Wednesday, 8 March 2017

Von The Notwist kuratiert: ALIEN DISKO

Außerirdische auf der Tanzfläche

Das Münchner Festival “Alien Disko” präsentierte Klänge abseits des Mainstreams

The Comet is Coming (Foto: Manuel Wagner)

cw. Das Festival war als Anregung gedacht: Es sollte Veranstalter und Institutionen Mut machen, bei Musikveranstaltungen doch wagemutiger zu sein und nicht nur Bewährtes und Bekanntes zu präsentieren. Mit einem Programm aus Neuem, Entlegenem und Außergewöhnlichem wollte die zweitägige “Alien Disko”-Konzertveranstaltung in den Münchner Kammerspielen dafür ein Zeichen setzen. Ausgebrütet hatten das Ereignis die Brüder Markus und Micha Acher von der alternativen Rockgruppe The Notwist aus Bayern, die damit den Beweis erbringen wollten, dass auch mit Klängen abseits des Mainstreams Massen zu gewinnen sind. Es gelang: Das “Alien Disko”-Festival war an beiden Tagen nahezu ausverkauft!

Den Auftakt machte ein Klassiker: die Komposition “Music for pieces of wood” von Steve Reich, einem der Urväter der Minimal Music. Sie wurde vom Ensemble Stargaze gekonnt mit schillernden Klangfarben in Szene gesetzt. Anschließend überführte die Berliner Gruppe das Album “Hi Scores” des elektronischen Duos Boards of Canada in eine akustische Klanglandschaft, was interessante Brechungen und Spiegelungen ergab.

Dawn of Midi (Foto: Manuel Wagner)
Dass die Wurzeln der Minimal Music eigentlich in Afrika zu suchen sind, machte der Berliner Elektroniker Mark Ernestus klar. Mit seiner Ndagga Rhythm Force, die durchweg aus afrikanischen Musikern besteht, legte er vielschichte Trommelmuster über elektronische Baßlinien, zu denen sich eine Tänzerin in tollkühner Akrobatik verbog. Solch komplexe Polymetrik bildete einst den Ausgangspunkt nicht nur für Steve Reich, sondern heute wieder für das Trio Dawn of Midi. Mit absoluter Präzision und großer Beharrlichkeit übersetzten die drei Musiker aus Brooklyn die Komplexität afrikanischer Trommelrhythmen in eine Piano-Baß-Schlagzeug-Besetzung und riefen damit verblüffende Effekte hervor. Trance lautete das ultimative Ziel. 

Zeitlich, aber auch stilistisch, einen weiten Bogen spannte das legendäre Sun Ra Arkestra, das heute vom quirrligen Marshall Allen geleitet wird, inzwischen im 93. Lebensjahr. Der Altsaxofonist verstand es mit kreischenden Saxofonschreien seine Bandkollegen zu Hochleistungen anzustacheln. Von swingendem Bigbandjazz der 1930er Jahre bis zu den kosmischen Sounds des Weltraumzeitalters reichte das Spektrum, mit dem das zwölfköpfige Ensemble das Publikum in den Bann zog. Verstärkt durch den bayerischen Sun Ra-Spezialisten Hartmut Geerken, der die originale Sonnenharfe zupfte, die ihm einst Sun Ra (1914 - 1993) persönlich anvertraut hatte, absolvierte die Gruppe ein inspiriertes Programm, das vom Publikum mit Begeisterungsstürmen aufgenommen wurde.

Sun Ras Weltraum-Mytholodie (Motto: “Space is the place”), die einst eine Strategie war, um dem alltäglichen Rassismus zu entgehen, bildete den Leitstern für so manche Gruppe beim “Alien Disko”-Festival -  allen voran The Comet is Coming. Das Trio aus London, das dieses Jahr für den Mercury-Preis nominiert worden war, steht für ekstatischen Groove-Jazz, der auf wuchtig-knarzigen Baßriffs vom Synthesizer, knackigen Schlagzeugbeats und einem kraftvollen Saxofonspiel beruht, das mit viel Echo weite Räume öffnet.

The Notwist (Foto: Manuel Wagner)


Einen anderen Höhepunkt setzten allerdings die Programmmacher selber. Der Auftritt der Acher-Brüder mit ihrer Band The Notwist ließ keine Erwartungen unerfüllt. Ihre Musik beinhaltete von krachendem Indie-Rock über minimalistische Passagen bis zu träumerischen Songs das ganze Spektrum an Stilen, das auch beim “Alien Disko”-Festival vertreten war. Auf einen zweiten Durchgang im nächsten Jahr möchte man hoffen. Der deutsche Festivallandschaft würde das nur gut tun.

Der Festivalbericht erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)

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