Monday, 1 May 2017

Transatlantische Kooperation: Amok Amor

Trommelträume

Christian Lillinger über Kunst und Politik, das entgrenzte Schlagzeug und die Formation Amok Amor

                                                                                                                    
                                                                                                                      Foto: Lukas Hämmerle

Interview von Christoph Wagner

Gerade wurde ihm der SWR-Jazzpreis zuerkannt: Christian Lillinger ist einer der exponiertesten jungen Musiker der deutschen Jazzszene. Das musikalische Spektrum des Schlagzeugers reicht weit. Gerade ist die zweite Einspielung der Formation Amok Amor erschienen, die Lillinger im Kontext einer hochkarätigen internationalen Besetzung zeigt.


Wie kam Amok Amor zustande?

Christian Lillinger: Unser Trio mit Wanja Slavin (Saxofone) und Petter Eldh (Baß) wurde zum Festival „Bezau Beatz“ im Bregenzer Wald in Österreich eingeladen, bei dem auch der amerikanische Trompeter Peter Evans solo auftrat. Da wir Evans bereits kannten, haben wir die Chance genutzt, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen. Wir hatten eh vor, das Trio zu erweitern. Wir wollten im Soundspektrum größer werden. Da kam Peter Evans genau zur rechten Zeit. Amok Amor ist eine demokratische Band, für die jedes Mitglied Kompositionen schreibt. Wir haben ein erstes Album für Boomslang eingespielt, dann angefangen Konzerte und Tourneen zu absolvieren. Jetzt ist unser zweites Album bei Intakt erschienen.

Bei der Besetzung von Amok Amor denkt man unweigerlich an das legendäre Ornette Coleman Quartet mit Don Cherry. War das ein Leitstern?

Christian Lillinger: Überhaupt nicht, obwohl ein Quartett mit Altsaxofon und Trompete, dazu Schlagzeug und Bass, natürlich immer irgendwie diese Assoziationen hervorruft. Selbstverständlich kennen wir die klassischen Coleman-Aufnahmen. Sie sind Teil unseres jazzmusikalischen Unterbewußtseins, weil die Tradition uns viel bedeutet. Doch spielt Amok Amor viel mehr mit modernen Farben, die aus der avantgardistischen E-Musik, aus der Beatmusik, auch aus dem Hiphop kommen. Es ist eine Menge drin. Und es geht auch um eine politische Aussage. Wir positionieren uns gegen den neoliberalen Wahnsinn der Gegenwart. Der Titel „A Run through the neoliberalism“ ist als politische Stellungnahme gemeint. Es geht nicht immer nur um Musik. Es geht um mehr: Um die Haltung dahinter.

Wie sieht diese Haltung aus?

Christian Lillinger: Es geht darum, die Kunst als Kunst aufrecht zu erhalten gegen den kommerziellen Druck. Bei uns hat die Kunst Priorität. Wir wollen zuerst einmal eine Kunstform kreieren, wo nicht der erste Gedanke ist, wie wir sie tausendfach verkaufen können. Wir sehen den Jazz als forschende Musik in einer Entwicklung, die nie abgeschlossen ist. Es geht auf kreative Weise immer weiter. Natürlich kann das das Publikum herausfordern, ja provozieren, aber ohne neue Explorationen, entwickelt sich die Musik nicht weiter.

Du hast dich in der UDJ, der Union deutscher Jazzmusiker, engagiert. Mit welchem Ziel?

Christian Lillinger: Es geht immer noch darum, dass der Jazz als Kunstform anerkannt wird. Wir engagieren uns dafür, dass es für Jazz ganz selbstverständlich Subventionen gibt wie für andere Künste auch, dass die Spielstätten unterstützt werden. Wir müssen über das Minimum hinauskommen. Wir brauchen eine ordentliche staatliche Förderung wie sie die Neue Musik, die klassische Musik und die Oper genießen. Davon ist der Jazz noch weit entfernt. Die Musiker haben in der Vergangenheit politisch viel zu wenig getan. Da gibt es ein Defizit, das es auszufüllen gilt.

Dein Instrument ist das Schlagzeug. Von welcher Vision lässt du dich leiten?

Christian Lillinger: Für mich ist das Schlagzeug absolut gleichwertig mit jedem anderen Instrument. Ich will neue Dinge darauf machen. Ich will polyphon klingen, will Melodien, aber auch abstrakte Sachen spielen. Ich will irgendwie alles! Ob’s geht, wird sich erweisen. Meine Traumvorstellung ist, überall teilzuhaben: Mal Time spielen, mal die Form zerstören, dann wieder Strukturen aufbauen – all das gehört zu meinem Spektrum. Doch das muss man erst einmal physisch umsetzen können. Daran arbeite ich jeden Tag.

Auf welche Weise?

Christian Lillinger: Ich komponiere viel. Dabei schreibe ich gelegentlich meine Schlagzeugstimme aus. Dadurch lernt man viel über sich selbst, es führt dich über die Möglichkeiten hinaus, die schon da sind. Ich versuche meine eigenen Beats zu kreieren, indem ich sie aufschreibe. Dann improvisiere ich viel zuhause und analysiere mein Spiel. Ich will unabhängig von antrainiertem Zeug werden, das man nur abspult. Man muss sehr viel üben, um darüber hinaus zu kommen, dass man frei alles spielen kann, was einem in den Kopf kommt. Was ich höre, möchte ich aus dem Augenblick heraus spielen können. Das ist die Herausforderung, an der ich arbeite.
                                                                                                                                       Foto: Wanja Slavin



Woher kommt die Inspiration?

Christian Lillinger: Ich höre mir viele Drummer an. Ich lasse mich von Hiphop inspirieren oder von Neuer Musik. Von den alten Schlagzeugern ist Paul Lovens einer meiner Favoriten. Er ist ein großer Meister in seiner Form, wie er Musik setzt, wie er Strukturen bricht. Dann mag ich Jim Black, Tyshawn Sorey, Milford Graves. Das sind alles wichtige Namen. Dazu etliche deutsche Drummer: mein Kollege Oliver Steidle etwa, auch Jaki Liebezeit. Der ist interessant für bestimmte Sachen. Meine musikalischen Vorlieben reichen von freiem Jazz über Krautrock bis zu Hiphop und darüber hinaus. Es gibt viele Musiker, die mich in der einen oder anderen Weise inspiriert haben. Ich bin offen für alles, was gut klingt. Und dann muss man daraus sein eigenes Vokabular formen. 

Amok Amor: We know not what we do  (Intakt)

Das Interview erschien ursprünglich in JAZZTHETIK (Mai/Juni)  (Jazzthetik.de)

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