foto: Rose Revitt)
Eine
Vielfalt an Darstellungstechniken kam in den mehr als 1.000 Filmen zum Zuge,
die dieses Jahr zu sehen waren. In manchen Streifen waren Knetfiguren die
Hautdarsteller, in anderen erweckte der Bleistift die Akteure zum Leben. Es gab
Puppentrickfilme, auch solche, die verschiedene Techniken mischten oder
gänzlich am Computer entwickelt wurden – die Welt des Zeichentrickfilms setzt
der Fantasie keine Grenzen.
Eine
ganz eigene Bildsprache zeichnete etwa den sechs-minütigen Film „In Other
Words“ der israelischen Künstlerin Tal Kantor aus, der Fotografie und Zeichnen
auf beeindruckende Weise verband. Eine ähnlich eigenständige Bildsprache besaß
der Kurzfilm „Je Mangerais Bien En Enfant“ der französischen Filmemacherin
Anne-Marie Balay. Hauptperson dieser charmanten Geschichte über das Essen war
ein kleines Krokodil, das anstatt der täglichen Bananen nun ein Kind essen
wollte, wobei origineller Weise alle Akteure und Requisiten mosaikartig aus
Nahrungsmitteln wie Linsen, Reis und Pasta gebildet waren.
Animationstechnisch
auf hohem Niveau und künstlerisch-ästhetisch makellos, mangelte es vielen Filme
– im Unterschied zu diesen Streifen – an einem konsistenten Handlungsstrang,
oder sie enthielten Sequenzen, die auf einen bestimmten Effekt abzielten, der
von der Erzähldramaturgie her eigentlich überflüssig war. Davon hob sich im
Internationalen Wettwerb das fünfeinhalb- minütige „Nachtstück“ von Anne
Breymann ab. Inszeniert als eine Art Traumsequenz, ließ es eine völlig eigene
Welt entstehen abseits von den vielen Klischees, die auch im Trickfilm-Genre
überall lauern.
So
hoch die künstlerischen Qualität so chaotisch gelegentlich die Organisation:
Halbstündige Wartezeiten in überhitzten Kinotreppenaufgängen sind für jeden
Kinofan eine Zumutung, für Personen, die nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte sind,
wachsen sie sich zu einer Totur aus. Solche Widrigkeiten trübten ab und an den
Filmgenuß eines Festivals, das auch dieses Jahr wieder zu einem Höhepunkte im
kulturellen Leben der Landeshauptstadt wurde.
Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Südwestdeutschland.
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