Verschlungener Gesang
Das Hilliard Ensemble, Stars der Alten Musik, tritt nach 40 Jahren ab
cw. In den sechziger Jahren erschallte ein
neuer Klang in der klassischen Musik. Mit Krummhorn, Rebec, Theorbe, Dulzian
und Rauschpfeife hielten die Töne des Mittelalters und der Renaissance Einzug
in die Welt der Klassik. Halb vergessene Instrumente brachten eine Klangwelt
zum Vorschein, die ein halbes Jahrtausend alt war und sich doch neu und
ungewohnt anhörte. Fünfzig Jahre später hat sich die Alte Musik als
eigenständiges Genre etabliert mit zahlreichen Konzerten, Festivals und
CD-Veröffentlichungen jedes Jahr und Stars wie Jordi Savall, die allerorten
große Konzertsäle füllen. Selbst das weltbekannte Kronos Quartet hat ein Album
der “Early Music” gewidmet.
Die Pioniere der Anfangszeit suchten die
Authentizität. Während zu Beginn noch viel mit historischem Instrumentarium
musiziert wurde, verschob sich das Interesse mehr und mehr in Richtung
Vokalmusik. An Stelle des vibrato-reichen Gesangs der Klassik trat eine klare
nüchterne Stimmführung. Das unbegleitete Gesangsensemble wurde zur
Standard-Besetzung und die historische Aufführungspraxis zur Pflicht. Erst mit
der Zeit dämmerte es den Beteiligten, dass, wie Thomas Forrest Kelly in seinem
jüngst bei Reclam erschienenen Sachbuch “Alte Musik” verdeutlicht, eine
wirklich originale Wiedergabe eigentlich gar nicht möglich ist - höchstens
Annäherungen.
Zu den Pionieren des neuen Vokalstils
gehörte das englische Hilliard Ensemble. Die Mitglieder der Gruppe waren bei
David Munrow und seinem Early Music Consort in die Lehre gegangen, einem
Ensemble, das Ende der sechziger Jahre in England und darüber hinaus das
Interesse an Alter Musik entfacht hatte. Mit dem Album “Officium”, das die vier
Hilliard-Sänger mit dem Jazzsaxofonisten Jan Garbarek 1994 veröffentlichten,
gelang ein Volltreffer: 1,5 Millionen verkaufte CDs machten die Gruppe zu Stars
der Tonträger-Branche und die Klänge des Mittelalters und der Renaissance über
den Kreis der Kenner hinaus bekannt. Ich reiste damals extra nach London, um David James, Countertenor der Gruppe, für die Taz zu der Einspielung zu interviewen und fand einen Sänger vor, der vor Freude über den Erfolg euphorisch in seiner Wohnung in der St. Peters Street herumtänzelte. Nun konnte es sich das Ensemble erlauben,
auch ab und zu Werke moderner Komponisten wie Arvo Pärt ins Programm zu nehmen.
Ihrem Ruf, Spezialisten für “Early Music” zu sein, tat das keinen Abbruch.
1974 gegründet, wird das Hilliard Ensemble
nach 40 Jahren am 20. Dezember in London sein letztes Konzert geben. Dabei
werden Stücke des Abschiedsalbums “Transeamus” zur Aufführung kommen. Auf der
CD sind englische Carols und Motetten aus dem 15. Jahrhundert enthalten, die
seit langem zum Lieblingsrepertoire der Gruppe gehören. Kompakt und doch
glasklar wird die verschlungene Mehrstimmigkeit der Renaissance in Szene
gesetzt, was einmal mehr den Ruf des Hilliard Ensembles unterstreicht, zu den
Spitzenkönnern der Sparte zugehören.
Eine solch superbe Reputation muß sich das
Trio Medieaval erst noch erwerben. Das Frauenensemble aus Norwegen hat sich wie
die Hilliards der frühen Vokalmusik verschrieben und schlägt auch gelegentlich
den Bogen in die Gegenwart, wobei mittelalterliche Polyphonie mit Werken zeitgenössischer
Kompositionen gemischt wird. Allerdings kommen die modernen Stücke nicht
schrill und dissonant daher, sondern orientieren sich an der wohligen
Klanglichkeit der Alten Musik, die sachte modernisiert wird. Das Trio Mediaeval
intoniert die Kompositionen auf so makellose Weise, dass die drei Stimmen zu
einem einzigen Klangkörper verschmelzen. Das Hilliard Ensemble hätte es kaum
besser gekonnt.
Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Südwestdeutschland
Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Südwestdeutschland
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