Friday, 30 August 2019

Der Sound von New Orleans

Lebensfreude und lockere Sitten

Eine CD-Box feiert die musikalische Vielfalt der Stadt am Mississippi

Professor Longhair 1971 (Foto: John Messina)
 

cw. Nirgendwo sonst wird die Klarinette mit so viel Vibrato gespielt wie in New Orleans, dem Ort, wo um 1900 der „Jass“ erfunden wurde. Kein Wunder, dass Sidney Bechet, der später aufs Sopransaxofon umstieg, aus der Stadt am Mississippi kam. Zusammen mit Louis Armstrong und King Oliver machte Bechet die „hot music“ zuerst in den USA und dann auf der ganzen Welt bekannt. 

Doch New Orleans steht nicht allein für Jazz. Eine Vielzahl anderer Musikstile sorgt für Ausgelassenheit bei Straßenfesten, kirchlichen Prozessionen und beim Karneval. Blaskapellen, Gospelchöre, Barrelhouse-Pianisten und Blues-Troubadoure, dazu die buntdekorierten Mardi Gras-Indianer mit ihren Ruf-Antwort-Gesängen – sie alle prägen das Klangbild der Stadt, in welchem auch Rhythm & Blues, Rock ‘n’ Roll, Soul und Funk eine wichtige Rolle spielen. 

Als katholische Enklave im puritanischen Amerika war New Orleans einst für seine Lebensfreude, Festkultur und lockeren Sitten bekannt, die ideale Brutstätte für eine Musik ganz dicht am Puls der Zeit, wie sie in Kaschemmen und Tavernen, bei Hochzeiten und Beerdigungen, beim Karneval und bei Hausparties gebraucht wurde. Dazu kam der Einfluß französischer Kultur und Lebensart. In „Nouvelle Orlèans“ wurde französisch gesprochen, es gab mehrere Theater und Opernhäuser, was die „Crescent City“ zur europäischsten Stadt in den USA machte. Die schwärzeste war sie ohnehin. Nirgendwo sonst lebten soviele „people of color“, manche als Freie, andere als Sklaven, von denen etliche sich nach der Revolution von Haiti (1791-1804) hier in Sicherheit brachten. 

Einer, der die verschiedenen Traditionslinien auf geniale Weise verband, war der Pianist Professor Longhair, in dessen Musik europäische Tastenartistik mit den Rhythmen der Karibik (Rhumba, Mambo, Habanera) und den „Blue Notes“ der Bluestradition zu einem einzigartigen Personalstil verschmolz, dem seinHeulgesang noch die Krone aufsetzte. Henry Byrd, so sein bürgerlicher Name, den alle „Fess“ nannten, galt als „Piano God of New Orleans“. Bis heute ahmen Pianisten seine polyrhythmische Spielweise nach. Longhair war Teil einer städtischen Kultur, in der das Klavier einen hohen Stellenwert besaß. In New Orleans, so hieß es, stünde in jedem Haushalt ein Piano. 

Neben dem Jazz und der speziellen Art des Bluespianospiels hat auch der Funk in New Orleans seinen Ursprung. In den 1960er Jahren entwickelte die Gruppe The Meters eine betont rhythmische Spielweise, bei der Baßgitarre, Schlagzeug und die Akkorde von Gitarre, Orgel und Clavinet mit der Präzision eines Uhrwerks ineinander griffen. Art Neville war der Organist der Meters, der später mit seinen Brüdern, den Neville Brothers, die Technik noch perfektionierte. Inzwischen wird in New Orleans jeder Stil „funky“ gespielt. Selbst die religiöse Gospelmusik klingt „schmutzig“ und arbeitet mit trockenem Schlagzeugbeat und den Synkopen der schnappenden Baßseiten. 

Als alljährliches Aushängeschild für die musikalische Aktivitäten der Stadt fungiert das New Orleans Jazz & Heritage Festival, das dieses Jahr zum 50. Mal stattfand. Jedes Jahr Ende April bietet das „Jazz Fest“ eine Bühne für all jene Stile, die bis heute im Leben der „Crescent City“ eine Rolle spielen. Dazu kommt die Cajun- und Zydeco-Musik aus den Sümpfen von Louisiana, gespielt mit Akkordeon und Waschbrett, die hier inzwischen auch Wurzeln geschlagen hat. Eine Box von fünf CDs mit einem dickleibigen Booklet bietet ‘Live’-Aufnahmen aus einem halben Jahrhundert, wobei alle bedeutenden Strömungen und deren Hauptprotagonisten vertreten sind.

Immer wieder wird in Songs direkt auf die qualvollen Erfahrungen nach den Verwüstungen von „Hurricane Katrina“ eingegangen, eine Katastrophe, die sich tief ins kollektive Gedächtnis der Hafenstadt eingebrannt hat, wobei das „Jazz Fest“ vielleicht einen kleinen Beitrag leisten kann, das Trauma zu bewältigen. 

Jazz Fest – The New Orleans Jazz & Heritage Festival (Smithsonian Folkways Recordings)

Wednesday, 21 August 2019

JODELMANIA im Deutschlandfunk


JODEL-AUSSTELLUNG IM DEUTSCHLANDFUNK

Im Deutschlandfunk hat Andi Hörmann die Ausstellung und das Buch „Jodelmania“ besprochen:

https://www.deutschlandfunkkultur.de/audio-archiv.517.de.html?drau:broadcast_id=281

Die Ausstellung ist noch bis zum 15. Oktober 2019 im Valentin-Karlstadt-Musäum in München zu sehen.


Tuesday, 20 August 2019

PRAM in Hebden Bridge

Traumpop von PRAM

Letzte Woche kamen Pram (auf kleiner Tour durch England) zu einem ihrer seltenen Auftritte in den Trades Club nach Hebden Bridge. Ein schönes Wiedersehen mit der Band, die zweimal beim Klangbad-Festival in Scheer und einmal beim Schlachtfest in Sigmaringen zu Gast war. Ihr träumerischer Pop, der immer noch sehr stark nach Filmmusik klingt, hat nichts von seiner Faszination verloren. Die acht Köpfe starke Crew kam zu einem späten Lunch vorbei und fuhren noch in der Nacht wieder nach Birmingham zurück.

Foto: Jane Revitt

Sunday, 18 August 2019

Jodel-Film-Matinee: Sonntag den 22.09.2019 (Beginn: 11:00)

KiM-Kino, Einsteinstraße 42, München-Haidhausen
Sonntag den 22.09.2019 
Beginn: 11 Uhr


JODELMANIA – DIE GLOBALE FASZINATION DES JODELNS

Jodel-Film-Matinee

Einführung:
Christoph Wagner, der Kurator der Ausstellung JODELMANIA im Valentin-Karlstadt-Musäum, erzählt in einem 30-minütigen Vortrag mit vielen Filmbeispielen über den Siegeszug des Jodelns vom Alpenraum über ganz Europa bis in die USA, wo es in Cowboy-Songs und Countrymusic Einzug hielt. 

Danach läuft der Film
Heimatklänge
von Stefan Schwietert

Ein Porträt von drei außergewöhnlichen Stimmkünstlern vor der atemberaubenden Kulisse der Schweizer Berge. Noldi Alder, Erika Stucky und Christian Zehnder beschreiten unterschiedliche und gleichermaßen interessante Wege der Weiterentwicklung der traditionellen alpenländischen Musik in die Moderne. „Wunderbar und außergewöhnlich.“ (AZ München) 

Sonntag, den 22. September 2019 
Beginn: 11 Uhr (bis 13 Uhr)
KiM-Kino, Einsteinstraße 42, München-Haidhausen

Begrenzte Teilnehmerzahl – Anmeldungen erbeten: rudolf@hartbrunner.de

Wednesday, 7 August 2019

NEUES von Erwin Rehling

NEUES VON FRÜHER  - DORFGESCHICHTEN UND WIDERSPENSTIGE MUSIK

Erwin Rehling kenne ich schon 100 Jahre. Früher war er Drummer der Interpreten, einem Trio mit Andy Koll, das traditionelle bayerische Musik Albert Ayler-mäßig anging. Wir haben mit ihnen in der Balinger Siechenkirche in den 1980ern einmal ein Konzert veranstaltet. Danach war Erwin immer wieder in andere Projekte involviert, Hammerling hieß eines davon. Dann machte er auch Theater- und Filmmusik. Seit einiger Zeit ist er außerdem schreibend tätig, wobei er in tiefbayerischem Dialekt kleine Geschichten verfasst. Jetzt ist mir sein allerneustes Produkt in die Hände gefallen, ein Hörbuch mit dem Titel 'Neues von früher'. Es enthält Dorfgeschichten von vor 50 Jahren, vom Autor himself gelesen, dazwischen werden kleine Musikminiaturen eingestreut, wobei Erwin mit dem Posaunisten und Gitarristen Pit Holzapfel zusammenspielt. Ihre Improvisationen schreiben die bayerischen Short-Stories vom Land auf wunderbare Weise klanglich fort. Das Hörbuch ist im Januar 2019 beim Mandelbaum-Verlag erschienen – kann ich nur jedem wärmstens ans Herz legen!!!!! Meine Lieblingsgeschichte ist die von Lurchi und seiner Bande, dem Maskottchen der Schuhmarke 'Salamander'. Immer wenn man in den frühen Sechzigern ein Paar Salamander-Schuhe kaufte, bekam man ein Lurchi-Heft geschenkt. Ich hab irgendwann einen Lurchi-Sammelband erworben, der inzwischen sehr ramponiert ist und aus dem ich öfters meiner Tochter vorlas, als sie noch klein war. Sie kennt deshalb ebenfalls den Lurchi.




Monday, 5 August 2019

SÖLLNER in Tübingen

Der Menschenfreund

Liedermacher Hans Söllner vor ausverkaufter Kulisse in Tübingen

Fotos: C. Wagner
 























cw. „In Bayern sind alle Anarchisten und die wählenzu 60 Prozent  die CSU," hat der Schriftsteller und Filmemacher Herbert Achternbusch vor einiger Zeit einmal gesagt. Einer von diesen Zeitgenossen, die die Herrschaftslosigkeit propagieren und auch zu leben versuchen, ist der Sänger und Liedermacher Hans Söllner, von dem man allerdings sicher sein kann, dass er nicht CSU wählt, wenn er überhaupt zum Wählen geht, was man bezweifeln kann. 

Denn seit über dreißig Jahren – so lange dauert seine Karriere schon – wird der Widerspenstige aus Bad Reichenhall von der bayerischen Staatsmacht verfolgt, die ihn schon zigmal vor Gericht gebracht hat wegen Beleidigung von Politikern oder Drogenbesitzes, denn Söllner ist ein überzeugter Kiffer: „Aus religiösen Gründen“, wie er sagt, da er sich der jamaikanischen Glaubensrichtung Rastafari zugehörig fühlt. 

Konsequent tritt der Politsänger deshalb für die Legalisierung von Mariuhana ein, was die Staatsmacht regelmäßig auf den Plan ruft, die glaubt mit Razzien, Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen ihrer polizeilichen Aufgabenpflicht nachkommen zu müssen. Kein Wunder, dass sich Söllner schikaniert und drangsaliert fühlt. Auch beim Konzert in Tübingen war die Polizei in voller Stärke präsent, hatte die Bundesstraße 27 abgesperrt, um verdächtig aussehende Fans genauer unter die Lupe zu nehmen, wobei man sich fragen kann, ob da noch die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt blieb. 

Diese Scharmützel mit dem Staat, die sich schon über Jahre hinziehen, bestimmten thematisch auch in großen Teilen den Auftritt von Söllner im Freilicht-Ambiente des Tübinger Sudhauses, das schon seit Wochen restlos ausverkauft war, denn Söllner hat eine treue Fangemeinde, die seine Ansichten und Glaubensbekenntnisse teilt und auch von weit her zu seinen Auftritten pilgert. Beim Song „Edeltraud“ („du hast a sauguats Gras anbaut“) oder „Mei Vodda“ („Mein Vater hat einen Mariuhana-Baum“) sang das Publikum aus vollen Kehlen mit, wobei sich beinahe eine alternative Schunkelstimmung breitmachte.

Söllner tritt beim Konzert als Geschichtenerzähler, Argumentierer, Provokateur und Räsonierer auf, der mit seinen Anhängern in ein zweistündiges Gespräch eintritt. Im Plauderton breitet er seine Ansichten aus, kommentiert aktuelle politische Ereignisse und beklagt die Weltlage, wobei er immer wieder einmal ein Lied einstreut, begleitet von seiner gut eingespielten Band, dem Bayaman Sissdem, ein Quartett, das unauffällig, aber effektiv dem Liedermacher in jeden Winkel seines musikalischen Universums folgt. Und natürlich singt und redet Söllner ganz selbstverständlich im breitesten bayerischen Dialekt, was im Schwäbischen noch zu verstehen ist, aber einem Norddeutschen ziemlich Schwierigkeiten bereiten könnte.

Natürlich nimmt der Liedermacher die Mächtigen ins Visier, wobei ein Politiker wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für den Impfgegner inzwischen zu einem roten Tuch geworden ist, den er kritisiert und attacktiert. Aber auch der ehemalige grüne Außenminister Joschka Fischer bekommt sein Fett ab, dem der aufrechte Linke vorwirft, seine Ideale verraten zu haben. Söllner appelliert an Solidarität und Mitgefühl, ruft seine Fans auf, sich wieder öfters in die Augen zu sehen, wobei der Vegetarier fordert, den Versuch zu wagen, sich ein Jahr lang ohne Hühnerfleisch zu ernähren. Daneben kommt auch das große Thema der Liebe nicht zu kurz, die Söllner vom Zustands des Verliebtseins unterscheidet. Trotz seiner Meinungstärke kommt Söllner nicht als verbiesterter Fanatiker daher, sondern trägt seine Einsichten lässig und mit viel Ironie und Witz garniert vor. Hier wundert sich einfach jemand über die Welt und den Wahnsinn, der um ihn herum stattfindet.

„Freiheit muß wehtun“, proklamiert der Radikalindividualist, der sich von keinem und niemanden irgend etwas sagen lassen will, weil er glaubt, dass er am besten selber weiß, was für ihn gut ist. Damit stellt sich Söllner in eine Reihe von bajuwarischen Querschädeln und Nonkonformisten, die vom Schriftsteller Oskar Maria Graf über den Schauspieler Sepp Bierbichler bis zum Filmemacher Herbert Achternbusch reicht und die es in dieser Form nur im weißblauen Bundesland gibt. Es lohnt sich dem predigenden Rastamann zuzuhören, auch wenn man nicht jede seiner Ansichten und rigorosen Urteile teilt, zu ernsthaft trägt er seine Überzeugungen vor. Der Menschenfreund sorgt sich um die Menschheit (was auch alle anderen Kreaturen einschließt) und die Menschlichkeit, die in unseren turbulenten Zeiten sehr leicht unter die Räder kommen kann, wogegen sich Hans Söllner in vehementer Weise wehrt. „Wenn wir nicht aufstehen, wirds niemand tun!“ lautet die Aufforderung an seine Fans.

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Baden-Württemberg

Friday, 2 August 2019

Neuerscheinung im Herbst: DER SÜDEN DREHT AUF – Rockgeschichte Südwest Vol. 2

DER SÜDEN DREHT AUF – Rockgeschichte Südwest, Vol. 2

Im Herbst erscheint mein neues Buch 'DER SÜDEN DREHT AUF – DIE POPREVOLTE DER 60ER und 70ER JAHRE IN BILDERN' beim Silberburg-Verlag. Es ist ein Fotobuch mit vielen bisher unveröffentlichten Bildern von namhaften Fotografen wie Manfred Grohe, Manfred Rinderspacher, Rupert Leser und Jörg Becker, die die Poprevolte der 60er und 70er Jahre im Südwesten veranschaulichen. Es geht um Jazz-Existentialisten und Pop-Protestler, um Revoluzzer, Gammler und Ausgeflippte. Ein Kapitel beleuchtet Kellerclubs und Jugendzentren, ein anderes widmet sich den ersten Open-Air-Festivals unter dem Stichwort: 'Pilgerstädten der Gegenkultur'. Auch wichtige Musiker und Bands aus Baden-Württemberg wie Eulenspygel, exmagma, Wolfgang Dauner, Puppenhaus usw. sehen sich in einem eigenen Kapitel portraitiert.