Saturday, 9 September 2017

Zum Tode von Holger Czukay

Der Klangzauberer

Zum Tod von Holger Czukay (24.3.1938 – 5.9.2017), Gründungsmitglied der wegweisenden Krautrockgruppe Can

cw. Ich habe ihn einmal getroffen, vor Jahren zum Interview in einem Kölner Café. Er war gut gelaunt, gab klare Antworten und plauderte nach einer Weile recht unverdrossen aus dem Nähkästchen. Holger Czukay hatte eine ganz eigene Art und Weise über Musik nachzudenken und zu sprechen. Von der avantgardistischen E-Musik konvertierte er zur Rockmusik, und ist doch im Herzen immer ein experimenteller Musiker geblieben. Dann tauchte er auf dem Cover meines „Revolte“-Buchs auf. Jetzt ist der Kölner Musiker im Alter von 79 Jahren gestorben, nur ein paar Wochen nach seiner Frau.

Als der Konzertpianist und Kapellmeister Irmin Schmidt nach einem längeren Amerikaaufenthalt 1967 über die Gründung einer experimentellen Musikgruppe nachdachte, lud er selbstverständlich auch seine Kollegen Holger Czukay zum Gespräch ein, den er vom Studium bei Karlheinz Stockhausen kannte und der damals als Musiklehrer seine Brötchen verdiente. Czukay galt als leicht versponnener Kauz, der an mathematischen Reihenkompositionen tüftelte, die nahezu unspielbar waren. Außerdem war er ein exzellenter Gitarrist.

Czukay brachte seinen Gitarrenschüler Michael Karoli zum Treffen mit – ein talentierter Beat-Gitarrist. Schlagzeuger Jaki Liebezeit komplettierte die Band, die sich bald Can nannte und immer mehr Richtung Rockmusik tendierte. Czukay blieb in dieser Konstellation nur die Baßgitarre, auf der er sich nicht unbedingt als Vituose erwies. Als Jaki Liebezeit ihn aufforderte, nicht so viel, sondern immer nur einen Ton auf die Eins zu spielen, kam ihm das entgegen. Das experimentieren mit Klangschnipseln und Wortsalat von den Kurzwellensendern war da schon eher seine Sache.

Im Wasserschloß Nörvenich im Kölner Umland fand die Band ihr erstes Domizil. Czukay baute den Proberaum zu einem primitiven Studio um. “Ich war damals Lehrer, hatte 1500 Mark gespart und konnte ein neues Tonbandgerät kaufen,” gab er zu Protokoll. „Jemand brachte noch ein zweites Tonbandgerät mit. Dann trieben wir noch ein Mikrofon auf und schon waren wir in der Lage, Aufnahmen zu machen - so einfach war das!”

Von nun an trafen sich die Can-Musiker fast täglich im Proberaum, um von nachmittags bis in die frühen Morgenstunden intensivst zu jammen und gemeinsam rumzuhängen. Ausgearbeitete Kompositionen gab es nicht, selbst auf die gröbsten Vorgaben wurde verzichtet. Aus diesen kollektiven Improvisationen destillierten Can ihr Konzept einer experimentellen kollektiven Rockmusik, bei der der Groove im Mittelpunkt stand.

Czukay schnitt jede Session auf Band mit, danach wurde abgehört, um Passagen zu identifizieren, die sich für eine Weiterarbeit eignen würden. “Instant composing’ nannte er das. Immer wieder kristallisierte sich ein Riff oder ein Sound heraus, mit dem sich weiterzuarbeiten lohnte. ”Um überhaupt zu unserer eigenen Sprache zu finden, war ein dauerndes Zusammensein nötig - Tag für Tag, Woche um Woche,” rekapituliert er Jahre später.

Czukay erwies sich als absoluter Meister der Schere, der Freude am Schneiden von Tonbändern hatte. „Das hat bei ihm zu Ausbrüchen von Leidenschaft geführt,“ erinnert sich Keyboarder Irmin Schmidt.

Die kreative Periode von Can dauerte etliche Jahre, in deren Schlußphase Holger Czukay immer mehr an den Rand geriet. Er spielte nun nicht mehr Baßgitarre, sondern konzentrierte sich vollkommen auf seine skurrilen Sounds vom Kurzwellenradio und von Tonbändern. 1977 war für Czukay bei Can endgültig Schluß. Er verließ die Band und bastelte fortan an diversen Soloalben, für die er mit Tonband und Schere raffinierte Soundcollagen formte.

Darüber hinaus arbeitete Czukay mit einer ganzen Reihe nahmhafter Musiker zusammen, die ein Faible für seine versponnenen Ideen hatten. Ob David Sylvian, The Edge, Jah Wobble oder die Eurythmics – alle hielten den Kölner für einen Klangzauberer mit einem untrüglichen Gespür für die wundersamsten Töne. In den letzten Jahren war es ruhiger um Czukay geworden, der zurückgezogen im ehemaligen Studio von Can in Köln-Weilerswist lebte, das er zur Wohnung umfunktioniert hatte. Dort wurde er von einem Anwohner tot aufgefunden.

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