Ein Nachruf von Simon Steiner
THE BEAT GOES ON
DER MUSIKALISCHE JÜRGEN HEINZ ELSÄSSER
Jürgen Heinz Elsässer, geboren am 29.10. 1947, ist am 21.10. 2023 verstorben. 1960 fing er an, Singles zu sammeln und auf der SABA-Musiktruhe zu hören. Er liebte "den Schreihals Little Richard", danach war er völlig vernarrt in die Shadows und natürlich in die Beatles. In einem Interview schrieb Elsässer: "Die Idee eine eigene Band zu gründen wurde 1963 konkret. Zwei Schulfreunde spielten Gitarre und ich hatte mir einen Höfner-Elektrobass gekauft. Per Aushang im Musikhaus Barth fanden wir einen Schlagzeuger."
Die jungen Herren trafen sich dort regelmäßig, denn beim Barth trafen sich Gleichgesinnte und konnten Instrumente und Verstärker testen. 1964 gewannen THE SHADES mit Elsässer an der Baßgitarre den "YEAH YEAH YEAH" Bandwettbewerb im Beethovensaal der Liederhalle Stuttgart. "Die Bandmitglieder konnten den Veranstalter bewegen, die Bühne bei "House of the rising sun" in rotes Licht zu hüllen, das machte das Publikum zusätzlich heiß," erzählte seine zweite Frau, die Künstlerin Xenia Muscat, die Jürgen zuletzt bis zum Tod begleitete.
THE SHADES waren die wildeste und lauteste Gruppe. Bei der Publikumsabstimmung bekamen sie laut Phonmessgerät den kräftigsten Beifall. Mit "Skinny minny" und "What'd I say" räumten sie voll ab! "Sie haben gelärmt und gejubelt, sie haben ihre jugendliche Lebenslust herausgeschrien, die 3000 jungen Leute, die in der heißesten Show der Saison den Wettbewerb der schwäbischen Beatles-Bands miterlebten." (Stuttgarter Zeitung).
Als Sieger durften sie eine Radioaufnahme beim Soldatensender AFN im Army-Studio auf dem Burgholzhof machen und anschließend eine Tournee mit dem Showorchester Bert Gordon, der Chanteuse Rita Paul, dem Horst Jankowski Quartett mit Schlagzeuger Charly Antolini sowie Knut Kiesewetter, der als deutscher Ray Charles angekündigt war. Als die Soulmusik dann Ende der 1960er Jahre immer populärer wurde, schwenkte die SHADES in diese Richtung um und nannten sich nun HARLEM TRADE SET.
Harlem Trade Set mit Jürgen Heinz Elssässer (Mitte) an der Baßgitarre
PSYCHEDLIC UNDERGROUND MIT NOAH'S ARK
Klaus Staeck und Jochen Goetze initiierten 1969 in Heidelberg das selbstverwaltete Kunstspektakel intermedia 69, das sich zwischen Anarchie und Rebellion bewegte und ein Ausblick auf die Kunst der 1970er Jahre sein wollte. Übergreifende Kunst, überall und für alle, so die Idee. Jürgen war dabei, er spielte bei der Psychedelic Band NOAHS ARK Undergroundmusik, gemeinsam mit dem Künstler Bruno Demattio, der schrieb: "Ich bringe die Musik gleich mit: NOAH'S ARK wird umsonst zur Ausstellung spielen, damit erhoffe ich auch, dass sich Musik mit anderen Aktionen glücklich vermischen wird."
In einem persönlichen Gespräch erzählte Elsässer von sphärischen Konzerten von NOAH'S ARK mit Querflöte und Bongos im Stuttgarter politischen Kulturtreff Club Voltaire in der Leonhardstraße, von Protesten gegen den Krieg in Vietnam, Unterschriftensammlungen gegen die Notstandsgesetze, Kulturrevolution und Trip-Therapie.
MAILART UND COLLAGEN
Man kann sich gut vorstellen, wie Elsässer malte, zeichnete und collagierte und am PC seine Computerkunst ausdruckte, dazu Musik hörte, ein wahres, schönes Künstlerleben, könnte man meinen. Wie war er drauf? Xenia Muscat schrieb in der Dankeskarte zu seinem Tod: "Wir trauern über den Verlust eines zutiefst anständigen, unaufdringlichen und edelmütigen Menschen". So erlebte ich Jürgen Heinz Elsässer bei meinen Interviews zu unserem Punk-Projekt (Buch/Ausstellung/Livekonzerte), 2017: "Wie der Punk nach Stuttgart kam". Er war immer "gelassen, geduldig und freundlich", genau so, wie ihn Xenia beschrieb. Während unserer Podiumsdiskussion bei der Punk-Ausstellung im Württembergischen Kunstverein war er zurückhaltend, verfolgte aber das Punkprojekt höchst interessiert. Er war Kenner, er wusste, worum es ging, denn er war der Redakteur, der in den frühen 80er Jahren die einzigartigen Mausefalle-Konzerte für die Lokalpresse in Worte fasste und alle Haltungen und Stimmungen auf den Punkt brachte.
In seinem Büchlein "Jeder ist sein eigener Kolumbus" fragt Elsässer: "Die Welt läuft Amok - liegt die Zukunft im Koma? In den Rissen der Systeme hat sich etwas Neues eingenistet, New Wave, Punk, Postpunk. Eine Bewegung, die in der Musik losging, dehnt sich aus auf Literatur und Kunst." Und mittendrin schreibt, malt und collagiert Jürgen Heinz Elsässer. 1978 in der Galerie Hetzler in Stuttgart, mailart: 1979 im Künstlerhaus Stuttgart, zusammen mit seiner Frau Angelika Schmidt. Er ist 1981 bei der großen Ausstellung im Württembergischen Kunstverein dabei: Szenen der Volkskunst.
Aktuell 2023 – Jürgen Heinz Elsässer und seine heimliche Abgründe: "Hieronymus in Hollywood" nennen sich 26 Postkarten-Collagen von Elsässer für Xenia Muscat, die sich mit kurzen Texten zu den Collagen äußert: "Es singt der Riese und gleichgekleidet aus dem Untergrund steigende Männer fragen nach der Rabenjacke."
Für Jürgen Heinz Elsässer, gelernter Kaufmann, Musiker, Künstler, Publizist, Journalist ist eine mailart-Ausstellung in Planung.
Mehr dazu im Beitrag von Albrecht-d / Norbert Prothmann: http://www.albrecht-d.de/