Wednesday, 4 September 2013

OBJETS TROUVÉS: Erstklassiger Modernjazz aus der Schweiz


Ergebnisoffen

Auf ihrem neuen Album kultiviert das Schweizer Jazzensemble Objets Trouvés die Logik des gelenkten Zufalls - das Quartett ist eine Art Allstar-Band der äußerst lebendigen Schweizer Szene



 cw. Es beginnt verhalten. Ein paar Klangtupfer werden gesetzt, einzelne Töne in den Raum gestellt. Behutsam tasten sich die vier Instrumentalisten in die Musik hinein. Dieter Ulrich tätschelt mit den Besen die Felle seines Schlagzeugs, läßt die Becken sachte aufklingen. Jan Schlegels Baßgitarre brummt elektronisch-verzerrt. Am Piano setzt Gabriela Friedli dunkle Akzente, und Co Streiff reißt mit heißerer Saxofonstimme kurze Melodien an. Die Töne verdichten sich und schwellen zu einem ersten Crescendo an. Vom freien Pulsieren geht es in ein swingendes Metrum über. Eine Melodie schält sich heraus, während die Musik gewinnt mehr und mehr an Fahrt gewinnt.

Konzeptionell hat sich die Gruppe Objets Trouvés zwischen den Polen Komposition und freier Improvisation positioniert. Das kreative Kollektivspiel  steht im Mittelpunkt. Die Stücke, auch manchmal nur Fragmente davon, dienen als externe Stimuli, mit denen zum gegebenen Zeitpunkt lenkend in das musikalische Geschehen eingegriffen werden kann. Intuitives Fabulieren geht in ausnotierte Passagen über, die sich wieder ins Abstrakte auflösen. Waghalsige Soli über treibenden Grooves oder federndem Swing münden in punktgenauen Arrangements mit vertrakten Motiven, bevor der Instinkt wieder die Führung übernimmt. Das disziplinierte Agieren zwischen Freiheit und Ordnung bestimmt die Musik. “Eine Kernqualität der Band”, sagt Gabriela Friedli, die Pianistin des Ensembles.

Objets Trouvés sind paritätisch besetzt: zwei Frauen und zwei Männer bilden das Quartett - alles ausgeprägte Individualisten, die zu den profiliertesten Musiker und Musikerinnen der Schweizer Szene gehören. Gabriela Friedli, von der alle Kompositionen stammen, ist eine Pianospielerin der Extraklasse, deren Spiel raffinierte Wendungen kennt und sich von zarten träumerischen Elegien zu mächtigem Donnergrollen steigern kann. Saxofonistin Co Streiff spielt mit Ausdruckskraft, Wärme und Feuer. In ihren melodienstarken Soli geht eine Note mit fast logischer Konsequenz aus der anderen hervor. Schlagzeuger Dieter Ulrich bewegt sich elegant und wendig durch die unterschiedlichsten Klangräume. Er kann eine freie Passage genau so originell gestalten, wie er mit Drive swingen oder einen kompakten Beat trommeln kann. Und Jan Schlegel sorgt nicht nur mit eloquentem Spiel auf der sechssaitigen Baßgitarre für ein sicheres Fundament, sondern bringt durch die Elektronik eine ganz andere Klangwelt ins sonst rein akustische Geschehen ein. Egal ob er Klammern oder Federn zwischen die Saiten klemmt oder mit dem Fuß diverse Verzerrer am Boden aktiviert, immer taucht die Elektronik die Musik in andere Farben und läßt sie vor elektrischer Energie knistern.

Seit 1999 gibt es die Formation, die über die Jahre ihr Konzept mehr und mehr verfeinert hat. “Meine Traumkonstellation”, nennt Gabriela Friedli die Besetzung. Die “Chemie” zwischen den MusikerInnen stimmte von Anfang an. Im kollektiven Prozeß kristallisierte sich mit der Zeit ein Stil heraus, der Friedlis Kompositionen als Start- und Landebahnen fürs kreative Interagieren nutzt.

Vorabsprachen werden keine getroffen. Eine “Set List” gibt es nicht. Ob überhaupt eine oder mehrere Kompositionen eingebracht werden und welche, bleibt der Spontanität des Augenblicks überlassen. Man vertraut auf die Dynamik des Zufalls. Die penibel einstudierten Stücke bilden einen Fundus, auf den man intuitiv zurückgreifen kann - aber nicht muß! Dafür ist eine große Wachheit erforderlich, sowie die genauste Kenntnis des kompletten “Songbooks” der Band.

Und dann kann es losgehen. Ein Wechselspiel zwischen spontan Erfundenem und vorab geprobten Teilen entfalten sich, das jedesmal einen anderen Verlauf nimmt, wobei die Stimmungspalette von lyrisch-melancholisch bis aufbrausend-eruptiv reicht. Im verschachtelten Beziehungsgeflecht der vier Instrumentalisten löst jeder frische Impuls eine Kettenreaktion aus, die die gesamte Konstellation immer wieder durcheinander wirbelt. “Es ist nie gleich,” erklärt Friedli. “Im Extremfall wird nur der Geist eines Stücks beschworen, das konkrete Thema gar nicht angespielt.”

Das Risiko, das diesem offen-spontanen Musizieren innwohnt, wird bewußt gesucht. Es ist die Garantie dafür, dass sich keine Routinen einschleichen. Die Stücke gehen organisch - jedoch auf immer andere Weise - aus den Improvisationen hervor (und umgekehrt), was einem Konzertauftritt ein hohes Maß an Konsistenz verleiht, wobei die Soli im Idealfall die Stimmung des jeweiligen Stücks nicht nur wiederspiegeln, sondern ihren Geist weiterspinnen, intensivieren und erhellen.

Die Gruppe arbeitet langsam und probt viel. An jeder einzelnen Nummer wird intensiv und lange gefeilt, bis sie ins Unterbewußtsein abgesunken ist, wo sie auf den kleinsten Impuls hin wieder reaktiviert werden kann. Ein paar Töne genügen, und schon tauchen die Kompositionen quasi als ‘Fundsachen’ plötzlich und ganz unvermutet im Konzertverlauf wieder auf - in neuer Gestalt und anderem Kontext. Der Zufall folgt seiner eigenen Logik. 

Bei dem Text handelt es sich um die Liner-Notes zum Album 'Fresh Juice' von  Objets Trouvés, das auf dem Zürcher Label INTAKT erschienen ist 

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