WILLIE DUNN (1942-2013)
Der indianische Folksänger vom Stamm der Mi‘kmaq starb
mit 71 Jahren in Kanada. Seit 1975 veröffentlichte er Schallplatten auf dem Münchner Trikont-Label
Ein Nachruf von Claus Biegert
Hi, I am Willie, sagte er. Seine Stimme war weich, dunkel, melodisch,
anziehend. Er nahm gerade zwei Paar Socken und ein T-Shirt von der Leine. Kommt
rein, sagte er, drin sind noch mehr Freaks, und gegessen wird auch bald. Er
hatte lange schwarze Locken und trug ausgefranste Jeans, wie wir alle damals.
Wir kamen gerade aus Deutschland, und er war unser erster Indianer. Wir folgten
ihm ins Haus, das gleichzeitig Jugendherberge, Gemeindezentrum,
Zeitungsredaktion und Großküche zu sein schien. Wenn man neu ist im
Indianerland, dann muss man sich erst zu Recht finden in einer solch
ungewohnten Ballung der Funktionen. Das Haus wurde Nation House genannt und
stand auf dem Land der Mohawk, im Staat New York ganz oben an der Grenze zu
Kanada. Das Reservat hieß offiziell St. Regis, doch diesen Namen benutzte
niemand. Die Mohawk nennen diesen Teil ihres Landes am St. Lorenz-Strom bis
heute Akwesasne (Wo das Rebhuhn balzt); die Zeitung die hier seit Ende der
sechziger Jahre gemacht wurde, hieß Akwesasne Notes, und jetzt im heißen
Indianersommer 1973, liefen, wie man damals in den vordigitalen Zeiten zu
sagten pflegte, die Drähte heiß. Das American Indian Movement hatte in South
Dakota den legendären Ort Wounded Knee besetzt und war von Februar bis Mai vom
US-Militär umzingelt gewesen; es hatte zwei Tote auf indianischer Seite
gegeben. Und nichts war seitdem mehr wie ehedem: Quer über den Kontinent wuchs
der Widerstand gegen die Bevormundung durch die Regierungen, und die Akwesasne
Notes sorgten als einzige panindianische Publikation für Gegeninformation und
für die Verbreitung eines indigenen Gedankenguts, das sich vehement dem
American Way of Life entgegen stemmte. Ich war mit Carl-Ludwig Reichert, dem
bayrischen Mundart-Musiker und Radiojournalisten, in Nordamerika unterwegs, um
O-Töne des indianischen Widerstands zu sammeln.
Und dann saßen wir Willie Dunn gegenüber, der gerade seinen Rucksack
packte. Er wollte in den Wald, sagte er, fasten und beten und nachdenken und
allein sein mit den Bäumen. See you next week! Damit war unser erster O-Ton
verschwunden, bevor wir noch das Mikrophon zur Hand hatten. Niemand erwartete
ihn in der nächsten Woche zurück. Er werde wieder auftauchen, wenn die Zeit
dafür reif ist, sagte eine Frau. Willie Dunn war sein vollständiger Name. Er sei
sehr berühmt, erzählten die Menschen am Tisch, und eine wichtige Stimme für die
Ureinwohner Kanadas. So wichtig wie Buffy Sainte-Marie. Buffy war eine Cree aus
dem Westen, Willie war ein Mi‘kmaq aus dem Osten. Kanada hatte in den
Siebzigern nur diese zwei indianische Musiker, deren Musik man kaufen konnte
und deren Lieder es in die Radiosender schafften. Eine LP wurde uns gebracht –
die Akwesasne Notes fungierten auch als Versandhaus für Schallplatten und
Bücher -, das farbige Cover zierte die ornamentale Darstellung eines Adlers,
der Titel: Willie Dunn. Ein Plattenspieler wurde geholt. Was für eine Stimme!
Sie lag – musikalisch wie geografisch – zwischen Gordon Lightfoot (Orillia,
Ontario) und Leonard Cohen (Montreal, Quebec). Die Mohawks hatten ihm bereits
einen neuen Namen gegeben: Roha’tiio: His voice is beautiful.
Selbst wenn er in Schooldays die Foltern der Boarding Schools
anklagte, war seine Stimme beautiful.
Willie Dunn wurde am 14. August 1941 in Montreal geboren und wuchs mit
einem Bruder und sechs Schwestern in einfachen Verhältnissen auf. Der Vater war
Schotte, seine Mutter vom Stamm der Mi‘kmaq. Der weiße Vater machte, so will es
das kanadische Gesetz, die Kinder automatisch zu sogenannten „Non-Status
Indians“, ohne Anspruch auf Land oder soziale Dienste der Regierung. Der Indian
Act von 1876 bestimmt, wer Indianer ist und wer nicht. Wer falsch heiratet,
verliert seinen Indian Status. Eine indianische Frau, die einen Angehörigen
ihres Stammes heiratet, dessen Vater ein Metis (Halbblut) ist – somit kein
Status Indian! – verliert ihre Stammeszugehörigkeit, ihre Kinder werden nicht
mehr im Stammesregister geführt.
Mit 14 bekam Willie eine Gitarre in die Hand und legte sie kaum mehr
beiseite. Sein Idol war Hank Williams. Nach dem College jobbte er in einem
Supermarkt, dann ging er zur Armee und kam 1960 als Mitglied der
UN-Friedenstruppen in den Kongo. Eine Gitarre ließ sich immer auftreiben, doch
er sang auch ohne. In den Sechziger Jahren durchquerte er als Folksänger Kanada
und den Osten der USA. Einmal spielte er hinter den Kulissen des Newport Folk
Festival mit Mississippi John Hurt.
Willie stammte aus einer sozialistischen Arbeiterfamilie. Immer wieder
suchte er nach Brücken zwischen Sozialismus und indianischen Werten und
Gesellschaftsstrukturen. Er studierte Mao Tse-Tung, „the great Chinese chief“,
erkannte dessen Schwächen und kehrte immer wieder zu den Haudenosaunee – der
Liga der sechs Nationen der Irokesen – zurück und ihrer Verfassung, dem
Great Law of Peace. In vielen seiner Lieder schimmerte das Große Gesetz des
Friedens durch. Er machte den indianischen Widerstand oft zum Inhalt seiner
Songs und zögerte nie, dem Widerstand seine singende Solidarität zu erweisen.
Dennoch betonte er immer wieder: I am an artist first, and an Indian second. Er
wollte nicht als indianischer Künstler angeheuert werden, sondern als Künstler,
dessen Kunst geschätzt wurde, ungeachtet seiner ethnischen Herkunft.
Er war nicht nur ein Singer/Songwriter. Anfang der siebziger Jahre
produzierte er zwei Filme, die heute zu den Klassikern des Native American
Cinema zählen. Der erste – The Ballad of Crowfoot – war
Kanadas erstes Musikvideo und brachte ihm Ruhm auf internationalen Festivals,
darunter den Gold Hugo auf dem 1969 Chicago International Film Festival. Der
zweite – The Other Side of the Ledger – sorgte zusätzlich für
Probleme: Als böses Geburtstagsgeschenk zum 300jährigen Bestehen der Hudson‘s
Bay Company, jener britischen Handelsgesellschaft, die 1670 sämtliche Flüsse,
die in die Hudson Bay fließen, zu ihrem Eigentum erklärte. Der Konzern
beschwerte sich, und Willies Mitarbeit beim National Film Board of Canada war
damit beendet, neue Projekte wurden ihm nicht mehr finanziert.
Anfang der achtziger Jahre entstand in einer transatlantischen
Koproduktion mit dem Label Trikont-Unsere Stimme in München
das Album „The Pacific“. Damals waren Überseetelefonate noch teuer, und das
digitale Verschicken von Tönen über ein unsichtbares Netz noch fern. In diesem
Album gab er beiden Kulturen seiner Eltern Raum und stellte indianische Inhalte
neben Herman Melville, William Shakespeare und T. S. Eliot; in späteren Jahren
kamen Samuel Johnson und W. C. Bryant hinzu. Er trat in Clubs auf, es folgten
Tourneen durch Deutschland, doch er konnte seine Familie davon nicht ernähren
und arbeitet nebenher als Hausmeister. Das ertrug er mit Gleichmut. Aus der
indianischen Welt kam immer wieder Fanpost und die Zeitung „Ottawa Citizen“
urteilte in den achtziger Jahren, „seine Musik geht über die Wut hinaus und
lässt den Wunsch zur Veränderung entstehen.“ Das bekannte indianische Duo Kashtin aus
Quebec nahm Willies Song 'Son of the Sun' (so auch der Titel
seines letzten Trikont-Albums) in ihr Erfolgsalbum 'Innu' auf; im Beiheft sind
diese Dankeszeilen zu lesen: Thank you, Willie, the Micmac India, You’ve
reminded us of who we are.
Bis zuletzt galt: War irgendwo ein Konflikt im Indianerland, musste man
Willie Dunn nicht lange bitten. Waren Transport und Unterkunft gesichert, war
er da und gab dem Widerstand ein musikalisches Rückgrat. 2000 begleitete er
zusammen mit dem irischen Sänger Liam O’Moanlai in Berlin die Preisverleihung
des Nuclear-Free Future Award. Das neue Jahrtausend bescherte ihm den
Titel First Nations Abassador for Canada; 2005 wurde er in den
Aboriginal Walk of Honour in Edmonton aufgenommen. Die Idle no more!-Bewegung,
die seit letztem Jahr die First Nations wie schon lange nicht mehr
zusammenschweißt, ließ auch sein Herz höher schlagen. Bis zum Morgen des 5.
August, als er im Beisein seiner Frau Liz Moore diese Welt verließ. Wir rufen ihm
nach: Walk in beauty, Willie!
Der Nachruf wurde von der website www.trikont.de übernommen. Dort kam man auch Songs von Willie Dunn hören. Sein letztes Album 'Son of the Sun' ist weiterhin erhältlich.
No comments:
Post a Comment