Ohne Swing macht’s keinen Sinn
Branford Marsalis im Retro-Modus
cw. Die Marsalis-Brüder haben den Jazz der
letzten Jahrzehnte deutlich mitgeprägt. Trompeter Wynton Marsalis versuchte
sein konservatives Weltbild der Szene aufzuzwingen, indem er die komplette
Jazzmoderne für illegitim erklärte. Im Unterschied dazu zeigte sich Saxofonist
Branford Marsalis eher offen für Neues und Innovatives: Branford entwickelte
den Jazz weiter, während Wynton ihn in seiner traditionellen Form einfror und
Denkmalpflege betrieb.
Beim “Open Air”-Konzert auf der Waldbühne
hinterm Tübinger Sudhaus präsentierte sich Branford Marsalis mit seinem
Quartett vor einer beachtlichen Kulisse, was seine anhaltende Popularität unterstrich.
Der amerikanische Saxofonist offerierte ein Programm, das gut ausbalanciert war
und viel Abwechslung bot. Stilistisch wurde der Bogen weit gespannt und von
Swing bis zur offenen Form alles einbezogen. Mitreißende Improvisationen
wechselten mit stimmungsvollen Balladen ab, die manchmal allerdings etwas zu
lang gerieten.
Marsalis begann auf dem Sopransaxofon und
spielte zwei Titel, die den Musikern seiner Band die Möglichkeit boten, gleich
zum Auftakt ihre Visitenkarte abzugeben: Dabei wartete Pianist Joey Calderazzo
mit perlenden Läufen auf, während Bassist Eric Revis für ein federndes
Fundament sorgte und Drummer Justin Faulkner mit unbändigem Swing der Musik
Feuer einhauchte.
Nach diesen Präludien wechselte der
Bandleader zum Tenorsaxofon und der Schlagzeuger griff zu den Besen. Mit dem
Klassiker “Cheek to Cheek” von Irvin Berlin aus dem Jahr 1935 wurde ein
Abstecher in die Jazzhistorie unternommen, wobei die häufigen Rhythmuswechsel
zur Dramatisierung des Solospiels beitrugen.
Mit Keith Jarretts Komposition “The Windup”
steuerte die Gruppe dem Höhepunkt zu. Das Stück, das Jarrett 1974 das erste Mal
mit Jan Garbarek eingespielt hatte, besitzt ein raffiniertes eingängiges Thema
mit fokloristischem Flair, dessen unbändiger Groove das Publikum in Begeisterung
versetzte. Marsalis lief nun zu Hochform auf, blies klare singbare Melodien und
fantasievolle Paraphrasen, die sich wohltuend von seiner rasanten Akrobatik auf
dem Sopransaxofon abhoben.
Zum Abschluß wurde Duke Ellington
gehuldigt. Mit dem Klassiker “It don’t mean a thing if it ain't got that swing”
(zu deutsch: Ohne Swing macht’s keinen Sinn) gab die Gruppe ein Glaubensbekenntnis für
diejenige Spielart des Jazz ab, für die ein swingender Rhythmus unverzichtbar
erscheint. Damit näherte sich Branford Marsalis der denkmalpflegerischen
Haltung seines Bruders Wynton an, was die Musik doch recht vorhersehbar macht.
Mehr Risikobereitschaft und Innovationsfreude hätte dem Konzert gut getan.
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