Cooljazz im
digitalen Zeitalter
Die Schweizer
Indie-Jazz-Formation Weird Beard bewegt sich gekonnt zwischen schwebenden
Saxofontönen und bunt schillernder Elektronik
cw.Epochale Stilumbrüche stehen heute im Jazz kaum mehr auf der Tagesordnung. Das radikal-innovative Potenzial der einstigen “Fire Music” scheint aufgebraucht. Die Revolution ist der Evolution gewichen. Heute ist es eher die kreative Kombination bekannter Elemente und Formen, aus der junge Musiker und Musikerinnen Funken schlagen, wobei in den digitalen Sounds noch zahllose ungenutzte Möglichkeiten schlummern. Neuerungen kommen auf leisen Sohlen daher und gehen subtil vonstatten. Behutsamer Umbau statt Totalumwälzung, heißt das Gebot der Stunde. “Everything Moves” hat die Schweizer Formation Weird Beard ihr zweites Album genannt, was keine schlechte Zustandsbeschreibung der aktuellen Situation ist.
Weird Beard
bewegen sich geschickt in dieser neuen Jazzgegenwart. Bandleader Florian Egli,
der alle Kompositionen schreibt und Altsaxofon spielt, wirft einen frischen
Blick auf vergangene Epochen, klopft sie nach brauchbaren Ideen ab, die dann
mit Bausteinen aus Indie-Rock, Minimal Music oder Elektronik vermischt werden.
“Eigentlich komme ich aus der klassischen Musik,” räumt Egli ein, was fast wie
eine Entschuldigung klingt. “Deshalb sind mir Form, Entwicklung, Harmonik und
Kontrapunkt als kompositorische Elemente wichtig. Wenn ich ein neues Stück entworfen
habe, bringe ich es in ausgedünnter Form in den Proberaum, wo es eine moderne
Gestalt erhält. Ich akzeptiere, dass eine Nummer am Ende anders klingt, als ich
mir das ursprünglich vorgestellt habe, nämlich viel besser, weil meine
Mitmusiker Experten auf ihren Instrumenten sind und Ideen einbringen, von denen
ich nicht einmal geträumt hätte. Man muss ihnen nur die nötige Freiheit geben
und schon brüten sie die fantastischsten Sounds und Grooves aus.”
Florian Egli
pflegt einen gedämpften Saxofonton, wie er im Cool Jazz der 1950er kultiviert
wurde und der immer auch das Atemgeräusch einbezog. Doch sind seine Einflüsse
breiter gestreut. “Ich habe vor zwei Jahren eine CD namens “Bird eingespielt in
Bebop-Manier – eine Hommage an Charlie Parker. Cannonball Adderley fand ich
schon immer cool, aber am stärksten in den Bann zogen mich die
Westcoast-Saxofonisten: Paul Desmond, Lee Konitz und vor allem Warne Marsh,” umreißt
Egli die Bandbreite an Vorbildern. “Doch bedeuten diese Einflüsse garnichts in
Bezug auf Weird Beard. Ausschlaggebend war, dass die Westcoast-Spielweise
optimal in unser Konzept passte. Nur deshalb spiele ich ‘cool’! Unser moderner
Sound samt Elektronik verlangt geradezu nach diesen schwebenden abgeklärten
Saxofontönen.”
Eglis gehauchte
Melodien sehen sich von Gitarrist Dave Gisler in Texturen aus schillernden
Akkorden gehüllt, die mit Halleffekten noch verfremdet werden. Martina Berthner
sorgt mit wuchtige Bassläufe für Dampf und steuert zusätzliche elektronische Sounds
bei – immer fein dosiert. “Die Gegenwart steht im Zeichen der Elektronik,
weshalb es keinen Sinn macht, auf diese Möglichkeiten zu verzichten,” erklärt
Bandleader Egli. “Wir haben viel experimentiert, bis wir am Ende zu dem Schluß
gekommen sind, die Elektronik dezent einzusetzen. Dave Gisler produziert diese
Collagen, speist Fremdeinspielung ein und erzeugt synthetische Sounds mit
Ringmodulatoren. Und Martina Berthner hat noch mehr von diesen Klänge in petto.
Letztlich geht es um Farben, um eine reichhaltigere Palette, nicht um
Effekthascherei. Ich habe zuerst auch mein Saxofon elektrifiziert und über
Effektgeräte gespielt, aber dann haben wir bemerkt, dass der gehauchte
Saxofonton eigentlich einen viel reizvolleren Kontrast zur bunt schillernden
Elektronik darstellt.”
Für die Grooves
ist Schlagzeuger Rico Baumann zuständig, den Egli schon kannte, bevor es Weird
Beard überhaupt gab. Als der Saxofonist dann 2007 die Gruppe aus der Taufe hob,
um an der Musikhochschule in Zürich sein Master-Abschlußkonzert zu bestreiten,
war klar, dass Baumann hinter den Trommeln sitzen würde. Die Rhythmen, die er
entwirft, klingen oft nach Indie-Rock, folgen aber keinen gängigen Schema.
“Creative Grooves” nennt Baumann seine Herangehensweise, die versucht, nicht
statisch immer wieder die gleichen Schlagmuster zu reproduzieren, sondern bei
jedem Stück jedes Mal wieder einen etwas anderen Rhythmus zu (er)finden.
Gelegentlich
erzeugen Weird Beard fast lyrische Stimmungen, schwelgen in romantischen
Klangträumereien. Doch nicht lange, und schon geht es wieder handfester zur
Sache. Dann greifen die Musiker abermals mächtig in die Saiten und treten in
ihre Soundpedale bis Splitterklänge und verzerrte Sounds das Feld bestimmen.
Ein kompakter Beat kombiniert mit einem treibender Baß sorgen mächtig für
Drive, über dem sich ein röhrendes Saxofon erhebt. Egli kann auch “Brötzmann”!
Von Cooljazz über Rockjazz zu Freejazz, von Pop über Ambient zu Indie – bei
Weird Beard ist alles in Bewegung: Everything moves!
Florian Egli
Weird Beard: Everything Moves (Intakt)
No comments:
Post a Comment