Friday, 31 May 2019

Buchvorstellung: JODELMANIA

JODELMANIA in der Monacensia in München

Schwarzbären-Schuppel aus Urnäsch


Gestern war die Buch-Präsentation von 'Jodelmania – von den Alpen nach Amerika und darüber hinaus' in der Monacensia in München im Rahmen des LAUTyodeln-Festivals, das noch bis zum Sonntag stattfindet (lautyodeln.de). Eine wunderbare Veranstaltung mit musikalischer Einfassung von der Schwarzbären-Schuppel aus Appenzell und ihren 'Zäuerli' sowie der Songster Dom Flemons aus Washington, DC, der einen Field-Holler und einen Jimmie Rodgers-Song zum Besten gab. Den ganzen Nachmittag über ließen Jodel-Workshops das historische Gebäude von alpinem Gesang erschallen. Ein Team des ZDF war da und hat ein kurzes Feature für 'Heute – in Deutschland' gedreht. Es ist der letzte längere Beitrag der Sendung. Hier der link.

https://www.zdf.de/nachrichten/heute-in-deutschland/heute---in-deutschland-vom-31-mai-2019-100.html

Songster Dom Flemons

Tuesday, 28 May 2019

Besprechung: JODELMANIA in der Süddeutschen Zeitung



Unerhört frei

Jodeln ist viel mehr als ein Sketch von Loriot, Jodeln hat eine lange Geschichte, ist Dialekt und musikalischer Ausdruck. Ein neues Buch ergründet die Urkraft der Vokalartistik

                            Erlacher Sängergesellschaft, München 1884 (Sammlung C.Wagner)

Von Christian Jooß-Bernau

„Es ist ja kein Genre mehr für mich, sondern ein Ausdruck, ein Dialekt geworden. Mehr ein Ausdünsten als ein Interpretieren." Die in Amerika geborene und in der Schweiz aufgewachsene Sängerin Erika Stucky hat sich das Jodeln für ihre Kunst einverleibt. Es derart konsequent zu ihrem persönlichen Ausdruck gemacht, dass sie sogar mit dem archaischen Schlagwerker und Klangdenker FM Einheit spielen kann. (...)

Christoph Wagner hat Erika Stucky für sein bei Kunstmann erscheinendes Buch "Jodelmania. Von den Alpen nach Amerika und darüber hinaus", interviewt. Am Donnerstag, 30. Mai, wird Wagner in der Monacensia das Ergebnis seiner jahrelangen Musikforschung vorstellen. Einen derart umfassenden Ansatz hat bis jetzt nur Bart Plantega gewagt, dessen durchaus lesenswertes Buch "Yodel-Ay-Ee-Oooo: The Secret History of Yodeling Around the World" von 2003 allerdings nur in der englischen Originalausgabe erhältlich ist. Wagner ist als Autor von fast meditativer Detailversessenheit, hat aber immer die große Linie der Historie im Blick. Und er hat Gespür für offensichtliche Unerhörtheit, die wohl nur fühlt, wer im süddeutschen Raum sozialisiert wurde. So hat er nach seine Einleitung ein Interview mit Franzl Lang gehängt, dessen Musikantenstadl-Gejodel weiten Teilen der Nachkriegsgenerationen wohl nicht als musikalische Großtat in Erinnerung ist. Aber Wagners Forscherinteresse hält sich nicht mit Geschmacksurteilen auf. Und so ist Lang in der Rückschau einer, der als Bravour-Jodler die Gesangstechnik voranbringt und virtuos zum Show-Effekt entwickelt.





Für Wagner ist dies nur Vorbereitung des Einstiegs in die Tiefe der Geschichte, die Ende des 18. Jahrhunderts mit den ersten Sängergruppen beginnt. Sie werden in Bezug gesetzt mit der romantischen Entdeckung und Idealisierung des Naturraumes und dem Aufbegehren auf dem Weg zur Demokratie. So scheint das kämpferische Tirol hier auf als "heroische, ja fast mythische Gebirgslandschaft, wo mutige, einfache, freiheitsliebende Menschen lebten."
In den Rang einer Frühform der Popmusik aber wird das Jodeln mit seinem Export nach England und Amerika erhoben, eine Pioniertat, die die Geschwister Rainer um 1820 aus dem Zillertal in die Welt führte. Das ist Auftakt der Jodelmania, die für viele kommende Gruppen die Aussicht auf Ruhm und Abenteuer in sich barg. Beeindruckend ist nicht nur die Fülle der Fotografien und Programmzettel, die Wagner zusammengetragen hat, interessant zu lesen auch, wie sich ein Tourneebetrieb entwickelt, der ein alpenländisches Gesamtpaket aus Kostümen, Bühnenbild und Musik schnürt, das natürlich auch Moden unterworfen ist und das Image des Naturwüchsigen für den Show-Rahmen aufbereitet. Das löste nicht nur Begeisterung aus. Vom "förmlichen Schwindel, der von fremden fahrenden Sängern mit dem Namen ,Tirol' getrieben wird", sprechen die Innsbrucker Nachrichten 1892. Tiroler Nationalsänger? Von wegen - Rheinländer, Thüringer, selbst Elsässer hat man ausgemacht. (...)
Uncle Tom & Hied Help, USA, ca. 1935 (Sammlung C. Wagner)
Auf fruchtbarsten Boden fällt der Gesang in Amerika. Die Saat geht auf beim Singing Brakeman Jimmie Rodgers, den im August 1927 die Idee einen Song mit ausgiebigem Jodler aufzunehmen zum Star katapultiert. "Yodel" wird Mode. Bei Hank Williams klingt er blue and lonesome, bei den DeZurik Sisters wird daraus uramerikanische Vokalartistik. 
Christoph Wagner: Jodelmania – von den Alpen nach Amerika und darüber hinaus.  320 Seiten; gebunden mit Schutzumschlag; mit vielen raren Abbildungen; Verlag Antje Kunstmann.  Euro 22.-

Sunday, 19 May 2019

Neues Album vom Kammerflimmer Kollektief

Tonschleifen und Klangflächen

Das Kammerflimmer Kollektief aus Karlsruhe macht erfolgreich Musik abseits des Mainstreams


cw. Kammerflimmer Kollektief nennt sich ein Ensembles aus Karlsruhe, das sich in den letzten 22 Jahren zu einem der renommiertesten Ensembles im Feld der experimentellen Musik entwickelt hat – und das nicht nur in Südwestdeutschland! Die Gruppe ist sehr gefragt, wird von der Kritik hochgelobt und reist zu Festivalauftritten um die halbe Welt. Heike Aumüller (Harmonium), Johannes Frisch (Kontrabaß) und Thomas Weber (E-Gitarren und Slide-Gitarre) haben bereits elf Alben veröffentlicht und sich damit einen eigenständigen Platz im breiten Spektrum der bundesdeutschen Avantgarde-Szene gesichert. Der Stil des Ensemble besticht durch Originalität und bewegt sich im Grenzland zwischen akustischen, elektrischen und elektronischen Sounds.

Das aktuelle Album mit dem Titel „ There are actions…“ (beim Hamburger Indie-Label Bureau B erschienen) enthält Stücke, bei denen vor allem die beiden Hauptbausteine zeitgenössischer Musik zum Tragen kommen: Repetition und Drones – also sich fortwährend wiederholende Tonschleifen und weite Klangflächen. Diese beiden Konstruktionselemente werden ineinandergeschoben und verdichtet, dazu mit Melodien und Harmonien versehen. Eine ordentliche Portion Hall sorgt für räumlichen Klang, auch kommen Noise-Elemente und freie Improvisation ins Spiel. Manchmal dreht sich eine Gitarrenmelodie kontinuierlich im Kreis, die mit abenteuerlichen Sounds unterlegt wird, was aufregende „soundscapes“ ergibt: reizvolle Klanglandschaften! 

Manchmal dockt das Ensemble beim Minimalismus eines Terry Riley an oder begibt sich behutsam aufs Terrain der Ambient Music. Ein anderes Mal knistert, knarzt und kratzt es in dissonanter Manier oder es rauscht und flirrt, als ob ein mächtiger Sturm aufziehen würde. Doch immer findet die Gruppe aus Chaos und Wildnis wieder zur Melodie zurück – häufig unterlegt von einem behutsamen rhythmischer Puls. Wenn darüber dann noch das Harmonium von Heike Aumüller seine asthmatischen Töne legt, macht sich ein Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit breit. In der Erzeugung von Atmosphären sind die Karlsruher Meister. 

Als eine Gratwanderung zwischen Schönklang und Dissonanz haben Kritiker die Musik des Kammerflimmer Kollektiefs beschrieben, ein Stil, der die Karlsruher Gruppe ziemlich einzigartig in der musikalischen Landschaft der Gegenwart positioniert. Musik für offene Ohren jenseits des Mainstreams!

Sunday, 12 May 2019

Soloalbum von IRMIN SCHMIDT (Can)

Klang-Kalligraphie

cw. Can-Keyboarder Irmin Schmidt gibt Auskunft über sein aktuelles Piano-Album und die Geräusche, die entstehen, wenn man einen Rasierer über Klaviersaiten gleiten läßt

Sie haben gerade ein Album mit Klaviermusik veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Irmin Schmidt: Ich habe mit dem Produzenten und Aufnahmetechniker Gareth Jones, der mit Depeche Mode, Nick Cave und Einstürzenden Neubauten gearbeitet hat, 1991 das Album „Impossible Holidays“ gemacht. Da gibt es Klavier drauf. Von dem Moment an hat Jones immer gesagt, wir müssen einmal eine Klavierplatte machen. Das kam immer einmal wieder zur Sprache. Doch irgendwie fehlte mir die Vorstellung, was das hätte werden können. Deswegen kam es nicht zustande. Vor zwei Jahren trat ich gemeinsam mit Thurston Moore – dem einstigen Gitarristen von Sonic Youth – in Paris im Louvre bei einem Konzert auf, bei dem ich seit vielen Jahren wieder einmal Klavier spielte. Daraus entstand die Idee mit Gareth Jones eine Platte mit präpariertem Piano zu machen. Ich habe dann bei mir zuhause in Südfrankreich den einen meiner beider Flügel präpariert und Gareth Jones hat die Aufnahmen gemacht.

Wie sind die Aufnahmen entstanden?

IS: Ich habe nichts komponiert, nichts vorab entworfen. Wir wollten Umweltgeräusche einbeziehen, die wir in einem Schilfgebiet unweit meines Studios aufgenommen haben. Alle Stücke habe ich nur einmal gespielt – das wars! Sie sind alle durchweg aus dem Augenblick heraus erfunden. 

Frei improvisiert?

IS: Ich mag das Wort „Improvisation“ in diesem Zusammenhang nicht. Das sind spontane Kompositionen, was Stockhausen „intuitives Musizieren“ genannt hat. Man spielt also nicht einfach drauflos, sondern Stücke entstehen, indem man sich selber genau zuhört. Das ist wie japanische Kalligraphie, wo die Tuschezeichnungen ja auch im ersten Durchgang entstehen – aus der ersten Bewegung. Ein kühner Pinselstrich – das ist es! Daran wird dann nichts mehr verändert oder verbessert, und auch vorher macht man keine Skizzen oder Zeichnungen. Die Kalligraphie entsteht in diesem einzigen Moment. So habe ich auch das Klavieralbum eingespielt.

Wenn es keine Vorentwürfe oder Vorüberlegungen gab, haben Sie sich mental auf die Aufnahmen vorbereitet?

IS: 70 Jahre lang, seit ich Musik mache. Meine ganze Erfahrung floß in diese Aufnahmen ein, die dann – wusch! – in einem Moment realisiert wurden. Es gibt irgendwann einen Zeitpunkt, wo etwas reif ist. 

Die Musik ist sehr reduziert. Sie arbeiten viel mit Pausen, lassen die Akkorde ausklingen. Ist das eine Sache des Alters, dass man sich aufs Wesentliche konzentriert, alles Dekorative wegläßt?
                                                                                                                       Irmin Schmidt bei Can (Promo)
IS: Wir haben bei Can schon gelegentlich sehr reduktionistisch gearbeitet, natürlich auch manchmal sehr verdichtet und intensiv, doch es gab damals bereits diese äußerst ausgedünnten Passagen. Man fängt mit einem Ton oder Klang an und entwickelt daraus sehr vorsichtig etwas. Das ist immer ein Element unserer bzw. meiner Musik gewesen. Auf der aktuellen Pianoplatte habe ich das nur noch radikalisiert: Der Verzicht auf alles Überflüssige. Es ist also mehr ein Prinzip meiner generellen Musikauffassung als so etwas wie Altersreife.

Sie wählten dafür die Technik des präparierten Klaviers, die von John Cage entwickelt wurde …

IS: Ich habe ein Konzert mit Cage-Kompositionen von David Tudor Anfang der 1960er Jahre gehört und war von dem Ansatz fasziniert. Ich habe dann John Cage getroffen und mir das Prinzip des „prepared piano“ erklären lassen. Ich gab damals Klavierabende, wo ich neben Mozart auch die Avantgarde präsentiert habe – dabei kamen auch Cage-Stücke zur Aufführung. Aber eigentlich war ich damals Orchesterleiter, Dirigent.

Wie war die Publikumsreaktion auf solch radikalen Klänge?

IS: Sehr unterschiedlich. Ich erinnere mich an ein Konzert in Heidelberg, wo ich eine Cage-Komposition für präpariertes Klavier gespielt habe. Danach folgte ein Stück vor mir, bei dem ich meinen alten Remington-Rasierapparat über die Baßsaiten gleiten ließ, was ein ganz irres Geräusch ergab. Da kam ein älterer Herr schreiend auf die Bühne gestürmt und schlug mir den Klavierdeckel auf die Hände, so empört war er. „Wie können Sie nur?“ hat er gebrüllt und ist richtig tätlich geworden. Er musste von den Veranstaltern von der Bühne geholt werden. Das war natürlich die extremste Reaktion. Selbstverständlich gab es auch Zustimmung. Doch insgesamt war das Publikum recht gespalten.

Hören Sie daheim Klaviermusik?

IS: Eher beim Autofahren. Ich schalte das Autoradio an, und hier in Frankreich läuft da oft Klaviermusik von Bach bis Chopin – die ganze Klavierliteratur.

Wer sind ihre Lieblingskomponisten, was Klavierstücke anbelangt?

IS: Schumann, auch Brahms, die romantische Klavierliteratur. Dafür habe ich eine Vorliebe.

Wie sieht es mit zeitgenössischen Komponisten aus? 

IS: Natürlich Cage, aber auch Conlon Nancarrow mag ich sehr gerne. Doch sind seine Kompositionen für mechanisches Klavier entworfen, für das „Player Piano“, das mit Rollen betrieben wird. Das klingt absolut irre – fantastisch!

Irmin Schmidt: 5 Klavierstücke (Mute Records)