Weibliche Blaskapelle der Heilsarmee, USA / ca. 1880
Friday, 27 September 2013
Monday, 23 September 2013
Lesung mit Fotos, Filmen & Musik: KLANG DER REVOLTE
Christoph Wagner: KLANG DER REVOLTE 'live'
Am Mittwoch, 9. Oktober 2013 (20 Uhr)gibts meinen Vortrag "Der Klang der Revolte - wie die Rockmusik in die südwestdeutsche Provinz kam' mit raren Bilder und Live-Musik von Fifty-Fifty (Minimal Loop Jazz mit Manfred Kniel, dr & Ekkehard Rössle, sax) in Tübingen im Club Voltaire in der Haaggasse. Veranstalter ist der Club Voltaire und das Sudhaus.
Weitere Infos: http://www.sudhaus-tuebingen.de/aktuell/13535.php
Weitere Infos: http://www.sudhaus-tuebingen.de/aktuell/13535.php
Edgar Broughton Band, 1970
Am Donnerstag, 10. Oktober 2013 bin ich dann solo mit einer Lesung (plus Fotos, Filmen und rare Musikaufnahmen) in der Manufaktur in Schorndorf - einem für die südwestdeutsche Subkultur wichtigen Ort. Der Vortrag wird auf die frühe Geschichte des Clubs Manufaktur bzw. des Jugendzentrums Hammerschlag in Schorndorf besonders eingehen. Schorndorf war in den frühen siebziger Jahren die Rockhauptstadt in Südwestdeutschland, wo Bands wie Black Sabbath, The Nice, Taste und Jeff Beck sich die Türklinke in die Hand gaben.
Weitere Infos: http://www.club-manufaktur.de/programm/vorschau.html
Weitere Infos: http://www.club-manufaktur.de/programm/vorschau.html
Sunday, 22 September 2013
Blues der Donaumetropole: SCHRAMMELMUSIK
Sigmaringen, Alter Schlachthof
Donnerstag, 17. Oktober 2013 / 20 Uhr
Rares konzertantes Schrammelkonzert mit den
Neue Wiener Concert Schrammeln
Was der Tango für Buenos Aires und der Samba für Rio de Janeiro, ist die Schrammelmusik für Wien: die Volksmusik, die der Donaumetropole ihren eigenen Klang gibt. Der Stil war im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden, als das Ensemble der Brüder Hanns und Josef Schrammel in der aufkommenden Donaumetropole eine neue urbane Volkmusik erfand, die traditionelle und konzertante Elemente miteinander verband und wie eine volksmusikalische Form von Kammermusik klang, die sich bald in den Weinlokalen der Wiener Vorstädte großer Beliebtheit erfreute.
Saturday, 21 September 2013
Das Comeback der UKULELE
Sehnsuchtsinstrument
Im deutschsprachigen Raum sind Coconami die Speerspitzen des Trends. Das japanische Musikerehepaar aus München hat dem Rock ‘n’ Roll ade gesagt, ihre E-Gitarren bei ebay verkauft, um jetzt eine unbeschwerte und charmante Musik zu machen, zu der die Ukulele bestens passt. Nami singt wie ein Vogel beim Sonnenaufgang, nur lieblicher, während Miyaji auf den Saiten zirpt. Ob bayrisches Landler-Lied, japanische Folkmelodie oder ein Punk-Song der Ramones - Coconami macht die Ukulele zum kulturübergreifenden Weltenversöhner. “Jeder sollte eigentlich eine Ukulele besitzen,” meint Eddie Vedder. “Die Leute müssen sich ausdrücken können, das braucht es einfach!”
Sunday, 15 September 2013
Anti-Folksänger JEFFREY LEWIS - ein Portrait
Witz und Weisheit
Der New Yorker Anti-Folksänger
Jeffrey Lewis führt ein Doppelleben als Comic-Autor
Fotos: Manuel Wagner, New York 2012
cw. Jarvis Cocker, Bandleader von Pulp,
hält ihn für “den besten Liedtexter im heutigen Amerika”, und Will Oldham,
alias Bonnie ‘Prince’ Billy, geizt ebenfalls nicht mit Lob: “Es gibt nicht viele, die mit Musik eine Geschichte so erzählen und so
mit Sprache umgehen können wie Jeffrey Lewis. Er ist einfach toll,
eindrucksvoll, inspirierend und aufregend.” Vor fünfzehn Jahren begann der heute
37jährige New Yorker neben Adam Green und Kimya Dawson unter dem Banner des
“Anti-Folk” im Sidewalk Cafe in Downtown Manhattan mit eigenen Songs aufzutreten.
Inzwischen gilt Jeffrey Lewis als einer der originellsten Liedermacher der
alternativen Rockszene.
Seit er 2001 beim legendären
Independent-Label Rough Trade unterkam, zeigt die Erfolgskurve nach oben. Bei
der Londoner Firma hat er inzwischen sechs Alben veröffentlicht, darunter eine Platte,
die ausschließlich Lieder der anarchistischen englischen Punkband Crass enthält.
Lewis hat die “12 Crass Songs” zu akustischen Folkballaden mit farbigen
Arrangements umgeschneidert, ohne ihnen ihren inhaltlichen Biß zu nehmen – im
Gegenteil: “Crass spielten die Songs so schnell und laut, dass die Texte untergingen.
Ich singe die Lieder dagegen langsam, damit sie jeder versteht.”
Im Unterschied zu
den Crass-Songs kommen Jeffrey Lewis’ eigene Lieder nicht so aggressiv-politisch
daher, wenn man von seinem Solidaritätslied “What would Pussy Riot do?” einmal
absieht. Mit seinen Versen beschreibt Lewis eher Erlebnisse aus seiner unmittelbaren
Umgebung, die als symptomatisch für die gesellschaftlichen Verwerfungen gelten
können, denen man fast täglich begegnet. Lewis gelingen dabei poetische Zeilen,
die eine genaue Beschreibung der Gegenwart liefern und dennoch voller Witz und
Weisheit sind.
Lewis ist mit Punk
und Indie-Rock groß geworden. Als wichtigen Einfluß nennt er Sonic Youth. Seine
Bewunderung reicht so weit, dass er unter dem Namen “Sonnet Youth” begonnen
hat, das komplette Songbook der New Yorker Indie-Band in Sonettform umzudichten,
die er in kleinen fotokopierten Heftchen vertreibt.
Folk ist eine andere
Inspirationsquelle, wobei seine Helden Woody Guthrie, Bob Dylan und The Holy
Modal Rounders heißen. Zwischen Punk und Folk ist dann auch Jeffrey Lewis’
Musik angesiedelt, in der sowohl die Nachdenklichkeit und Harmonieseligkeit des
Folk als auch der Furor von Punk und Grunge rumort. Seine Akustikgitarre versinnbildlicht
diese Karambolage gegensätzlicher Stile. Auf Knopfdruck verwandelt sich die verschrammte
buntbemalte Klampfe mittels Wah-Wah-Pedal und Verzerrer in ein kreischendes
Monster.
Lewis ist auf der
Lower East Side in Downtown Manhattan aufgewachsen und fühlt sich der langen
Tradition alternativer Klänge dieses Stadtteils verbunden. Im Titel “A Complete
History of Punk on the Lower East Side from 1950 - 1975“ kommt diese Affinität
zum Ausdruck. Da tauchen sie alle auf: Harry Smith, Herausgeber der
bahnbrechenden LP-Serie “Anthology of American Folk Music”, Velvet Underground
und die Fugs. Dazu: Patti Smith, die New York Dolls sowie die Ramones. Lewis
feiert diese Künstler als visionäre Pioniere der amerikanischen Subkultur, die
Musikern wie ihm den Weg bereiteten.
Mit Tuli Kupferberg
(1923 - 2010) von der dadaistischen Politband The Fugs verband Lewis eine enge
Freundschaft. Der junge Singer-Songwriter besuchte den anarchistischen
Beatlyriker noch im hohen Alter regelmäßig. “Tuli wohnte gleich um die Ecke,” erzählt er. “Wir haben geredet, Meinungen
ausgetauscht, und manchmal habe ich ihm einen neuen Song vorgesungen.”
Peter Stampfel ist
ein anderer Bruder im Geiste. Mit dem Veteran, der 1964 mit den Holy Modal
Rounders den psychedelische Folk erfand, hat Lewis vor ein paar Jahren eine
gemeinsame Band gegründet. “Wenn möglich treffen wir uns sonntags zum
Liederschreiben in Stampfels Loft in SoHo,” berichtet Lewis. Zwei Alben sind aus
der Kooperation bereits hervorgegangen.
Ein Faible für Comics
verbindet die beiden. Einmal in der Woche geht es zum Kiosk, um einen Stapel
Neuerscheinungen zu erwerben. Doch ist Jeffrey Lewis nicht nur ein fanatischer Leser,
er entwirft auch eigene Bildergeschichten. In seiner “Fuff”-Serie sind bisher sieben
Hefte erschienen, die er bei Konzertauftritten und auf Comic-Messen verkauft.
Die Comics tauchen in
überdimensionalem Format bei seinen Live-Auftritten wieder auf. Seite um Seite blättert
Lewis dann die “Lo-Fi Videos” durch, um anstatt der Sprechblasen witzige Verse
zu rezitieren. Dabei schreckt er nicht vor großen Themen zurück. Mit ein paar pfiffigen
Reimen und prägnanten Strichzeichnungen wird etwa “The Fall of the Soviet
Union” in drei Minuten dargestellt. Unterhaltsamer kann Geschichtsunterricht nicht
sein!
Der Artikel erschien zuerst in Die Wochenzeitung (WoZ), Zürich
Tuesday, 10 September 2013
Sunday, 8 September 2013
BROOKLYN - das neue Kreativzentrum des New Yorker Jazz
Kreatives Kraftzentrum
In Brooklyn pulsiert die New Yorker Jazzszene
jenseits des Mainstreams
cw. Bis in die 80er Jahre waren die
Lower East Side und das East Village von Manhattan das Zentrum des kreativen
Jazz in New York. Stadtsanierung, Gentrifizierung und die Erfolge der “Zero
Tolerance on Crime”-Politik haben den ehemaligen Slum in Downtown Manhattan in eine
komfortable Wohngegend verwandelt, was die Mietpreise explodieren ließ und
viele Musiker und Künstler aus dem Viertel vertrieb. Brooklyn, gleich gegenüber
auf der anderen Seite des East Rivers gelegen, wurde zum neuen Brennpunkt der
Jazzaktivitäten jenseits des Mainstreams. Fünf MusikerInnen
der neuen Brooklyn-Szene stellen sich vor: wie sie leben, wie sie ihren Alltag organisieren
und welche Musik sie machen. Vom Anfänger zum Routinier, vom Bandleader zum
Sideman – das ganze Spektrum.
Harris Eisenstadt (Schlagzeuger und
Komponist)
“Ich bin 1975 in Toronto geboren und
lebe seit einigen Jahren mit meiner Frau und unserem Sohn in Brooklyn. Mein Vater war ein Amateurdrummer, der ein
Schlagzeug im Keller hatte, auf dem ich spielen konnte. Ich trommelte im Schulorchester,
spielte in Rockbands. Irgendwann verlor ich das Interesse am Schlagzeug, trieb
mehr Sport. Mit ungefähr 19 Jahren fand ich zu den Drums zurück und habe mich
seither intensiv damit beschäftigt. Ich hatte ein Jahr Unterricht bei Barry
Altschul und studierte danach Musik bei Leo Smith am CalArts-College in Los
Angeles. Nach dem Studium arbeitete ich als professioneller Musiker in Los
Angeles und gab Unterricht.
2006 zog ich nach New York, wo ich
zuvor schon ein Jahr gelebt hatte. Ich arbeitete damals für das Label Knitting
Factory Records. Deshalb kannte ich schon ein paar Musiker hier, dennoch war es
ein frischer Anfang, als ich zurückkehrte. Das Tolle an New York ist, dass es
so viele fantastische Spieler gibt. Ich nahm zu Beginn an vielen informellen
Sessions teil, um neue Instrumentalisten kennenzulernen. Die Leute sind sehr
offen hier und bereit, mit anderen zu musizieren. Mit der Zeit haben sich
daraus feste Bandprojekte ergeben. Man trifft Musiker durch Musiker. Man spielt
zusammen und es klickt. Mit manchen hat
man sofort einen direkten Draht und zieht sie dann für Projekte heran. Der
persönliche Faktor ist wichtig. Man muss sich gut verstehen, sonst funktioniert
es nicht, weil man ja auf Tourneen längere Zeit eng zusammen ist.
Viele Musiker, mit denen ich
regelmäßig arbeite, leben ebenfalls in Brookyln – mein innerer Kreis. Das macht
es leicht, zu proben und sich zu treffen. Mein Quintett bildet das Kernstück
meiner Aktivitäten. Es ist eine konventionelle Besetzung, mit der ich versuche,
unkonventionelle Musik zu machen. Es ist mir wichtig, mit dem Publikum zu
kommunizieren. Es gibt Musiker, denen das Publikum egal ist, die nur für sich
selber spielen. Das ist das Gegenteil meine Haltung.
Normalerweise entsteht ein Stück aus
ein paar Akkorden am Klavier. Oder eine Melodie oder ein Rhythmus fliegen mir
zu. Ich arbeite diese Fragmente aus, strukturiere und orchestriere sie am
Computer, mache mir Gedanken über die Improvisationen und versuche das Stück
als Ganzes zu skizzieren. Erst danach spielen wir es in der Gruppe, basteln
weiter intensiv daran - oft ein Jahr oder länger. In diesem Prozeß kann es wiederum
die Form verändern. Wir müssen jedes Stück in- und auswendig kennen, um in den
Improvisationen die Essenz der jeweilige Komposition herauszuarbeiten.”
Harris Eisenstadt Quintet: Canada
Day 3 (Songlines)
Harris Eisenstadt: Canada Day Octet
(482 Music)
Jesse Stacken (Pianist und
Komponist)
“Ich lebe seit 2002 in New York City
und wohne seit längerem in Brooklyn. Ich studierte an der Manhattan School of
Music. Nach dem Studium begann ich in verschiedenen Gruppen zu spielen und
meine eigene Musik zu komponieren. Im Zentrum meiner Aktivitäten steht mein
Trio mit dem Bassisten Eivind Opsvik und Jeff Davis am Schlagzeug. Wir haben
bereits drei Alben veröffentlicht. Ich leite daneben noch ein Ensemble mit dem
Kornettisten Kirk Knuffke. Mit dieser Gruppe spielen wir keine eigenen
Kompositionen, sondern ein breites Spektrum an Stücken, die von Duke Ellington,
Charles Mingus, Carla Bley, Steve Lacy, Ornette Coleman und Misha Mengelberg
stammen.
Darüber hinaus bin ich noch als
Sideman in mehreren Gruppen aktiv. Außerdem unterrichte ich Piano an einer Musikschule
in Manhattan und gebe Privatstunden zu Hause. Man muss sehr aktiv sein, um über
die Runden zu kommen. In Brooklyn sind die Mieten noch erträglich, in Manhattan
sind sie unbezahlbar - deshalb hat sich die Szene hierher verlagert.
Im Moment ist es hier fantastisch.
Es gibt so viele Musiker in der unmittelbaren Nachbarschaft und so viel tolle
Musik – ein wirklich dichtes Netz. Man unterstützt sich gegenseitig und stellt
sich einander vor. Man kann sich problemlos zu Sessions verabreden und lernt
jedesmal neue Musiker kennen.
Wenn ich Zeit habe, rufe ich meine
Kollegen einfach an: “Hey, wollt ihr morgen Vormittag proben?” Dann treffen wir
uns im Keller meines Wohnblocks, wo ich ein Klavier stehen habe. Der Raum ist
so abgeschottet, dass wir niemanden auf die Nerven gehen. Das kann ein Problem
sein, wenn man in seiner Wohnung Musik macht und die Nachbarn sich beschweren.
Musiker teilen sich deshalb Proberäume, die sie zusammen mieten. Auftrittsorte
wie das Musikstudio iBeam in Brooklyn finanzieren sich ebenfalls durch Mitgliedschaften.
Man zahlt einen monatlichen Beitrag und kann dann den Raum so und so oft für
Konzerte oder Proben nutzen.
Als ich mein Trio 2005 gründete, gab
es diese Flut von Jazzpianotrios noch nicht. Unsere Musik kreist um Melodien.
Ich muss also aus der Begleitfunktion etwa eines Saxofonisten heraustreten und
die melodische Führungsrolle übernehmen. Darüber hinaus haben wir uns von dem
konventionellen Mainstream-Muster verabschiedet, wie man es an der Hochschule lernt.
Wir versuchen etwas anderes, eine Musik, die eher mit Kontrapunkt arbeitet und
mit komplexeren Akkorden. Moderne klassische Musik hat mich dazu angeregt. Der Komponist
Morton Feldman war eine wichtige Inspiration. Er nutzt das Klavier in seiner vollen
Klanglichkeit mit all den Obertönen, was auch meine Intention ist. Weil es das
Trio schon lange gibt, sind wir zu einer echten Einheit zusammengewachsen.”
Jesse Stacken: Bagatelles for Trio
(FreshSoundRecords)
Kris Davis (Pianistin und
Komponistin)
“Ich zog von Toronto (Kanada) 2001 nach
New York, zwei Wochen vor den Terroranschlägen. Ich hatte Verwandte hier, auch
kannte ich ein paar Musiker von früheren Aufenthalten in der Stadt. Die
meisten, die ich traf, waren schon länger hier und deshalb ziemlich
beschäftigt. Das machte es anfangs recht schwierig, doch ich knüpfte Kontakte.
Da ich Kanadierin bin, konnte ich zu
Beginn nicht arbeiten, musste mir zuerst eine Aufenthalts- und eine
Arbeitsgenehmigung beschaffen, was eine wirklich komplizierte Sache war. Ich
hatte etwas Geld gespart, das mir über die Durststrecke hinweghalf.
Dann gab ich Klavierunterricht. Ohne
diesen Broterwerb hätte ich meinen Lebensunterhalt nicht bestreiten können. Ich
brauchte ungefähr ein Jahr, um mich als Musikerin einigermaßen zu etablieren.
Aber bis heute gebe ich Klavierunterricht, von Auftritten allein könnte ich
nicht leben. Dieser Brotberuf gibt mir Sicherheit und auch die Freiheit,
Projekte durchzuführen, die ich sonst nicht realisieren könnte. Kein Geld zu
haben, kann eine künstlerische Falle sein.
Zu Beginn lebte ich bei einer
Freundin meiner Tante in New Jersey, dann die ersten 6 Jahre in Uptown
Manhattan in vier verschiedenen Wohnungen. Danach zog ich nach Brooklyn, weil
viele meiner Musikerfreunde dort hinzogen. Die Szene schien sich hierher zu
verlagern. In Brooklyn zu wohnen, machte das Musikmachen einfacher. Früher
mussten meine Bandkollegen zu mir nach Uptown Manhattan eineinhalb Stunden mit
der Subway fahren und eineinhalb Stunden zurück! Das ist eine große
Zeitinvestition und den Kollegen nicht ohne weiteres zuzumuten.
Auch an Gigs ist hier leichter zu
kommen. Es gibt in der Nachbarschaft in Brooklyn / Park Slope viele Cafés, Bars
und Restaurants, wo regelmäßig Konzerte stattfinden, meistens in Hinterzimmern
oder Nebenräumen. Im “Korzo” organisert der Pianist James Carney eine
Konzertreihe, wo jeden Dienstag zwei Gruppen spielen. Auch im “Barbes” und im
“Shapeshifter Lab” gibt es Jazz. In anderen Lokalen finden Jamsessions statt – es
ist wirklich viel los! All diese Auftrittsorte befinden sich in einem Umkreis
von zehn Blocks entlang der 5th Avenue in Brooklyn / Park Slope.
Meistens spielt man für das Eintrittsgeld.
Es gibt also viele Orte, wo man spielen kann, nur viel Geld kann man da nicht
verdienen. Aber man trifft jede Menge Musiker. Diese Auftrittsorte fungieren
als soziale Treffpunkte, wo man reden und sich austauschen kann. Jeder hängt
dort gerne rum. Man trifft Leute, die man schon länger nicht gesehen hat, und
die Hälfte sind Musiker.
Es gibt sogar ein
paar ordentliche Pianos an diesen Plätzen, was toll ist, weil ich beschlossen
habe, dass ich keine Keyboards mehr schleppen will. Ich konzentriere mich im
Moment auf Solopianokonzerte, spiele mit meinem Jazzpianotrio und habe mit Mat
Manieri (Viola), Ingrid Laubrock (Saxofon), Trevor Dunn (Bass) und Tom Rainey
(Schlagzeug) ein
Quintett ins Leben gerufen, das Anfang nächsten Jahres sein Debutalbum veröffentlichen
wird.”
Kris Davis: Aeriol
Piano (Clean Feed)
Kris Davis Trio: Good
Citizen (FreshSoundRecords)
Kate
Pittman (Schlagzeugerin und Komponistin)
“Ich
fing mit zwölf Schlagzeug zu spielen an, als ich im Fernsehen ein Musikvideo
mit einem richtigen cooler Drummer sah. Es sah so aus, als ob nichts auf der Welt
mehr Spaß machen würde, als trommeln. Da dachte ich: “Das mache ich auch!” Dass
ich als Mädchen Schlagzeug spielte, war nie ein Hindernis: Es wurde akzeptiert!
In der Oberstufe drängte man mich in die Schuljazzband. Zuerst wollte ich nicht,
weil Jazz als ziemlich uncool galt. Als irgnoranter Teenager hatte ich keine
Ahnung, was Jazz überhaupt war. Da aber mein Schlagzeuglehrer, der nur drei
Jahre älter war und den ich bewunderte, auf Jazz stand, ließ ich mich breitschlagen
und fing Feuer.
Ich
zog vor eineinhalb Jahren nach Brooklyn, weil viele der Musiker, die ich
bewundere, hier leben. Ich wollte mit gleichgesinnten und fähigen Musikern zusammen
sein und an diesem wunderbaren Wahnsinn teilhaben. Ich bin 26 Jahre alt und
dachte, dass alles viel schwieriger sein würde. Aber auf einmal spiele ich Gigs
mit Leuten, die ich als Vorbilder betrachte, wie etwa den Bassisten Michael Formanek.
So gesehen war es einfacher, Fuß zu fassen, obwohl ich noch lange nicht
“etabliert” bin.
Die
Atmosphäre in Brooklyn ist im Moment wirklich inspirierend: überall gibt es
tolle Musik! Man unterstützt sich gegenseitig und hilft einander. Es herrscht ein
Geist gegenseitigen Respekts und der Solidarität. Es gibt hier viele junge
Musiker, von denen man noch hören wird.
Und die älteren Musiker spielen mit uns jungen. Barrieren gibt es kaum.
Mein
Band heißt “Denial and Error”, mit der wir meine Kompositionen spielen. Sie
besteht aus dem Trompeter Josh Reed, Adam Hopkins am Bass und Landon Knoblock
am Piano, der auch Fender Rhodes spielt und für die Electronics sorgt. Wir
machen eine Musik, die aus genau notierten Teilen und völlig frei improvisierten
Passagen besteht. Ich habe zudem ein Duo mit dem Gitarristen Dustin Carlson, wo
ich auch Vibrafon spiele. Daneben bin ich Mitglied im Trio Flip City des
Saxofonisten David Aaron und in der Gruppe Towering Poppies, die von der
Saxofonistin Jasmine Lovell-Smith geleitet wird. Ich bin noch in anderen Bands
aktiv, die aber oft nur ein paar Gigs spielen.
Nur
von der Musik zu leben, das reicht nicht. Ich hoffe, dass es in ein paar Jahren
möglich sein wird. So lange arbeite ich in FortyWeight Café in Brooklyn / South
Slope, was mir Spaß macht, weil ich eine Leidenschaft für Kaffee habe. Ich
arbeite drei Tage die Woche, das bringt genug ein.
Es
gibt mehr und mehr Frauen, die in meinem Umfeld Jazz spielen. Ich habe mich wegen
meines Geschlechts noch nie benachteiligt gefühlt. Ob Mann oder Frau – das spielt
letztendlich keine Rolle. Das einzige was zählt, ist die Musik.”
Jasmine Lovell-Smith's Towering Poppies (feat. Kate Pittman): Fortune
Songs (Paintbox Records)
Jacob Garchik (Posaunist, Komponist, Arrangeur)
“Ich bin in San Francisco aufgewachsen. Mit zehn habe
ich mit dem Posaunenspielen begonnen. Nach dem Schulabschluß mit siebzehn ging
ich nach New York, um an der Manhattan School of Music Jazzposaune zu
studieren. Ich wohne also seit achtzehn Jahren hier, vierzehn davon in
Brooklyn. Ich zog nach Brooklyn, weil man sich dort noch die Mieten leisten konnte
und bereits einige Musiker hier lebten. Seither habe ich in drei verschiedenen
Neighbourhoods gewohnt und alle haben sich in den letzten Jahren dramatisch
verändert. Aus heruntergekommen und gefährlichen Stadttteilen wurden angenehme und sichere Wohngegenden, was
allerdings die Mietpreise nach oben trieb. Manche Viertel in Brooklyn gehören
inzwischen zu den teuersten im Land. Neue Geschäfte machten auf. Manchmal gehe
ich Wochen lang nicht nach Manhattan, weil es alles in Brooklyn gibt: Shopping,
Kultur, Konzerte, Theater, Kino, Restaurants.
Als ich 1994 nach New York kam, lebten noch viele
Musiker in Manhattan. Auf der Lower East Side, im East Village und an der Upper
West Side waren die Wohnungen,noch bezahlbar. Durch die explodierenden
Mietpreise wurden die Musiker mehr und mehr hinaus an die Peripherie gedrängt:
nach Upper Manhattan um Washington Heights, nach New Jersey, nach Queens und
Brooklyn. Das hat die Szene zersplittert. Wenn man in Brooklyn wohnt, ist es
schwierig mit Musikern aus Upper Manhattan oder New Jersey zusammenzuarbeiten,
weil der Aufwand einfach zu groß ist. Darum gibt es kaum Verbindungen.
Natürlich macht man Ausnahmen. Wenn es ein guter Gig ist, unternimmt man schon
mal die Anstrengung einer langen Anfahrt.
Weil normale Auftritte kaum Geld einbringen, machen
sie nur Sinn, wenn sie in der direkten Nachbarschaft stattfinden. Man spielt
auch einmal für nur zwanzig Dollar, wenn man zum Gig zu Fuß gehen kann.
Die Musikerdichte in Brooklyn ist enorm. Ich kann kaum
aus dem Haus gehen ohne einen Kollegen zu treffen. Mehr und mehr Cafés und Bars
richten Konzertreihen ein. Dort kann man regelmäßig, vielleicht einmal im Monat
auftreten, was hilft, die Musik und den Gruppenklang zu entwickeln.
Trotzdem sollte man Manhattan nicht abschreiben. Es erfüllt
immer noch eine wichtige Funktion, vor allem als zentraler Auftrittsort, wo sich
die Clubs mit Reputation befinden. Im Gegensatz zu den kleinen Musikcafés in
Brooklyn, haben die Clubs in Manhattan Gewicht, weil sie seit Jahren Jazz
präsentieren und einen superben Ruf besitzen. Deshalb muss man als Jazzmusiker
weiter in Manhattan auftreten, will man ein größeres Publikum erreichen.
Jazzfans kommen aus Queens, von Long Island, von Staten Island und aus New
Jersey zu Konzerten nach Manhattan. Die würden nicht nach Brooklyn kommen. Auch
die Presse bespricht ein Konzert eher in einem etablierten Club. Deswegen
sollten sich Musiker nicht auf Brooklyn beschränken. Will man mehr erreichen, kommt
man an Manhattan nicht vorbei.
Wie alle professionellen Musiker betreibe ich mehrere
Bandprojekte. 40Twenty ist ein Quartett, das die Qualitäten des Jazz der 50er Jahren
zu neuem Leben erweckt, ohne nostalgisch oder rückwärtsgewandt zu sein. Wir
spielen unsere eigenen Kompositionen. In den 50er Jahren spielten Jazzbands in
einem Club manchmal Wochen, ja Monate, jeden Abend, wodurch eine ganz andere Intensität
der Interaktion entstand. Das wollten
rekreieren. Wir mieteten einen
Auftrittsort in Brooklyn für mehrere Wochen und spielten dort jeden Abend zwei
Sets, um dieses blinde Verständnis innerhalb der Gruppe zu erlangen. 40Twenty
versucht das Paradox: mit einer anderen Art von Mainstream-Jazz aus dem
Mainstream-Format auszubrechen.
Daneben habe ich die neunköpfige Gruppe The Heavens gegründet,
die sich mit sieben Posaunisten an den Trombone-Shout-Bands der schwarzen
Kirche orientiert. Außerdem spiele ich in einer Blaskapelle, die auf mexikanische
Banda-Musik spezialisiert ist, zu der die Leute tanzen.
Ich kann meinen Lebensunterhalt mit Musik verdienen,
vor allem deshalb, weil ich noch als Arrangeur für das Kronos Quartet arbeite. Ich
habe Dutzende Arrangements für Kronos geschrieben. Im Moment arbeite ich an
einem Projekt mit Kronos und Laurie Anderson. Anderson komponiert die Musik,
ich arrangiere sie.”
Jacob Garchik / Jacob Sachs / David Ambrosio / Vinnie
Sperrazza: 40Twenty (Yeah Yeah Records)
Jacob Garchik & The Heavens: The Atheist Gospel Trombone Album (Yestereve Records)
Der Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)
Der Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)
Subscribe to:
Posts (Atom)