VON MÜNCHEN NACH KALKUTTA
ZUM TOD VON CHRISTIAN BURCHARD (1946-2018)
Ich kannte Christian Burchard seit Mitte der 70er Jahre. Wir
luden ihn mit der Gruppe Embryo ein paar Mal zu Gigs nach Balingen ein. Wir
schätzten die Musik der Münchner Band, diesen Freerock mit viel Improvisation,
außerdem die alternative Philosophie, für die die Gruppe stand und die sich gegen
die kommerzielle Plattenindustrie richtete. Als Embryo mit anderen Musikern und Bands wie Julius
Schittenhelm, Ton Steine Scherben, Missus Beastly und Munju das April-Label
aus der Taufe hob (Motto: „Musik im Vertrieb der Musiker“), verkauften wir
selbstverständlich das ganze Sortiment von April-LPs bei unseren Konzerten in
der Balinger Eberthalle. Einmal fuhr ich extra nach Saarbrücken zu einem
Festival aller Gruppen des April-Labels, das sich damals schon in
Schneeball-Records umbenannt hatte. Christian Burchard war natürlich auch da, ziemlich angetörnt.
Wir verfolgten die Aktivitäten der Schneeball-Gruppen,
hörten von der großen Reise, die die Embryo-Kommune Ende der 70er Jahre nach
Kalkutta unternahm und sahen uns später den Film darüber im SWF-Fernsehen an.
Die Gruppe klang zunehmend orientalischer. 1992 hörte ich Embryo bei einem
Konzert im Tübingen Sudhaus. Dabei war auch Amon Düül-Gitarrist Chris Karrer, der
Oud spielte und den Christian Burchard noch aus alten Düül-Zeiten kannte. Ich machte ein längeres Interview für die Taz mit den beiden, was
ich so spannend fand, dass ich von da ab weiter über den deutschen Underground
recherchierte. Später wurde mein Buch 'Klang der Revolte' daraus, das 2013 erschien und ein längeres Kapitel über Embryos Weg zur Weltmusik beinhaltet.
Zum 40jährigen Jubiläum von Embryo im Jahr 2009 bat mich das
Trikont-Label bei einer Doppel-CD mitzuhelfen, die die ganze Karriere der Band
dokumentieren sollte. Christian Burchard schickte mir eine selbstgebrannte CD
nach der anderen mit unveröffentlichten Aufnahmen aus seinem umfangreichen
Archiv. Ich traf eine –hoffentlich – kohärente Auswahl, die seine Zustimmung fand. Ich glaube,
„Embryo 40“ ist ein ganz passables Doppelalbum geworden. Seither hatte ich bei
Christian einen Stein im Brett. Er schickte mir Neuveröffentlichungen,
informierte mich über die Aktivitäten der Band oder wenn Musiker aus Marokko, Indien oder Afghanistan bei ihm in München zu Besuch waren. Embryo war nie eine starre Band mit fest fixierter Besetzung, sondern immer ziemlich durchlässig: Musiker kamen, Musiker gingen. Mehr als 400 sollen es im Laufe der heute fast 50jährigen Geschichte gewesen sein.
Ich traf Christian Burchard über die Jahre immer wieder, um
ein Interview mit ihm zu machen oder auch nur auf einen Kaffee, gelegentlich bei
Trikont, wo er den Fotokopierer benutzte, um seine collagenhaften
Konzertankündigungsflyer zu fabrizieren. Oft gab es Neuigkeiten: Die No-Neck Blues Band aus den USA outeten sich als Fans und nahmen zusammen mit Embryo ein Album auf. Dann wurde Burchard vom amerikanischen Hiphop-Produzenten Madlib kontaktiert, der sich für Mal Waldron und die anderen schwarzen Jazzmusiker interessierte, die mit Embryo Aufnahmen gemacht hatten. Als Madlib nach Europa kam, spielte man ein paar Sessions zusammen. Als das Embryo-Mitglied Nick McCarthy von München nach Glasgow zog, teilte mir das Christian mit. Mit Verblüffung stellte ich etwas später fest, dass McCarthy mit Franz Ferdinand sich auf direktem Weg zu Weltruhm befand. Als ich McCarthy dazu in Manchester interviewte, wurde mir der rote Teppich ausgerollt: Ich kam ja auf Empfehlung von Christian, vor dem sie alle einen Riesenrespekt hatten. McCarthy nannte ihn den besten Musiker, dem er je begegnet war.
Als ich dann das Buch „Klang der Revolte“ in Angriff nahm,
unterstützte mich Christian mit allen Kräften, schickte CDs voller historischer
Embryo-Fotos und anderes Material. Nach der Buchveröffentlichung absolvierte
Christian, Roman Bunka und ich zwei Auftritte in Ostdeutschland zum Thema,
wobei die beiden Embryos eine famose Musik zu meinen Ausführungen
improvisierten. Christian war damals ziemlich hager, ernährte sich wegen einer
Zuckererkrankung äußerst vorsichtig und aß nicht arg viel. Doch auf seinem
zerbeulten Vibrafon spielte er wie der Teufel.
Letzten Herbst haben wir dann noch ein Embryo-Konzert im
Atelier von Manuel Wagner (meinem Neffen) und David Späht in Stuttgart
organisiert, was wunderbar verlief. Natürlich war Christian krankheitshalber
nicht dabei, aber seine Tochter Marja führte die Band ausgesprochen kompetent
und ganz im Sinne ihres Vaters – die Musik war exzellent!
Hier auf youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=iTcM5WiCSWM
Hier auf youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=iTcM5WiCSWM
Heute morgen erreichte mich die Nachricht, dass Christian
Burchard gestern, am 17. Januar 2018 nachmittags, 71jährig in München verstorben
ist. Seine Frau Eva und seine Tochter Marja waren bei ihm, Abbey Lincoln sang
aus dem CD-Player. Mit einem schwungvollen, ja fast immer etwas gehetzt wirkenden
„ciao, ciao“ pflegte sich Christian normalerweise am Telefon zu verabschieden. Ich sags heute langsam: Ciao, ciao, Christian!
Roman Bunka & Christian Burchard, Altenburg 2014 (Foto: C. Wagner)
Zum einem ausführlichen Interview mit Christian Burchard:
http://christophwagnermusic.blogspot.co.uk/2012/08/embryo-krautrockurgestein-bandleader.html
Über EMBYRO (2nd Generation):
http://christophwagnermusic.blogspot.co.uk/2017/10/embryo-neu-formiert-in-stuttgart.html
Plattenempfehlung:
Embryo: 40. Do-CD, Trikont. (Hg.: Christian Burchard & Christoph Wagner / 28 zumeist unveröffentlichte Titel aus dem Archiv der Gruppe von 1969 bis 2009 mit u.a. Charlie Mariano, Mal Waldron, Sigi Schwab etc., plus reichbebildertem Booklet)
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