Außerirdische
auf der Tanzfläche
Das Münchner
Festival “Alien Disko” präsentierte Klänge abseits des Mainstreams
The Comet is Coming (Foto: Manuel Wagner)
cw. Das Festival war
als Anregung gedacht: Es sollte Veranstalter und Institutionen Mut machen, bei
Musikveranstaltungen doch wagemutiger zu sein und nicht nur Bewährtes und
Bekanntes zu präsentieren. Mit einem Programm aus Neuem, Entlegenem und
Außergewöhnlichem wollte die zweitägige “Alien Disko”-Konzertveranstaltung in
den Münchner Kammerspielen dafür ein Zeichen setzen. Ausgebrütet hatten das
Ereignis die Brüder Markus und Micha Acher von der alternativen Rockgruppe The
Notwist aus Bayern, die damit den Beweis erbringen wollten, dass auch mit
Klängen abseits des Mainstreams Massen zu gewinnen sind. Es gelang: Das “Alien
Disko”-Festival war an beiden Tagen nahezu ausverkauft!
Den Auftakt
machte ein Klassiker: die Komposition “Music for pieces of wood” von Steve
Reich, einem der Urväter der Minimal Music. Sie wurde vom Ensemble Stargaze gekonnt
mit schillernden Klangfarben in Szene gesetzt. Anschließend überführte die
Berliner Gruppe das Album “Hi Scores” des elektronischen Duos Boards of Canada in eine akustische
Klanglandschaft, was interessante Brechungen und Spiegelungen ergab.
Dawn of Midi (Foto: Manuel Wagner)
Dawn of Midi (Foto: Manuel Wagner)
Dass die Wurzeln
der Minimal Music eigentlich in Afrika zu suchen sind, machte der Berliner
Elektroniker Mark Ernestus klar. Mit seiner Ndagga Rhythm Force, die durchweg
aus afrikanischen Musikern besteht, legte er vielschichte Trommelmuster über
elektronische Baßlinien, zu denen sich eine Tänzerin in tollkühner Akrobatik verbog.
Solch komplexe Polymetrik bildete einst den Ausgangspunkt nicht nur für Steve
Reich, sondern heute wieder für das Trio Dawn of Midi. Mit absoluter Präzision
und großer Beharrlichkeit übersetzten die drei Musiker aus Brooklyn die
Komplexität afrikanischer Trommelrhythmen in eine Piano-Baß-Schlagzeug-Besetzung
und riefen damit verblüffende Effekte hervor. Trance lautete das ultimative
Ziel.
Zeitlich, aber
auch stilistisch, einen weiten Bogen spannte das legendäre Sun Ra Arkestra, das
heute vom quirrligen Marshall Allen geleitet wird, inzwischen im 93.
Lebensjahr. Der Altsaxofonist verstand es mit kreischenden Saxofonschreien
seine Bandkollegen zu Hochleistungen anzustacheln. Von swingendem Bigbandjazz
der 1930er Jahre bis zu den kosmischen Sounds des Weltraumzeitalters reichte
das Spektrum, mit dem das zwölfköpfige Ensemble das Publikum in den Bann zog.
Verstärkt durch den bayerischen Sun Ra-Spezialisten Hartmut Geerken, der die
originale Sonnenharfe zupfte, die ihm einst Sun Ra (1914 - 1993) persönlich
anvertraut hatte, absolvierte die Gruppe ein inspiriertes Programm, das vom
Publikum mit Begeisterungsstürmen aufgenommen wurde.
Sun Ras
Weltraum-Mytholodie (Motto: “Space is the place”), die einst eine Strategie
war, um dem alltäglichen Rassismus zu entgehen, bildete den Leitstern für so
manche Gruppe beim “Alien Disko”-Festival -
allen voran The Comet is Coming. Das Trio aus London, das dieses Jahr
für den Mercury-Preis nominiert worden war, steht für ekstatischen Groove-Jazz,
der auf wuchtig-knarzigen Baßriffs vom Synthesizer, knackigen Schlagzeugbeats
und einem kraftvollen Saxofonspiel beruht, das mit viel Echo weite Räume
öffnet.
The Notwist (Foto: Manuel Wagner)
Einen anderen
Höhepunkt setzten allerdings die Programmmacher selber. Der Auftritt der Acher-Brüder
mit ihrer Band The Notwist ließ keine Erwartungen unerfüllt. Ihre Musik
beinhaltete von krachendem Indie-Rock über minimalistische Passagen bis zu
träumerischen Songs das ganze Spektrum an Stilen, das auch beim “Alien Disko”-Festival
vertreten war. Auf einen zweiten Durchgang im nächsten Jahr möchte man hoffen.
Der deutsche Festivallandschaft würde das nur gut tun.
Der Festivalbericht erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)
Der Festivalbericht erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)
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