Wednesday, 24 January 2018

Zum Tod von MARK E SMITH von THE FALL

2010 erschien das Album „Your Future Our Clutter“ von The Fall. Damals schrieb ich für den Schwarzwälder Bote einen Artikel über die Band und Mark E. Smith. Gestern ist Smith verstorben – 60 Jahre alt. Hier der Artikel in leicht modifizierter Form.

Der ewige Punk


Zum Tod von Mark E. Smith  (1957-2018)


cw. Seit mehr als 40 Jahren wütet die englische Band The Fall gegen die biedere Wirklichkeit und hält damit den Geist des Punk am Leben. Ihre Musik klingt heute noch fast genauso schrill, zerrissen und unbändig wie in den späten siebziger Jahre, als die Gruppe in berüchtigten Punkschuppen und Pubs im Norden von England für Tumult sorgte. Die Formation aus einem Vorort von Manchester, die ihren Namen einem Roman von Albert Camus verdankt, wird heute von einer einzigen Person verkörpert: dem charismatischen Sänger Mark E. Smith, der als unberechenbaren Quertreiber gilt und den viele für ein Ekel halten. 

Jedes neue Album der Band machte durch seine Wucht und wilde Energie klar, dass die Formation nicht zum alten Eisen gehört. Daneben tauchte Mark E. Smith als Gastsänger auf diversen Einspielung auf, etwa auf einem Album von Gorillaz, wobei er seine Sache so gut machte, dass sich Bandleader Damon Albarn veranlaßt sah, ihn als “gebildeten Rülpser aus dem Norden” zu preißen.

Mark E. Smith wird von den Medien geliebt, weil er der romantischen Vorstellung vom tragischen Popstar entspricht, der ganz Genie sich skandalumwittert mit Alkohol, Drogen und sonstigen Exzessen langsam aber sicher zu Grunde richtet. Smith hat es in der Vergangenheit ziemlich wild getrieben und scheint bis heute kein Bedürfnis zu verspüren, seinen Lebenswandel zu ändern. Aus seiner Vorliebe zu Hochprozentigem hat er nie ein Geheimnis gemacht. Daneben ist der Kettenraucher ein Freund von Aufputschmitteln, was sich mehr und mehr in seiner aufgeschwemmten Physiognomie zeigt. Der Mann kommt einem wie die Anti-These zum blühenden Leben vor. “Wenn sie meinen, der zahnlose Alkoholiker Shane McGowan von der irischen Folkpunkband The Pogues sieht fertig aus”, schrieb neulich ein Musikjournalist, der den Fall-Bandleader zum Interview traf, “dann sind sie noch nie Mark E. Smith begegnet.” 

In angetrunkenem Zustand kommt man dem Wüterich besser nicht in die Quere. Dann kann er streitsüchtig bis aggressiv werden. Die Erfahrung mußten seine Bandkollegen 1998 bei einem Konzert in New York machen, als gruppeninterne Spannungen explodierten und in einer handfesten Schlägerei auf offener Bühne mündeten, was Mark E. Smith eine Nacht in einer Gefängniszelle einbrachte. Er hatte kurzerhand die komplette Band entlassen. 

Smith heuert und feuert seine Begleiter, wie es ihm passt. Sein Musikerdurchlauf ist gigantisch. In Salford bei Manchester kursiert der Witz, dass, wenn man nachts aus einem Pub kommt, jede zweite Person, der man auf der Straße begegnet, schon einmal bei The Fall gespielt hat. 
Da gilt es schon als bemerkenswert, wenn eine Besetzung der Band wenigstens ein paar Jahre besteht. 

Smith ist ein Dickschädel, der sich wenig sagen läßt. Vor allem künstlerisch folgt er kompromisslos seinem inneren Kompass. Das bekam bei einer der letzten Einspielungen sein damaliger Produzent Grant Showbiz zu spüren, der den Mix des Albums übernommen hatte. Mark E. Smith war mit dem Resultat nicht einverstanden: zu brav, zu zahm, zu geschiegelt! Kurzentschlossen ging er ins Studio zurück, um mit einer Endabmischung wieder aufzutauchen, die mit ihren harschen Brüchen, zerrupften Songs und zersplitterten Klangcollagen an Radikalität kaum zu überbieten war. 

Smiths Texte, die er im bellenden Sprechgesang herausschleudert, gelten unter Kennern als hochkarätige Poesie, in der sich die Abgründe unserer labyrinthischen Gegenwart ungeschminkt spiegeln. Vielleicht ist er eine Art Dylan Thomas des Rock, weil er wie der wallisische Dichter auch am liebsten in Bars und Pubs herumhängt und das Delirium offenbar für seine kreative Inspiration braucht. 


Bei einem Podiumsgespräch wurde Mark E. Smith unlängst gefragt, was er davon halte, neuerdings als englisches “Nationaldenkmal” umschmeichelt zu werden. Der Widerborst verzog nur das Gesicht zu einem höhnischen Grinsen, was wohl bedeuten sollte: Ihr werdet mich nicht zum Schoßhündchen machen! Dem Grundsatz ist er bis zu seinem Tod treu geblieben. 

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