Ergebnisoffen
Auf ihrem neuen Album kultiviert das Schweizer Jazzensemble Objets Trouvés die Logik des
gelenkten Zufalls - das Quartett ist eine Art Allstar-Band der äußerst lebendigen Schweizer Szene
cw. Es beginnt verhalten. Ein paar Klangtupfer werden gesetzt, einzelne Töne
in den Raum gestellt. Behutsam tasten sich die vier Instrumentalisten in die
Musik hinein. Dieter Ulrich tätschelt mit den Besen die Felle seines
Schlagzeugs, läßt die Becken sachte aufklingen. Jan Schlegels Baßgitarre brummt
elektronisch-verzerrt. Am Piano setzt Gabriela Friedli dunkle Akzente, und Co
Streiff reißt mit heißerer Saxofonstimme kurze Melodien an. Die Töne verdichten
sich und schwellen zu einem ersten Crescendo an. Vom freien Pulsieren geht es
in ein swingendes Metrum über. Eine Melodie schält sich heraus, während die
Musik gewinnt mehr und mehr an Fahrt gewinnt.
Konzeptionell hat sich die Gruppe Objets Trouvés zwischen den Polen
Komposition und freier Improvisation positioniert. Das kreative
Kollektivspiel steht im Mittelpunkt. Die
Stücke, auch manchmal nur Fragmente davon, dienen als externe Stimuli, mit
denen zum gegebenen Zeitpunkt lenkend in das musikalische Geschehen
eingegriffen werden kann. Intuitives Fabulieren geht in ausnotierte Passagen
über, die sich wieder ins Abstrakte auflösen. Waghalsige Soli über treibenden
Grooves oder federndem Swing münden in punktgenauen Arrangements mit vertrakten
Motiven, bevor der Instinkt wieder die Führung übernimmt. Das disziplinierte
Agieren zwischen Freiheit und Ordnung bestimmt die Musik. “Eine Kernqualität
der Band”, sagt Gabriela Friedli, die Pianistin des Ensembles.
Objets Trouvés sind paritätisch besetzt: zwei Frauen und zwei Männer
bilden das Quartett - alles ausgeprägte Individualisten, die zu den
profiliertesten Musiker und Musikerinnen der Schweizer Szene gehören. Gabriela
Friedli, von der alle Kompositionen stammen, ist eine Pianospielerin der
Extraklasse, deren Spiel raffinierte Wendungen kennt und sich von zarten
träumerischen Elegien zu mächtigem Donnergrollen steigern kann. Saxofonistin Co
Streiff spielt mit Ausdruckskraft, Wärme und Feuer. In ihren melodienstarken
Soli geht eine Note mit fast logischer Konsequenz aus der anderen hervor.
Schlagzeuger Dieter Ulrich bewegt sich elegant und wendig durch die
unterschiedlichsten Klangräume. Er kann eine freie Passage genau so originell
gestalten, wie er mit Drive swingen oder einen kompakten Beat trommeln kann.
Und Jan Schlegel sorgt nicht nur mit eloquentem Spiel auf der sechssaitigen
Baßgitarre für ein sicheres Fundament, sondern bringt durch die Elektronik eine
ganz andere Klangwelt ins sonst rein akustische Geschehen ein. Egal ob er
Klammern oder Federn zwischen die Saiten klemmt oder mit dem Fuß diverse
Verzerrer am Boden aktiviert, immer taucht die Elektronik die Musik in andere
Farben und läßt sie vor elektrischer Energie knistern.
Seit 1999 gibt es die Formation, die über die Jahre ihr Konzept mehr und
mehr verfeinert hat. “Meine Traumkonstellation”, nennt Gabriela Friedli die
Besetzung. Die “Chemie” zwischen den MusikerInnen stimmte von Anfang an. Im
kollektiven Prozeß kristallisierte sich mit der Zeit ein Stil heraus, der
Friedlis Kompositionen als Start- und Landebahnen fürs kreative Interagieren
nutzt.
Vorabsprachen werden keine getroffen. Eine “Set List” gibt es nicht. Ob
überhaupt eine oder mehrere Kompositionen eingebracht werden und welche, bleibt
der Spontanität des Augenblicks überlassen. Man vertraut auf die Dynamik des
Zufalls. Die penibel einstudierten Stücke bilden einen Fundus, auf den man
intuitiv zurückgreifen kann - aber nicht muß! Dafür ist eine große Wachheit
erforderlich, sowie die genauste Kenntnis des kompletten “Songbooks” der Band.
Und dann kann es losgehen. Ein Wechselspiel zwischen spontan Erfundenem
und vorab geprobten Teilen entfalten sich, das jedesmal einen anderen Verlauf
nimmt, wobei die Stimmungspalette von lyrisch-melancholisch bis
aufbrausend-eruptiv reicht. Im verschachtelten Beziehungsgeflecht der vier
Instrumentalisten löst jeder frische Impuls eine Kettenreaktion aus, die die
gesamte Konstellation immer wieder durcheinander wirbelt. “Es ist nie gleich,”
erklärt Friedli. “Im Extremfall wird nur der Geist eines Stücks beschworen, das
konkrete Thema gar nicht angespielt.”
Das Risiko, das diesem offen-spontanen Musizieren innwohnt, wird bewußt
gesucht. Es ist die Garantie dafür, dass sich keine Routinen einschleichen. Die
Stücke gehen organisch - jedoch auf immer andere Weise - aus den
Improvisationen hervor (und umgekehrt), was einem Konzertauftritt ein hohes Maß
an Konsistenz verleiht, wobei die Soli im Idealfall die Stimmung des jeweiligen
Stücks nicht nur wiederspiegeln, sondern ihren Geist weiterspinnen,
intensivieren und erhellen.
Die Gruppe arbeitet langsam und probt viel. An jeder einzelnen Nummer
wird intensiv und lange gefeilt, bis sie ins Unterbewußtsein abgesunken ist, wo
sie auf den kleinsten Impuls hin wieder reaktiviert werden kann. Ein paar Töne
genügen, und schon tauchen die Kompositionen quasi als ‘Fundsachen’ plötzlich
und ganz unvermutet im Konzertverlauf wieder auf - in neuer Gestalt und anderem
Kontext. Der Zufall folgt seiner eigenen Logik.
Bei dem Text handelt es sich um die Liner-Notes zum Album 'Fresh Juice' von Objets Trouvés, das auf dem Zürcher Label INTAKT erschienen ist
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