Für neugierige Ohren
Beim Zürcher Taktlos Festival 2015 treffen sich vom 28. - 30. Mai die
stoiischen Helden der Avantgarde
Mette Rasmussen & Chris Corsano
cw. Das Zürcher Taktlos-Festival gilt als Treffpunkt der
Paradiesvögel. Was andere Festivals groß ankündigen, aber selten einlösen, ist hier
eine Selbstverständlichkeit: Beim Taktlos werden Experimente groß geschrieben,
wobei vielfach jungen MusikerInnen zum Zug kommen, die noch als Geheimtipp
gelten. Die programmatische Ausrichtung macht das Festival zu einer 3tägigen Entdeckungsfahrt
in die abenteuerlichen Sphären der Musik – Überraschungen inbegriffen!
Anthony Braxton
Bis auf Anthony Braxton, einem der Großmeister des neuen
Jazz, verzichtet das Taktlos auch dieses Jahr wieder auf große Namen. Lieber präsentiert
es aufstrebende Talente wie den amerikanischen Schlagwerker Chris Corsano, der
lange mit der Popexzentrikerin Björk zusammengearbeitet
hat. Jetzt hat Corsano mit der jungen Saxofonisten Mette Rasmussen ein
aufregendes Duo initiiert, das neue Glut in die “fire music” der sechziger Jahre
bläst.
Zu den jüngeren Semestern gesellen sich die angegrauten Helden
der Avantgarde, die unbeirrt an ihren Konzepten basteln. Allen voran Philip
Jeck aus Liverpool. Der Turntable-Collagist hat in seiner Karriere schon mit
Gavin Bryars und dem Kronos Quartet kooperiert und wird sich beim Taktlos in einer
Multimedia-Performance präsentieren. Kurzum: In der Aktionshalle der Roten
Fabrik hat vom 28. - 30. Mai die
musikalische Neugierde Heimspiel.
Souverän bläst Mette Rasmussen ihr Altsaxofon und schleudert
mit Wucht wilde Klangfetzen heraus. Dann schaltet sie urplötzlich auf leise um und
entlockt ihrem Instrument feinstes Vogelgezwitscher. Gelegentlich stopft die
junge Dänin einen Plastikbecher in den Trichter, um mit dem Saxofon wie auf einem
Kazoo zu singen. Ohne Zweifel bilden die sechziger Jahre, die Entstehungsphase
der freien Musik, den Ausgangspunkt ihrer Reise. Doch geht Rasmussen darüber
hinaus. Sie will Neuland erkunden!
Frische Klänge ausfindig zu machen, ist harte Arbeit. Wenn Rasmussen
zwischen Tourneen und Einzelkonzerten zu Hause im norwegischen Trondheim ist, pflegt
sie ein unerbittliches Regime: Stunden um Stunden feilt sie täglich an ihrem
Spiel. Viel Zeit verwendet sie auf technische Griffübungen, jagt die Tonleitern
rauf und runter. Doch noch intensiver betreibt sie Klangforschung. Wieder und
wieder entdeckt Rasmussen das Saxofon neu, als Klangquelle, in dem noch so
mancher verborgene Ton schlummert.
Am Schlagzeug reagiert Chris Corsano auf jede Saxofonnote mit
großem Einfühlungsvermögen. Oft tupft er mit den Besen über die Trommeln oder
streichelt die Becken, bis sie wohlig summen. Doch der Amerikaner kann auch
anders: Wenn das Saxofon Feuer speit, haut er mit voller Wucht in die Felle,
wobei er gelegentlich mit der rechten Hand wie ein Vibrafonist mit zwei Klöppeln
spielt. Wieselflink schafft er ein dichtes Geflecht aus perkussiven Texturen,
das pulsiert und pocht.
Rasmussen und Corsano gehören zu einer jungen Generation, die
dem modernen Jazz neue Facetten abgewinnt. Ob in den USA, Großbritannien,
Skandinavien oder der Schweiz – überall regt sich kreativer Geist. Auch der Pianist Alexander Hawkins aus der englischen
Universitätsstadt Oxford ist nie den geraden Weg gegangen. Um das Musikkonservatorium
machte er einen weiten Bogen und ist seither immer seinem eigenen Kompass
gefolgt. Von Freejazz mit Louis Moholo-Moholo über das fauchende Orgeltrio
Decoy bis zum funky Ethio-Jazz mit Mulatu Astatke - Hawkins ist mit allen musikalischen
Wassern gewaschen. Überall saugt er Einflüsse auf und läßt sie in sein Solospiel
einfließen. Als enzyklopädischer Kenner der Jazztradition setzt er die Töne mit
Bedacht, tippt sachte mit den Fingerspitzen die Tasten an. Sparsame Intervalle
und dezente Akkorde ertönen, aus denen mit der Zeit ein organisches Klanggebilde
entsteht, das sich mehr und mehr verschränkt und verdichtet bis zum ekstatischen
Finale.
Martin Küchen Angles9
Den Kontrapunkt zum pianistischen Solospiel setzt Martin
Küchen. Der Saxofonist und Bandleader kommt mit viel Blech nach Zürich. Mit
mächtigem Bläsersatz und treibenden Grooves trumpft seine Mini-Bigband Angles9 auf.
Erinnerungen an den Brassrock der siebziger Jahre werden wach. Zudem läßt die legendäre
Brotherhood of Breath des Südafrikaners Chris McGregor sowie das Arkestra von
Sun Ra grüßen. Gestochen scharfe Einsätze, vielschichtige Arrangements und verschlungene
Soli verbinden sich in den Kompositionen des Schweden zu einem brodelnden
Gebräu, aus dem das Vibrafon mit buntschillernden Tonkaskaden heraussticht.
Dazwischen werden elegische Klangmalereien geschoben, die sich im Schritttempo eines
Trauermarschs bewegen. Dann führen langgezogene Saxofon- und Trompetenstöße die
Musik in bewegtere Zonen. Liebgewonnene Hörgewohnheiten und abgenutzte
Klischees werden weiträumig umgangen. Dennoch greift Angles9 auf Klangmaterial
zurück, das weder revolutionär noch avantgardistisch ist - im Gegenteil: Aus
bekannten Komponenten neue Funken zu schlagen, lautet die Alchemisten-Formel,
die für viele Künstler beim diesjährigen Taktlos Festival gilt.
28. 4. Wild Chamber Trio / Rasmussen & Corsano / Bänz
Oester & The Rainmakers
29. 4. Joachim Badenhorst / Small Angles / Martin Küchen’s
Angles9
30. 4. Anthony Braxton Diamond Curtain Wall Quartet /
Alexander Hawkins / Jeck-Brill-Lemieux
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