Friday, 27 May 2022

Radioportrait: Michael Hurley@80

Der letzte seiner Art

 

Im Alter ist er zum Idol einer alternativen Musikszene geworden – dem einzigartigen Singer-Songwriter Michael Hurley zum 80sten


RADIO RADIO RADIO:

Donnerstag, 9.Juni 2022; 20:05 – 21:00

SWR2 Musikpassagen: MICHAEL HURLEY – FOLKSÄNGER UND EIGENBRÖTLER 

von CHRISTOPH WAGNER

Zum Nachhören:


Foto: Patrick Bunch/Promo

 

 

cw. Hinter dem Schnauzbart, den ausgebleichten Haaren und dem verwitterten Gesicht verbirgt sich ein schüchternes Wesen: der amerikanische Folksänger Michael Hurley ist ein Eigenbrötler mit sanftem Gemüt. Reden tut er nicht viel und macht kein großes Aufhebens um seine Person. Lieber schraubt er daheim auf dem Land in Oregon an verbeulten PKWs 

herum, als sich im Applaus der großen Bühnen zu sonnen. Am 20. Dezember 2021 feierte er seinen 80. Geburtstag und präsentierte als Geburtstorte ein neues Album mit dem Titel „The Time of the Foxgloves“, das erste mit neuen Songs seit zwölf Jahren.

 

Der Rückzug ins Private fällt Hurley immer schwerer, seit ihn eine junge Generation von Folk- und Rockmusikern entdeckt hat: Cat Power, Hiss Golden Messenger und Yo La Tengo – sie alle haben Songs von ihm gecovert, Devendra Banhart und Will Oldham haben sich als Fans geoutet und die Folk-Chanteuse Josephine Foster singt sogar auf seinen neuen Album mit.

 

Es ist fast 60 Jahre her, als Hurley zum ersten Mal mit seiner Gitarre in den Folkclubs von New York auftrat, wo er mit den Holy Modal Rounders jammte, den Erfindern des psychedelischen Folk. Er lernte weitere Instrumente: Mandoline, Banjo und Fidel. “Mir gefällt alles, was Saiten und einen Resonanzkörper hat,” sagt er. In den siebziger Jahren nahm er für Warner Brothers zwei Alben auf – ein kurzer Flirt mit der großen Plattenindustrie. Immer wieder nahm er Brotjobs an, ob als Kinoputzer, Bretzelverkäufer oder Automechaniker, um sich nicht als Popmusiker verkaufen zu müssen. 


Michael Hurley – Oh my stars (youtube)  





Vom neuerlichen Rummel um seine Person bleibt seine Musik völlig unberührt. Sie klingt immer noch so hausgemacht wie vieles in seinem Leben: Hurley braut sein Bier und seinen Most selber, baut sein eigenes organisches Gemüse an samt Hanf und malt, wenn er Zeit und Lust hat, verschrobene Karikaturen oder skurrile Aquarelle, die auch die Cover seiner Alben schmücken.


Seine Musik ist die uneitelste, die man sich denken kann. Vollgesogen mit Blues, Cajun- und Hillbilly-Melodien ist sein Stil ein wunderbarer Mix der verschiedenen Folktraditionen des alten Amerika: verhalten, locker gespielt, und unprätentiös kommt sie daher: Hurley spuckt keine großen Töne! Seine Lieder wirken so gemächlich wie das Leben, das er führt, während sich die Texte um Dinge drehen, die einem die Welt gelegentlich als einen etwas freundlicheren Ort erscheinen lassen, was einen Sinn für die Tiefen der Existenz nicht ausschließt. Ernsthaftigkeit und Charme prägen die Songs, auch ein verschmitzter Humor blitzt manchmal auf: Michael Hurley eben – der letzte seiner Art.


Zum Nachhören:

 

 

Tuesday, 24 May 2022

Daniel Erdmanns samtene Revolution

Musik wie auf Wolken 

Daniel Erdmann‘s Velvet Revolution mit schwebenden Klängen beim Jazzclub in Singen 


Fotos: christoph wagner

 



 

cw. Es gibt Kammermusik, und es gibt Jazz – aber gibt es auch kammermusikalischen Jazz? Normalerweise ist mit der Bezeichnung eine Spielart der improvisierten Musik gemeint, die leiser, dezenter und intimer auftritt und aufs Schlagzeug verzichtet. 

 

Daniel Erdmann und sein Ensemble „Velvet Revolution“ fällt in diese Kategorie. Das Trio besteht aus dem deutschen Bandleader, der Tenorsaxofon spielt, sowie dem Engländer Jim Hart am Vibrafon und dem französischen Geiger Théo Ceccaldi – eine wahrhaft internationale Besetzung also! Beim Jazzclub Singen gab das Ensemble am Freitagabend vor beachtlicher Kulisse in der „Gems“ eine überzeugende Vorstellung, die trotz des fehlende Schlagzeugs alle Kriterien erfüllte, die zeitgenössischen Jazz so spannend macht.

 

Nur drei Musiker – das ist nicht viel, da gilt es mit den begrenzten musikalischen Möglichkeiten in optimaler Weise umzugehen, sonst könnte es schnell eintönig und langweilig werden. Erdmann und seine Mannen ziehen daraus den Schluß, dass jeder sowohl als Solist als auch als Begleiter in Erscheinung tritt, und außerdem als Komponist Stücke zum Repertoire der Gruppe beisteuert.

 

Dazu kommt: Auch das Klangspektrum der Instrumente wird erweitert, wobei die Geige häufig anstatt gestrichen, pizzicato wie eine Rhythmusgitarre gezupft wird. Ähnlich das Vibrafon: Es wird nicht nur virtuos mit vier Klöppeln angeschlagen, sondern auch mit zwei Bögen aus Roßhaar gestrichen, wobei ein wunderbar flirrender Klang entsteht, der an die Glasharmonika erinnert, jenem obskuren Instrument aus der Vergangenheit, bei dem Weingläser mit angefeuchteten Fingern gerieben werden.  



  

 

Die drei Musiker haben interessante Kompositionen zum Programm beigesteuert, die in ihrer Art recht unterschiedlich ausfallen, aber am überzeugensten sind, wenn sie sich in die Sphäre der schwebenden Klänge begeben. Dann segelt die Musik wie auf Wolken dahin und entfaltet auf wunderbare Weise ihr poetisch-träumerisches Potential. 

 

Daniel Erdmann reißt die Zuhörer mit aufgerauhtem Ton aus den Schwelgereien. Er macht bei den großen Saxofonisten der Jazztradition Anleihen (etwa bei Ben Webster) und bläst einfache singbare Melodien mit viel hörbarer Luft. Verwoben mit den Klängen von Vibrafon und Violine entfalten sich eine Musik, die so stimmig, intensiv und atmosphärisch ist, dass man das Schlagzeug keine Sekunde lang vermißt. Kammermusikalischer Jazz in vollendeter Form! 

 

Die Konzertkritik erschien zuerst im SÜDKURIER (suedkurier.de)

Saturday, 21 May 2022

Ry Cooder und Taj Mahal wieder vereint

Kenner und Könner

 

Vom Blues zum Buena Vista Social Club und retour – Ry Cooder nimmt mit Taj Mahal nach mehr als einen halben Jahrhundert wieder ein Album auf



Taj Mahal & Ry Cooder (by Abby Ross, Nonesuch)





 

cw. Als Bob Dylan noch Robert Zimmerman hieß und ein junger, ambitionierter, aber völlig unbekannter Folksänger war, träumte er davon, einmal im „Ash Grove“ aufzutreten, dem profiliertesten Folk- und Blues-Club von Los Angeles. In dem ehemaligen Möbelgeschäft in der Melrose Avenue, das als eine der Brutstätten der Subkultur der amerikanischen Westküste gilt, traten Folk- und Protestsänger wie Pete Seeger und The New Lost City Ramblers neben Countrymusikern wie Johnny Cash und Bill Monroe auf. Wenn schwarze Bluespioniere, ob Mississippi John Hurt, Lightnin‘ Hopkins oder Muddy Waters die Bühne betraten, rückten die junge Rockmusiker im Publikum – etwa von der lokalen Gruppe Canned Heat – näher an die Bühne heran, um ihren Idolen genau auf die Finger schauen zu können und ihnen ein paar Kniffe auf der Gitarre abzugucken.

 

Als das Duo von Sonny Terry (Harmonika) und Brownie McGhee (Gitarre, Gesang) 1962 im „Ash Grove“ auftrat, saß ein 15jähriger Teenager in der ersten Reihe, den seine Mutter mit dem Auto zum Club gefahren hatte. „Da führte ein hinkender Mann mit Kinderlähmung einen Blinden auf die Bühne,“ erinnert sich Ry Cooder an den Auftritt. „Kaum fingen sie an zu spielen, war klar: Die sind richtig gut!“ 


Cooder & Mahal, 1965



 

Ein Jahr später und der junge Gitarrist absolvieren im „Ash Grove“ seinen ersten öffentlichen Auftritt. Bald freundete sich der Grünschnabel mit einem anderen Bluesfan an, der etwas älter war und Henry St. Claire Fredericks hieß, sich aber Taj Mahal nannte. Die beiden riefen 1965 eine Band ins Leben, die sie „Rising Sons“ tauften, was eine Verballhornung des Bluessongs „Rising Sun“ von Sonny Terry und Brownie McGhee war, der sich auf einer LP der beiden von 1952 mit dem „Get On Board“ befand. 


The Rising Sons, 1965



 

Nachdem Mahal und Cooder über die Jahre immer wieder einmal gemeinsam auftraten, kamen sie nun für eine längere Aufnahmesession zusammen. Als Blaupause für die aktuelle Produktion diente besagte LP von Sonny Terry und Brownie McGhee, die im Untertitel „Negro Folksongs by the Folkmasters“ hieß. Das schwarzen Bluesduo hatte mit Unterstützung des Perkussionisten und Sängers Coyal McMahan für das New Yorker Folkways-Label aufgenommen. Sowohl im Design des Covers als auch in der Besetzung ahmte die neue Produktion das Original nach. 

 

Das Gespann von Sonny und Brownie war 1940 entstanden und ziemlich schnell zum Prototyp des Harmonika-Gitarren-Duos geworden. „Wie Sonny Terry die „Blues Harp“ spielte, war einfach Zauberei“, schwärmt Taj Mahal noch heute. Das Tandem erspielte sich einen exzellenten Ruf, der in den 1960er Jahren auch Europa erreichte. Das brachte ihnen mehrere Einladungen für Tourneen mit dem American Folk Blues Festival ein, in deren Verlauf sie auch in Deutschland und der Schweiz auftraten. Mit johlenden und heulenden Harmonikatönen, einem ausdruckstarken Gesang und vitalen Gitarrenakkorden versetzten sie das Publikum in Verzückung. 


Sonny Terry & Brownie McGhee




 

An diese Klänge knüpfen Taj Mahal und Ry Cooder jetzt wieder an. Ihr Album mit dem Untertitel „The Songs of Sonny Terry & Brownie McGhee“ kommt einem wie ein Besuch in ihrer alten musikalische Heimat vor – dem Land des Blues. Die hatten sie bereits vor Jahrzehnten verlassen, obwohl sie aus Heimweh sporadisch zu den Klängen aus dem Mississippi Delta zurückzukehrten. 

 

Nach seinen „Ash Grove“-Tagen war Ry Cooder zum musikalischen Globetrotter geworden. Mit dem Akkordeonisten Flaco Jiminez erkundete er die Tex-Mex-Musik vom Rio Grande, unternahm mit Gabby Pahinui Ausflüge nach Hawaii und mit dem Gitarristen Ali Farka Touré Exkursionen in die afrikanische Wüste. Mit gleißenden Gitarrentönen zauberte Cooder zum Film „Paris, Texas“ von Wim Wenders einen eindringlichen Soundtrack, den er mit seinem Plattenprojekt „Buena Vista Social Club“ noch toppte, das der kubanischen Musik weltweit zum Durchbruch verhalf. Auf eine ähnliche musikalische Weltreise begab sich auch Taj Mahal. Dabei machte er über die Jahre in Indien, Mali, Hawaii und auf Zanzibar Station und unternahm Abstecher in die Karibik und den Südpazifik. 

 

Mit dem neuen Album kehren die beiden nun zum Blues zurück. Man fühlt sich geradewegs ins „Ash Grove“ der 1960er Jahre zurückversetzt, so leidenschaftlich und mit so viel Begeisterung gehen sie zur Sache. Ry Cooder läßt seine National-Steel-Gitarre wimmern und jaulen und huscht gewandt über das Griffbrett der Mandoline, während Taj Mahal auf dem Klavier kräftige Baßläufe und Akkorde im Barrelhouse-Stil anschlägt oder die Mundharmonika japsen und keuchen läßt. Eine Tragtasche voller Harmonikas hatte er zur Aufnahmesession mitgebracht, um für die Tonart jedes Stücks das passende Instrument zu haben. 

 

Der Dritte im Bund ist Joachim Cooder, Ry Cooders „Rising Son“, der mit Trommeln, Maracas und einem kleinen Becken für rhythmische Erdung sorgt. Der Schlagzeuger war bereits auf etlichen neueren Einspielungen seines Vaters zu hören und hat erst kürzlich mit Aufnahmen von Songs des Hillbilly-Minstrels Uncle Dave Macon an Profil gewonnen und gleichzeitig bewiesen, dass er sich auch in der „Oldtime Music“ auskennt.







 Von den Stücken, die für die neue Einspielung von „Get On Board“ ausgesucht wurden, sind nur drei auch auf der ursprünglichen LP enthalten. Die anderen wurden dem riesigen Repertoire von Sonny Terry und Brownie McGhee entnommen, wobei sich Bluesnummern, Folksongs und Gospeltitel die Waage halten. Nach Balladen über menschliche Verfehlungen und Eskapaden, die bluesgemäß oft doppeldeutig daherkommen, wird anschließend im Himmel musikalisch um Vergebung ersucht, weil man nach dem Tod doch noch auf Einlaß in der „Beautiful City“ über den Wolken hofft. Andere Lieder beklagen das irdische Jammertal, etwa der „Pawn Shop Blues“, in welchem sich der Protagonist gezwungen sieht, zuerst seinen letzten Anzug, dann sein Radio zu versetzen, um schließlich auch noch seine Gitarre ins Pfandhaus zu tragen. Für einen Musiker wohl die ultimative Strafe!


Wie 'Get on Board' entstand (Youtube)



Wenn noch ein Beweis für die Extraklasse von Ry Cooder und Taj Mahal nötig gewesen wäre, hätten sie ihn mit dieser Einspielung erbracht. Das Album zeigt die beiden als rare Kenner und Könner der Songs von den Baumwollfeldern. Obwohl mittlerweile selbst Veteranen, verneigen sie sich vor den Urväter des Blues mit Klängen, deren ungehobelte Robustheit und lockere Lässigkeit dennoch höchst zeitgemäß klingt.
 

 

Taj Mahal & Ry Cooder: Get On Board – The Song of Sonny Terry & Brownie McGhee (Nonesuch)

 

Wednesday, 11 May 2022

Über das Altern als Musiker: Han Bennink


Can’t teach an old dog new tricks - Han Bennink zum 80sten




In seiner 60jährigen Karriere hat Han Bennink mit vielen „Heavyweights“ des modernen Jazz gespielt, von Eric Dolphy bis Sonny Rollins. Im Umkreis von Peter Brötzmann avancierte der Holländer dann in den 1960er Jahren zu einem der einflußreichsten Drummer des europäischen Freejazz. Am 17. April 2022 ist Bennink 80 Jahre alt gworden – Gratulation!!!!

 

 

Christoph Wagner: Sie feierten am 17. April 2022 Ihren 80. Geburtstag. Haben Sie jemals ans Aufhören gedacht?

 

Han Bennink: Wegen die Pandemie ging mir das in letzter Zeit schon manchmal durch den Kopf, weil ich einfach in den letzten zwei Jahren viel weniger gespielt habe. Eigentlich wollte ich in Zukunft wieder mehr auftreten, nur nicht mehr so viel reisen. Ich hasse Reisen, Flugzeuge finde ich zum Kotzen. Fahrräder sind fantastisch. Oft muß man zwei Tage reisen, um 50 Minuten zu spielen – das ist doch krank, kostet wertvolle Lebenszeit, in der ich mich viel lieber meinen Kunstwerken widme. Ich war ja immer schon zweigleisig unterwegs, als Jazzmusiker und als bildender Künstler.




 

Hat das Alter Ihre Musik verändert?

 

HB: Ich hoffe nicht! Ich übe weiterhin viel, um nicht einzurosten. Wie lange, das hängt vom Fernsehprogramm ab. Ich bin ein Sportfan, was bedeutet, dass wenn ein Radrennen übertragen wird, am besten die Tour de France, ich Stunden lang vor der Mattscheibe sitze und das Geschehen verfolge, wobei ich nebenher mit den Drumsticks auf einem Kissen übe. Ich störe damit niemanden, mein trommeln ist kaum hörbar. Außerdem habe ich über die Jahre einen Rucksack spieltechnischer Tricks angesammelt, auf die ich jeder Zeit zurückgreifen kann. Der Rucksack wird allerdings von Jahr zu Jahr schwerer, weshalb man ab und zu etwas rauswerfen muß. Mit dem Alter wird die Vision der Musik, die man machen will, immer klarer und deutlicher. 

 

Üben Sie die bekannten Rudiments, die klassischen Schlagfiguren?

 

HB: Ganz genau! Immer dieselbe Scheiße: Paradiddle, Triolen, Mühle, Wirbel etc.


DUO: Han Bennink & Wilbert de Joode (youtube)

 

Der Schlagzeuger Jaki Liebezeit hat mir einmal erzählt, dass er mit zunehmendem Alter dazu überging, sein Schlagzeugspiel organisch aus seinem natürlichen Bewegungsablauf zu entwickeln. Macht das Sinn?

 

HB: Gute Idee. Dennoch sind mir die Tricks sehr wichtig, die ich szenisches Theater nennen: Es ist der visuelle Aspekt des Schlagzeugspiels! Brötzmann mochte das nicht und sagte immer: „Bennink mach‘ doch nicht so ein Theater!“ Ich finde es manchmal aber einfach notwendig, vom Schlagzeug aufzustehen und trommelnd herumzugehen, dabei auf dem Fußboden, auf einem Stuhl oder auf dem Bühnenrand zu trommeln. Man kann auch im Liegen Paradiddle spielen – das geht alles und bringt ein szenisches Element in die Musik, außerdem ganz andere Klangfarben. Die Freiheit nehme ich mir. Voraussetzung ist jedoch: Es muß passen, muß musikalisch Sinn machen. Als reine Effekthascherei ist es zu billig. Dabei kommen meine Einflüsse aus der Kunst zum Tragen: Happening, Performance-Art, Dada. Mein großes Vorbild ist Kurt Schwitters, in dessen Kunst Humor und Ironie eine wichtige Rolle spielen.




 

Sie haben vor einiger Zeit ihr Schlagzeug radikal reduziert und spielen heute nur noch auf einer Snaredrum. Hat diese Entwicklung mit dem Alter zu tun?

 

HB: Ich war es einfach leid, immer Tonnen von Schlagwerk herumzutragen. Damit rückte die kleine Trommel ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wobei ich darauf aus war, aus immer weniger immer mehr herauszuholen. Wenn man sein Schlagzeugspiel verändern will, kehrt man am besten zu den „Basics“ zurück, und das ist die kleine Trommel! Ein paar Konzertbesucher meinten: „Der Typ ist so arm, dass er sein ganzes Schlagzeug verkaufen mußte.“ Pusteblume: Ich habe fürs Alter ausreichend vorgesorgt, was bedeutet, dass wenn ich eines Tages nicht mehr auftreten kann, ich trotzdem genug zum Leben habe.


Ich kann mich täuschen, aber Sie scheinen mit 80 Jahren noch gut in Schuß zu sein. Zahlt sich jetzt ihr „calvinistischer Lebensstil“ (Peter Brötzmann) aus?


HB: Dass man gesund bleibt, ist reines Glück. Allerdings ging es mir immer nur um die Musik, nicht um die eher unschönen Randerscheinungen, die Saufereien und Alkohol-Exzesse usw. Auch musste ich nach den Konzerten mein Riesenschlagzeug einpacken, es die Treppen vom Jazzkeller hochschleppen und dann verstauen. Danach ging ich ins Hotel. Ich bin nicht der Typ, der nächtelang in Kneipen rumhängt. Am nächsten Morgen blieb es dann üblicherweise an mir hängen, eine Gruppe besoffener Freejazzer zum nächsten Konzert quer durch Deutschland zu fahren. Am Schlimmsten traf es die Pianistin Irène Schweizer: Sie konnte mit diesen alkoholisierten Männerritualen gar nichts anfangen. Heute trinke ich natürlich auch gerne mal ein Gläschen Weißwein. Außerdem rauche ich Marihuana. Wine & Weed ist mein Steckenpferd. Ein anderes Hobby ist meine Sammlung ethnischer Kunst, vor allem japanische Holzschnitte, sowie historisches Spielzeug: kleine Modellautos, Märklin-Lokomotiven, solche Dinge. Damit verbringe ich momentan die Zeit, wenn ich nicht vor dem Fernseher sitze und trommle.


Das Interview erschien zuerst in der sehr empfehlenswerten Musikzeitschrift JAZZTHETIK 5/6 2022 (www.jazzthetik.de)


weiterlesen:


https://christophwagnermusic.blogspot.com/2018/08/zum-tod-von-aretha-franklin-1942-2018.html


https://christophwagnermusic.blogspot.com/2012/10/nonchalance-aki-takase-han-bennink.html



Monday, 9 May 2022

Ein Buch voller Blues: Martin Feldmann - Travelling to the Blues

Buchbesprechung:

 

Ein Buch voller Blues

 

Martin Feldmann schreibt eine ganz persönliche Geschichte des Blues



Maxwell Street Market, Chicago 1986 (Foto: Martin Feldmann)

 

cw. Der Blues ist Mythos und soziale Realität zugleich. Für seine Fans dient er häufig als Projektionsfläche für allerlei Sehnsüchte nach einem authentischeren Leben und wird dabei von Musikern und Musikerinnen gemacht, deren Lebensumstände oft alles andere als glücklich erscheinen. Der Frankfurter Martin Feldmann versucht in seinem Buch „Further on up the Road – Traveling to the Blues” beiden Aspekten gerecht zu werden. Feldmann ist kein Musikethnologe, sondern Fotograf, Journalist, vor allem aber Fan, der seit 1979 etliche Reisen in die USA unternommen hat, um den Spuren der schwarzen Musik nachzugehen. 

 

Dabei sind es nicht die ganz großen Stars wie B.B. King, John Lee Hooker oder Howlin‘ Wolf, denen Feldmanns Aufmerksamkeit gilt. Vielmehr interessiert ihn das Wurzelwerk des Blues, das Heer von zumeist nur lokal bekannten Musikern und Musikerinnen, denen man in den kleinen „Juke Joints“ von Chicago, Kansas City, New Orleans, Austin, San Francisco oder Los Angeles begegnet. Feldmann geht es um den authentischen Blues, ungeschminkt und (noch) nicht vom Musikbusiness entstellt.



 

Auf seiner Suche nach der Seele der afroamerikanischen Musik erkundet der Journalist einige ihrer legendären Orte, ob Clubs wie das „Tipitina’s“ (New Orleans) und das „Antone’s“ (Austin) oder Straßenmärtke wie den berühmten Maxwell Street Market in Chicago, das Delta Blues Museum in Clarksdale, Mississippi, bzw. Vergnügungsviertel wie das French Quarter in New Orleans oder die Beale Street in Memphis, Tennessee. 

 

In deutsch und englisch gehalten, ist das zweisprachige Buch eine geglückte Mischung aus Information, Erlebnisschilderung und Bilderstrecke, wobei die Fotos von Feldmann beachtliche Qualität besitzen. Angereichert wird das Ganze durch Konzertplakate, Handzettel, Autogramme, Schallplattenhüllen und Eintrittskarten, die der Autor zusammengetragen hat und kenntnisreich kommentiert. Etliche Fotos schauen hinter die Kulissen, zeigen das soziale Umfeld, die schäbigen Kneipen, Hinterhöfe, Abbruchhäuser und trostlosen Behausungen, in welchen die Musik zuhause ist. Wenn diese Musiker den Blues anstimmen, ist nichts aufgesetzt, vielmehr wissen sie genau, wovon sie singen: von einer oft erschütternden Lebenswirklichkeit, die kein Pardon und kein Nachsehen kennt und mit der sie tagtäglich und lebenslang zu kämpfen haben. Romantisierungen sind hier fehl am Platz.


Maxwell Street Market, 1981 (youtube)

Auf Festivals in Deutschland und den Niederlande setzt Feldmann seine Bluesexkursion fort, wobei nun auch die europäische Bluesszene ins Blickfeld rückt, verkörpert u.a. von Jo-Ann Kelly oder John Mayall. Fast könnte man auch den legendären, schwarzen Barrelhouse-Pianisten Champion Jack Dupree zur europäischen Szene zählen, lebte der Tastenmann aus New Orleans doch jahrelang in Hannover, von wo aus er zahllose Konzertreisen durch ganz Deutschland und die Nachbarländer unternahm. Ich habe Dupree damals als Teenager öfters bei Auftritten in Süddeutschland erlebt.   

 

Mit seiner Publikation ist Feldmann ein vielfältiges Portrait der Bluesszene der letzten Dekaden gelungen – immer hautnah am Geschehen dran. Es ist zum einen seine ganz persönliche Geschichte, die Story einer musikalischen Leidenschaft, die sich wie ein Puzzle mit wachsender Seitenzahl zu einer Historie des Blues der letzten 50 Jahre zusammenfügt.

 

Martin Feldmann: Further on up the road – Traveling to the Blues. 

268 Seiten, 500 Fotos in schwarz-weiß sowie Farbe, Martin Feldmann Eigenverlag; Frankfurt a. M. 2022; Euro 49.- 


Die Buchbesprechung erschien zuerst im Jazzmagazine JAZZTHTIK, 5/6 2022 (www.jazztheik.de)