Der Klangzauberer
Zum Tod von Holger Czukay (24.3.1938 – 5.9.2017), Gründungsmitglied der wegweisenden Krautrockgruppe Can
cw. Ich habe ihn einmal getroffen, vor Jahren zum Interview in einem Kölner Café. Er war gut gelaunt, gab klare Antworten und plauderte nach einer Weile recht unverdrossen aus dem Nähkästchen. Holger Czukay hatte eine ganz eigene Art und Weise über Musik nachzudenken und zu sprechen. Von der avantgardistischen E-Musik konvertierte er zur Rockmusik, und ist doch im Herzen immer ein experimenteller Musiker geblieben. Dann tauchte er auf dem Cover meines „Revolte“-Buchs auf. Jetzt ist der Kölner Musiker im Alter von 79 Jahren gestorben, nur ein paar Wochen nach seiner Frau.
Als der Konzertpianist und Kapellmeister
Irmin Schmidt nach einem längeren Amerikaaufenthalt 1967 über die Gründung
einer experimentellen Musikgruppe nachdachte, lud er selbstverständlich auch
seine Kollegen Holger Czukay zum Gespräch ein, den er vom Studium bei Karlheinz
Stockhausen kannte und der damals als Musiklehrer seine Brötchen verdiente.
Czukay galt als leicht versponnener Kauz, der an mathematischen
Reihenkompositionen tüftelte, die nahezu unspielbar waren. Außerdem war er ein
exzellenter Gitarrist.
Czukay brachte seinen Gitarrenschüler Michael
Karoli zum Treffen mit – ein talentierter Beat-Gitarrist. Schlagzeuger Jaki
Liebezeit komplettierte die Band, die sich bald Can nannte und immer mehr
Richtung Rockmusik tendierte. Czukay blieb in dieser Konstellation nur die Baßgitarre, auf der er sich nicht unbedingt als Vituose erwies. Als Jaki Liebezeit ihn aufforderte, nicht so viel, sondern immer nur einen Ton auf die Eins zu spielen, kam ihm das entgegen. Das experimentieren mit Klangschnipseln und Wortsalat von den Kurzwellensendern war da schon eher seine Sache.
Im Wasserschloß Nörvenich im Kölner Umland fand
die Band ihr erstes Domizil. Czukay baute den Proberaum zu einem primitiven
Studio um. “Ich war damals Lehrer, hatte 1500 Mark gespart und konnte ein neues
Tonbandgerät kaufen,” gab er zu Protokoll. „Jemand brachte noch ein zweites Tonbandgerät
mit. Dann trieben wir noch ein Mikrofon auf und schon waren wir in der Lage,
Aufnahmen zu machen - so einfach war das!”
Von nun an trafen sich die Can-Musiker fast
täglich im Proberaum, um von nachmittags bis in die frühen Morgenstunden intensivst
zu jammen und gemeinsam rumzuhängen. Ausgearbeitete Kompositionen gab es nicht,
selbst auf die gröbsten Vorgaben wurde verzichtet. Aus diesen kollektiven
Improvisationen destillierten Can ihr Konzept einer experimentellen kollektiven
Rockmusik, bei der der Groove im Mittelpunkt stand.
Czukay schnitt jede Session auf Band mit,
danach wurde abgehört, um Passagen zu identifizieren, die sich für eine
Weiterarbeit eignen würden. “Instant composing’ nannte er das. Immer wieder
kristallisierte sich ein Riff oder ein Sound heraus, mit dem sich weiterzuarbeiten
lohnte. ”Um überhaupt zu unserer eigenen Sprache zu finden, war ein dauerndes
Zusammensein nötig - Tag für Tag, Woche um Woche,” rekapituliert er Jahre
später.
Czukay erwies sich als absoluter Meister der
Schere, der Freude am Schneiden von Tonbändern hatte. „Das hat bei ihm zu
Ausbrüchen von Leidenschaft geführt,“ erinnert sich Keyboarder Irmin Schmidt.
Die kreative Periode von Can dauerte etliche
Jahre, in deren Schlußphase Holger Czukay immer mehr an den Rand geriet. Er
spielte nun nicht mehr Baßgitarre, sondern konzentrierte sich vollkommen auf
seine skurrilen Sounds vom Kurzwellenradio und von Tonbändern. 1977 war für
Czukay bei Can endgültig Schluß. Er verließ die Band und bastelte fortan an diversen
Soloalben, für die er mit Tonband und Schere raffinierte Soundcollagen formte.
Darüber hinaus arbeitete Czukay mit einer
ganzen Reihe nahmhafter Musiker zusammen, die ein Faible für seine versponnenen
Ideen hatten. Ob David Sylvian, The Edge, Jah Wobble oder die Eurythmics – alle
hielten den Kölner für einen Klangzauberer mit einem untrüglichen Gespür für
die wundersamsten Töne. In den letzten Jahren war es ruhiger um Czukay
geworden, der zurückgezogen im ehemaligen Studio von Can in Köln-Weilerswist
lebte, das er zur Wohnung umfunktioniert hatte. Dort wurde er von einem
Anwohner tot aufgefunden.
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