Thursday, 4 December 2014

Folkveteran: COLIN WILKIE

Botschafter des englischen Folk

Der Singer-Songwriter Colin Wilkie lebt sein 50 Jahren im “Ländle”
                                                                                                            Foto: Manuel Wagner

 cw. Statt “Stuttgart” sagt er “Schtuagert” und statt “nicht” sagt er “net”. Colin Wilkie vergißt – wie er beklagt - nicht nur langsam sein Englisch, dazu schleicht sich mehr und mehr Schwäbisch in sein Deutsch ein. Das ist nicht verwunderlich, lebt der Folksänger doch seit Jahrzehnten im Schwabenland.  Wilkie sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer seines kleinen Häuschens in Pfaffenhofen, einem Dorf zwischen Weinbergen und Streuobstwiesen im Umland von Heilbronn gelegen. Ein Banjo steht in der Ecke, der Gitarrenkasten lehnt an einem Bücherregal. “Neben Musik sind Bücher meine Leidenschaft,” bemerkt Wilkie. “Das obere Stockwerk ist voll davon.” Wie unter Engländern üblich wird Tee mit Milch serviert, während der Folksänger aus seinem Leben erzählt, wobei seine Frau Shirley Hart seinen Erinnerungen immer wieder mal ­­­auf die Sprünge hilft.

Dieses Jahr ist Colin Wilkie achtzig Jahre alt geworden und tritt immer noch regelmäßig auf. Bis heute fährt er eigenhändig mit dem Auto zu den Konzerten, den Gitarrenkasten im Kofferraum. Colin Wilkie gilt als “Folk-Legende”: Er hat maßgeblich zur Entstehung der deutschen Folkszene beigetragen. In den Sechzigern war er bei den legendären Waldeck-Festivals dabei, die als die Wiege der deutschen Liedermacherei gelten. Er hat zahlreiche LPs und CDs veröffentlicht und unzählige Auftritte absolviert. Wilkie wirkte als Botschafter, der den Deutschen die englische Folkmusik nahebrachte.

Um die Anfänge seiner Sängerkarriere in Erinnerung zu rufen, muß Wilkie in die frühen sechziger Jahre zurückgehen, als er sich im Duo mit Shirley Hart auf der englischen Folkszene einen Namen machte. Das Musiker-Ehepaar führte damals ein ungebundenes Vagabunden-Leben, war ständig auf Achse und trat jeden Abend in einem anderen Folkclub zwischen Brighton und Edinburgh auf. Die Sommer verbrachten die beiden in Südfrankreich, wo sie sich als Straßenmusiker durchschlugen. Eines Tages wurden sie von einem junger Deutschen angesprochen, der ihnen einen Auftritt in Bonn vermittelte. “Wir glaubten, es handelte sich um einem kleinen Folkclub und waren völlig überrascht, als sich das Konzert als große Lieder-Gala in der Bonner Beethoven-Halle entpuppte, wo neben uns noch andere Ensembles und Sänger auftraten,” erinnert sich Wilkie.
 
Als Engländer standen die beiden für echten Folk, was sie in der Bundesrepublik zu einer Ausnahmeerscheinung machte und bei Veranstaltern und Cluborganisatoren höchst gefragt. Regelmäßig traten sie bei Festivals auf, dazu kamen Rundfunk- und Fernsehmitschnitte. Das Stuttgarter Staatstheater engagierte das Folkduo 1966 für eine Produktion, in der sie zwei Straßensänger verkörperten und während des Stücks ein paar Lieder sangen. Eineinhalb Jahre dauerte das Engagement. Colin Wilkie & Shirley Hart bezogen in Stuttgart Quartier und absolvierten neben der Theaterarbeit so viele Auftritte wie möglich. ob in Clubs, an Schulen oder Universitäten.

Zahlreiche Schallplatten entstanden. Neben einem “Shanty”-Album mit englischen Seemannsliedern auch eine bemerkenswerte Folk-Jazz-Platte, die Colin Wilkie & Shirley Hart mit den Musikern des Albert Mangelsdorff Quintetts zusammenbrachte. Die Konzert-Nachfrage war so enorm, dass das Ehepaar beschloß permanent in Deutschland zu bleiben. Stockheim bei Heilbronn wurde ihr neues Zuhause. Als Sohn Vincent geboren wurde, beschloß Shirley Hart das unstete und aufreibende Konzertleben an den Nagel zu hängen, ein Entschluß, der ihr nicht allzu schwer fiel: “Auf der Bühne hatte ich mich nie richtig wohl gefühlt, weil ich an starkem Lampenfieber litt.” 


Seither tritt Colin Wilkie alleine auf, manchmal auch im Duo mit Wizz Jones, Werner Lämmerhirt oder Klaus Weiland. Sein aktuelles Album voll neuer Songs (Titel: Bangter Rites!) belegt eindrucksvoll, dass Colin Wilkie noch lange nicht zum alten Eisen gehört.

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Baden-Württemberg.

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