Im Schatten der Nacht
Beim Festival Europäische Kirchenmusik
Schwäbisch Gmünd kamen geistliche Gesänge des
Frühbarocks zur Aufführung
cw. Vor 400 Jahren – im Zeitalter der
Entdeckungen – war Portugal eine Weltmacht mit kolonialen Ambitionen in
Übersee. Schiffe unter der Flagge des portugiesischen Königs erkundeten die
Küsten von Afrika, des Nahen Ostens und Asiens „auf der Suche nach Gold und
Gewürzen“. Vasco da Gama fand den Seeweg nach Indien. Und bald war auch
Südamerika erreicht, wo in Brasilien bis heute portugiesisch gesprochen wird.
In Portugal existierte im 16. und 17.
Jahrhundert ein vitales Musikleben, eine Epoche, die heute als das „goldene
Zeitalter“ der portugiesischen Polyphonie bezeichnet wird. An den Höfen und
Kathedralen in Lissabon und anderer größeren Städte wie Évora wirkten
Komponisten von beachtlichem Kaliber, die jedoch längst vergessen sind. Doch
die Musik von Pedro Vaz Rego oder Frei Manuel Des Santos hat in Handschriften
überlebt, die in der Musikaliensammlung des Archivs der Bücherei von Évora
aufbewahrt werden.
Das Ensemble „A Corte Musical“ aus der
Schweiz unter der Leitung des Brasilianers Rogério Goncalves hat sich zur
Aufgabe gemacht, diese verblasste musikalische Kultur wieder aufleben zu
lassen. Beim diesjährigen Festival Europäische Kirchenmusik Schwäbisch Gmünd
gaben die elf Musiker und Musikerinnen in der Wallfahrtskirche in Unterkochen
einen Einblick in die portugiesische Klangwelt der Renaissance und des frühen
Barock.
Die musikalische Gattung des spanischen
„Villancico“, in portugiesisch „Villancete“ genannt, dominierte damals die
iberische Halbinsel, wobei es sich um Lieder mit weltlichen Inhalten handelte,
die mit Vers und Refrain einem festgelegten Schema folgten. „Villancicos“
wurden darüber hinaus für die christliche Liturgie genutzt und kamen an
religiösen Feiertagen zur Aufführung. Mit vier Gesangssolisten (zwei Frauen und
zwei Männern) setzte die Gruppe „A Corte Musical“ diese Gesänge mit
Leidenschaft und großer Virtuosität in Szene. Oft handelt es sich dabei um
Klagelieder, in denen eine „fromme Seele“ das „heilige Geheimnis“ zu
entschlüsseln versucht. In Gebeten und Anrufungen im „Schatten der Nacht“
versuchen sich die Gläubigen einen Reim auf die Wirkkräfte des Himmels und der
Erde zu machen und „in Demut“ bei Heiligen und dem Erhabenen um Beistand und
Gnade zu bitten.
Begleitet wurden die Gesangssolisten
von zeittypischen Saiteninstrumenten, deren Spektrum von der langhalsigen
Theorbe (einer Laute mit zusätzlichen Baßsaiten) über Violinen und Gitarren bis
zur Harfe und zur Violone reicht, einer sechssaitigen barocken Baßgeige. Mit
diversen Schlaginstrumenten – ob Trommel oder Tambourin – gab Ensembleleiter Rogério
Goncalves nicht nur den Rhythmus vor, sondern sorgte für zusätzliche Akzente,
Dynamik und Drive. In einem Lied lassen ”die Vögel in den Lüften ihren süßen
Gesang erklingen“ – dem stand das Ensemble in keiner Weise nach.
Der Konzertbericht erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Baden-Württemberg.
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