Monday, 5 December 2016

Südafrika bei SWR-Jazzsession

Einblicke ins Klanglabor

Fünf Musiker präsentierten im Tübinger Sudhaus aktuellen Jazz aus Afrika

Kyle Shepherd am Piano 

cw. Um der Unterdrückung durch das Apartheid-Regime zu entgehen, flohen etliche Jazzmusiker und Jazzmusikerinnen aus Südafrika in den 1960er Jahren nach Europa und in die USA. Dollar Brand, der sich später Abdullah Ibrahim nannte, Miriam Makeba und Hugh Masakela waren nur die bekanntesten dieser Exilanten. Mit Melodien und Harmonien aus der schwarzen südafrikanischen Volksmusik mischten diese Musiker den Jazz auf.

Die fünf jungen Jazzer, die am Wochenende unter dem Motto “Klangbilder aus dem heutigen Afrika”, bei der alljährlichen SWR-Jazzsession im Tübinger Sudhaus zu hören waren, hätten die Enkel dieser ersten südafrikanischen Exilmusiker sein können. Der 28jährige Pianist Kyle Shepherd, der aus Kapstadt stammt, hatte die Gruppe zusammengestellt und eine Woche im SWR-Studio in Baden-Baden ein Programm einstudiert, das ein breites Spektrum an zeitgenössischen Stilen umfasste.

Es begann im Inneren des Flügels, wobei Shepherd Papier auf die Saiten legte, um einen schnarrenden Ton zu erzielen, mit dem er offensichtlich den Klang des südafrikanischen Daumenklaviers  nachahmen wollte. Gitarrist Lionel Loueke, der ursprünglich aus Benin stammt, aber heute in den USA mit Wayne Shorter und Herbie Hancock musiziert, nahm den Impuls auf und brachte ähnlich verzerrte Gitarrentöne in die Improvisation ein. Danach wurde der stilistische Horizont weit aufgerissen: von Fusion-Jazzrock über swingenden Modernjazz bis zu Weltmusik-Anklängen kam vieles zu Gehör, was manchmal doch recht beliebig wirkte. Den Gravitationspunkt bildete der traditionelle Jazz aus Südafrika, auf den sich die Gruppe immer wieder bezog. Dieser “Mirabi”-Stil stammt aus den ehemaligen Townships stellt eine Mixtur aus südafrikanischer Folklore, den Kirchenhymnen protestantischer Missionare und dem Hardbop-Jazz der 1950er Jahre dar, was eine wunderbare Synthese ergibt: die singbaren Melodien und wohligen Akkorden klingen für europäische Ohren sonderbar vertraut. 


Im vollgefüllten Tübinger Sudhaus konnte das Publikum von diesen folkloristischen Anlehnungen nicht genug bekommen und erklatschte eine Zugabe nach der anderen. Den Anspruch, ein Wegweiser in die Zukunft des Jazz zu sein, konnte die SWR-Jazzsession damit allerdings nicht einlösen. Für ein solches Unterfangen reicht in der gegenwärtigen Situation des zeitgenössischen Jazz, die weithin von Stagnation und Redundanz gekennzeichnet ist, eine Woche im Experimentierlabor einer Rundfunkanstalt wohl doch nicht aus.

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote.

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