Saturday 21 May 2022

Ry Cooder und Taj Mahal wieder vereint

Kenner und Könner

 

Vom Blues zum Buena Vista Social Club und retour – Ry Cooder nimmt mit Taj Mahal nach mehr als einen halben Jahrhundert wieder ein Album auf



Taj Mahal & Ry Cooder (by Abby Ross, Nonesuch)





 

cw. Als Bob Dylan noch Robert Zimmerman hieß und ein junger, ambitionierter, aber völlig unbekannter Folksänger war, träumte er davon, einmal im „Ash Grove“ aufzutreten, dem profiliertesten Folk- und Blues-Club von Los Angeles. In dem ehemaligen Möbelgeschäft in der Melrose Avenue, das als eine der Brutstätten der Subkultur der amerikanischen Westküste gilt, traten Folk- und Protestsänger wie Pete Seeger und The New Lost City Ramblers neben Countrymusikern wie Johnny Cash und Bill Monroe auf. Wenn schwarze Bluespioniere, ob Mississippi John Hurt, Lightnin‘ Hopkins oder Muddy Waters die Bühne betraten, rückten die junge Rockmusiker im Publikum – etwa von der lokalen Gruppe Canned Heat – näher an die Bühne heran, um ihren Idolen genau auf die Finger schauen zu können und ihnen ein paar Kniffe auf der Gitarre abzugucken.

 

Als das Duo von Sonny Terry (Harmonika) und Brownie McGhee (Gitarre, Gesang) 1962 im „Ash Grove“ auftrat, saß ein 15jähriger Teenager in der ersten Reihe, den seine Mutter mit dem Auto zum Club gefahren hatte. „Da führte ein hinkender Mann mit Kinderlähmung einen Blinden auf die Bühne,“ erinnert sich Ry Cooder an den Auftritt. „Kaum fingen sie an zu spielen, war klar: Die sind richtig gut!“ 


Cooder & Mahal, 1965



 

Ein Jahr später und der junge Gitarrist absolvieren im „Ash Grove“ seinen ersten öffentlichen Auftritt. Bald freundete sich der Grünschnabel mit einem anderen Bluesfan an, der etwas älter war und Henry St. Claire Fredericks hieß, sich aber Taj Mahal nannte. Die beiden riefen 1965 eine Band ins Leben, die sie „Rising Sons“ tauften, was eine Verballhornung des Bluessongs „Rising Sun“ von Sonny Terry und Brownie McGhee war, der sich auf einer LP der beiden von 1952 mit dem „Get On Board“ befand. 


The Rising Sons, 1965



 

Nachdem Mahal und Cooder über die Jahre immer wieder einmal gemeinsam auftraten, kamen sie nun für eine längere Aufnahmesession zusammen. Als Blaupause für die aktuelle Produktion diente besagte LP von Sonny Terry und Brownie McGhee, die im Untertitel „Negro Folksongs by the Folkmasters“ hieß. Das schwarzen Bluesduo hatte mit Unterstützung des Perkussionisten und Sängers Coyal McMahan für das New Yorker Folkways-Label aufgenommen. Sowohl im Design des Covers als auch in der Besetzung ahmte die neue Produktion das Original nach. 

 

Das Gespann von Sonny und Brownie war 1940 entstanden und ziemlich schnell zum Prototyp des Harmonika-Gitarren-Duos geworden. „Wie Sonny Terry die „Blues Harp“ spielte, war einfach Zauberei“, schwärmt Taj Mahal noch heute. Das Tandem erspielte sich einen exzellenten Ruf, der in den 1960er Jahren auch Europa erreichte. Das brachte ihnen mehrere Einladungen für Tourneen mit dem American Folk Blues Festival ein, in deren Verlauf sie auch in Deutschland und der Schweiz auftraten. Mit johlenden und heulenden Harmonikatönen, einem ausdruckstarken Gesang und vitalen Gitarrenakkorden versetzten sie das Publikum in Verzückung. 


Sonny Terry & Brownie McGhee




 

An diese Klänge knüpfen Taj Mahal und Ry Cooder jetzt wieder an. Ihr Album mit dem Untertitel „The Songs of Sonny Terry & Brownie McGhee“ kommt einem wie ein Besuch in ihrer alten musikalische Heimat vor – dem Land des Blues. Die hatten sie bereits vor Jahrzehnten verlassen, obwohl sie aus Heimweh sporadisch zu den Klängen aus dem Mississippi Delta zurückzukehrten. 

 

Nach seinen „Ash Grove“-Tagen war Ry Cooder zum musikalischen Globetrotter geworden. Mit dem Akkordeonisten Flaco Jiminez erkundete er die Tex-Mex-Musik vom Rio Grande, unternahm mit Gabby Pahinui Ausflüge nach Hawaii und mit dem Gitarristen Ali Farka Touré Exkursionen in die afrikanische Wüste. Mit gleißenden Gitarrentönen zauberte Cooder zum Film „Paris, Texas“ von Wim Wenders einen eindringlichen Soundtrack, den er mit seinem Plattenprojekt „Buena Vista Social Club“ noch toppte, das der kubanischen Musik weltweit zum Durchbruch verhalf. Auf eine ähnliche musikalische Weltreise begab sich auch Taj Mahal. Dabei machte er über die Jahre in Indien, Mali, Hawaii und auf Zanzibar Station und unternahm Abstecher in die Karibik und den Südpazifik. 

 

Mit dem neuen Album kehren die beiden nun zum Blues zurück. Man fühlt sich geradewegs ins „Ash Grove“ der 1960er Jahre zurückversetzt, so leidenschaftlich und mit so viel Begeisterung gehen sie zur Sache. Ry Cooder läßt seine National-Steel-Gitarre wimmern und jaulen und huscht gewandt über das Griffbrett der Mandoline, während Taj Mahal auf dem Klavier kräftige Baßläufe und Akkorde im Barrelhouse-Stil anschlägt oder die Mundharmonika japsen und keuchen läßt. Eine Tragtasche voller Harmonikas hatte er zur Aufnahmesession mitgebracht, um für die Tonart jedes Stücks das passende Instrument zu haben. 

 

Der Dritte im Bund ist Joachim Cooder, Ry Cooders „Rising Son“, der mit Trommeln, Maracas und einem kleinen Becken für rhythmische Erdung sorgt. Der Schlagzeuger war bereits auf etlichen neueren Einspielungen seines Vaters zu hören und hat erst kürzlich mit Aufnahmen von Songs des Hillbilly-Minstrels Uncle Dave Macon an Profil gewonnen und gleichzeitig bewiesen, dass er sich auch in der „Oldtime Music“ auskennt.







 Von den Stücken, die für die neue Einspielung von „Get On Board“ ausgesucht wurden, sind nur drei auch auf der ursprünglichen LP enthalten. Die anderen wurden dem riesigen Repertoire von Sonny Terry und Brownie McGhee entnommen, wobei sich Bluesnummern, Folksongs und Gospeltitel die Waage halten. Nach Balladen über menschliche Verfehlungen und Eskapaden, die bluesgemäß oft doppeldeutig daherkommen, wird anschließend im Himmel musikalisch um Vergebung ersucht, weil man nach dem Tod doch noch auf Einlaß in der „Beautiful City“ über den Wolken hofft. Andere Lieder beklagen das irdische Jammertal, etwa der „Pawn Shop Blues“, in welchem sich der Protagonist gezwungen sieht, zuerst seinen letzten Anzug, dann sein Radio zu versetzen, um schließlich auch noch seine Gitarre ins Pfandhaus zu tragen. Für einen Musiker wohl die ultimative Strafe!


Wie 'Get on Board' entstand (Youtube)



Wenn noch ein Beweis für die Extraklasse von Ry Cooder und Taj Mahal nötig gewesen wäre, hätten sie ihn mit dieser Einspielung erbracht. Das Album zeigt die beiden als rare Kenner und Könner der Songs von den Baumwollfeldern. Obwohl mittlerweile selbst Veteranen, verneigen sie sich vor den Urväter des Blues mit Klängen, deren ungehobelte Robustheit und lockere Lässigkeit dennoch höchst zeitgemäß klingt.
 

 

Taj Mahal & Ry Cooder: Get On Board – The Song of Sonny Terry & Brownie McGhee (Nonesuch)

 

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