Thursday, 29 August 2013

Singer-Songwriter WILLIE DUNN gestorben


WILLIE DUNN (1942-2013)

Der indianische Folksänger vom Stamm der Mi‘kmaq starb mit 71 Jahren in Kanada. Seit 1975 veröffentlichte er Schallplatten auf dem Münchner Trikont-Label



Ein Nachruf von Claus Biegert

Hi, I am Willie, sagte er. Seine Stimme war weich, dunkel, melodisch, anziehend. Er nahm gerade zwei Paar Socken und ein T-Shirt von der Leine. Kommt rein, sagte er, drin sind noch mehr Freaks, und gegessen wird auch bald. Er hatte lange schwarze Locken und trug ausgefranste Jeans, wie wir alle damals. Wir kamen gerade aus Deutschland, und er war unser erster Indianer. Wir folgten ihm ins Haus, das gleichzeitig Jugendherberge, Gemeindezentrum, Zeitungsredaktion und Großküche zu sein schien. Wenn man neu ist im Indianerland, dann muss man sich erst zu Recht finden in einer solch  ungewohnten Ballung der Funktionen. Das Haus wurde Nation House genannt und stand auf dem Land der Mohawk, im Staat New York ganz oben an der Grenze zu Kanada. Das Reservat hieß offiziell St. Regis, doch diesen Namen benutzte niemand. Die Mohawk nennen diesen Teil ihres Landes am St. Lorenz-Strom bis heute Akwesasne (Wo das Rebhuhn balzt); die Zeitung die hier seit Ende der sechziger Jahre gemacht wurde, hieß Akwesasne Notes, und jetzt im heißen Indianersommer 1973, liefen, wie man damals in den vordigitalen Zeiten zu sagten pflegte, die Drähte heiß. Das American Indian Movement hatte in South Dakota den legendären Ort Wounded Knee besetzt und war von Februar bis Mai vom US-Militär umzingelt gewesen; es hatte zwei Tote auf indianischer Seite gegeben. Und nichts war seitdem mehr wie ehedem: Quer über den Kontinent wuchs der Widerstand gegen die Bevormundung durch die Regierungen, und die Akwesasne Notes sorgten als einzige panindianische Publikation für Gegeninformation und für die Verbreitung eines indigenen Gedankenguts, das sich vehement dem American Way of Life entgegen stemmte. Ich war mit Carl-Ludwig Reichert, dem bayrischen Mundart-Musiker und Radiojournalisten, in Nordamerika unterwegs, um O-Töne des indianischen Widerstands zu sammeln.

Und dann saßen wir Willie Dunn gegenüber, der gerade seinen Rucksack packte. Er wollte in den Wald, sagte er, fasten und beten und nachdenken und allein sein mit den Bäumen. See you next week! Damit war unser erster O-Ton verschwunden, bevor wir noch das Mikrophon zur Hand hatten. Niemand erwartete ihn in der nächsten Woche zurück. Er werde wieder auftauchen, wenn die Zeit dafür reif ist, sagte eine Frau. Willie Dunn war sein vollständiger Name. Er sei sehr berühmt, erzählten die Menschen am Tisch, und eine wichtige Stimme für die Ureinwohner Kanadas. So wichtig wie Buffy Sainte-Marie. Buffy war eine Cree aus dem Westen, Willie war ein Mi‘kmaq aus dem Osten. Kanada hatte in den Siebzigern nur diese zwei indianische Musiker, deren Musik man kaufen konnte und deren Lieder es in die Radiosender schafften. Eine LP wurde uns gebracht – die Akwesasne Notes fungierten auch als Versandhaus für Schallplatten und Bücher -, das farbige Cover zierte die ornamentale Darstellung eines Adlers, der Titel: Willie Dunn. Ein Plattenspieler wurde geholt. Was für eine Stimme! Sie lag – musikalisch wie geografisch – zwischen Gordon Lightfoot (Orillia, Ontario) und Leonard Cohen (Montreal, Quebec). Die Mohawks hatten ihm bereits einen neuen Namen gegeben: Roha’tiio: His voice is beautiful. Selbst wenn er in Schooldays die Foltern der Boarding Schools anklagte, war seine Stimme beautiful.


Willie Dunn wurde am 14. August 1941 in Montreal geboren und wuchs mit einem Bruder und sechs Schwestern in einfachen Verhältnissen auf. Der Vater war Schotte, seine Mutter vom Stamm der Mi‘kmaq. Der weiße Vater machte, so will es das kanadische Gesetz, die Kinder automatisch zu sogenannten „Non-Status Indians“, ohne Anspruch auf Land oder soziale Dienste der Regierung. Der Indian Act von 1876 bestimmt, wer Indianer ist und wer nicht. Wer falsch heiratet, verliert seinen Indian Status. Eine indianische Frau, die einen Angehörigen ihres Stammes heiratet, dessen Vater ein Metis (Halbblut) ist – somit kein Status Indian! – verliert ihre Stammeszugehörigkeit, ihre Kinder werden nicht mehr im Stammesregister geführt.

Mit 14 bekam Willie eine Gitarre in die Hand und legte sie kaum mehr beiseite. Sein Idol war Hank Williams. Nach dem College jobbte er in einem Supermarkt, dann ging er zur Armee und kam 1960 als Mitglied der UN-Friedenstruppen in den Kongo. Eine Gitarre ließ sich immer auftreiben, doch er sang auch ohne. In den Sechziger Jahren durchquerte er als Folksänger Kanada und den Osten der USA. Einmal spielte er hinter den Kulissen des Newport Folk Festival mit Mississippi John Hurt.

Willie stammte aus einer sozialistischen Arbeiterfamilie. Immer wieder suchte er nach Brücken zwischen Sozialismus und indianischen Werten und Gesellschaftsstrukturen. Er studierte Mao Tse-Tung, „the great Chinese chief“, erkannte dessen Schwächen und kehrte immer wieder zu den Haudenosaunee – der Liga der sechs Nationen der Irokesen – zurück und ihrer Verfassung, dem  Great Law of Peace. In vielen seiner Lieder schimmerte das Große Gesetz des Friedens durch. Er machte den indianischen Widerstand oft zum Inhalt seiner Songs und zögerte nie, dem Widerstand seine singende Solidarität zu erweisen. Dennoch betonte er immer wieder: I am an artist first, and an Indian second. Er wollte nicht als indianischer Künstler angeheuert werden, sondern als Künstler, dessen Kunst geschätzt wurde, ungeachtet seiner ethnischen Herkunft.

Er war nicht nur ein Singer/Songwriter. Anfang der siebziger Jahre produzierte er zwei Filme, die heute zu den Klassikern des Native American Cinema zählen. Der erste – The Ballad of Crowfoot – war Kanadas erstes Musikvideo und brachte ihm Ruhm auf internationalen Festivals, darunter den Gold Hugo auf dem 1969 Chicago International Film Festival. Der zweite – The Other Side of the Ledger – sorgte zusätzlich für Probleme: Als böses Geburtstagsgeschenk zum 300jährigen Bestehen der Hudson‘s Bay Company, jener britischen Handelsgesellschaft, die 1670 sämtliche Flüsse, die in die Hudson Bay fließen, zu ihrem Eigentum erklärte. Der Konzern beschwerte sich, und Willies Mitarbeit beim National Film Board of Canada war damit beendet, neue Projekte wurden ihm nicht mehr finanziert.

Anfang der achtziger Jahre entstand in einer transatlantischen Koproduktion mit dem Label Trikont-Unsere Stimme in München das Album „The Pacific“. Damals waren Überseetelefonate noch teuer, und das digitale Verschicken von Tönen über ein unsichtbares Netz noch fern. In diesem Album gab er beiden Kulturen seiner Eltern Raum und stellte indianische Inhalte neben Herman Melville, William Shakespeare und T. S. Eliot; in späteren Jahren kamen Samuel Johnson und W. C. Bryant hinzu. Er trat in Clubs auf, es folgten Tourneen durch Deutschland, doch er konnte seine Familie davon nicht ernähren und arbeitet nebenher als Hausmeister. Das ertrug er mit Gleichmut. Aus der indianischen Welt kam immer wieder Fanpost und die Zeitung „Ottawa Citizen“ urteilte in den achtziger Jahren, „seine Musik geht über die Wut hinaus und lässt den Wunsch zur Veränderung entstehen.“ Das bekannte indianische Duo Kashtin aus Quebec nahm Willies Song 'Son of the Sun' (so auch der Titel seines letzten Trikont-Albums) in ihr Erfolgsalbum 'Innu' auf; im Beiheft sind diese Dankeszeilen zu lesen: Thank you, Willie, the Micmac India, You’ve reminded us of who we are.

Bis zuletzt galt: War irgendwo ein Konflikt im Indianerland, musste man Willie Dunn nicht lange bitten. Waren Transport und Unterkunft gesichert, war er da und gab dem Widerstand ein musikalisches Rückgrat. 2000 begleitete er zusammen mit dem irischen Sänger Liam O’Moanlai in Berlin die Preisverleihung des Nuclear-Free Future Award. Das neue Jahrtausend bescherte ihm den Titel First Nations Abassador for Canada; 2005 wurde er in den Aboriginal Walk of Honour in Edmonton aufgenommen. Die Idle no more!-Bewegung, die seit letztem Jahr die First Nations wie schon lange nicht mehr zusammenschweißt, ließ auch sein Herz höher schlagen. Bis zum Morgen des 5. August, als er im Beisein seiner Frau Liz Moore diese Welt verließ. Wir rufen ihm nach: Walk in beauty, Willie!

Der Nachruf wurde von der website www.trikont.de übernommen. Dort kam man auch Songs von Willie Dunn hören. Sein letztes Album 'Son of the Sun' ist weiterhin erhältlich.


Sunday, 25 August 2013

FRANZ FERDINAND: Interview mit NICK McCARTHY

Neues Album von FRANZ FERDINAND 

"Wir waren künstlerisch total ausgelaugt!"


Franz Ferdinand kommen gerade mit einem sehr guten neuen Album auf den Markt:  "Right Thoughts, Right Words, Right Action" Pfeilgerade Melodien, kraftvolle Beats, griffige Songs, die sofort auf den Punkt kommen:  keine Schnörkel, kein eitles Rumexperimentieren. Ein rundum gelungenes Popprojekt - äußerst hörenswert!

Nick McCarthy (im Bild vorne links), Gitarrist, Keyboarder und mit Sänger Alex Kapranos einer der beiden Songschreiber von Franz Ferdinand (der übrigens seine Lehrjahre in den 90er Jahren bei der Münchner Weltmusikband Embryo absolviert hat), erzählt im Interview mit Christoph Wagner über die Entstehung der neuen Platte "Right Thoughts, Right Words, Right Action", das beinahe Ende der Band und wie sie sich nach einer Schaffenskrise wieder berappelt haben.


Nach vier Jahren gibt es ein neues Album von Franz Ferdinand. Warum hat es so lange gedauert?

Nick McCarthy: Wir waren nach dem letzten Album zwei Jahren lang fast pausenlos unterwegs, und schon davor hatten wir eine Tour nach der anderen absolviert. Da war es wirklich Zeit für eine Pause! Wir haben ein Jahr Auszeit genommen, weil wir künstlerisch ausgelaugt waren – total leer! Ich hatte keine Lust mehr auf gar nichts. Wir waren nicht einmal sicher, ob es mit der Band weitergehen würde, so ausgebrannt waren wir. Nicht dass wir uns verkracht hätten, wir waren nur einfach froh, uns einmal längere Zeit nicht zu sehen. Ich persönlich habe fast ein halbes Jahr lang keine Musik mehr gemacht. Vom Touren runterzukommen, sich zu regenerieren, ist ein langwieriger Prozeß. Ich war kreativ völlig ausgepumpt. Erst nach Monaten ging es langsam wieder. Ich habe angefangen, ein bisschen Klavier zu spielen. Dann habe ich mich mit meinem Bandkollegen Alex Kapranos getroffen. Ein Jahr lang haben wir an dem neuen Album gearbeitet.

Wir kam das Album zustande?

McCarthy: Alex Kapranos und ich schrieben die Songs. Einer hatte eine Idee, ein paar Akkorde oder einen Chorus, und dann hockten wir zusammen und bastelten einen Song daraus. Die Lieder sind alle auf akustischen Instrumenten entstanden: Lagerfeuerlieder, Sing-Along-Songs!  Das Vorgänger-Album hatten wir dagegen im Studio fabriziert und die Lieder aus Grooves entwickelt. Wir haben damals viel improvisiert und dann am Mischpult die besten Teile zusammengeschnitten und zu Songs zusammengebaut. Es wurde unser experimentelles Album. Dieses Mal wollten wir es anders machen. Wir schrieben zuerst die Songs und machten uns dann mit der ganzen Band ans arrangieren. Sofort gerieten wir wieder ins alte Fahrwasser. Das wollten wir nicht. Da langweilt man sich nur selbst. Irgendwie mussten wir aus diesem Käfig ausbrechen.

Welcher Ausweg bot sich an?

Nick McCarthy: Wir haben mit verschiedenen Co-Produzenten gearbeitet, obwohl wir uns eigentlich dieses Mal selbst produzieren wollten. Einer der Partner waren Hot Chip. Wir stehen auf deren Musik, deshalb bot sich eine Zusammenarbeit an. Joe Goddard und Alexis Taylor kamen ins Studio und wir haben Ideen hin- und hergeworfen. Wir wollten neue Inspiration in unseren kreativen Prozeß einbringen, nicht immer nur im eigenen Saft schmoren.

Gab es einen konkreten Plan für die Produktion?

Nick McCarthy: Nicht wirklich. Wir wollten vor allem nicht die Fehler von früher wiederholen. Bei der Arbeit am letzten Album sind wir eineinhalb Jahre zusammen im gleichen Zimmer gehockt. Das war zu viel. Das wollten wir diesmal vermeiden.



Die Einflüsse auf dem neuen Album reichen weit. Selbst Anklänge an die sechziger Jahre sind auszumachen.

Nick McCarthy: Auf einem Stück setzen wir eine Sitar ein, eine Referenz an die späten Sechziger, was uns aber eher unterbewußt passiert ist - ein ironisches Augenzwinkern. Wir haben diesen Track, das Titelstück der Platte, im Studio von Mark Ralph in Westlondon aufgenommen, auf einem Mischpult, das vom legendären Studioingenieur und Proudzenten Conny Plank aus Deutschland stammt. Ein selbstleuchtender Sticker in Sternenform von Nina Hagen klebt da noch auf einem Kompressor – total verrückt! Mark Ralph rief einen Sitarspieler in der Nachbarschaft an, der gleich vorbeikam.

Der Titel des Albums “Right Thoughts, Right Words, Right Action” kann politisch gedeutet werden. Ist er so gemeint?

Nick McCarthy: Es ist eher eine Art Lebensmotto, das man aber nicht zu Ernst nehmen sollte. Es freut mich, dass der Text zu verschiedenen Interpretationen anregt. Auf dem Albumcover ist der Titel von drei roten Pfeilen unterlegt, die in eine Richtung weisen. Der weiße Pfeil unter dem Bandname zeigt in die entgegengesetzte Richtung. Es ist also alles nicht so eindeutig. Vermeintlich richtige Gedanken, Worte und Taten können sich leicht als falsch erweisen. Das “Richtige” gibt es doch gar nicht.




Thursday, 22 August 2013

FLASHBACKS: Plakat des AMERICAN FOLK & BLUES FESTIVALs

Plakat von Günther Kieser für das AMERICAN FOLK & BLUES FESTIVAL, 1969

Zum Gedenken an FRITZ RAU (1930 - 2013)

Die Tourneeagentur Lippmann & Rau hatte in den 60er Jahren mit den jährlichen AMERICAN FOLK & BLUES FESTIVALs erstmals schwarze Bluesmusiker nach Europa geholt, was einen massiven Einfluß auf Bands wie die ROLLING STONES hatte. Ein paar aufdringliche junge Bluesfans, namens Keith Richards, Brian Jones und Mick Jagger, waren von Fritz Rau beim Gastspiel des AMERICAN FOLK & BLUES FESTIVALs im nordenglischen Manchester aus dem Backstage-Bereich hinauskomplementiert worden. Günter Kieser war der Hausgrafiker von Lippmann & Rau, der sowohl die Plakate als auch die Schallplattenhüllen für L + R Records (Lippmann & Rau) entwarf, von denen manche mittlerweile schon beinahe legendär sind.


AUGEundOHR: Blinde Musiker, ca. 1870

Ein Ensemble blinder Musiker/innen, USA ca. 1870
Ziehharmonika, Bratsche, Cello und Geige



Friday, 16 August 2013

Manfred Miersch über KLANG DER REVOLTE im INFO-NETZ-MUSIK


Christoph Wagner: Der Klang der Revolte –


Die magischen Jahre des westdeutschen


 

Musik-Underground


 

von Manfred Miersch



Publiziert am  
Wagner, Christoph: Der Klang der Revolte – Die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Underground – Mainz: Schott, 2013. – 388 S.: 141 s/w-Abb.
ISBN 978-3-7957-0842-9 : € 24,95 (Pb.)
Der Autor erläutert zu Beginn, dass er sich im vorliegenden Buch darum bemühe, „die Underground-Musik als kulturelles Phänomen zu begreifen, in der sich der Zeitgeist, technischer Fortschritt, soziale Umbrüche und gesellschaftliche Trends spiegelten (…)“ (S. 11). Er widmet sich dabei vorrangig dem Zeitraum von 1967-73, jener „Schwellen-Situation“, die dem Autor im Rückblick „als magische Zeit erscheint“ (S. 19).
Mit dieser Einschätzung ist Wagner nicht allein, die Begeisterung für jene äußerst fruchtbare und hierzulande anfangs sträflich verkannte Musik, hat mittlerweile zu etlichen teils umfangreichen Publikationen geführt. Henning Dedekind hatte bereits 2008 über Krautrock – Underground, LSD und kosmische Kuriere berichtet, Gerhard Augustin schrieb in 2005 als selbsternannter „Pate des Krautrock“ zum Thema, im gleichen Jahr erzählte Pascal Bussy die Geschichte der Band KRAFTWERK und Florian Kreier schwadronierte in 2010 leider ziemlich fehlerhaft in einem Heftchen mit dem Titel Maschinengesang über die „Experimentelle Entwicklung des Krautrock“. Weitere Bücher dazu werden folgen …
Dedekinds Buch basierte hauptsächlich auf Gesprächen mit Zeitzeugen, dies ist auch bei Wagners Buch der Fall, er schöpft vorwiegend aus Interviews, die er seit ca. 1993 geführt hat. Kenntnisreich und sprachlich flott und gelungen verknüpft der Autor die aus den Interviews abgeleiteten Informationsstränge, in denen auch Leser/innen, die bereits mit dem Thema (und den oben genannten Büchern) vertraut sind, noch Neues entdecken.
Der Klang der Revolte sollte nicht mit Detlef Siegfrieds 2008 erschienenem Sound der Revolte verwechselt werden, einem Buch, das sich zwar ebenfalls der Jugend- und Gegenkultur widmet, dies aber hauptsächlich unter dem Vorzeichen von „1968“ (siehe dazu auch Beate Kutschkes Buch Musikkulturen in der Revolte). Wagner berührt die 68er-Umwälzungen nur, um das „kulturelle Phänomen“ der Underground-Musik logisch kontextuell zu verorten. Die Qualitäten seines lesenswerten Buches bestehen u.a. in der überwiegend gelungenen Strukturierung, anhand von 25 Kapiteln erzählt er die wechselvolle Geschichte der magischen Zeit und Klänge, beginnend mit den Anfängen einer Musik, die sich von anglo-amerikanischen Vorbildern, von deutschnationalem Vorkriegs-Ballast und von nachfolgendem Schlagerkitsch lösen wollte. Wagner schreibt u.a. über „Die Anfänge der elektronischen Musik in Berlin“, „Die westdeutsche Elektronik-Szene“, „Die Entdeckung des Studios“ (gute Idee!), über die Liedermacher- und Straßenmusikerszene, über den Trip in die Provinz und die Reise in die Weltmusik, sehr umfassend über Festivals, Open-Airs, sowie über Musikerkollektive und Kommunen.
Lediglich die abschließenden Kapitel mit Portraits von Paul und Limpe Fuchs, Xhol Caravan und CAN wirken etwas angehängt und bremsen den Fluss des Textes leicht, was dann nachfolgend mit den Reflexionen zum „Echoraum der Geschichte“ (schöner Titel!) und zur „Aktualität der magischen Jahre“, deren Bands, Klänge und Vinylprodukte auch im Ausland längst absoluten Kultstatus haben, positiv abgemildert wird.
Das Buch ist gut recherchiert, kleinere Ungenauigkeiten sind wohl eher auf Nachlässigkeiten der Interviewpartner zurückzuführen z.B. war das Berliner Zodiac (damals meist „Zodiak“ geschrieben) nicht nur ein einräumiger „schwarzer Kubus“ (S. 81), sondern es war, wie Dokumentarfotos und Dietmar Buchmanns Film von 1969 zeigen, insgesamt ein großer weißer, ein kleiner dunkler und ein großer schwarzer Raum. Aber dies ist im Gesamtzusammenhang der fast 400 Seiten nur ein Detail …
„Manche der Bands haben damals weit in die Zukunft geschaut“ schreibt Wagner auf Seite 36. Er selbst schaut mit seiner Publikation fachkundig und intelligent zurück und legt damit ein Buch vor, das spannend lesbar, üppig bebildert und für die Freunde des Genres schlicht unverzichtbar ist.
Manfred Miersch
Berlin, 02.08.2013
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KLANG DER REVOLTE: Besprechung im SÜDKURIER


Kultur 

Krautrock in Deutschland: Rückblick auf fünf aufregende Jahre

13.08.2013


In seinem Buch „Der Klang der Revolte“ zeichnet Christoph Wagner die Geschichte der westdeutschen Musik-Underground-Szene nach.

Kaum zu glauben, aber es ist so: In einer extrem kurzen Zeitspanne – präziser: in den Jahren 1970 bis 1973 – wurde die innovativste und aufregendste Rockmusik in Deutschland produziert. Bands wie Amon Düül 2, Tangerine Dream, Kraftwerk, Can und viele andere mehr erweiterten das traditionelle Rock-Schema durch Elemente der Klassik, der elektronischen und der Weltmusik und schufen einen neuen, bizarren Klangkosmos, der schnell die Bewunderung britischer und französischer Musikjournalisten und Fans errang – in (West-)Deutschland selbst allerdings deutlich hinter der Popularität arrivierter britischer und amerikanischer Rock-Combos zurückblieb.

In seinem Buch „Der Klang der Revolte – Die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Underground“ rekonstruiert der Journalist Christoph Wagner diese „goldene“ Ära, analysiert aber auch, wie sehr Rockmusik allgemein die verknöcherte bundesdeutsche Gesellschaft der 1960er-Jahre aufmischte – mit den ersten Festivals, den ersten großen Tourneen, den ersten Schallplattenlabels, die sich auf derartige Musik konzentrierten.

Es begann alles mit den „Essener Songtagen“ im September 1968. „Wie eine Atombombe“, schreibt Wagner, traf die Invasion von 40 000 jungen Leuten, die gekommen waren, um internationale Rock-Stars wie Frank Zappa, Julie Driscoll und Alexis Korner, aber eben auch nationale Bands wie Amon Düül, Tangerine Dream und Guru Guru zu sehen und zu hören, die spießige Ruhrgebietsstadt.

Ein Jahr später veröffentlichten – die in zwei Fraktionen gespaltenen – Amon Düül, Birth Control und Can ihre ersten Alben, 1970 dann Guru Guru, Kraftwerk, Popol Vuh und Tangerine Dream. Welchen Einfluss diese Musik und der Lebensstil der Musiker, die sie machten, auf die breite Masse der erlebnishungrigen bundesdeutschen Jugendlichen hatten, beschreibt Wagner sehr anschaulich – und auch, dass damals praktisch alles miteinander zusammenhing: die Rezeption dieser rebellischen Musik mit einem freieren Lebensstil, der lange Haare, den Genuss von Alkohol (oft auch von Drogen) und ein relaxteres Sexualverhalten einschloss, und die Infragestellung von überkommmen Autoritäten mit einer allgemeinen Kritik an den gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen in Richtung Total-Konsumismus. Als ab 1974 Tangerine Dream, Faust und Kraftwerk die britischen und amerikanischen Charts stürmten, zerfaserte die Bewegung auch schon wieder – kommerzieller Mega-Erfolg und utopische Hippie-Mentalität fanden einfach nicht zusammen.

Ein ganzes Buchkapitel widmet Christoph Wagner einem wahren „Clash of the Civilisations“: dem ungemein chaotisch verlaufenden Rockfestival in Konstanz im Sommer 1970. Schmuddelwetter, ein völlig überforderter Veranstalter und eine extrem feindselige Öffentlichkeit in der Konzilstadt sorgten dafür, dass die „Greatest Show at Bodensee“ ein gigantischer Flop wurde – lediglich 7000 Fans kamen. Ein Großteil der angekündigten Bands trat überhaupt nicht auf, und das Areal Klein-Venedig, auf dem das Spektakel stattfand, versank im Schlamm. Und drei Wochen nach dem Festival erschoss ein angetrunkener Hilfsarbeiter einen 17-jährigen „Gammler“ am Blätzle-Platz in der Konstanzer Innenstadt . . . 15 Jahre sollte es dauern, bis es wieder jemand wagte, ein Rockmusik-Festival in dieser Stadt zu organisieren.

In weiten Teilen ist „Der Klang der Revolte“ wohl auch eine Aufarbeitung des Kontextes von Christoph Wagners eigener Biografie: 1956 (in Balingen) geboren, ist er ja nicht nur Chronist, sondern für vieles, über das er berichtet, auch eine Art Zeitzeuge. Und gerade das macht sein Buch so interessant und so spannend für all diejenigen, die diese aufregenden Jahre nurmehr vom Hörensagen kennen.

Thursday, 1 August 2013

FLASHBACKS: Fleetwood Mac / Konzertplakat 1970

Konzertplakat der Gruppe Fleetwood Mac, von Günther Kieser entworfen, dem Hausgrafiker des Tourneeveranstalters Lippmann & Rau, Januar 1970