Tuesday, 26 November 2024

Scheibengericht Nr. 31: Ingrid Laubrock / Tom Rainey

Ingrid Laubrock / Tom Rainey

Brink

(Intakt / Harmonia Mundi)


 

 

Gleich vorneweg: Dies hier ist ein superbes Album. Es ist das Kondensat unzähliger Sessions, die Ingrid Laubrock (Saxofone) und Tom Rainey (Drums) in den letzten Jahre miteinander gespielt haben. Auf intensivste Weise pflegte das Musikerehepaar das Duospiel gezwungenermaßen in den Monaten der Pandemie, als man keine anderen Musiker und Musikerinnen treffen konnte und die beiden anfingen, jeden Freitag ein Duo „online“ zustellen, welches sie während der Woche in ihrer Booklyner Wohnung entworfen, geprobt und aufgezeichnet hatten. So kamen genau 60 „Stir Crazy“-Editionen zustande. Den Wohnungsnachbarn sei gedankt für ihre unendliche Geduld.

 

Die Essenz dieser akribischen Beschäftigung mit dem Duo-Format ist jetzt auf diesem Album zu hören: 13 kurze Titel (der längste ist 5 Minuten lang, der kürzeste knapp eine Minute) entfalten eine Klanglichkeit wie sie unterschiedlicher nicht hätte sein können. Spaltklänge, Obertöne und Klappengeräusche bestimmen neben Laubrocks brüchigen, stillen oder aufbrausenden Saxofonlinien das musikalische Geschehen, das Tom Rainey in höchst sensibler Manier perkussiv zu kolorieren weiß. Kurze Interludes namens „Brink I – VI“ wirken als Kontrastmittel, bei denen sich das Saxofon manchmal wie eine stark verzerrte E-Gitarre anhört. Jedes Stück ist ein Balanceakt, der offen läßt, ob es komponiert oder improvisiert ist und so die Schwebe als idealen Aggregatzustand wählt. 


Zum reinhören:

https://laubrock-intakt.bandcamp.com/album/brink


 

Thursday, 21 November 2024

James Brandon Lewis mit dem Red Lily Quintet in Singen

Aus Gospel wird Jazz

James Brandon Lewis würdigt Mahalia Jackson beim Jazzclub Singen 


Fotos: C. Wagner

 

Im Kinofilm „Selma“ von 2014, der den Protestmarsch der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung 1965 von Selma nach Montgomery nachzeichnet, hat sie einen kurzen Auftritt. Am Telefon macht Mahalia Jackson dem verzweifelten Martin Luther King Mut, indem sie ihm ein Spiritual singt. Jackson (1911-1972) gilt als die Urmutter des religiösen Gesangs des schwarzen Amerikas und genießt als „Gospelkönigin“ höchstes Ansehen.

 

Der amerikanische Saxofonist James Brandon Lewis, der in seiner Jugend viel in Kirchen musizierte und dem seine Oma Mahalia Jackson nahe brachte, hat mit „For Mahalia, with love“ 2023 der Gospelsängerin ein ganzen Album gewidmet, als Würdigung der großen Vokalistin, die ihr Leben lang gegen die Erniedrigung und Herabwürdigung ihrer schwarzen Landsleute mit religiösen Hymnen ansang. Der Glaube an einen gerechten Gott ließ sie die Hoffnung auf ein Ende der Rassendiskriminierung nicht verlieren. 

 

Zu seinem Konzert beim Jazzclub Singen brachte James Brandon Lewis das hochkarätige Red Lily Quintet mit, das allerdings im Unterschied zu der Besetzung, die letztes Jahr das Album einspielte, inzwischen mehrheitlich aus Jazzmusikerinnen besteht, ein weiterer Beweis dafür, dass die Frauen im Jazz mächtig auf dem Vormarsch sind. 


 

Herausragend Tomeka Reid, momentan die tonangebende Cellistin im modernen Jazz. Ebenso überzeugend die Schlagzeugerin Lily Finnegan aus Chicago. Das Spiel der beiden besticht durch Präzision, Virtuosität und Energie, was auch für die Kontrabassistin Silvia Bolognesi aus Italien gilt, das einzige Mitglied der Band, das nicht aus den USA kommt. 

 

Angesichts solcher Power-Frauen muß sich Flügelhornspieler Kirk Knuffke mächtig ins Zeug legen, was ihm problemlos gelingt, gilt er doch als einer der besten Blechbläser der New Yorker Szene: Sein Ton ist glasklar, seine Melodielinien messerscharf. Über all dem schwebt der Geist von John Coltrane, dem Urvater des modernen Jazz, dessen tiefe Spiritualität in jeder Note von James Brandon Lewis‘ Saxofonspiel schwingt. Mit bebendem Ton schmettert der 41jährige die Gospelmelodien nur so heraus und treibt so die anderen zu immer größeren Höchstleistungen an.  


 

Aus dem riesigen Repertoire von Mahalia Jackson hat Brandon Lewis ein halbes Dutzend Gospels und Spirituals ausgewählt – so „Swing Low, Sweet Chariot“ oder „Wate in the Water“ – und sie für Jazzensemble arrangiert. Oft wird die Melodie nur angespielt, dann variiert, bevor der Faden improvisatorisch bis ins Freie weitergesponnen wird, wodurch ein fast hymnischer Sog entsteht, der die Zuhörer mitreist. In solch einem Moment springen in den schwarzen Kirchen der USA die Leute auf und tanzen und singen in ekstatischer Verzückung. So weit kam es bei den Zuhörern in der Gems allerdings nicht, die trotzdem vor Begeisterung eine Zugabe erklatschten.

Wednesday, 20 November 2024

Scheibengericht Nr. 30: Gerry Hemingway – Schlagzeuger UND Singer-Songwriter

Die Verwandlung

Der Jazzschlagzeuger Gerry Hemingway wird zum Singer-Songwriter



Der Amerikaner Gerry Hemingway gilt als einer der versiertesten Schlagzeuger des modernen Jazz. Die Referenzliste der Musiker und Musikerinnen, mit denen er seit Mitte der 1970er Jahre gespielt hat, ist ellenlang und enthält ein paar der illustersten Namen des zeitgenössichen Jazz. In den 1990er Jahre war er oft mit seinem Quintet in Europa unterwegs, auch mit dem Trio BassDrumBone. In der Balinger Siechenkirche bleibt ein Soloauftritt von ihm in bleibender Erinnerung. Die letzten 20 Jahre lehrte Hemingway als Schlagzeugprofessor an der Musikhochschule in Luzern, gab aber weiterhin Konzerte, ob in Europa oder den USA.

 

Jetzt ist das Schlagzeug ein Instrument, mit dem sich schwer konkrete Emotionen und Gefühle ausdrücken lassen, was zu den Beschränkungen des Perkussionsinstruments zählt, auch wenn seine Kapazitäten weit über den einer bloßen Rhythmusmaschine hinausgehen, was niemand besser gezeigt hat als Gerry Hemingway. 




Gerry Hemingway hat dieses Manko offensichtlich gespürt und mehr und mehr als Einschränkung empfunden. Nun hat er 2022 ein Album veröffentlicht, das ihn als Singer-Songwriter präsentiert, auf dem er Schlagzeug spielt, aber auch singt. Und die Texte und Songs sind sowieso von ihm. Eine solche Konversion ist kein leichter Schritt, weil es gegen verbreitete festsitzende Vorurteile geht, die da lauten: Schuster bleib bei deinem Leisten! 

 

Und nun die Überraschung: „Afterlife“ (Auricle Records), so der Titel des Album, ist ein durchweg ausgeklügeltes Werk. Mit Sampler, Drums und der Hilfe einiger Gastmusiker hat Hemingway eine CD mit neun Songs geschaffen, die originell, musikalisch vielfältig, wunderbar arrangiert und von großer Sensibilität sind. Gelegentlich klingt es calypsohaft karibisch, manche Melodien offenbaren Ohrwurmcharakter, der Gesang ist einfühlsam und zurückhaltend und die Arrangements flimmern in den buntsten Farben. Ein rundum gelungenes Album. 


Auf Bandcamp kann man in die Platte reinhören:


https://auriclerecords.bandcamp.com/album/afterlife


 

 

Scheibengericht Nr. 29: Knipsen das Licht an

Bemerkenswertes aus Stuttgart

Das Elektronik-Trio Knipsen

Dass Stuttgart doch immer wieder interessante Musik hervorbringt, beweist die Gruppe Knipsen. Mein Kumpel Simon Steiner, der sie im Ritterstüble in Stuttgart-Heslach neulich hörte und ziemlich begeistert war, hat mich auf sie aufmerksam gemacht. Knipsen sind ein Trio mit elektronischer Schlagseite, das aus Carsten Netz (Flöte, Saxofon), Markus Merkle (Electronic, Perkussion) und Michael Fiedler (Noise, Loops) besteht. 

Den dreien gelingt es, eine außergewöhnliche Musik zu kreieren, deren Fundament aus elektronischen Sounds und Loops besteht, die schwebt, und doch rhythmisch pulsiert und über die Saxofon oder Querflöte sparsam, lange, oft angeraute Töne legen. Wie Simon berichete zog die Band das Publikum im Ritterstüble von Anfang an vollständigt in den Bann. 


 

Mich erinnert ihre Musik an frühe Aufnahmen von Terry Riley, als dieser noch Sopransaxofon spielte, auch an Cluster oder die frühen Kraftwerk, als die Band aus Düsseldorf 1970 noch mit rudimentären elektronischen Apparaten hantierte. „Ruck Zuck“ war damals Kraftwerks Paradenummer, in welcher die Tonstöße der Querflöte den Rhythmus formten. So ähnlich agieren auch Knipsen. Sie entwerfen weite, anschwellende Klangfelder oder rhythmische Loops, die in vielfältigen Farben schillern und flimmern. Meditativ, minimalistisch, sensibel und äußerst originell – absolut überzeugend!

 

Auf Bandcamp kann man in ihr Debutalbum reinhören:

 

https://knipsen.bandcamp.com/album/knipsen

Monday, 18 November 2024

Griechischer Rembetiko – heute heiter

GASTBEITRAG VON SIMON STEINER:


TO GNOSTO TRIO

Melancholie wie weggefegt

Fotos: Kostas Anagnostopoulos


Der Höhepunkt des 1. Athener Rembetiko Festival am 12. und 13. Oktober 2024 war To Gnosto Trio - „Das berühmte Trio“, mit Tassos Giannoussis an der Bouzouki, Panagiotis Katsimanis, Gitarre und Antonis Tzikas, Contrabass. Die drei Musiker geben sich gut gelaunt, singen, lachen, das Publikum tanzt, singt und klatscht. Prima Stimmung. Das Derbe oder Melancholische des Rembetiko ist wie weggefegt. Stürmischer Beifall!

To Gnosto Trio tritt seit 2005 regelmäßig in der Athener Taverne Klimataria auf. Ein historisches Lokal, das 1927 gegründet wurde und in dem unter anderem auch Markos Vamvakaris Mitte der 50er Jahre gespielt hat. Das Trio ist damit eines der am längsten bestehenden Rembetiko-Formationen in Griechenland mit über 3.500 Auftritten in den letzten 20 Jahren. Die drei Musiker lieben Rembetiko, spielen aber auch Weltmusik, Folk, Rock, Blues, Jazz oder Gypsiestyle. Rembetiko spielen sie auf ihre eigene Art und Weise. Contrabass, Phrasierung, freie Improvisation mit Session-Charakter und flinke Akkorde assoziieren sofort: Jazz!



Bouzoukispieler Tasos meint: "Nun, man spielt, was man hört, nichts anderes. Ich höre Rembetiko und Jazz seit ich ein Kind war, so führte es zur Verschmelzung dieser beiden Genres in meinem Spiel, ohne es absichtlich zu tun! Das Instrument ist also nur das Werkzeug, das Medium, um deine musikalische Persönlichkeit auszudrücken. Bouzouki kann Jazz, Rock, Funk sein, aber im Kern ist es immer Rembetiko!"

Gitarrist Panagiotis, der früher in der griechischen Rockband ENDELEXIA spielte, schrieb aus Piräus: "Rembetiko ist mit Jazz verbunden, vor allem aber mit Gypsy Jazz und Django Reinhardt. Das sind zwei Musikrichtungen aus der gleichen Zeit, die von Musikern aus sozialen Randgruppen geschaffen wurden. Das Gleiche gilt für den Blues in Amerika. Der ähnliche Lebensstil schuf eine Musik mit der gleichen Seele! Ich lasse viele Rockelemente in mein Spiel einfließen, besonders in den Songs von Markos Vamvakaris. In anderen Songs spiele ich so, wie Johnny Cash seine akustische Gitarre gespielt hat. Ich bin immer daran interessiert, dass unser Spiel groovy ist."

To Gnosto Trio live auf dem Festival: https://www.youtube.com/watch?v=idlRFQHmlhE


Saturday, 16 November 2024

Dave Douglas Quartet in Reutlingen

Die Tradition abstrahiert

Dave Douglas im Jazzclub 'In der Mitte'

                                            Foto: C. Wagner



So eine hochkarätige Band gibt es im Jazzclub „In Der Mitte“ in Reutlingen sicher nur alle paar Jahre zu hören, denn eigentlich hätte sie ein viel größeres Publikum verdient. Bandleader Dave Douglas gilt als einer der profiliertesten Trompeter des post-avantgardistischen Jazz, der sich in den 1990er Jahren einen Namen in John Zorn’s Masada Quartet machte und danach mit eigenen Gruppen brillierte. Bei Masada saß Joey Baron am Schlagzeug, den Douglas jetzt wieder in seine aktuelle Band geholt hat. Komplettiert wird die Gruppe durch den amerikanischen Kontrabassisten Nick Dunstan, der in Berlin lebt, und die polnische Pianistin Marta Warelis, die in den Niederlanden daheim ist.

 

Douglas versteht es, eine Musik zu entwerfen, die aus vielerlei Quellen schöpft. Seine Kompositionen haben oft etwas Hymnenhaftes, wobei er manchmal selbst Märsche aus dem alten New Orleans kurz anspielt oder Melodiekürzel von Thelonious Monk einstreut. Doch all diese Zitate aus der Jazztradition sehen sich in eine fantasievolle musikalische Architektur integriert, werden modern gewendet und abstrahiert, wobei die Musik manchmal bis an die Grenzen des Freejazz geht, dann aber wieder die Kurve kriegt und in harmonisch und rhythmisch gebundene Bahnen zurückfindet. 

 

Die Rhythmusgruppe agiert hochsensibel, mit enormem Swing und großer Virtuosität, wobei Drummer Joey Baron immer wieder einmal durch blitzartige Einwürfe aufhorchen läßt. Ein sicheres Fundament legt Nick Dunstan, der auch in seinen Baßsoli zu glänzen weiß. Die eigentliche Überraschung des Abends aber ist die junge Pianistin Marta Warelis, die wie ein abstrakter Thelonious Monk agiert. Ihr kommt in der Gruppe die Rolle zu, gelegentlich aus der Reihe zu tanzen und den erwarteten Lauf der Dinge zu unterminieren und zu stören. 


Mit großer Gelassenheit setzt sie dissonante Intervalle neben glotzige Cluster, um anschließend noch ein paar perlende Läufe anzuhängen. Ist Warelis sonst in der radikalen, frei-improvisierenden Szene daheim, wird sie durch die Kompositionen von Douglas gezwungen, sich in rhythmisch-harmonischen Systemen zu bewegen, was originelle Lösungen zu Tage fördert. Die vier hatten offensichtlich ziemlich Spaß an ihren kühnen Interaktionen und verstanden es gleichzeitig, das Publikum mitzureißen.   

 

Tuesday, 12 November 2024

Zum Tod des Malers Frank Auerbach

Vor den Nazis nach England in Sicherheit gebracht

Frank Auerbach (1931 -2024)



Letztes Jahr hörte ich im Kulturkanal der BBC eine Sendung, in der der jüdisch-englische Künstler Frank Auerbach (Jahrgang 1931) über sein Leben befragt wurde. Auerbach gilt als einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart. 

Er war 1939 im Auftrag seiner Eltern, die in Berlin lebten, von einem Kindermädchen mit drei anderen Kindern nach England gebracht worden, um vor den Nazis in Sicherheit zu sein. Seine Eltern wurden später beide im Vernichtsungslager ermordet. 

Auerbach sprach sehr lobend über die Schule, in welcher er die ersten Jahre in der Fremde verbracht hatte. Ich wurde hellhörig, weil es sich um genau jene Schule in Herrlingen bei Ulm handelte, deren Schülerschaft – mehrheitlich aus jüdischen Kindern bestehend – nahezu geschlossen im Sommer 1933 nach der Machtergreifung der Nazis – mit Einverständnis der Eltern – unter Führung der Schulleiterin Anna Essinger nach England ins Exil gegangen war. In dieser New Herrlingen School in der Grafschaft Kent, später Bunce Court School genannt, wurde der achtjährige Frank Auerbach untergebracht, als er 1939 in England ankam.




Es gelang mir, Auerbach mein Buch "Lichtwärts! Lebensreform, Jugendbewegung und Wandervogel – die ersten Ökos im Südwesten (1880 – 1940)" zukommen zu lassen, in welchem ein ganzes Kapitel der Herrlinger Schule und ihrer so turbulenten wie bemerkenswerten Geschichte gewidmet ist. Wenig später erhielt ich eine Postkarte, mit der sich Auerbach herzlich für das Buch bedankte. Im Frühjahr habe ich noch eine Ausstellung seiner frühen Kohlezeichnungen in London besucht. Jetzt ist er im Alter von 93 Jahren in London verstorben.




Mehr Information:

https://www.theguardian.com/artanddesign/2024/nov/12/frank-auerbach-dies-aged-93-painter 

Das BBC-Radio-Interview mit Frank Auerbach in der Sendung 'This Cultural Life':

https://www.bbc.co.uk/sounds/play/m001vsbv

Thursday, 7 November 2024

Das deutsche Woodstock – Flower-Power in der Pfalz

Jetzt steht die ARTE-Doku über das 2. British Rock Meeting 1972 in der Nähe von Germersheim online – unbedingt sehenswert:

https://www.arte.tv/de/videos/117162-000-A/das-deutsche-woodstock/

Curved Air in Germersheim, die Band, die das Festival am Pfingstdienstagmorgen beendete. Es war eine der Gruppen, wegen denen mein Kumpel Bernhard Schuler und ich zu dem Festival gepilgert sind. Nach drei Tagen fast ohne Schlaf überfiel Bernhard eine Art bleierne Müdigkeit, die so überwältigend war, dass er den Auftritt von Curved Air schlafend verpasste. Ich versuchte ihn noch wach zu rütteln, doch da war nichts mehr zu machen.  

Foto: Manfred Rinderspacher




Tuesday, 5 November 2024

Émile Parisien zum sechsten Mal in Singen

Im Gegensatz vereint

 

Das Émile Parisien Quartet begeistert vor vollem Haus beim Jazzclub Singen

 

Fotos: C. Wagner



 

Der Sopransaxofonist Émile Parisien ist einer der nicht gerade zahlreichen französischen Jazzmusiker, die auch in Deutschland über ein beachtliches Renommee verfügen. Nach ein paar Veröffentlichungen bei kleineren französischen Plattenfirmen, erschien 2014 sein Debutalbum auf dem renommierten deutschen Jazzlabel Act, das er mit dem Akkordeonisten Vincent Peirani eingespielt hatte und ihn schlagartig zu einem Star auf der deutschen Jazzszene machte. Seitdem hat er durch die Zusammenarbeit mit bekannten Namen wie Joachim Kühn und Michael Wollny seinen Ruf noch steigern können, gekrönt durch den ECHO-Jazzpreis und den Preis der deutschen Schallplattenkritik, den er 2019 erhielt.

 

Nach fünf Auftritten in den letzten Jahren, das letzte fand vor genau zwei Jahren mit einer All-Star-Besetzung statt, war jetzt Parisien erneut beim Jazzclub Singen im Kulturzentrum Gems zu Gast. Dieses Mal kam er mit seinem französischen Quartett, das in den letzten zwei Jahrzehnten maßgeblich zu seinem kometenhaften Aufstieg beigetragen hat. Das Ensemble steht für einen modernen Jazz, der mitreißt und auf überzeugende Weise Elemente aus verschiedenen musikalischen Gattungen, ob Rock, Latin oder avantgardistische E-Musik, zu einem ausdrucksstarken Stil verbindet. Ob Groove oder Swing, ob freies Spiel oder ausgetüftelte Kompositionen, ob impressionistische Träumereien oder aufbrausendes Power-Play – alles sieht sich in Parisiens Musik vereint.




 

Sehr dezent und auf leisen Sohlen hat mittlerweile die Elektronik Einzug gehalten. War Parisiens Jazzmusik zu Beginn seiner Karriere noch rein akustisch gehalten, kommen jetzt gelegentlich synthetische Klangfarben ins Spiel. Der Bandleader hat neben sich auf der Bühne ein kleines Tischchen aufgebaut, übersät mit Knöpfen und Reglern, mit denen er sein Sopransaxofon zu einem riesigen Saxofonchor aufblasen oder einen enormen Nachhall erzeugen kann. 

 

Der zweite Elektroniker in der Band ist Schlagzeuger Julien Loutelier, der gleichfalls neben seinem exzellenten Trommelspiel ein kleines Mischpult bedient, auf dem er vorgefertigte elektronische Rhythmen abrufen kann. „Tiktik“ hieß eine der originellsten Kompositionen des Abends, deren Rückgrat ein konstantes Klickgeräusch bildete, um das die Musiker ein hochkomplexes Arrangement flochten mit überraschenden Wendungen und Pausen, die nicht ohne Witz und Humor waren. Das Publikum geriet angesichts einer solch exzellenten Jazzmusik richtiggehend aus dem Häuschen, so daß Parisien und seine Mannen erst nach einer längeren Zugabe von der Bühne gelassen wurden. 

Monday, 4 November 2024

Baba Zula mit neuem Album

Baba Zula – Straßen von Istanbul

Foto: C. Wagner


Baba Zula sind eine Rockband aus Istanbul, die einen Brücke schlägt zwischen den Klängen vom Bosperus und psychedelischen Sounds. Über einem so dichten wie steten Rhythmusgeflecht aus Drums, türkischen Handtrommeln und treibendem Baßspiel, legen die türkischen Rockmusiker weitausholende Solos auf der Saz, einer Langhalslaute, deren Töne durch allerlei Verzerrer und Wah-Wahs gejagt werden. 

 Die Titel auf dem neuen Album sind oftmals als Collagen konzipiert, wobei die Blende als wichtiges Stilmittel fungiert. Wir hören Stimmen wispern, historische Feldaufnahmen vom Hafen, Mövengeschrei und die Wellen ans Ufer schlagen, während die Saz oder eine verzerrte E-Gitarre über einem hypnotischen Beat ihre Improvisationen legen.


 

Obwohl die Musiker von Baba Zula um einiges älter sind – Bandleader Murat Ertel ist Jahrgang 1964 – spielt die Band doch eine Musik, wie sie wohl nur aus den Teilen der türkischen Jugendkultur kommen kann, die – westlich orientiert – vor mehr als zehn Jahren wegen der drohenden Vernichtung des Gezi-Parks in Istanbul eine massive Protestwelle startete, die vom Erdogan-Regime brutal unterdrückt wurde. In der Musik von Baba Zula brodelt der Geist der Revolte. 


Baba Zula: Istanbul Sokaklari (Glitterbeat Records)


You tube video:


https://www.youtube.com/watch?v=w6THsB95Nrc




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