Stimmentgrenzung
Christian Zehnder
cw. Wer glaubt, dass das Jodeln eine rein
alpenländische Angelegenheit ist, muß sich eines besseren belehren lassen: Das “unartikulierte
Singen aus der Gurgel”, wie es einst beschrieben wurde, ist ein nahezu
weltweites Phänomen! Es reicht von traditionellen Gesängen aus dem
afrikanischen Regenwald über “American Yodeling” im Bluegrass-Stil bis zu
experimenteller Stimmakrobatik avantgardistischer Prägung. Eine neue CD mit dem
Titel “LAUTyodeln – fern, nah, weit”, die beim Münchner Trikont-Label
erschienen ist, spürt dem Jodeln in seiner universalen Vielfalt nach. Es sind die besten Aufnahmen eines Jodel-Festivals, das im Juni 2016 vom Kulturreferat der Stadt München, Abteilung: Volkskultur, veranstaltet worden ist.
Schon Ende des 18. Jahrhunderts griff das
Jodeln über die Alpen hinaus: Es wurde zum Exportschlager. Sängergruppen aus
Tirol brachen damals bereits zu Tournee auf, um überall in Europa Jodelkonzerte
zu geben. Die Auftritte der “Nationalsänger” waren so spektakulär, dass sie
bald von Adligen eingeladen wurden, um ihre “wilden unnachahmlichen Lieder” bei
Hofkonzerten darzubieten. Selbst vor Königin Victoria von England präsentierten
sie ihre Stimmkunst.
Tyrolese minstrels aka The Rainer family
Danach setzten die “tyrolese minstrels”
nach Amerika über. Mit ihren Liedern im “mountain style” hatten sie
überwältigenden Erfolg. Zuerst griffen amerikanische Sängergruppen den
Gesangstil auf, dann singende Komiker in sogenannten “Minstrel Shows”. Danach
hielt das Jodeln durch schwarze Entertainer in Variety-Shows Einzug. Anfang der
1920er Jahre wurde auch die frühe Countrymusik infiziert. Im Zuge der
Popularität von Jimmie Rodgers jodelte bald jede Hillbilly-Band. Rodgers “Blue
Yodels” waren so allgegenwärtig, dass eine Firma für ihre Schallplatten mit dem
Aufdruck warb: “Guaranteed – no yodelling!"
An diese Tradition knüpft heute die Berliner Gruppe Yellow Bird an. Die Sängerinnen Manon Kahle aus den USA und die Schweizerin Lucia Kodatsch, vormals bei der Gruppe Schneeweiss & Rosenrot, sorgen für gefühlsstarken Harmoniegesang mit kräftigem Stimmüberschlag.
An diese Tradition knüpft heute die Berliner Gruppe Yellow Bird an. Die Sängerinnen Manon Kahle aus den USA und die Schweizerin Lucia Kodatsch, vormals bei der Gruppe Schneeweiss & Rosenrot, sorgen für gefühlsstarken Harmoniegesang mit kräftigem Stimmüberschlag.
Infiziert durch den Jodel-Boom griffen
zwischen den Weltkriegen auch schwarze Bluessänger den populären Gesangstil auf
und bauten Jodelrefrains anstelle kurzer Gitarrenläufe in das zwölftaktige
Bluesschema ein. Das Münchner Blues-Duo Black Patti hat ein paar dieser
Bluesnummern im Repertoire.
Baka Beyond
Im afrikanischen Regenwald hat das Jodeln heute noch eine ähnliche Funktion wie einst in den Alpen - als Medium der Kommunikation über weite Entfernungen. Beim Volk der Baka in Kamerun wird es bei der Jagd eingesetzt. Mit den “Yelli” locken die Jäger die Tiere an. Gleichzeitig wird das Jodeln aber auch zu rituellen Zwecke benutzt, um mit den Vorfahren in Verbindung zu treten. Möglicherweise war das für die Filmemacher von “Tarzan” die Anregung, den Tarzanruf (engl. ”Tarzan Yell”) an Jodelrufen aus dem afrikanischen Regenwald auszurichten. Johnny Weißmüller machte den Schrei mit Stimmüberschlag ab 1932 in zahlreichen Filmen weltbekannt.
Heute wird der
Jodelgesang aus dem afrikanischen Regenwald von der englischen Gruppe Baka
Beyond bekannt gemacht. Die beiden Leiter der Band, Martin Cradick und Su Hart,
verbringen jedes Jahr ein paar Monate beim Volk der Baka in Kamerun. Die
kulturellen und musikalischen Erfahrungen, die sie dort gesammelt haben,
fließen in ihr Bandprojekt ein. Die “Yelli”-Gesänge werden mit keltischem
Folkrock und Afro-Beat zu einem aufregenden Weltmusik-Mix verbunden.
Monika Drasch
Kreative
Stimmkünstler haben sich längst der exaltierten Gesangstechnik angenommen, wobei Monika
Drasch (ex-Bairisch-Diatonischer Jodelwahnsinn) die “Ari” aus ihrer
niederbayerischen Heimat in moderne Klangwelten überführt. Solch ernsthafte
Traditionspflege grenzt sich scharf von der populären “Volksmusik”-Szene ab, in
der das Jodeln seit Jahrzehnten Triumphe feiert. Lange dominierte dort der
Münchner “Jodel-König” Franzl Lang die Szenerie, in der auch jodelnde Japaner
mit Lederhosen und Tirolerhüten für Aufsehen sorgten. Unlängst landete Andrea
Wittmann aus dem Chiemgau in den Schlagzeilen: Mit 15 Stunden und 11 Sekunden
brach sie den Weltrekord im Dauerjodeln.
Mit den kreativen Jodelexperimenten, wie
man sie von Erika Stucky kennt, hat das wenig zu tun. Die Schweizer Vokalistin ist eine Unangepasste und Grenzgängerin, die
sich leichtfüßig zwischen den unterschiedlichsten Musikstilen bewegt, sie
zerlegt, durcheinanderwirbelt und auf verblüffende Weise wieder zusammensetzt.
Wilde Jodelsongs sind Teil ihres Soloprogramms, in welchem ihr gesangliches
Talent und ihre schauspielerische Exzentrik voll zur Geltung kommen.
Für kreative
Stimmentgrenzung steht auch Christian Zehnder aus Basel. Er sorgt mit einer
Palette archaischer Singtechniken für Furore. „Das Jodeln führt direkt in
schamanistische, rituelle Techniken hinein”, sagt Zehnder. “Da besteht zwischen
einem Jodel aus dem Muotatal und den Rufen der Pygmäen im afrikanischen
Regenwald kein großer Unterschied mehr.“
CD:
Erika
Stucky, Christian Zehnder, Yellow Bird, Baka Beyond, Black Patti, Monika Drasch & Freinds, Natur Pur u.a.: LAUTyodeln – fern,
nah, weit (Trikont)
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