Wednesday 8 November 2017

Aus für Grachmusikoff - Schwobarocker gehen in Rente

Die Schwobarocker werfen das Handtuch

Die Köberlein-Brüder verabschieden sich von ihren Fans – die Abschiedstournee von Grachmusikoff ist angelaufen


cw. 40 Jahre lang als professionelle Musiker zu arbeiten, geht an die Substanz. Alex und Georg Köberlein von der „Schwobarock“-Gruppe Grachmusikoff können davon ein Lied singen. Im Alter von fast 66 Jahren fühlen sich die Zwillingsbrüder den Strapazen nicht mehr gewachsen: Verstärker und Instrumente schleppen, Publikum unterhalten auf Teufel kommt raus, lange Autofahrten, erst frühmorgens ins Bett – das laugt einen aus. „Wir sind nicht mehr fit genug für diese Plackerei“, räumt Alex Köberlein ein, der sich in den letzten Jahren ein paar schweren Operationen unterziehen musste. Schon im vorigen Jahr haben die Brüder beschlossen: An Weihnachten 2017 gehen sie in Rente. Die Abschiedstournee ist angelaufen. Wer also die Helden des „Schwobarock“ noch ein letztes Mal ‘live’ erleben will, muß sich sputen: Zum Jahresende ist endgültig Schluß!

Mit dem Abgang der Köberlein-Brüder verschwinden zwei prägende Gestalten der südwestdeutschen Rockszene von der Bildfläche, die den „Schwobarock“ groß gemacht haben. Zum einen mit Grachmusikoff, der Gruppe, die 1978 von den beiden Brüdern gemeinsam gegründet wurde; zum anderen mit Schwoißfuaß, die Alex Köberlein 1979 alleine ins Leben rief und die in den 1980er Jahren im Südwesten populärer waren als Michael Jackson. Der Song „Oinr isch emmr dr Arsch“ war der Riesenhit der Band, der zu einer Art alternativen Schwabenhymne wurde.

                                                                                           Schwoißfuaß 'in action' 

Alles hatte in den aufgewühlten 1970er Jahren begonnen, als die Brüder aus Bad Schussenried nach Reutlingen zum Pädagogikstudium zogen: Lehrer wollten sie werden. An der Hochschule lernten sie den Studienkollegen Wolfgang Kriwanek kennen, der eigene Lieder auf schwäbisch sang. Alex Köberlein begleitete „Wolle“ bei ein paar Auftritten, doch irgendwie kam er mit dessen Stuttgarter Honoratiorenschwäbisch nicht zurecht. In Oberschwaben wurde anders gesprochen: derber, offener, direkter!

                                                                                              Soul Inspiration (Foto: Miche Hepp)
Geboren 1951, war Köberlein mit seinem Zwillingsbruder Georg und sechs anderen Geschwistern in einer Flüchtlingsfamilie in Bad Schussenried groß geworden. In der örtlichen Blaskapelle lernten sie das kleine musikalische Einmaleins, das dann in lokalen Bands wie der Gruppe Soul Inspiration zur Anwendung kam. Die beiden Provinz-Rebellen wurden Teil der alternativen Szene Oberschwabens. Man fuhr zu Demos, veranstaltete Rock-, Blues- und Folkkonzerte, kämpfte für selbstverwaltete Jugendhäuser.

Bei solch einer Demo hatte Alex Köberlein sein Erweckungserlebnis: „Da stand auf einmal mein Bruder Georg auf der Bühne und sang zwei Lieder auf schwäbisch. Ich stand unten und kriegte den Mund nicht mehr zu: ‘Boaaah – das klingt ja geil!’“ Mit Grachmusikoff entwickelten die Brüder daraus ein Konzept, bei dem Polkas, pseudo-russische Klänge und klassische Flötenduette wild durcheinander wirbelten. „Wir haben immer die Show, das Spektakel gesucht und dann diese Lieder auf Schwäbisch gebracht, die einen eigenen Charakter hatten,” erklärt Alex Köberlein.

Grachmusikoff

Grachmusikoff hatten mit ihren „schwäbischen Balladen“ beachtlichen Erfolg. Vor allem das Lied „Heut gibt es keine Indianer mehr“ wurde zum Dauerbrenner. Doch Alex Köberlein hatte weiterreichende Pläne. Ermutigt durch den Erfolg des “Kölsch Rock” von BAP, hob er Schwoißfuaß aus der Taufe, die mit ihren schwäbischen Rocksongs Furore machten.

Bei Auftritten ließen die Schwoißfuaß-Musiker die Sau raus! Die Konzerte waren schweißtreibende Angelegenheiten voller Intensität. Mit der Band hatten die Jugendlichen aus dem schwäbischen Hinterland endlich ein Sprachrohr gefunden. Dass Köberlein in tiefstem Schwäbisch sang, und sich dafür nicht entschuldigte, sondern diesen vermeintlichen Makel wie ein Banner selbstbewußt vor sich hertrug, war bahnbrechend und wirkte als Medizin gegen das chronische schwäbische Minderwertigkeitsgefühl. In Titeln wie „Wenn d Masga rudscht“, Laudr guade Leid“ oder „Dr tägliche Wahn“ spiegelte sich der Gemütszustand einer ganzen Generation wider. „Die Jugendlichen haben gesagt: ‘Das ist unser Ding. Endlich ist da etwas.’ Das hat ungeheure Wirkung gehabt,” erinnert sich Köberlein. 
 
Egal wo Schwoißfuaß auftraten, selbst in den kleinsten Ortschaften, immer waren die Turn- und Festhallen rappelvoll. Der Erfolg ließ den Plattenverkauf explodieren, der von den Musikern selbst organisiert wurde. “Wir haben jeden Monat zehntausend Platten aus dem Wohnzimmmer raus verkauft,“ so Köberlein.

Ein paar Jahre dauerte der Boom. Dann ebbte der Erfolg ab. Schwoißfuaß’ kreative Energie hatte sich verbraucht. Alex Köberlein versuchte es als Solokünstler, doch fühlten sich seine hochdeutschen Songs nicht wirklich authentisch an. Schwoißfuaß kamen 1996 noch einmal für eine Comeback-Tour zusammen. Doch von da an wurde ihr Repertoire von Grachmusikoff gepflegt, die im Trio oder als volle Band seither wacker ihre Runden drehen zwischen Meßkirch, Knittlingen und Krauchenwies. Diesen Herbst zum allerletzten Mal. Die Bandscheiben machen nicht mehr mit. „Wenn man immer vorangeht, wird man irgendwann müde,“ zieht Alex Köberlein einen Schlußstrich unter 40 Jahre im Musikgeschäft.

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