Trommelträume
Christian
Lillinger über Kunst und Politik, das entgrenzte Schlagzeug und die Formation
Amok Amor
Foto: Lukas Hämmerle
Interview von
Christoph Wagner
Gerade wurde ihm
der SWR-Jazzpreis zuerkannt: Christian Lillinger ist einer der exponiertesten
jungen Musiker der deutschen Jazzszene. Das musikalische Spektrum des
Schlagzeugers reicht weit. Gerade ist die zweite Einspielung der Formation Amok
Amor erschienen, die Lillinger im Kontext einer hochkarätigen internationalen
Besetzung zeigt.
Wie kam Amok Amor zustande?
Christian
Lillinger: Unser Trio mit Wanja Slavin (Saxofone) und Petter Eldh (Baß)
wurde zum Festival „Bezau
Beatz“ im Bregenzer Wald in Österreich eingeladen, bei dem
auch der amerikanische Trompeter Peter Evans solo auftrat. Da wir Evans bereits
kannten, haben wir die Chance genutzt, etwas gemeinsam auf die Beine zu
stellen. Wir hatten eh vor, das Trio zu erweitern. Wir wollten im Soundspektrum
größer werden. Da kam Peter Evans genau zur rechten Zeit. Amok Amor ist eine
demokratische Band, für die jedes Mitglied Kompositionen schreibt. Wir haben
ein erstes Album für Boomslang eingespielt, dann angefangen Konzerte und
Tourneen zu absolvieren. Jetzt ist unser zweites Album bei Intakt erschienen.
Bei der Besetzung von Amok Amor denkt man unweigerlich an das legendäre
Ornette Coleman Quartet mit Don Cherry. War das ein Leitstern?
Christian
Lillinger: Überhaupt nicht, obwohl ein Quartett mit Altsaxofon und Trompete,
dazu Schlagzeug und Bass, natürlich immer irgendwie diese Assoziationen
hervorruft. Selbstverständlich kennen wir die klassischen Coleman-Aufnahmen.
Sie sind Teil unseres jazzmusikalischen Unterbewußtseins, weil die Tradition
uns viel bedeutet. Doch spielt Amok Amor viel mehr mit modernen Farben, die aus
der avantgardistischen E-Musik, aus der Beatmusik, auch aus dem Hiphop kommen.
Es ist eine Menge drin. Und es geht auch um eine politische Aussage. Wir
positionieren uns gegen den neoliberalen Wahnsinn der Gegenwart. Der Titel „A Run through the
neoliberalism“ ist als politische Stellungnahme
gemeint. Es geht nicht immer nur um Musik. Es geht um mehr: Um die Haltung dahinter.
Wie sieht diese Haltung aus?
Christian
Lillinger: Es geht darum, die Kunst als Kunst aufrecht zu erhalten gegen den
kommerziellen Druck. Bei uns hat die Kunst Priorität. Wir wollen zuerst einmal
eine Kunstform kreieren, wo nicht der erste Gedanke ist, wie wir sie
tausendfach verkaufen können. Wir sehen den Jazz als forschende Musik in einer
Entwicklung, die nie abgeschlossen ist. Es geht auf kreative Weise immer
weiter. Natürlich kann das das Publikum herausfordern, ja provozieren, aber
ohne neue Explorationen, entwickelt sich die Musik nicht weiter.
Du hast dich in der UDJ, der Union deutscher Jazzmusiker, engagiert.
Mit welchem Ziel?
Christian
Lillinger: Es geht immer noch darum, dass der Jazz als Kunstform anerkannt
wird. Wir engagieren uns dafür, dass es für Jazz ganz selbstverständlich
Subventionen gibt wie für andere Künste auch, dass die Spielstätten unterstützt
werden. Wir müssen über das Minimum hinauskommen. Wir brauchen eine ordentliche
staatliche Förderung wie sie die Neue Musik, die klassische Musik und die Oper
genießen. Davon ist der Jazz noch weit entfernt. Die Musiker haben in der Vergangenheit
politisch viel zu wenig getan. Da gibt es ein Defizit, das es auszufüllen gilt.
Dein Instrument ist das Schlagzeug. Von welcher Vision lässt du dich
leiten?
Christian
Lillinger: Für mich ist das Schlagzeug absolut gleichwertig mit jedem anderen
Instrument. Ich will neue Dinge darauf machen. Ich will polyphon klingen, will
Melodien, aber auch abstrakte Sachen spielen. Ich will irgendwie alles! Ob’s
geht, wird sich erweisen. Meine Traumvorstellung ist, überall teilzuhaben: Mal Time
spielen, mal die Form zerstören, dann wieder Strukturen aufbauen – all das
gehört zu meinem Spektrum. Doch das muss man erst einmal physisch umsetzen
können. Daran arbeite ich jeden Tag.
Auf welche Weise?
Christian
Lillinger: Ich komponiere viel. Dabei schreibe ich gelegentlich meine
Schlagzeugstimme aus. Dadurch lernt man viel über sich selbst, es führt dich
über die Möglichkeiten hinaus, die schon da sind. Ich versuche meine eigenen
Beats zu kreieren, indem ich sie aufschreibe. Dann improvisiere ich viel
zuhause und analysiere mein Spiel. Ich will unabhängig von antrainiertem Zeug
werden, das man nur abspult. Man muss sehr viel üben, um darüber hinaus zu
kommen, dass man frei alles spielen kann, was einem in den Kopf kommt. Was ich
höre, möchte ich aus dem Augenblick heraus spielen können. Das ist die
Herausforderung, an der ich arbeite.
Foto: Wanja Slavin
Foto:
Woher kommt die Inspiration?
Christian
Lillinger: Ich höre mir viele Drummer an. Ich lasse mich von Hiphop inspirieren
oder von Neuer Musik. Von den alten Schlagzeugern ist Paul Lovens einer meiner
Favoriten. Er ist ein großer Meister in seiner Form, wie er Musik setzt, wie er
Strukturen bricht. Dann mag ich Jim Black, Tyshawn Sorey, Milford Graves. Das
sind alles wichtige Namen. Dazu etliche deutsche Drummer: mein Kollege Oliver
Steidle etwa, auch Jaki Liebezeit. Der ist interessant für bestimmte Sachen.
Meine musikalischen Vorlieben reichen von freiem Jazz über Krautrock bis zu
Hiphop und darüber hinaus. Es gibt viele Musiker, die mich in der einen oder
anderen Weise inspiriert haben. Ich bin offen für alles, was gut klingt. Und
dann muss man daraus sein eigenes Vokabular formen.
Amok Amor: We know not what we do (Intakt)
Das Interview erschien ursprünglich in JAZZTHETIK (Mai/Juni) (Jazzthetik.de)
Das Interview erschien ursprünglich in JAZZTHETIK (Mai/Juni) (Jazzthetik.de)
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