Werbeanzeige aus dem Melody Maker, 28. Oktober 1972
Die Münchner Formation EMBRYO war eine der ersten deutschen Bands, die nach England zu Konzerten eingeladen wurde. Unten befindet sich eine Anzeige des Little Theatre Clubs, der als Wiege der englischen Freejazzer gilt: Auf dem Programm 'Talisker' die Gruppe des Drummers Ken Hyder, sowie Gare / Prevost, das Duo des Saxofonisten Lou Gare und des Schlagzeugers Eddie Prevost, das aus dem Split der Avantgarde-Gruppe AMM entstanden war. 'Solid Gold Cadillac' war die Gruppe des Jazzpianisten Mike Westbrook. Die Gruppe Quintessence war eine amerikanische Raga-Rockband, die in England in einer Kommune zusammenlebte. Vielleicht weiß jemand, wer sich hinter der Gruppe 'Lemonspeil' verbirgt?
Wednesday, 21 May 2014
Tuesday, 20 May 2014
25 Jahre Jazzclub Singen - 500 Mal hochkarätiger Jazz
Publikumsmagnet
Mit seinem 500. Konzert feiert der Jazzclub Singen 25jähriges Jubiläum
cw. Nicht nur in den Großstädten findet Kultur statt, auch die Provinz hat
einiges zu bieten. Auf einer Landkarte der Jazzzentren in Deutschland würde nicht
nur Berlin, München oder Köln auftauchen, sondern auch Moers, Neuburg/Donau sowie
Singen am Hohentwiel, wo eine der rühigsten Jazzvereinigungen der
Bundesrepublik aktiv ist. Dieses Jahr feiert der Jazzclub Singen seinen 25. Geburtstag
mit seinem 500. Konzert. Am Freitag, den 23. Mai tritt in der Singener Stadthalle
die südkoreanische Ausnahme-Sängerin Youn Sun Nah mit dem schwedischen
Gitarristen Ulf Wakenius auf, der einst mit Oscar Peterson spielte. Karten für
dieses exquisite Konzert sind noch im Vorverkauf erhältlich.
500 Konzerte in 25 Jahren - das
bedeutet ganz konkret: 500 Mal Plakate kleben, Vorverkauf organisieren,
Presseartikel schreiben, Rundmail verschicken, Musiker vom Bahnhof abholen, Verstärkeranlage
beschaffen, den Konzertsaal bestuhlen und dann dafür sorgen, dass das Konzert
reibungslos und zur Zufriedenheit der Künstler und des Publikum über die Bühne
geht. Dazu kommt noch einiges mehr: Gagen aushandeln, Verträge aufsetzen, Anfragen
von Musikern und Agenturen beantworten, jede Woche einen kleinen Stapel von CDs
durchhören, bei Konzerten und Festivals neue Gruppe kennenlernen und sich nicht
zuletzt mit Behörden wegen der Ausländersteuer herumärgern. Eine kolossale
Arbeit und das alles ehrenamtlich! Der Mann, der dieses enorme Pensum in seiner
Freizeit absolviert, heisst Rudolf Kolmstetter. Mit seinem Kompagnon Klaus
Mühlherr ist er die treibende Kraft hinter dem Singener Jazzwunder. Mit einem
kleinen Team von freiwilligen Helfern haben es die beiden geschafft, dass
Singen unter Jazzfans in ganz Südwestdeutschland und dem schweizer Grenzgebiet mittlerweile
als Magnet gilt. Der unermüdliche Einsatz wurde letztes Jahr vom
Kulturstaatsministerium in Berlin mit dem mit 5000 Euro dotierten
Spielstättenprogrammpreis ausgezeichnet.
Der Artikel erschien zuerst im SCHWARZWÄLDER BOTE, große Tageszeitung in Südwestdeutschland
Saturday, 17 May 2014
AUGEundOHR im Musikmagazin ARPEGGIO
Arpeggio, das Kunden-Magazin von Schott, kann als Gratis-App heruntergeladen werden für iOS im App Store und für Android bei Google Play, auch als Desktop-App für PC und Mac: www.arpeggio-magazin.de
'Auge und Ohr - Ear and Eye' ist direkt bei Schott erhältlich sowie im Buchhandel und bei Amazon
Friday, 16 May 2014
SUN RA zum 100sten, MARSHALL ALLEN zum 90sten
Wir waren Gestrandete
Hörtest mit Marshall Allen, Altsaxofonist und Leiter des Sun Ra Arkestras
cw. Seit dem Tod von John Gilmore im Jahr 1995, der nach dem Ableben von Sun Ra 1993 die Leitung des Arkestras übernommen hatte, führt Marshall Allen die Band, der er seit 55 Jahren angehört. Unter der Ägide des Altsaxofonisten, der auch Flöte und das elektronische EVI-Blasinstrument spielt, sind die Verhaltensregeln lockerer geworden. Im Backstage-Raum wird Bier getrunken, was zu Sun Ras Zeiten undenkbar gewesen wäre. “Wir müssen die verschiedensten Musikerpersönlichkeiten unter einen Hut bringen, junge wie alte, und das geht nur, indem man unterschiedliche Haltungen toleriert,” begründet Allen sein liberales Regime. “Und außerdem: Es geht ja vor allem darum, den günstigsten Rahmen zu schaffen, um die Talente und Fähigkeiten der Musiker optimal zur Geltung zu bringen.” Im Konzert sind dem Verteranen seine Jahren noch weniger anzumerken. Mit berstender Wucht, aber auch großer Leichtigkeit, spielt er sein Altsaxofon, tänzelt zum Rhythmus der Musik auf der Bühne herum und dirigiert die messerscharfen Einsätze der Bläsersektion in punktgenauer Manier.
Sylvester Weaver & Walter Beasley: Bottleneck Blues
Aufgenommen: 1927
Von der LP: Bottleneck Blues - Guitar Classics 1926 - 1937
Yazoo Records
Marshall Allen (summt mit): Ich weiss nicht, wer das ist.
Christoph Wagner: Das hätte mich auch verwundert. Es ist eine frühe Aufnahme von einem Bluesmusiker namens Sylvester Weaver, der aus ihren Geburtstadt Louisville, Kentucky stammt. Die Einspielung wurde 1927 gemacht, also drei Jahre nach ihrer Geburt. Mit welcher Art von Musik kamen sie in ihrer Kindheit in Berührung?
Marshall Allen: Das war genau solche Bluesmusik, aber auch Jazz von Fletcher Henderson und Louis Armstrong. Wir hörten diese Musik vor allem im Radio, aber auch manchmal “live”. Im Radio spielten Lionel Hampton und Benny Goodman. Das waren damals populäre Gruppen. Um das Rundfunkgerät versammelte sich die ganze Familie. Man hörte Nachrichten, Comedy-Sendungen oder Boxkampfübertragungen. Auf Bluesmusiker traf man überall. Sie spielten in Tavernen und Kneipen. Oft waren es Pianisten, die Blues spielten. Allerdings war ich damals noch zu jung, um hineingelassen zu werden. Deshalb trieben wir uns vor den Kneipen herum und versuchte von außen etwas zu hören. Die Eingangstür oder die Hintertür waren die Orte, wo wir herumhingen und hofften, ein paar Takte aufzuschnappen.
Als ich ein Teenager war, kam Fletcher Henderson in unsere Stadt. Er trat in einem Gemeindezentrum bei einer Tanzveranstaltung unserer Schule auf - also ich ging hin. Er kam nicht mit seiner Bigband, sondern mit einer kleineren Gruppe. Die Band machte einen riesigen Eindruck auf mich. Es war die erste Jazzcombo, die ich “live” erlebte - wow! Ich kann mich selbst nach 70 Jahren noch genau daran erinnern.
James Moody: Bunny Boo
Aufgenommen 1961 in San Francisco
Von der CD: James Moody: At the Jazz Workshop
Chess / Universal
Marshall Allen: Hmmm? Tenorsaxofon? Schwierig!
Christoph Wagner: Das ist James Moody!
Marshall Allen: Oh, das ist Moody! Kann ich noch mehr hören? (Er tappt den Beat mit dem Fuß mit, schnippst mit den Fingern und klatscht in die Hände) Das ist ein Altsaxofon, das er hier spielt. Ich spielte mit James Moody sehr früh in meiner Laufbahn und machte eine Schallplattenaufnahme mit ihm. Ich war damals bei der Armee, stationiert in Paris, so um 1948. Ich spielte mit einer kleinen Band von Kollegen der Militärkapelle auf einem Jazzfestival in München, wo auch James Moody auf dem Programm stand, der alleine kam, und wir ihn deshalb begleiteten. Das klappte so gut, dass wir danach in der Schweiz eine Einspielung machten.
Christoph Wagner: Welche Rolle spielte die Armee für ihre musikalische Entwicklung?
Marshall Allen: Oh, eine sehr wichtige. Erst in der Militärkapelle begann ich mein Instrument ernsthaft zu erlernen. Ich meldete mich freiwillig. Es war ein Orchester von 28 Musikern. Ich konnte damals schon etwas Saxofon spielen. In der Schule hatte ich damit begonnen. Doch wollte ich auch Klarinette lernen, weil es damals viele tolle Klarinettenspieler gab etwa in der Band von Duke Ellington - aber in der Schule hatten sie nur noch eine Oboe. Also spielte ich Oboe. Das war harte Arbeit. Man braucht starke Lippen, muss viel üben. Das war nicht mein Fall. Erst bei der Armee bekam ich dann eine Klarinette und lernte darauf zu spielen.
Sun Ra - Brainville
aufgenommen: 1957
Von der CD: Sun RA - Sun Song
Delmark Records
Christoph Wagner: Was war der Grund für das Gemeinschaftsleben?
Marshall Allen: Wir waren damals eine kleine Combo. Wir kamen aus Montreal und wollten Zwischenstation in New York machen, als ein Taxi unseren Wagen rammte und so beschädigte, dass wir nicht weiter konnten. Wir war Gestrandete. Es dauerte ungefähr ein Jahr bis das Geld von der Versicherung kam. In dieser Zeit saßen wir in New York fest. Also blieben wir dort! Es war am billigsten in einem Haus zusammen zu wohnen. Damals war viel los in New York. Es waren die frühen sechziger Jahre, eine tolle Zeit!
The Fabulous Paul Bley Quintet: Klactoveesedstene (komponiert von Charlie Parker)
Aufgenommen: 1958 in Los Angeles, mit Ornette Coleman, Altsaxofon und Don Cherry, Trompete
Von der LP: The Fabulous Paul Bley Quintet (America)
Marshall Allen: Das ist ein Stück von Charlie Parker. Als wir noch in Chicago lebten, kam Parker einmal in die Stadt und traf sich mit Sun Ra zu einem Gespräch.
Christoph Wagner: Auf dieser Aufnahme spielt Ornette Coleman das Altsaxofon.
Marshall Allen: Sicher, aber er spielt im Bebop-Stil. Ornette war einer der vielen Musiker, die in New York aktiv waren, als wir uns dort niederließen.
Christoph Wagner: Coleman spielte hier im Quintett von Paul Bley, mit dem sie 1965 ebenfalls Aufnahmen machten. Wie kam es dazu?
Marshall Allen: Paul Bley war Teil der New Yorker Szene und hatte eine Band. Es gab damals auf der Lower East Side ein breites Spektrum von Musik: Jazzgruppen, kubanische Combos, Latinbands. Es kochte. Man konnte als Musiker überall Arbeit finden. Ich spielte zeitweise mit Perez “Prez” Prado, dem “King of the Mambo”, und anderen Latingruppen. Auch von Highlife-Gruppen wurde ich engagiert. Und dann rief mich eines Tages Paul Bley an und fragte, ob ich bei den Aufnahmen mitmachen wollte. Klar machte ich mit, obwohl ich gleichzeitig in der Band von Sun Ra war. Das kam sich nicht in die Quere. Ich musste ja Geld verdienen und spielte mit jedem, der mich bezahlte. Trotzdem blieb ich Mitglied in der Sun Ra Gruppe, in der ich jetzt schon 50 Jahre spiele. Erst seit Sun Ra gestorben ist, nehme ich wieder mehr Engagements außerhalb des Arkestras an.
Christoph Wagner: Wie war das Leben als Mitglied des Arkestras?
Marshall Allen: Wir probten sieben Tage die Woche und das für Stunden. Sun Ra schrieb fortwährend Musik, brachte täglich neue Stücke mit, an denen wir uns versuchten. Jeden Tag kam er mit frischen Kompositionen an. Er schrieb Musik, wie andere Leute Briefe schreiben. Es war ein Full-Time-Job, alle diese Titel zu lernen. Da hatte man kaum Zeit für anderes. Das machten wir über Jahre so. Es war unsere tägliche Arbeit.
Christoph Wagner: In New York veränderte sich die Musik des Arkestras, wurde avantgardistischer?
Marshall Allen: Die meisten Avantgarde-Elemente kamen in den 60er Jahren in die Musik. Trotzdem wollten wir nicht die älteren Stilformen über Bord werfen. Sun Ra hatte mit Fletcher Henderson gespielt und liebte den alten Bigband-Stil. Er schrieb uns die Stücke auf den Leib. Er sagte: “Dieser Song ist für dich!” Deshalb gab man sein Bestes.
Ich fühle mich gesegnet, dass ich ihm begegnet bin und er mich unter seine Fittiche genommen hat. Er hatte eine starke Vision, wo er hin wollte und das brachte die Musik voran. Für mich war er ein Genie und wem ist es schon vergönnt, vierzig Jahre in der Gegenwart eines solchen Meisters zu verbringen.
Christoph Wagner: Gab es auch Probleme in der Band?
Marshall Allen: Natürlich, das ist wie in meiner Familie, mit meinen Kids. Da gibt es auch manchmal Krach. Es geht rauf und runter. Für mich war es ungeheuer wichtig, ihn getroffen zu haben. Das gab meinem Leben eine Richtung. Was wäre sonst aus mir geworden?
Christoph Wagner: Wir sah es finanziell aus? Brachten die Auftritte genügend ein?
Marshall Allen: Nie und nimmer! Wir hatten Nebenjobs, die Geld einbrachten. Ich arbeitete als Maler. Auch brachten die Gigs mit anderen Gruppen etwas Geld ein. Wir verdienten nie richtig viel. Trotzdem blieben wir zusammen. Es kam genügend herein, um zu essen und die Miete zu bezahlen. Es reichte, um über die Runden zu kommen.
Albert Ayler Trio: Ghosts
Von der CD: Albert Ayler Trio: Spiritual Unity
aufgenommen: 1964 in New York City
ESP-Disk
Marshall Allen: Das klingt wie albert Ayler. Er war damals in New York auf der Szene.
Christoph Wagner: Diese Platte “Spiritual Unity” ist auf dem Label ESP
erschienen, auf dem auch Sun Ra Schallplatten veröffentlichte.
Marshall Allen: Ja, wir machten ein paar Platten für andere Labels, aber Geld haben wir damit nicht verdient.
Christoph Wagner: War das der Grund euer eigenes Label Saturn zu gründen?
Marshall Allen: Sun Ra legte Wert darauf, unabhängig zu sein. Deshalb gründete er Saturn. Sein Prinzip war: Als Musiker muss man sich nicht nur um die Musik kümmern, sondern auch um das Geschäft. Musiker können ihre eigenen Schallplatten herausgeben. Es brachte ebenso wenig Geld ein, aber immerhin behielt man die Kontrolle. Das Arkestra war eine umfassende Organisation. Sun Ra komponierte die Stücke, wir spielten sie, nahmen sie auf, pressten unsere eigenen Platten, gestalteten die Cover und verkauften sie bei Konzerten. So lief das!
Christoph Wagner: In den 70er Jahren verließ die Band New York....
Marshall allen: Wir zogen nach Philadelphia, wo wir bis heute wohnen.
Christoph Wagner: Wie funktioniert die Band heute ohne Sun Ra? Wird immer noch jeden Tag geprobt?
Marshall Allen: Nein, das läuft nicht mehr so strikt. Wir proben vielleicht noch zwei, drei Mal in der Woche, um in Form zu bleiben. Ich habe neues Material geschrieben, und wir spielen auch Stücke aus dem Kompositionsbuch von Sun Ra, die wir neu interpretieren und neu arrangieren.
Marshall Allen: Ja, wir haben einen jungen Gitarristen, eine Posaunisten und einen neuen Schlagzeuger. Unser Pianospieler Farid Barron wechselte von Wynton Marsalis zu uns. Das sind die einzigen in der Band, die nie mit Sun Ra gespielt haben. Alle anderen stammen aus der alten Sun Ra Manschaft.
Christoph Wagner: Werden die Jüngeren eines Tages die Band übernehmen?
Marshall Allen: Das nimmt seinen natürlichen Verlauf. Man macht es solange, bis man es an die Jüngeren weitergibt, die es hoffentlich weiterführen. Sun Ra übergab die Leitung an John Gilmore, dann übernahm ich die Führung. So wird es weitergehen. Wir unterrichten die Jungen, bringen ihnen die Musik bei, damit sie eines Tages mit der Band weitermachen
können.
können.
Neuerscheinung:
MARSHALL ALLEN & KASH KIILLION - TWO STARS IN THE UNIVERSE
(limited (250 copies) vinyl lp silkscreened cover / Little Rocket Records)
Mehr Infos über die Email: dj@crownpropeller.ch
Wednesday, 14 May 2014
Musik und Bier: frühes Saitenensemble aus den USA
Trinkfreudiges Picknick mit Oldtime-Stringband mit Gitarre, zwei Mandolinen und Banjo / Cambridge, Ohio, ca. 1910
COCO SCHUMANN - Happy Birthday!
Der Ghetto-Swinger
Der Berliner Jazzgitarrist und
KZ-Überlebende Coco Schumann wird 90
cw. Bis vor ein paar Jahren trat er noch
regelmäßig öffentlich in Berliner in Jazzclubs und Cocktail-Bars auf. Mit
seinem Trio und seiner halbakustischen Gitarre spielte Coco Schumann
geschmeidigen Swing und gedämpfte Jazzstandards. Seine Finger huschten nur so
über die Saiten. Jetzt im hohen Alter machen die Gelenke nicht mehr mit, doch
der 90jährige trägt es mit Galgenhumor. Auf die Frage, ob es schlimm sei so alt zu werden, meint er trocken:
„Schlimmer ist es, wenn man es nicht wird.“
Sein Humor hat ihn nie
verlassen, selbst in den düstersten Zeiten nicht. Und davon hat Schumann einge durchlebt.
Als Heinz Jakob Schumann am 14. Mai 1924 in Berlin geboren, wurde der Teenager unter
der Nazi-Diktatur wegen seiner jüdischen Abstammung – sein Vater war
katholisch, seine Mutter jüdisch –nach Ausschwitz deportiert, wo er den ganzen
Horror der Vernichtungsmaschinerie tagtäglich hautnahm erfuhr und nur durch
Glück überlebte. Musik spielte dabei eine entscheidende Rolle. Schumann musizierte
in der Lagerkapelle, die die Lagerinsaßen auf dem Weg in die Gaskammern
begleiten musste.
Das heraufziehende Unheil hatte
Schumann lange ignoriert. Irgendwie hoffte er, dass der “Nazi-Spuk” bald vorbei
sein würde. Anfangs war er sich seiner jüdischen Herkunft gar nicht bewußt.
Erst als ein Lehrer dem 11jährigen kundtat: “Du
gehörst nicht zu uns, die Hitlerjugend ist nur für Deutsche,“ begann es ihm
langsam zu dämmern. Er flüchtete sich in Musik, Jazz wurde seine
Leidenschaft. “Die vielen unsinnigen Verbote nahm ich gar nicht
ernst. Die täglichen Schikanen ignorierte ich. Selbst als die Judenverfolgung
begann, verdrängte ich, was ich sah.”
Schumann
stand bald jeden Abend auf der Bühne und spielte eine Musik, die eigentlich verboten
war. “Wenn eine Razzia war, stellten wir schnell auf Volkslieder um, wenn
Bombenalarm war, spielten wir im Luftschutzkeller weiter,” erinnert er sich. “Kneipen
am Kurfürstendamm wie die ‘Hasenschaukel’ waren meine Verstecke. Dort
interessierte es niemanden, dass ich ‘Halbjude’ war.” Im März 1943 wird
Schumann verpfiffen und verhaftet, weil er den gelben Judenstern nicht trug. Jetzt
beginnt ein sein Leidensweg ins Grauen menschlicher Existenz, täglich den Tod vor
Augen.
Nach dem
Krieg und all den Greuel wandert Schumann mit seiner Frau nach Australien aus.
Doch das Heimweh ist stärker. In den fünfziger Jahren kehrt er nach Berlin
zurück. Er spielt in einer Jazzcombo mit Helmut Zacharias, nimmt Engagements
auf Kreuzfahrtschiffen an und diverse Schallplatten auf. Schumann tritt mit
Heinz Erhardt im Film “Witwer mit fünf
Töchtern” als Rock ‘n’ Roll-Gitarrist auf, spielt
in der Begleitband von Roberto Blanco und schlägt sich mehr recht als schlecht
als Entertainer durch. Langsam gerät er in Vergessenheit. 1989 erhält er das
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
1997
stößt das Münchner Trikont-Label auf den Pensionär, was den Startschuß zu einer
zweiten Karriere bedeutet. Im Keller seines kleinen Reihenhauses werden alte Platten gesichtet und durchgehört,
darunter viele Schellacks sowie verstaubte Tonbänder aus Clubs und von Auftritten
auf Kreuzfahrtschiffen - Coco Schumanns persönliches Archiv. Vieles davon ist unveröffentlicht.
Trikont-Schallplatten bringt nach und nach die Aufnahmen im CD-Format heraus.
„Coco Double“ erscheint 1997, „Coco Now!“ 1999 und „Rex Casino“ 2008. Sein Leben wird filmisch dokumentiert, ein Theaterstück
mit dem Titel “Der Ghetto-Swinger” entsteht. So heißt auch seine Autobiographie,
die bei DTV erschienen ist. Und jetzt kommt zu seinem neunzigsten Geburtstag das Buch “I
got rhythm. Das Leben der Jazzlegende Coco Schumann” auf den Markt, neben
einer limiterten Sonderausgabe seiner
Musik auf Vinyl - genau rechtzeitig zur offiziellen Geburtstagsparty am 14. Mai
im Rathaus Schöneberg, zu der sich möglicherweise sogar der Bundespräsident
einfinden wird.
Der Artikel erschien zuerst im Schwarwälder Bote, große Tageszeitung in Südwestdeutschland.
Wednesday, 7 May 2014
Interview mit FRANZ HOHLER
Mann der feinen Töne
Seit fast 50 Jahren befindet sich Franz
Hohler auf poetischer Mission – jetzt erhält der Schweizer Liedermacher,
Kabarettist und Schriftsteller den Literaturpreis des Landes Baden-Württemberg
cw. Er singt Balladen zum Cello, tritt
mit Kabarettprogrammen auf, schreibt Kurzgeschichten, Kinderbücher und Romane –
und das seit fast einem halben Jahrhundert. Franz Hohler (geboren 1943) erhält
am 10. Mai den mit 10000 Euro dotierten Johann-Peter-Hebel-Preis, den das Land
Baden-Württemberg alle zwei Jahre vergibt. Die Preisverleihung findet in Hausen
im Wiesental im Rahmen des ‘Hebelfests’ statt. Christoph Wagner hat Hohler in
Zürich-Oerlikon besucht und ihm in seinem Studierzimmer zwischen Holzofen, Bücherregalen
und Manuskript-Stapeln ein paar Fragen gestellt.
Mit der Liedermacherei fing es in
Deutschland um 1963 an. Die Waldeck-Festivals fanden dann ab 1964 statt.
Hörte man davon auch in der Schweiz?
Franz Hohler: Ich glaube schon,
wobei ich sagen muß, dass ich mit meiner Auftrittstätigkeit erst 1965 begonnen
habe und hatte vorher nicht so ein scharfes Auge auf deratige Anlässe. Aber ich
weiß, als ich 1969 gefragt wurde, ob ich mitmachen wollte, ich schon wusste,
worum es ging. Ich hatte davon gehört
von den Leuten, die ich kannte aus der Szene. Das waren etwa die Leute aus dem
‘Unterhaus’ in Mainz, C.F. Krüger und Reinhard Hippen. Mit Liedermachern wie
Hannes Wader war ich damals schon befreundet und er hat mir davon erzählt, wie
auch Hans-Dieter Hüsch. Und Wader war auch 1969 dabei, als ich zum ersten Mal
eingladen wurde. Die Waldeck schien mir ein
interessanter Ort zu sein.
Als sie 1965 anfingen, gab es da
schon eine Liedermacher-Szene?
Franz Hohler: Ich selbst bin mit
einem literarisch-musikalischen Soloprogramm aufgetreten und habe noch nicht so
viel gesungen in diesem ersten Programm. Ich sah mich eher als Kabarettist.
Aber von meinem zweiten Programm an, habe ich zunehmend Chansons gesungen, die
ich auch mit dem Cello begleitet habe, aber ich habe nie reine Chansonabende
gemacht. Damals gab es in der Schweiz eine sehr lebendig Dialect-Chanson-Szene.
Das waren vor allem die Berner, die sich ‘Berner Troubadours’ nannten. Das war
eine lockere Vereinigung mit Mani Matter, der beaknnteste war, aber auch Sänger
wie Fritz Widmer, Jacob Stickelberger oder Bernhard Stirnemann. Aber natürlich:
Wer im Dialekt singt, bleibt im Lande und nährt sich redlich und wird jenseits
der Grenzen nicht verstanden.
Sie haben Wert darauf gelegt, auch
in Deutschland verstanden zu werden?
Franz Hohler: Ja, mein erstes
Programm war praktisch nur hochdeutsch. Aber ich nie richtig darüber
nachgedacht. Die Programme fielen mir einfach auf Deutsch ein, nicht im
dialect. Ich habe später begonnen, etliches im Dialekt zu machen. Also ich habe
heute, wenn ich zurückblicke, ein ganz schönes Dialektrepertoire. Aber damals,
diese frühen Lieder, die ich gemacht habe, diese ‘Cello-Balladen’, die waren
alle auf deutsch. Deshalb war ich auch für die Waldeck-festival ein potentieller
Kandidat.
Wie hat das Waldeck-Festival auf sie
gewirkt?
Franz Hohler: Rückblickend weiß
man: Das war das letzte der Waldeck-Festivals. Das wusste man damals aber nicht
und so habe ich das nicht erlebt als etwas, das in Auflösung begriffen war. Ich
empfand es eher als das Gegenteil: ein Aufbruch, und zwar auch ein politischer
Aufbruch! Da war viel Programm dahinter, aber auch viel Ideologie. Man hatte
das Gefühl, man sollte schon etwas sagen, das links von der Mitte ist, wobei
diese politischen Kategorien – sobald es um Kunst geht – ziemlich fragwürdig
sind. Ich weiß, dass ich schon ein bisschen nervös war wegen meines Auftritts,
weil ich hab nicht wirklich politische Lieder gemacht, sondern skurrile Lieder,
wie “Vom Mann, der durch die Wüste ging”, “Die Ballade vom Computer PX” oder
“Wenn die Totengräber streiken”. Das waren ja nicht die ausgesprochen
politischen Renner. Deshalb war ich mir nicht sicher, ob ich auf der Waldeck
nicht fehl am Platz wäre. Aber es lief alles gut. Ich wurde wahrgenommen als skurrile
Randfigur einen Szene, der irgendwie aus einem außereuropäischen Land kam, wie
es ja heute noch der Fall ist.
Es kam ja auf der Waldeck 1967 zu
Auseinandersetzungen innerhalb der Liedermacherszene. Es wurden Auftritte
sogenannter ‘Privatlieder’-Sänger gestört, die sich nicht direkt als politisch
verstanden. War das der Grund für ihre
Nervosität?
Franz Hohler: Davon hatte ich
gehört, aber gleichzeitig wurde ich eingeladen. Also dachte ich:
‘Wahrscheindlich wird mir da ein Platz zu geordnet.’ Wie ich mich erinnere, war
das Klima sehr stark politisch aufgeheizt. Es war ganz klar - das war Programm:
Wir müssen die Gesellschaft verändern! Lieber die Gesellschaft verändern, als
uns selbst. Es gab etliche radikal-politische Darbietungen. Da war ein
Aktiontheater aus Wien, das etwas über die Hungerkatastrophe in Biafra gemacht
haben und dabei ständig gegessen haben, immer gegessen und nur mit vollem Mund
über Biafra gesprochen. Ein Afrikaner im Publikum fand das so unerträglich,
dass er geweint hat, obwohl es natürlich als Fabel gedacht war: “Wir empören
uns über Biafra und fressen uns voll dabei.” Oder Rolf Schwendter, der zu
seiner Kindertrommel diese briachalen Lieder gesungen hat. Er hat großen
Erfolg, was mir nicht einleuchtete.
Gab es auch Leute, die sie
beeindruckt haben?
Franz Hohler: Natürlich, aber alle
eigentlich schon bevor ich auf die Waldeck kam. Hanns Dieter Hüsch war eine
meiner Leitplanken. Schon als Schüler hat der mich sehr beeindruckt. Ich bin
sogar einmal nach Basel gereist, um ihn zu sehen. Diese Leichtigkeit, wie er
sich an Themen des Lebens herangemacht hat. Hüsch wurde auf der Waldeck auch
ein Opfer von Bühnenbesetzungen. Es gab aus einer bestimmten Ecke eine
Erwartungen an die Kabarettisten und Liedermacher, Agitprop-Programme zu
machen. Man erwartete eine ganz klare Stellungnahme und war nicht wirklich
interessiert an der künstlerischen Form. Hüsch war ein Mann der feinen Töne und
kam da schon unter die Räder. Wenn man sich die ganze Liederszene anschaute,
war es doch eine recht bunte gesellschaft, die sich da zusammenfand.
Wie haben sie das wahrgenommen?
Franz Hohler: Das war durch den
Nationalsozialismus vergiftet. Jedes Lied, das von Whrmachtssoldaten gesungen
worden war, konnte man nicht mehr singen. Mir hat diese besondere Situation
dieser Generation in Deutschland schon eingeleuchtet. Das war für mich durchaus
logisch, dass das aufgearbeitet warden musste in den Kreisen der Liedermacher,
der Theatermenschen und Kabarettisten. Was sich auf der anderen Seite nie
ertragen habe, war der ideologische Anspruch: Es gibt nur das und sonst
interessiert uns nichts! Etwa die ‘private’ Kunst, ein Liebeslied – was soll
das? Das schien mir dann doch auf eine Art wieder typisch deutsch, wobei man
auch sagen muss: Die Schweiz hatte auch ihre unbewältigte Vergangenheit. Das
war das Zurückweisen der jüdischen Flüchtlinge oder die nachrichtenlosen
Vermögen von jüdischen Menschen, die ihr Geld in die Schweiz gerettet hatten.
Oder die Frage wie die Schweiz durch den Krieg gekommen ist, unter anderem mit
einem florierenden Handel mit Waffen, der nicht nur die Alliierten, sondern
auch die deutsche Wehrmacht beliefert hat. Oder die Kredite Schweizer Banken an
die Nationalsozialisten und zwar bis zuletzt. Diese dumpfe Schweigen darüber
war auch in der Schweiz spürbar, deshalb hat Achtundesechzig auch in der
Schweiz stattgefunden. Ich war auch bei einer großen Studentendemonstration und
bin abgespritzt worden. Die 68er-Bewegung hat auch etwas aufgetan auch bei uns
hier in der Schweiz, den Anspruch auf eine Geradlinigkeit, eine Ehrlichkeit und
ein Stück Befreiung – es gab in der Schweiz damals noch nicht einmal das
Fraunstimmrecht - obwohl das für mich in meiner Arbeit nicht die Hauptthemen
waren. Deshalb war es für mich keine völlig fremde Welt, die ich beim Festival
auf der Burg Waldeck antraf.
In Deutschland war ja fast alles
durch den Nationalsozialismus kontaminiert – Volkslied, Liedersingen etc.- und
die Liederszene musste sich mühsam einen Raum schaffen. Wie war das in der
Schweiz?
Franz Hohler: Die Schweiz hat ja im
2. Weltkrieg auf die politische Situation in Europa reagiert mit einem Rückzug
auf sich selbst. Die Schweiz hat sich eingeigelt und auf die eigenen
konservativen Werte besonnen. Es gab bei uns deshalb einen großen konservativen
Liederschatz, Volklieder, patriotische Lieder, die die Heimat beschwörten und
verklärten. Es war geprägt von einer biederen Rückschau auf ein Geschichtsbild,
das so nie zugetroffen hat, sowie einer harmlosen Fröhlichkeit. Und dort kamen
die neuen Liedermacher wie der Mani Matter mit anderen Tönen und auch
sprachlich mit anderen Formen, auch Fremdwörter. Das waren urbane Töne, während
das Volklied davor in der Schweiz geprägt war von einer Agraridylle –
Heidiland!
Sie waren nicht wie die üblichen Liedermacher
mit einer Gitarre unterwegs, sondern mit einem Cello. Sie fielen auf der Rolle.
Wie wurde das aufgenommen?
Franz Hohler: Das war ein leichtes
Identifikationsmerkmal. Man kannte mich dann als ‘der Mann mit dem Cello’. Nach
meinem ersten Programm, wo ich zwei Nummern mit dem Cello begleitet habe, habe
ich gedacht: ‘Das ist eigentlich mein Instrument!’ Man kann es wie eine zweite
Stimme einsetzen. Die tieferen Cellolagen waren in einem ähnlichen Register wie
meine Baritonstimme. Man kann auch zupfen darauf oder die Saiten schlagen, dazu
den Korpus benützen, darauf trommeln. Es ist also sehr sehr reichhaltiges, sehr
schönes Begleitinstrument. Das wurde bemerkt, das da einer ist, der sich mit
dem Cello begleitet.
Da muss man jung sein, um die
Festivalqualen ertragen zu können?
Franz Hohler: Ja, da war das
Woodstock-artige, da haben viele in Zelten übernachtet oder in den Autos.
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