Die Tradition abstrahiert
Dave Douglas im Jazzclub 'In der Mitte'
Foto: C. Wagner
So eine hochkarätige Band gibt es im Jazzclub „In Der Mitte“ in Reutlingen sicher nur alle paar Jahre zu hören, denn eigentlich hätte sie ein viel größeres Publikum verdient. Bandleader Dave Douglas gilt als einer der profiliertesten Trompeter des post-avantgardistischen Jazz, der sich in den 1990er Jahren einen Namen in John Zorn’s Masada Quartet machte und danach mit eigenen Gruppen brillierte. Bei Masada saß Joey Baron am Schlagzeug, den Douglas jetzt wieder in seine aktuelle Band geholt hat. Komplettiert wird die Gruppe durch den amerikanischen Kontrabassisten Nick Dunstan, der in Berlin lebt, und die polnische Pianistin Marta Warelis, die in den Niederlanden daheim ist.
Douglas versteht es, eine Musik zu entwerfen, die aus vielerlei Quellen schöpft. Seine Kompositionen haben oft etwas Hymnenhaftes, wobei er manchmal selbst Märsche aus dem alten New Orleans kurz anspielt oder Melodiekürzel von Thelonious Monk einstreut. Doch all diese Zitate aus der Jazztradition sehen sich in eine fantasievolle musikalische Architektur integriert, werden modern gewendet und abstrahiert, wobei die Musik manchmal bis an die Grenzen des Freejazz geht, dann aber wieder die Kurve kriegt und in harmonisch und rhythmisch gebundene Bahnen zurückfindet.
Die Rhythmusgruppe agiert hochsensibel, mit enormem Swing und großer Virtuosität, wobei Drummer Joey Baron immer wieder einmal durch blitzartige Einwürfe aufhorchen läßt. Ein sicheres Fundament legt Nick Dunstan, der auch in seinen Baßsoli zu glänzen weiß. Die eigentliche Überraschung des Abends aber ist die junge Pianistin Marta Warelis, die wie ein abstrakter Thelonious Monk agiert. Ihr kommt in der Gruppe die Rolle zu, gelegentlich aus der Reihe zu tanzen und den erwarteten Lauf der Dinge zu unterminieren und zu stören.
Mit großer Gelassenheit setzt sie dissonante Intervalle neben glotzige Cluster, um anschließend noch ein paar perlende Läufe anzuhängen. Ist Warelis sonst in der radikalen, frei-improvisierenden Szene daheim, wird sie durch die Kompositionen von Douglas gezwungen, sich in rhythmisch-harmonischen Systemen zu bewegen, was originelle Lösungen zu Tage fördert. Die vier hatten offensichtlich ziemlich Spaß an ihren kühnen Interaktionen und verstanden es gleichzeitig, das Publikum mitzureißen.
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