Einblicke ins
Klanglabor
Fünf Musiker präsentierten
im Tübinger Sudhaus aktuellen Jazz aus Afrika
Kyle Shepherd am Piano
cw. Um der
Unterdrückung durch das Apartheid-Regime zu entgehen, flohen etliche
Jazzmusiker und Jazzmusikerinnen aus Südafrika in den 1960er Jahren nach Europa
und in die USA. Dollar Brand, der sich später Abdullah Ibrahim nannte, Miriam
Makeba und Hugh Masakela waren nur die bekanntesten dieser Exilanten. Mit
Melodien und Harmonien aus der schwarzen südafrikanischen Volksmusik mischten diese
Musiker den Jazz auf.
Die fünf jungen
Jazzer, die am Wochenende unter dem Motto “Klangbilder aus dem heutigen Afrika”,
bei der alljährlichen SWR-Jazzsession im Tübinger Sudhaus zu hören waren,
hätten die Enkel dieser ersten südafrikanischen Exilmusiker sein können. Der
28jährige Pianist Kyle Shepherd, der aus Kapstadt stammt, hatte die Gruppe zusammengestellt
und eine Woche im SWR-Studio in Baden-Baden ein Programm einstudiert, das ein
breites Spektrum an zeitgenössischen Stilen umfasste.
Es begann im
Inneren des Flügels, wobei Shepherd Papier auf die Saiten legte, um einen
schnarrenden Ton zu erzielen, mit dem er offensichtlich den Klang des
südafrikanischen Daumenklaviers nachahmen
wollte. Gitarrist Lionel Loueke, der ursprünglich aus Benin stammt, aber heute
in den USA mit Wayne Shorter und Herbie Hancock musiziert, nahm den Impuls auf
und brachte ähnlich verzerrte Gitarrentöne in die Improvisation ein. Danach
wurde der stilistische Horizont weit aufgerissen: von Fusion-Jazzrock über swingenden
Modernjazz bis zu Weltmusik-Anklängen kam vieles zu Gehör, was manchmal doch recht
beliebig wirkte. Den Gravitationspunkt bildete der traditionelle Jazz aus
Südafrika, auf den sich die Gruppe immer wieder bezog. Dieser “Mirabi”-Stil stammt
aus den ehemaligen Townships stellt eine Mixtur aus südafrikanischer Folklore,
den Kirchenhymnen protestantischer Missionare und dem Hardbop-Jazz der 1950er
Jahre dar, was eine wunderbare Synthese ergibt: die singbaren Melodien und wohligen
Akkorden klingen für europäische Ohren sonderbar vertraut.
Im vollgefüllten
Tübinger Sudhaus konnte das Publikum von diesen folkloristischen Anlehnungen
nicht genug bekommen und erklatschte eine Zugabe nach der anderen. Den
Anspruch, ein Wegweiser in die Zukunft des Jazz zu sein, konnte die
SWR-Jazzsession damit allerdings nicht einlösen. Für ein solches Unterfangen
reicht in der gegenwärtigen Situation des zeitgenössischen Jazz, die weithin
von Stagnation und Redundanz gekennzeichnet ist, eine Woche im
Experimentierlabor einer Rundfunkanstalt wohl doch nicht aus.
Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote.
No comments:
Post a Comment