Saturday, 28 December 2024

Best Song Ever?

Willie Watson & Tim Blake Nelson: 

When A Cowboy Trades his Spurs for Wings

Aus dem Coen-Brothers-Film "The Ballad of Buster Scruggs":

Geschrieben von Gillian Welch & David Rawlings, doch diese Version aus dem Film der Coen Brothers gefällt mir weit besser. Sie ist wohl einer dieser Fälle, wo das Cover das Original schlägt und zur gültigen Version des Songs wird, den jeder kennt und auch damit assoziiert, ähnlich wie bei "All along the watchtower" von Jimi Hendrix, ursprünglich von Bob Dylan geschrieben und gesungen.



 

Tuesday, 24 December 2024

Clemens Kuratle – Drummer / Composer

Alles für den Song

Der Schlagzeuger und Komponist Clemens Kuratle und sein Ensemble YDIVIDE 


Foto: Palma Fiacco


 

Im Jazz sind Schlagzeuger generell eher Sideman als Bandleader. Natürlich gibt es Ausnahmen, und nicht wenige: Buddy Rich, Art Blakey, Max Roach und Tony Williams können als die bekanntesten gelten. Auch Chico Hamilton, Elvin Jones, Paul Motian, Pierre Favre, Gerry Hemingway oder Fredy Studer haben eigene Gruppen geleitet. Gelegentlich hört man diesen Ensembles an, dass ein Drummer Regie führt. Denn Schlagzeuger ticken anders – denken tendenziell eher in Metren, Zeiteinheiten und Taktzahlen. Deshalb komponieren Schlagzeuger üblicherweise anders als Pianisten oder Saxofonisten, mehr von Rhythmen, Beats und Trommelmustern ausgehend.

 

Doch auch hier gibt es Ausnahmen. Der Schweizer Clemens Kuratle – Schlagzeuger und Komponist – ist eine von ihnen. Die Kompositionen, die er für seine Gruppe YDIVIDE (englisch ausgesprochen als «Why Divide!?») entwirft, sind singbar, um starke Melodien gebaut. Kuratle (Jahrgang 1991) spricht dann auch nicht von Stücken, sondern von Songs – Lieder ohne Texte: „Die Melodien, die mir zufliegen, bringe ich in eine Form, wobei mir wesentlich ist, dass der emotionale Gehalt gewahrt bliebt. Wichtig ist, eine Struktur zu finden, die auch der Improvisation Raum bietet und zur Spontanität ermuntert. Stets ist die letzte Frage, die ich mir beim Komponieren stelle: «Was mache ich mit dem Schlagzeug?» Mir geht es primär nicht um die Drums, sondern um die Musik, die ich im Kopf höre und die ich dann zu realisieren versuche.“  

 

So gesehen, ist es für einen Jazzdrummer wie Kuratle überraschend, wenn auch nicht unbedingt verwunderlich, dass er Größen des amerikanischen Songwriting als wichtige Inspirationsquellen nennt, ob Bob Dylan, Tom Petty oder Jeff Tweedy von Wilko, der Americana-Band aus Chicago, der mit Nels Cline ein ausgewiesener Avantgarde-Jazz-Gitarrist angehört und mit Glenn Kotche ein exquisiter Schlagwerker.  

 

Neben der Singer-Songwriter-Tradition gibt es noch weitere Einflüsse, die Kuratle phasenweise fast obsessiv erkundet: ethnische Musikstile in frühen Feldaufnahmen, natürlich auch Jazz, wobei er Drummer wie Brian Blade oder Hamid Drake sowie den Altsaxofonisten Tim Berne als Vorbilder nennt. Dazu kommt die Faszination für zeitgenössische E-Musik, für Electronica und Pop. Kurz: das ganze Spektrum aktueller Klänge. 


Foto: Palma Fiacco

 

Beim Komponieren zahlen sich die Erfahrungen aus, die Kuratle als Begleiter in diversen Gruppen gesammelt hat oder in der Begegnung mit anderen Musikern und Musikerinnen. So spielt er Schlagzeug im Quartett der Harfenistin Julie Campiche aus Genf, begleitet mit seinem Trommelspiel die Avant-Pop-Vokalistin Kate Birch (bürgerlich: Laura Schuler) und betreibt neben YDIVIDE noch das Jazzquintett Murmullo, mit komplett anderer Besetzung. 

 

Bei YDIVIDE stellt Kuratle sein Schlagzeugspiel ganz in den Dienst der Songs. Es geht ihm darum, für den jeweiligen Titel die bestmöglichen Schlagmuster zu finden, weshalb er eher groove-orientiert trommelt, mit Repetition als wichtigem Grundelement. Da ist ein hohes Maß an Disziplin und Zurückhaltung gefordert, um den Verlockungen der Virtuosität zu widerstehen. Keine Trommelakrobatik – please! –, vielmehr ist die Intention, für jede Komposition den optimalen rhythmischen Rahmen zu finden, der den Titel zum Leuchten bringt. Der Song ist das Ziel, nicht die Zurschaustellung turbo-artistischer Trommelkünste.

 

Wenn Kuratle an neuen Stücken arbeitet, bilden die Mitglieder von YDIVIDE den ultimativen Bezugsrahmen. Der Komponist denkt sie mit, wenn er aus einer Melodie einen Song entwickelt. Er schneidert seine Stücke den Musikern und der Musikerin seiner Band auf den Leib – maßgerecht. „Ich habe beim Komponieren immer meine Leute im Ohr“, sagt er. Er kennt ihre Stärken, Fähigkeiten und Vorlieben und versucht sie maximal zu nutzen, d.h. ihnen auch den Freiraum zu gewähren, ihre Talente uneingeschränkt zur Entfaltung zu bringen. 


Foto: Promo

 

Die Mitglieder von YDIVIDE kennen sich schon länger. „Lukas Traxel (Kontrabaß) und Chris Guilfoyle (E-Gitarre) aus Irland habe ich beim Jazzstudium in Luxern getroffen,“ erzählt Kuratle. „Dem englischen Pianisten und Elektroniker Elliot Galvin bin ich auf dem 12-Points-Festival in Dublin begegnet, wo er mich schwer beeindruckt hat, während ich die Saxofonistin Dee Byrne aus London an der Jazzwerkstatt Bern kennengelernt habe.“ 

 

Zum Entspannen und auch um den Bedrückungen der Gegenwart für ein paar Stunden zu entfliehen, bricht der „Stubenhocker“ (Kuratle über Kuratle), der sich gerne in die Lektüre von Büchern vergräbt, ab und an zu kleinen Wanderungen in die Berner Berge auf, nicht zuletzt um Wildkräuter zu sammeln, die er daheim zum Kochen benutzt oder zu Tees verarbeitet. „Unlängst habe ich ein Wildkräuter-Lexikon in einer Alphütte meines Großvaters gefunden – das war der Anstoß,“ erzählt Kuratle. „Und jetzt wünsche ich mir zu Weihnachten von meinen Geschwistern eine kleine Ölpresse.“ Der Komponist sucht die Abgeschiedenheit der Berge, um zur Ruhe zu kommen und über seine Musik nachzudenken, wobei er natürlich auch hofft, dass ihm in der Einsamkeit ein paar Melodien zufliegen  – einfach so, ganz aus dem Nichts. Solche wie sie sich auf YDIVIDEs zweitem Album namens „The Default“ finden, ob impressionistisch-versonnen, druckvoll oder aufbrausend- brachial. Dafür musste er öfters ins Gebirge gehen.


Clemens Kuratle YDIVIDE: The Default (Intakt)


Zum Reinhören:

https://intaktrec.bandcamp.com/album/the-default

 

Tuesday, 17 December 2024

SCHEIBENGERICH Nr. 33: Jeff Parker – The Way Out of Easy

Entspanntes Fließen

Der Tortoise-Gitarrist mit eigenem Bandprojekt



Der Gitarrist Jeff Parker, in Los Angeles daheim, ist seit über drei Jahrzehnten ein Fixstern am Firmament im Grenzland zwischen Jazz und Rock. Zuerst mit Tortoise, dann mit Isotope 217 und dem Rob Mazurek’s Chicago Underground Trio bzw. Quartet hat er das Terrain immer wieder neu durchstreift, dabei erstaunliche, zum Teil innovative Entwürfe zu Tage gefördert.

 

Mit seinem neuen ETA IVtet knüpft er nahtlos an frühere Fusionsversuche an. Dieses Mal setzt Parker auf einen hypnotischen „laid back“-Groove, der sich völlig unaufgeregt und scheinbar endlos wiederholend durch die Zeit schiebt. Dieser Beat bildet das Fundament, über das Parker mit Hilfe etlicher Pedale und Josh Johnson mit seinem „processed saxophone“ ätherische Melodielinien legen, die sich ineinander verschlingen und fein kräuselnd durch die Lüfte schweben. Das minimalistische Prinzip von Repetition und Variation bildet den Kern dieser Musik, wobei Parkers behutsame Spielweise eher an die Gitarristen der alten Bebop-Schule erinnert, als an die Exorzismen von Hendrix & Co..

 

Das Grundprinzip dieser Ensemble-Musik, die sich über Jahre durch regelmäßige Gigverpflichtungen entwickelt hat, ist das sich Einfühlen in einen simplen Beat oder eine Akkordfolge, aus denen die Band dann alles entwickelt und erstaunliche Funken zu schlagen weiß. Nicht dass hier große Virtuosität zur Schau gestellt wird, auf technischen Exhibitionismus wird gänzlich verzichtet. Vielmehr kommt eine große Musikalität zum Tragen, die die Teilchen und Membrane zum Schwingen bringt. Das entspannte Fließen ist die entscheidende Komponente dieser Andachtsmusik, die sich jede Zeit der Welt nimmt. Vier Stücke befinden sich auf dem Album, keines kürzer als eine Viertelstunde. Hektisches kommt nicht vor. Entschleunigung ist Trumpf. Bezeichnend dafür ist, dass bis auf die Kontrabassistin Anna Butterss, alle anderen Musiker im Sitzen musizieren.


Jeff Parker ETA IVtet: Freakadelic (youtube)


 

Jahrzehnte zurück – Mitte der 1970er Jahre – hatte der englische Drummer John Stevens mit seiner Gruppe Away einen ähnlichen Fusionsversuch unternommen, über einem konstanten Rockgroove, frei zu musizieren. Mit der damals modischen „Fusion Music“ hatte das ebenfalls nichts zu tun, so wenig wie heute.

 

Jeff Parker ETA IVtet: The Way Out of Easy (International Anthem)

 

 

Monday, 16 December 2024

BEST OF 2024

Ein paar bemerkenswerte Alben von 2024:


The Necks: Bleed (Northern Spy / H’Art)


Graindelavoix / Björn Schmelzer: Ex Nihilo – Polyphony Beyond The Order of Things (Glossa Platinum)



Foto: Graindelavoix

Zum Reinhören:

https://www.youtube.com/watch?v=RDGkp9IYx70


J.J. Whitefield & Forced Meditation: The Infinity of Nothingness (Jazzman)


Ingrid Laubrock & Tom Rainey: Brink (Intakt)


Kudsi Erguner & Lamekan Ensemble: Fragments Des Cérémonies Soufies – L’Invitation à L’Extase (Seyir Muzik)


Eric Schaefer & Ensemble: Hayashi (blue pearls music)


Veretski Pass: The Peacock And The Sundflower (Borscht Beat)


Nite Bjuti (Candice Hoyes, Val Jeanty, Mimi Jones): Nite Bjuti (Whirlwind Recordings)



Zum Reinhören:

https://www.youtube.com/watch?v=tyG6PX-IIkg


Nightports / Matthew Bourne: Dulcitone 1804 (Leaf)


Samuel Rohrer: Music For Lovers (Arjuna Music)


Jeff Parker ETA IVtet: The Way Out of Easy (International Anthem)





Tuesday, 10 December 2024

LautYodeln Vol. 3 auf CD

CD-Taufe am 16. März 2025 im Münchner 'Fraunhofer'

Das 3. LAUTyodeln-Festival, das im Mai 2024 in München über die Bühne ging, wird – wie schon die beiden Editionen zuvor – auf CD dokumentiert werden. Die CD wird im März 2025 beim Münchner Trikont-Label erscheinen. Auf dem Album mit dabei ist die ganze Bandbreite aktueller Gruppen, die das Festival wieder zu einem einzigartigen Glanzpunkt machten, ob Vue Belle, Stimmreise.ch, Ernst Molden & Maria Petrova, Ganes oder Opas Diandl. Die CD-Taufe wird am Sonntag, den 16. März 2025 in Form eines Frühschoppens im München Traditionslokal Fraunhofer stattfinden, mit 'Live'-Musik versteht sich.

Als 'Appetizer' hier der 'Honde N-Da Da Jodler' von der Gruppe Opas Diandl aus Südtirol, 'live' at LAUTyodeln-Festival Vol. 3, Munich.




Trau di Jodeln

 Die dreifache Traudi (Siferlinger).



Wednesday, 4 December 2024

Scheibengericht Nr. 32: Veretski Pass & Joel Rubin

Klezmer mit Akkuratesse

 

Veretski Pass

The Peacock And The Sunflower

 

(Borscht Beat)



 

Klezmer-Gruppen gibt es wie Sand am Meer, doch nur die wenigsten haben die Klasse von Veretski Pass. Das Trio aus Kalifornien, das aus Cookie Segelstein (Geige), Joshua Horowitz (Akkordeon und Hackbrett) und Stuart Brotman (dreisaitiges Bassetl) besteht, spielt eine Klezmer-Musik, die sich um historische Akkuratesse und Authentizität bemüht, um einem Klang nahezukommen, wie wir ihn von alten Schellack-Platten kennen, den eingefrorenen Beispielen einer Klezmermusik, wie sie vor mehr als hundert Jahren geklungen hat. Zum dritten Mal haben sich die drei für ein Album mit Joel Rubin zusammengetan, vielleicht der beste Klarinettist der aktuellen Klezmerszene.

 

Die vier Musiker sind hochvirtuose Instrumentalisten, die mit allen Wassern der Klezmer-Spielweise gewaschen sind. Sie kennen die Tricks der Intonation, die kleinen melodischen Verschiebungen und harmonischen Dissonanzen, das Biegen der Töne, die Ornamentierung und die Triller, was alles zusammen einen Gruppenklang ergibt, der dicht und kompakt, rauh und doch voller Leben ist. Die meisten Stücke sind traditionelle Melodien aus der Ukraine, andere neue Kompositionen, die überwiegend von Cookie Segelstein stammen und die sich doch strikt in der Klangwelt des alten jüdischen Osteuropas bewegen. Manchmal handelt es sich um schnelle Tänze, dann wieder um langsame getragene Melodien, in denen fast immer eine feine stille Traurigkeit schwingt. 

 

Im Booklet-Text spricht Joel Rubin von Klezmer als einer Fusion-Musik, weil sie Spurenelemente  regionaler Volksmusikstile übernommen, aber auch populäre Melodien und Gassenhauer aufgesogen hat. Der „Novosilky March“, einer von 29 Titeln des Albums und kaum eine Minute lang, ist das beste Beispiel für diese Art von musikalischem Borschtsch, ein Marsch, der irritiert, weil man in jedem zweiten Takt die Verbindung zu einem anderen populären Stil zu erkennen meint. So fremd kann Klezmer klingen.

 

Auf bandkamp zum Reinhören:

https://borschtbeat.bandcamp.com/album/the-peacock-and-the-sunflower