Im Fluss der Ideen
Interview mit dem einflussreichen Jazzpianisten und Bandleader Muhal Richard Abrams, Gründer der Chicagoer Musikerorganisation AACM
cw. Seine erste Gruppe nannte er Experimental Band. Das war 1962 und gab die Richtung vor. Muhal Richard Abrams hält seither Kurs. Der Pianist und Komponist gilt als einer der großen alten Männer der amerikanischen Jazz-Avantgarde. 1965 gründete er in Chicago die Musikerorganisation AACM, die zum Ausgangspunkt für die Karrieren vieler Jazzmusiker wurde, von denen Anthony Braxton und das Art Ensemble of Chicago nur die prominentesten sind. Abrams hat vom Streichquartett (für das Kronos Quartet) bis zum Sinfoniekonzert für jedes Format komponiert. Jetzt ist er im Alter von 87 Jahren gestorben.
Sie traten 1967 mit ihrem Debutalbum “Levels and Degrees of Light” erstmals ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit. Was haben sie als junger Mann, in den 50er Jahren, musikalisch gemacht?
Muhal Richard Abrams: Ich arbeitete als professioneller Musiker. Ich spielte alle möglichen Stile und trat mit verschiedenen Gruppen in den Clubs von Chicago auf. Manchmal begleitete ich Solisten, die zu Auftritten nach Chicago kamen wie Max Roach oder Dexter Gordon.
Mit ihrer “Experimental Band” gingen sie ab 1962 neue Wege. Was war die Idee?
MRA: Die Gruppe sollte ein Vehikel sein, um eigene Kompositionen zu spielen und neue Ideen und Konzepte auszuprobieren. Prinzipiell sollte die Musik jede Form annehmen können, solange es sich um eigenes Material handelte. Ich bin nicht an Stilunterscheidungen interessiert, sondern an Musik als umfassender Einheit, die alles beinhalten kann. An dieser Haltung hat sich bis heute nichts geändert. Ich wehre mich gegen die Einordnung als Jazzmusiker, weil das Wort eine Begrenzung bedeutet. Ich bin Musiker! Wenn das Wort Jazz fällt, denkt man an Louis Armstrong oder Charlie Parker, die ich natürlich respektierte. Trotzdem will ich mich nicht auf diesen Stil festlegen lassen, sondern offen für jede Art von Musik sein.
Wie liefen die Proben der Experimental Band konkret ab?
MRA: Wir schufen ein musikalisches Kontinuum, mit dem man improvisatorisch arbeiten konnte. Musik wurde geschrieben, die Improvisationen beinhaltete. Es ging darum, neue Formen notierter und spontaner Musik zu erarbeiten. Anfangs war ich der einzige, der Kompositionen einbrachte, später steuerten auch andere Mitglieder Stücke bei, als sie selbstbewußter und handwerklich besser wurden. Es war ein gradueller Prozeß. Das Hauptziel war, einen musikalischen Rahmen zu schaffen, der Kreativität förderte und jedem Beteiligten die Möglichkeit bot, seine musikalischen Fähigkeiten zu entwickeln.
Entstand daraus der Gedanke, eine größere Organisation zu gründen?
MRA: Die Experimental Band war der Kern, aus dem die Musiker-Organisation AACM hervorging. Chicago war dafür der richtigen Ort, weil man hier seine eigenen Projekte machen konnte, ohne das dauernd jemand dazwischen funkte. Man konnte in Ruhe Konzepte entwickeln und wurde nicht gleich von Kritik und Querschüssen entmutigt. Ursprünglich waren wir eine Gruppe von vier Musikern, die sich zusammensetzten und diskutierten. Der Plan: war, eine festere Organisationstruktur zu schaffen. Zum zweiten Treffen luden wir dann weitere Musiker ein, um zu sehen, ob so ein Zusammenschuß Unterstützung finden würde. Die Resonanz war ermutigend, und so beschlossen wir, der Sache einen formalen Rahmen zu geben und gründeten die AACM, die Association for the Advancement of Creative Musicians. Wie in der Experimental Band wollten wir eine Plattform schaffen, die Musikern helfen sollte, ihre Fähigkeiten und Talenten zu entwickeln.
Die AACM war keine reine Musikerorganisation, sondern verfolgte auch soziale Ziele?
MRA: Wir richteten eine Musikschule für Jugendliche in unserem Viertel ein. Das war sehr wichtig, weil wir die Sache auf eine breitere Basis stellen wollten. Wir wollten andere Leute einbeziehen. Wir warfen einen Stein ins Wasser, damit er Kreise zieht. Der Saxofonist Douglas Ewart - heute ein respektierter Musiker - ging aus einer dieser Klassen hervor. Allerdings waren wir alle irgendwie Studierende und ich würde mich heute noch als einen Studierenden von Musik bezeichnen. Das ist ein lebenslanger Prozeß und nie abgeschlossen.
Eine der Aktivitäten der AACM war, eigene Konzerte zu organisieren?
MRA: Es ging darum, geeignete Orten zu finden, wo diese Art von Musik aufgeführt werden konnte, weil die Clubs dazu nicht geeignet waren. Wir spielten Konzertmusik. Dafür waren die Clubs die falsche Umgebung. Also mussten wir unsere eigenen Konzerte durchführen.
1975 verließen sie Chicago und zogen nach New York. Was war der Grund?
MRA: Ich bin Musiker, und Musiker ziehen ins Zentrum des Geschehens - und das war New York. Durch meine Schallplatten hatte ich inzwischen eine weltweite Reputation erworben, was den Umzug erleichterte. Man kannte mich in New York! Die AACM war natürlich eng mit Chicago verknüpft, aber als Idee an keinen bestimmten Ort gebunden. Mit anderen gründeten ich die New Yorker Zweigstelle der AACM, und wir nahmen unsere Aktivitäten wieder auf. Unsere Idee der Selbstorganisation fand damals viel Resonanz in der New Yorker Loft-Szene, wo Musiker ähnliche Initiativen starteten und Konzerte in Eigenregie in ihren Ateliers und Studios durchführten.
Sie schreiben Musik nicht nur für ihre eigenen Gruppen, sondern haben auch u.a. für das Kronos Quartet komponiert?
MRA: 1984 wurde ich beauftragt, ein Streichquartett zu einem Konzert beizusteuern, in welchem das Kronos Quartet Werke von verschiedenen Komponisten aus dem Umkreis der AACM aufführte. So entstand mein “String Quartet No 2”.
Das Interview wurde 2007 für die NZZ geführt.
Das Interview wurde 2007 für die NZZ geführt.
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