Jazz im Regenponcho
Charles Lloyd und sein Quartett kämpfen gegen Gewittergüsse beim Openair auf dem Rottenburger Marktplatz
Fotos: C. Wagner
cw. Miles Davis, Ornette Coleman, zuletzt Cecil Taylor – fast alle Pioniere des modernen Jazz spielen inzwischen für die Götter. Doch einer lebt noch und macht putzmunter weiter: der amerikanische Saxofonist Charles Lloyd. Der Bandleader (Jahrgang 1938) war einer der ersten, der Mitte der 1960er Jahre Popelemente in den Jazz einführte und ihn dadurch auf die Höhe der Zeit hob. Bei dem Saxofonisten sind zukünftige Stars wie Keith Jarrett und Tony Williams in die Lehre gegangen, die dann alle von Miles Davis abgeworben wurden und in dessen Band groß herauszukamen. Der heute 81jährige Lloyd und seine Gruppe waren damals so gefragt, dass sie gemeinsam mit berühmten Rockacts wie The Grateful Dead oder Jefferson Airplane in riesigen Konzerten im Fillmore West in San Francisco auftraten. Der Saxofonist gehörte der psychedelischen „West Coast“-Szene an und arbeitete viel mit den Beach Boys zusammen.
Lloyds Karierre spannt sich nunmehr über sechs Jahrzehnte, wobei er in letzter Zeit ein paar Alben bei der Nobelmarke ECM veröffentlichte, die von der Kritik euphorisch aufgenommen wurden. Aus Lloyds Afro-Frisur sind inzwischen strähnige, graue Haare geworden, wogegen sein Saxofonspiel alles andere als gealtert wirkt – höchstens reifer ist es geworden. Wie schon in den Sechzigern hat sich der Bandleader mit einer Truppe junger Talente umgeben, die den Altmeister routieniert begleiten, aber auch mit einigen gekonnten Exkursionen eigene Akzente setzen. Dabei hat in seinem aktuellen Quartett die elektrische Gitarre den Part des Klaviers übernommen und anstatt eines Kontrabasses spielt eine Baßgitarre.
Wie zu Beginn seiner Karriere greift Lloyd gelegentlich zur Querflöte, um ihr in langen Improvisationen mit Überblaseffekten die kühnsten Töne zu entlocken, was seine Mitmusiker gleichfalls zu solistischen Höchstleistungen ansport. Nach der Vorstellung des Themas und Lloyds Improvisationen, übernimmt meistens Gitarrist Marvin Sewell den Staffelstab, um seine technische Brillanz unter Beweis zu stellen, danach kommen dann Bassist Reuben Rogers und Drummer Eric Harland zum Zuge.
Nach der Bruthitze des Tages hätte das Konzert in der warmen Sommernacht auf dem Rottenburger Marktplatz so zwei Stunden weitergehen können, doch der Wettergott hatte andere Pläne. Kaum war die Band durch das dritte Stück hindurch, öffnete der Himmel seine Schleusen, was den Veranstalter binnen Minuten zur Unterbrechung des Konzerts zwang. In Scharen floh das Publikum ins nahe Rathaus, um sich vor den Wassermassen in Sicherheit zu bringen. Da konnten auch die kostenlos verteilten Regenponchos keine echte Entlastung bieten.
Nach zwanzig Minuten setzte Lloyd das Konzert fort, obwohl es immer noch wie aus Kübeln schüttete. Das stark dezimierte Publikum stand jetzt um die Band auf der großen überdachten Bühne herum, mit dem eisernen Willen sich von dem Unwetter nicht den Abend verderben zu lassen, und das Quartett spielte wacker weiter. Lloyd holte einen Titel nach dem anderen aus dem riesigen Repertoire seiner langen Karriere hervor, wobei seine Vorliebe für verträumte Balladen zum Vorschein kam. Aber auch in eher rockigen Nummern stand der Veteran seinen Mann. Das war flüssiger, moderner Jazz, gekonnt gespielt, dem allerdings mittlerweile das innovative Feuer fehlt. Charles Lloyd schaut heute nicht mehr nach vorne, sondern zurück und fährt die musikalischen Ernte eines bewegten Jazzlebens ein.
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