Die Schwobarocker werfen das Handtuch
Die
Köberlein-Brüder verabschieden sich von ihren Fans – die Abschiedstournee von Grachmusikoff ist
angelaufen
cw. 40
Jahre lang als professionelle Musiker zu arbeiten, geht an die Substanz. Alex
und Georg Köberlein von der „Schwobarock“-Gruppe Grachmusikoff können davon ein
Lied singen. Im Alter von fast 66 Jahren fühlen sich die Zwillingsbrüder den
Strapazen nicht mehr gewachsen: Verstärker und Instrumente schleppen, Publikum unterhalten
auf Teufel kommt raus, lange Autofahrten, erst frühmorgens ins Bett – das laugt
einen aus. „Wir sind nicht mehr fit genug für diese Plackerei“, räumt Alex
Köberlein ein, der sich in den letzten Jahren ein paar schweren Operationen
unterziehen musste. Schon im vorigen Jahr haben die Brüder beschlossen: An
Weihnachten 2017 gehen sie in Rente. Die Abschiedstournee ist angelaufen. Wer also
die Helden des „Schwobarock“ noch ein letztes Mal ‘live’ erleben will, muß sich
sputen: Zum Jahresende ist endgültig Schluß!
Mit
dem Abgang der Köberlein-Brüder verschwinden zwei prägende Gestalten der
südwestdeutschen Rockszene von der Bildfläche, die den „Schwobarock“ groß
gemacht haben. Zum einen mit Grachmusikoff, der Gruppe, die 1978 von den beiden
Brüdern gemeinsam gegründet wurde; zum anderen mit Schwoißfuaß, die Alex
Köberlein 1979 alleine ins Leben rief und die in den 1980er Jahren im Südwesten
populärer waren als Michael Jackson. Der Song „Oinr isch emmr dr Arsch“ war der
Riesenhit der Band, der zu einer Art alternativen Schwabenhymne wurde.
Alles
hatte in den aufgewühlten 1970er Jahren begonnen, als die Brüder aus Bad
Schussenried nach Reutlingen zum Pädagogikstudium zogen: Lehrer wollten sie
werden. An der
Hochschule lernten sie den Studienkollegen Wolfgang Kriwanek kennen, der eigene
Lieder auf schwäbisch sang. Alex Köberlein begleitete „Wolle“ bei ein paar
Auftritten, doch irgendwie kam er mit dessen Stuttgarter Honoratiorenschwäbisch
nicht zurecht. In Oberschwaben wurde anders gesprochen: derber, offener,
direkter!
Geboren 1951, war Köberlein mit seinem Zwillingsbruder
Georg und sechs anderen Geschwistern in einer Flüchtlingsfamilie in Bad
Schussenried groß geworden. In der örtlichen Blaskapelle lernten sie das kleine
musikalische Einmaleins, das dann in lokalen Bands wie der Gruppe Soul Inspiration
zur Anwendung kam. Die beiden Provinz-Rebellen wurden Teil der alternativen
Szene Oberschwabens. Man fuhr zu Demos, veranstaltete Rock-, Blues- und
Folkkonzerte, kämpfte für selbstverwaltete Jugendhäuser.
Bei solch einer Demo hatte Alex Köberlein sein Erweckungserlebnis:
„Da stand auf einmal mein Bruder Georg auf der Bühne und sang zwei Lieder auf
schwäbisch. Ich stand unten und kriegte den Mund nicht mehr zu: ‘Boaaah – das
klingt ja geil!’“ Mit Grachmusikoff entwickelten die Brüder daraus ein Konzept,
bei dem Polkas, pseudo-russische Klänge und klassische Flötenduette wild
durcheinander wirbelten. „Wir haben immer die Show, das Spektakel gesucht und
dann diese Lieder auf Schwäbisch gebracht, die einen eigenen Charakter hatten,”
erklärt Alex Köberlein.
Grachmusikoff
Grachmusikoff hatten mit ihren „schwäbischen Balladen“
beachtlichen Erfolg. Vor allem das Lied „Heut gibt es keine Indianer mehr“
wurde zum Dauerbrenner. Doch Alex Köberlein hatte weiterreichende Pläne.
Ermutigt durch den Erfolg des “Kölsch Rock” von BAP, hob er Schwoißfuaß aus der
Taufe, die mit ihren schwäbischen Rocksongs Furore machten.
Bei Auftritten ließen die Schwoißfuaß-Musiker die Sau
raus! Die Konzerte waren schweißtreibende Angelegenheiten voller Intensität. Mit
der Band hatten die Jugendlichen aus dem schwäbischen Hinterland endlich ein
Sprachrohr gefunden. Dass Köberlein in tiefstem Schwäbisch sang, und sich dafür
nicht entschuldigte, sondern diesen vermeintlichen Makel wie ein Banner
selbstbewußt vor sich hertrug, war bahnbrechend und wirkte als Medizin gegen
das chronische schwäbische Minderwertigkeitsgefühl. In Titeln wie „Wenn d Masga rudscht“, „
Laudr guade Leid“ oder „Dr tägliche Wahn“ spiegelte sich der Gemütszustand
einer ganzen Generation wider. „Die Jugendlichen haben
gesagt: ‘Das ist unser Ding. Endlich ist da etwas.’ Das hat ungeheure Wirkung
gehabt,” erinnert sich Köberlein.
Egal wo Schwoißfuaß auftraten, selbst in den kleinsten
Ortschaften, immer waren die Turn- und Festhallen rappelvoll. Der Erfolg ließ
den Plattenverkauf explodieren, der von den Musikern selbst organisiert wurde.
“Wir haben jeden Monat zehntausend Platten aus dem Wohnzimmmer raus verkauft,“ so
Köberlein.
Ein paar Jahre dauerte der Boom. Dann ebbte der Erfolg
ab. Schwoißfuaß’ kreative Energie hatte sich verbraucht. Alex Köberlein
versuchte es als Solokünstler, doch fühlten sich seine hochdeutschen Songs
nicht wirklich authentisch an. Schwoißfuaß kamen 1996 noch einmal für eine
Comeback-Tour zusammen. Doch von da an wurde ihr Repertoire von Grachmusikoff gepflegt,
die im Trio oder als volle Band seither wacker ihre Runden drehen zwischen
Meßkirch, Knittlingen und Krauchenwies. Diesen Herbst zum allerletzten Mal. Die Bandscheiben machen nicht mehr mit. „Wenn man immer
vorangeht, wird man irgendwann müde,“ zieht Alex Köberlein einen Schlußstrich
unter 40 Jahre im Musikgeschäft.
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