Tuesday, 20 October 2015

Studiokonzert: Oesterhelt & Irmler

Das Musikprojekt “Formen” von Carl Oesterhelt und Hans-Joachim Irmler im Studiokonzert

Premiere am 24.10.2015 im Faust-Studio Scheer, 20:00 Uhr


cw. Seit es das Klangbad-Festival in Scheer nicht mehr gibt, ist es in Sachen experimentelle Rockmusik in Oberschwaben etwas ruhig geworden. Jetzt meldet sich Klangbad-Initiator Hans-Joachim Irmler mit einem Konzert zurück, das im Faust-Studio in der ehemaligen Papierfabrik in Scheer über die Bühne gehen wird. Am Samstag, den 24. Oktober (Beginn: 20 Uhr) ist dort unter dem Stichwort “Formen” das neuste Werk des Münchner Komponisten Carl Oesterhelt zu hören.

Oesterhelt, Jahrgang 1968, ist ein Grenzgänger, der seine Musik zwischen avantgardistischer E-Musik, Minimalismus und Rock ansiedelt. Er hat in diversen alternativen Pop- und Jazzgruppen wie FSK und dem Tied & Tickled Trio gespielt, daneben immer wieder Musik für Hörspiele und Theaterproduktionen komponiert, bei denen er unter anderem häufig mit Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen zusammenarbeitete.

Nach Scheer kommt Oesterhelt jetzt mit einem vielköpfigen Ensemble, das aus einem vollen Streichensatz, Klarinette, Saxofon und Schlagzeug besteht. Dazu spielt der Komponist Piano und Synthesizer, während Hans-Joachim Irmler (Jahrgang 1950) wolkige Elektroniksounds auf seinem selbstgebastelten Keyboard beisteuert, das er schon in den siebziger Jahren mit der Krautrockgruppe Faust spielte.
Die Musik ist ein Fusionsprojekt, das Funken aus dem Gegensatzpaar von Komposition und Improvisation schlägt, also ausgeklügelte Klangarchitektur mit spontaner Interaktion konfrontiert. Die komponierten Teile für Streichquartett, Holzblasinstrumente und Perkussion sind bis ins kleinste Detail ausnotiert und bauen manchmal auf minimalistischen Melodienmustern auf, wobei Irmler als “wild card” ins Spiel kommt: Dem Faust-Keyboarder fällt die Aufgabe zu, mit intuitiven Einwürfen ein Zufallselement in die Musik einzubringen. Aus dem Zusammenprall von Rationalität und Emotionalität baut sich ein Spannungsbogen auf. “Wir hören zwei Generationen experimenteller Musiker aus unterschiedlichen musikalischen Welten,” kommentiert Carl Oesterhelt das Projekt. “Das führt zu überraschend kongruenten wie natürlich auch zu widersprüchlichen Momenten in dieser Musik, die aber hoffentlich bis zum Schluss ihren ‘dialoghaften Zauber’ behält.”

Kennengelernt haben sich Oesterhelt und Irmler vor fünf Jahren beim Klangbad-Festival, als Oesterhelt dort mit der bayerischen Post-Punk-Band FSK auftrat. Seither steht man in Kontakt, was im Sommer 2014 zu einer ersten Aufnahmensession führte. Damals wurden im Faust-Studio in Scheer die Basistracks aufgenommen. Man diskutierte und probierte aus, inwiefern Oesterhelts komponierte Musik mit Irmlers Stegreifspiel auf der Orgel zusammengehen würden. Das Experiment glückte. Im Verlauf von weiteren Studioterminen entstand allmählich ein Album mit dem Titel “Formen”, das jetzt auch als Vinylplatte rechtzeitig zum Konzerttermin erscheint und dort seine Premiere erleben wird. Man darf gespannt sein!
Eintritt: 14€

Monday, 12 October 2015

Hiss & Raab: Grenzritt am Rio Grande

Faustrecht der Prärie

Mexikanisch-amerikanische Impressionen von Stefan Hiss und Markus Raab


cw. Sie nennen es “einen musikalisch-philosophischen Grenzritt” zwischen Mexiko und den USA. Unlängst machten Stefan Hiss und Markus “Doc” Raab in der Balinger Stadthalle Station, banden ihre imaginären Pferde draußen an, packten das Akkordeon und einen Stapel literarischer Notizen aus und berichteten dann unter der Überschrift “Go West – Viva Mexico” in Texten und Liedern von ihren Abenteuern entlang des Rio Grande.

Mexiko erscheint aus europäischer Perspektive als ein Land zwischen antiken Maya-Tempeln und aktuellem Drogenkrieg, wobei Sombrero, Tequila und Mariachi als kulturelle Aushängeschildern dienen. In seinen Texten , die manchmal persönliche Erfahrungen verarbeiteten, manchmal politisch-kulturelle Reflexionen einflochten, ging es Markus Raab, im bürgerlichen Beruf Kulturbürgermeister in Esslingen, darum, unter die Oberfläche von Klischees und Vorurteilen zu gelangen. Dabei rief er eine ganze Phalanx von philosophischen und literarischen Kronzeugen auf: von Kafka und Ernst Jünger bis zu Nietzsche und Heidegger.

Akkordeonist Stefan Hiss lieferte dazu die musikalische Wegzehrung, sang Lieder, die die angesprochenen Themen ausmalten und konkretisierte. Dabei zauberte er ein paar Klassiker aus dem Repertoire seiner Gruppe Hiss hervor, intonierte aber auch Evergreens von Johnny Cash und aus der Texmex-Tradition, die er souverän in Spanisch anstimmte und mit wimmerndem Akkordeon-Tremolo dramatisierte. Das herzerweichende “Volver, volver” durfte dabei nicht fehlen.


Anfangs kratzten die beiden am Mythos der USA, indem sie die Expansion der europäischen Siedler unter dem Motto “Go West” nachzeichneten, der nicht nur die indianischen Ureinwohner zum Opfer fielen, sondern letztlich auch das Ideal der Freiheit. Danach überquerten Hiss und Raab den Rio Grande und gelangten ins Mexiko der Gegenwart. Hier konzentrierten sich die beiden Künstler, die familäre Verbindungen nach Mexiko haben und dort oft unterwegs waren, auf den brutalen Drogenkrieg, der das Land seit Jahren im Würgegriff hält. 80000 Menschen sind dem Wüten der Drogenkartelle bereits zum Opfer gefallen, deren Verbrechen die Gesellschaft inzwischen bis in die letzte Faser hinein vergiften. Angst und Schrecken sind alltägliche Realität. Der Auftritt war wahrlich keine Touristenwerbung, obwohl auch immer wieder der Mythos vom alten Mexiko aufleuchtete. Vielmehr gewannen poetisch-düstere Betrachtungen mehr und mehr die Oberhand. Es war der Abgesang auf eine  Welt, die zunehmend in Gewalt versinkt, wobei der Untertitel des Programms “Viva Mexico” am Ende wie ein verzweifelter Hilferuf klang.

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote.

Thursday, 8 October 2015

Musikalische Avantgarde um 1400

Klänge aus Kirche und Kneipe

Ein Festival präsentierte Musik aus der Zeit des Konstanzer Konzils

cw. Einmal in seiner langen Geschichte stand Konstanz im Brennpunkt Europas. Vier Jahre lang von 1414 bis 1418 tagte das Konstanzer Konzil. Dafür kamen alle kirchlichen und weltlichen Authoritäten und Würdenträger in die Bodenseestadt: Könige, Fürsten, Bischöfe und Kardinäle. Selbst die Päpste gaben sich ein Stelldichein. Denn das war das Problem: Die katholische Kirche hatte sich im 14. Jahrhundert gespalten und nun stritten sich zeitweise drei Päpste um den Titel, “Stellvertreter Gottes auf Erden” zu sein. Diesen Mißstand sollte das Konstanzer Konzil beheben.

Um den 600. Jahrestag gebührend zu feiern, findet in den Jubiläumsjahren alljährlich ein viertägiges Festival unter dem Titel “Musikalische Avantgarde um 1400” statt. Die Konzertreihe präsentiert Klänge, die während des Konstanzer Konzils in der Bodenseestadt erschallten – in Kirchen, Kneipen und auf der Straße. Der diesjährige zweite Durchgang dieser hochkarätigen Veranstaltungsreihe, für die der SWR2 und die Stadt Konstanz verantwortlich zeichnen, ging gerade an verschiedenen Orten der Konzilstadt über die Bühne.

Das Schisma der Kirche und die daraus resultierende Rivalität verschiedener Päpste tat dem europäischen Musikleben Ende des 14. Jahrhunderts keinen Abbruch, sondern belebte es sogar. In seinem Palast in Avignon versammelte der französische Papst Clemens VI. die besten Sänger der damaligen Zeit. Komponisten schrieben Werken, die von der Hofkapelle aufgeführt wurden und – selbstverständlich! - den Papst in den höchsten Tönen lobten. Musik avancierte zur Propagandawaffe.
 
Begleitet von einer kleinen mittelalterlichen Handorgel mit Blasebalg intonierten die vier Sänger des französischen Spezialistenensembles La Main Harmonique eine Huldigungsmesse an den Papst von Avignon, sowie Motetten von Philippe de Vitry und Guillaume Dufay. Weil die Hauptstimme im Tenor lag, kam es den beiden Falsettstimmen zu, mit reicher Ornamentik die Melodie auszuschmücken und damit den Worte “Es findet sich niemand, der ihm gleicht” noch mehr Gewicht zu verleihen. Mit makelloser Stimmführung gelang es der französischen Gruppe die rhythmisch oft komplexe Polyphonie eindrucksvoll in Szene zu setzen, wobei die gotische Architektur des Konstanzer Münsters dafür die passende Kulisse abgab.


Das Gegenstück zu diesen geistlichen Gesänge bot in einem anderen Konzert, das passenderweise im Konzilgebäude direkt am See stattfand, das deutsche Ensemble Capella de la Torre. Es ließ die Musik der mittelalterlichen Stadtpfeifer aufleben. Diesen Musikanten oblag es mit lautem Instrumentarium wie Pommern, Trompeten, Posaunen und Trommeln offizielle Umzüge und Anlässe zu umrahmen, und auch gelegentlich zum Tanz aufzuspielen. Angeführt von den Schalmeienklänge der Ensembleleiterin Katharina Bäuml offerierte die Formation ein Programm aus vielen Teilen Europas, was den zahlreichen Musikstilen entsprach, die während des Konzils in den Straßen und Tanzsälen ertönten. Im Troß der Würdenträger tummelten sich damals Spielleute aus ganz Europa in der Stadt. Vielleicht liegt es an unseren mittlerweile verfeinerten Hörgewohnheiten oder am Funktionswandel dieser Tanzweisen, dass die einstmalige Gebrauchsmusik heute als Konzertmusik doch etwas eintönig wirkt.

Die Festivalbesprechung erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Zeitung in Ba-Wü.