Weltsprache
Jazz
Europäische
und amerikanische Spitzenmusiker brillierten in Singen und Tübingen
cw. Früher
stand es außer Frage: Der beste Jazz kam aus den USA! Die amerikanischen Musiker
und Bands dominierten die internationale Szene, während Europa eher als
Entwicklungsland galt, wo nur eine Handvoll Solisten das amerikanische Niveau
erreichten. Doch auch im Jazz geht das amerikanische Jahrhundert zu Ende. Heute
wird in Europa ebenso exzellenter Jazz gespielt wie in den USA.
Zwei
Spitzenformationen, die am Wochenende in Südwestdeutschland gastierten,
unterstrichen das eindrucksvoll: Beim Jazzclub Singen absolvierte der
Schlagzeuger Harris Eisenstadt mit seinem Canada Day Quintet aus New York
seinen Debutauftritt in Europa, während sich einen Tag später im Tübinger
Sudhaus mit dem Émile Parisien Quartet eine der jungen Spitzenbands des
französischen Jazz vorstellte.
Foto: Christoph Wagner
Der
Schlagzeuger, Komponist und Bandleader aus Brooklyn ging mit einem Drumsolo das
Konzert in Singen an. Danach entwarf sein Quintet einen modernen Jazz, der durch komplexe
Kompositionen und farbenreiche Arrangements bestimmt war und Elemente aus
unterschiedlichen Epochen der Jazzgeschichte einbezog. Ob Hardbop, Cooljazz
oder Free – alles floß auf originelle Weise in Eisenstadts Kompositionen
zusammen. Mit großer Disziplin wurden die Stücke in Szene gesetzt, die oft eine
lyrische Note besaßen und an moderne Jazzballaden erinnerten. Eisenstadt nahm
dazu die Schlagzeugbesen in die Hand, um mit dezenten Tupfern die Eckpunkte der
Kompositionen zu markieren, während der Trompeter poetische Linien blies und
das Saxofon melancholische Töne beisteuerte, umwölkt von den flirrenden Klängen
des Vibrafons. Gerne entwirft Eisenstadt seine Kompositionen als mehrteilige
Werke, die sich dann von ruhig-besinnlich zu vital-expressiv steigern, wobei
man sich gewünscht hätte, dass die Musiker die Zügel noch etwas lockerer
gelassen und mit mehr Biß agiert hätten.
Den
Furor von der Leine ließ dagegen das Émile Parisien Quartet im Tübinger Sudhaus,
das sich zeitweise in Ekstase spielte. Der Saxofonist aus Paris hat die Schule
des französischen Jazz durchlaufen und bei Altmeistern wie Daniel Humair und
Michel Portal studiert. Sein Ensemble besteht aus hervorragenden Solisten, bei
denen sich Können mit Kreativität und Spielwitz paart. Jeder der vier Musiker
ist auch als Komponist tätig und steuert Stücke zum Repertoire der Gruppe bei,
die mit Überraschungen gespiekt sind: Vertrakte Rhythmuswechsel und
blitzschnelle dynamische Sprünge bestimmen die Musik, die atemlos durch einen
Parcours stilistischer Brüche jagt. Einem Illusionskünstler gleich, ziehen die
Musiker fortwährend ein neues Karnickel aus dem Zylinder. Das ist perfekt
inszeniert, punktgenau ausgeführt und hochvirtuos gespielt, grenzt manchmal
allerdings etwas an oberflächliche Effekthascherei.
Während
Harris Eisenstadt mit seinem Canada Day Quintet die subtile Seite des Jazz
erforscht und auf atmosphärische Stimmungen setzt, ist beim Émile Parisien
Quartet Expressivität und Exaltiertheit Trumpf. Deutlich wird dabei, dass sich
heute spieltechnisch amerikanische und
europäische Musiker auf gleicher Augenhöhe begegnen und auch
stilistisch-musikalisch die Unterschiede langsam verschwinden. Jazz ist mittlerweile
zu einer Sprache geworden, die von Spitzenmusikern weltweit gleich gut
beherrscht wird, wenn auch manchmal eine Dialektfärbung die Ausdrucksweise
bestimmt.
Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Regionalzeitung in Südwestdeutschland
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