Monday, 17 November 2014

HARRIS EISENSTADT und EMILE PARISIEN


Weltsprache Jazz

Europäische und amerikanische Spitzenmusiker brillierten in Singen und Tübingen 

                                                                                                                        Foto: Christoph Wagner

cw. Früher stand es außer Frage: Der beste Jazz kam aus den USA! Die amerikanischen Musiker und Bands dominierten die internationale Szene, während Europa eher als Entwicklungsland galt, wo nur eine Handvoll Solisten das amerikanische Niveau erreichten. Doch auch im Jazz geht das amerikanische Jahrhundert zu Ende. Heute wird in Europa ebenso exzellenter Jazz gespielt wie in den USA.

Zwei Spitzenformationen, die am Wochenende in Südwestdeutschland gastierten, unterstrichen das eindrucksvoll: Beim Jazzclub Singen absolvierte der Schlagzeuger Harris Eisenstadt mit seinem Canada Day Quintet aus New York seinen Debutauftritt in Europa, während sich einen Tag später im Tübinger Sudhaus mit dem Émile Parisien Quartet eine der jungen Spitzenbands des französischen Jazz vorstellte.

                                 Foto: Christoph Wagner
Der Schlagzeuger, Komponist und Bandleader aus Brooklyn ging mit einem Drumsolo das Konzert in Singen an. Danach entwarf sein Quintet  einen modernen Jazz, der durch komplexe Kompositionen und farbenreiche Arrangements bestimmt war und Elemente aus unterschiedlichen Epochen der Jazzgeschichte einbezog. Ob Hardbop, Cooljazz oder Free – alles floß auf originelle Weise in Eisenstadts Kompositionen zusammen. Mit großer Disziplin wurden die Stücke in Szene gesetzt, die oft eine lyrische Note besaßen und an moderne Jazzballaden erinnerten. Eisenstadt nahm dazu die Schlagzeugbesen in die Hand, um mit dezenten Tupfern die Eckpunkte der Kompositionen zu markieren, während der Trompeter poetische Linien blies und das Saxofon melancholische Töne beisteuerte, umwölkt von den flirrenden Klängen des Vibrafons. Gerne entwirft Eisenstadt seine Kompositionen als mehrteilige Werke, die sich dann von ruhig-besinnlich zu vital-expressiv steigern, wobei man sich gewünscht hätte, dass die Musiker die Zügel noch etwas lockerer gelassen und mit mehr Biß agiert hätten.

Den Furor von der Leine ließ dagegen das Émile Parisien Quartet im Tübinger Sudhaus, das sich zeitweise in Ekstase spielte. Der Saxofonist aus Paris hat die Schule des französischen Jazz durchlaufen und bei Altmeistern wie Daniel Humair und Michel Portal studiert. Sein Ensemble besteht aus hervorragenden Solisten, bei denen sich Können mit Kreativität und Spielwitz paart. Jeder der vier Musiker ist auch als Komponist tätig und steuert Stücke zum Repertoire der Gruppe bei, die mit Überraschungen gespiekt sind: Vertrakte Rhythmuswechsel und blitzschnelle dynamische Sprünge bestimmen die Musik, die atemlos durch einen Parcours stilistischer Brüche jagt. Einem Illusionskünstler gleich, ziehen die Musiker fortwährend ein neues Karnickel aus dem Zylinder. Das ist perfekt inszeniert, punktgenau ausgeführt und hochvirtuos gespielt, grenzt manchmal allerdings etwas an oberflächliche Effekthascherei.


Während Harris Eisenstadt mit seinem Canada Day Quintet die subtile Seite des Jazz erforscht und auf atmosphärische Stimmungen setzt, ist beim Émile Parisien Quartet Expressivität und Exaltiertheit Trumpf. Deutlich wird dabei, dass sich heute spieltechnisch  amerikanische und europäische Musiker auf gleicher Augenhöhe begegnen und auch stilistisch-musikalisch die Unterschiede langsam verschwinden. Jazz ist mittlerweile zu einer Sprache geworden, die von Spitzenmusikern weltweit gleich gut beherrscht wird, wenn auch manchmal eine Dialektfärbung die Ausdrucksweise bestimmt.

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Regionalzeitung in Südwestdeutschland

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