Thursday, 7 September 2017

Wiederentdeckung mittelalterlicher Mönchsgesänge in schwäbischen Klöstern

KLANGVERSUNKEN

Das Tübinger Vokalensemble Ordo Virtutum rekonstruiert Mönchsgesänge aus Klöstern der Vor-Reformation-Zeit

 cw. Die Reformation, die sich dieses Jahr zum 500. Male jährt, war ein Epochenbruch, wie er stärker nicht hätte sein können. Die religiöse Erneuerungsbewegung stellte die geistlich-religiöse Welt des Mittelalters völlig auf den Kopf. Den Papst, den Vertreter Gottes auf Erden, herauszufordern und der falschen Lehre zu bezichtigen, war eine Ungeheuerlichkeit von solchem Ausmaß, wie wir es uns heute kaum noch vorstellen können.
In Württemberg wurde die Reformation 1537 durch Herzog Ulrich eingeführt.
Danach wurden die Bastionen der katholischen Lehre, die Klöster, aufgehoben, die lateinische Messe durch einen neuen Gottesdienst in der Landessprache ersetzt, was die alten liturgische Gesänge überflüssig machte. Die Notenbücher, in denen die Handschriften verwahrt wurden, hatten plötzlich keine Funktion mehr, galten als „papistisch“, was sie dem Untergang weihte. Da aber das Pergament, auf dem die Choräle notiert waren, zu wertvoll war, wurde es nicht einfach weggeworfen, sondern als Bucheinbände wiederverwendet. Tausende Choralhandschriften wurden zerschnitten, um fortan als Cover von Buchdeckeln oder zur Verstärkung der Buchrücken zu dienen. So haben sie über Jahrhunderte überlebt und blieben uns bis heute erhalten.

Der Tübinger Musikwissenschaftler Stefan Morent hat solche
Noten-Einbandblätter in den Archiven der Region aufgespürt und ihre Funktion und Stellung im katholischen Gottesdienst des Mittelalters rekonstruiert. Dann hat er die Choral-Fragmente mit seinem Ensemble Ordo  Virtutum einstudiert und jetzt auf einer CD im Surround-Sound vorgelegt (Titel: Fragmentum; Label: Cornetto)

 Dabei ist das sechsköpfige Vokalensemble nicht einfach ins nächstbeste Tonstudio gegangen, sondern hat die Einspielungen mit Hilfe des Südwestrundfunks und seiner exzellenten Tontechniker und mit der Unterstützung und Förderung durch die Organisation 'Staatliche Schlösser & Gärten Baden-Württemberg' an den Orten gemacht, von wo die Notenhandschriften tatsächlich herstammen: in den ehemaligen Klöstern von Bebenhausen, Hirsau, Alpirsbach, Maulbronn und Salem. Die uralten Gemäuer geben den auf- und abschwellenden Gesangsmelodien eine besondere Aura, die durch den Surround-Sound eindrucksvoll eingefangen wird. Die einstimmigen Gesänge hatten im Gottesdienst die Funktion, die Gläubigen in eine empfängliche Stimmung zu versetzen, um die religiösen Inhalte verinnerlichen zu können. Es ist deshalb ein Gesang, der in seiner Ebenmäßigkeit und Ausgeglichenheit eher einer Meditation gleicht. Versunken in die liturgischen Vokalklänge, entsteht aus den verschollenen und jetzt wiederentdeckten Notenfragmenten eine wunderbar ruhige Musik, die uns in ein Zeitalter zurückführt, das mehr als ein halbes Jahrtausend zurückliegt und das von der Hektik und Unrast der Moderne noch unberührt war.

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