Monday, 18 January 2021

Buch: Die experimentelle Szene der USA in den 1970er Jahre

Buchbesprechung: 

Einblicke in die experimentelle Szene der USA in den 1970er Jahren


Walter Zimmermann: Interviews mit 23 Musikern

 

cw. “One rainy day in Cologne I decided to go to America to visit musicians there, and find out,“ so beginnt das in englisch verfasste Buch “Desert Plants“ von Walter Zimmermann von 1976, das gerade als Reprint neu erschienen ist. Es enthält über zwanzig Interviews mit Musikern, die der junge Komponist im Rahmen einer sechswöchigen Tour durch die USA führte, um mehr über die neuen Tendenzen zu erfahren, die damals für Furore sorgten. Das Spektrum seiner Gesprächspartner reicht von Pauline Oliveros über Joan LaBarbara bis zu James Tenney.

                                                                           Walter Zimmermann in den 1970ern



Mit nicht mehr als ein paar Adressen in der Tasche, quartierte sich Zimmermann zuerst in einer billigen Absteige in Greenwich Village ein, um von dort seine ersten Gewährsleute in Downtown Manhattan aufzusuchen. Mit Hilfe eines Tonbandgeräts wollte er sich einen Überblick über die Vielfalt der “American New Music“ verschaffen, wobei sich bei den Gesprächen ein Hauptanliegen herausschälte: Etliche der Musiker zielten darauf ab, sich von der europäischen Tradition abzunabeln und eine eigene amerikanische Identität zu entwickeln. 
Für das erste Interview suchte Zimmermann Morton Feldman auf, um etwas über seinen kompositorischen Ansatz zu erfahren, den der Amerikaner mit den Worten “to keep control of silence“ umriß, um anzumerken: “I feel that music should be left alone and not be used as a tool for peoples’ ideas…to make propaganda, to make masterpieces…“. 


                                                                             
Morton Feldman

 



Genau für das Gegenteil trat Christian Wolff ein, der wie Feldman ebenfalls zur New York School zählt, sich aber inzwischen als Revoluzzer zur Kunst als Waffe im politischen Kampf bekannte, Gedankenstränge, die von Frederic Rzewski weitergesponnen werden. Dabei kommt ein blinder Fleck des deutschen Linken zum Vorschein: Kaum 30 Jahre nach Hitler meint Zimmermann in den USA einen “silent fascism“ am Werke zu sehen, eine Anmaßung, die ihm selbst der Maoist Rzewski nicht durchgehen läßt.

John Cage bildet eine weitere Station. Das Gespräch kreist um Anarchismus und Henry David Thoreau, wobei der Buddhist und Komponist für eine Strategie der Selbstvergessenheit plädiert. Mit Charlemagne Palestine und Philip Glass kommen zwei Vertreter der Minimal Music zu Wort. Zimmermann hatte auch LaMonte Young in zahlreichen Telefonaten um ein Interview gebeten, das jedoch an der maximalen Honorarforderung des Minimalisten scheiterte. Philip Glass hingegen erläutert ausführlich sein Kompositionsverfahren, das auf “rhythmischen und zirkularen Strukturen“ basiert, und unterstreicht die Wichtigkeit eines eigenen Ensembles, um “größtmögliche Homogenität“ zu erreichen.


                                                                                                   John Cage

 

Zimmermanns Buch, das die Originalinterviews auf CD mitliefert, gewährt einen spannenden Einblick in die experimentelle Szene der USA Mitte der 1970er Jahre, die damals vor Kreativität nur so brummte. Etliche der ästhetischen, sozialen und politischen Fragen, die aufgeworfen werden, haben selbst Jahrzehnte später wenig an Brisanz verloren. 

 

Walter Zimmermann: Desert Plants – Conversations With 23 American Musicians. Buch + CD. Beginner Press Berlin / MusikTexte Köln 2020. 375 Seiten. 28 Euro

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