Sunday 27 March 2022

Bill Frisell mit Robert Plant (Led Zeppelin) und Alison Krauss (Union Station) im Studio

Keine Idee war zu abwegig, um sie nicht auszuprobieren

 

Gitarrist Bill Frisell über seine Studiosession mit Robert Plant (Led Zeppelin) und Alison Krauss (Union Station) für das Album „Raise the Roof“


Bill Frisell


Interview von Christoph Wagner

 

Sie sind auf dem neuen Album von Robert Plant und Alison Krauss mit von der Partie. Wie kam es dazu?

 

Bill Frisell: Ich kenne Alison Krauss schon lange. Als ich das erste Mal 1995 für Plattenaufnahmen in Nashville war, lernte ich sie kennen, weil einige der Musiker, mit denen ich aufnahm, in ihrer Band spielten. Damals traf ich auch Victor Krauss, ihren Bruder, der jetzt auch wieder dabei war und mit dem ich über die Jahre viel zusammengearbeitet habe. Ich spielte auf seinen Alben und er auf meinen. Alison kannte ich dagegen nicht so gut, obwohl ich immer schon ein Fan von ihr war. Bei den Aufnahmen zum neuen Album bot sich für mich das erste Mal die Gelegenheit, mit ihr enger zusammenzuarbeiten. Robert Plant habe ich vor ein paar Jahren einmal kurz getroffen, als er zu einem meiner Gigs ins Village Vanguard kam. Er war so freundlich und nett. Musikalisch ist er an einer Vielzahl von Musikstilen interessiert. Er ist offen für Neues. Aber wahrscheinlich war es T-Bone Burnett, der Produzent, der mich ins Boot holte, weil ich über die Jahre mit ihm immer wieder zusammengearbeitet habe. Das erste Mal beim Soundtrack für den Johnny Cash-Film „Walk the Line“.

 

Wie entstand die Platte? Wurde im Studio „live“ gespielt oder mit Overdubs gearbeitet?

 

BF: Alles wurde „live“ gespielt. Wir hatten eine Liste von Songs, die wir aufnahmen. David Hidalgo von Los Lobos war dabei, der einfach ein unglaublicher Musiker ist. Jay Bellerose war der Drummer, Dennis Crouch der Bassist, Pedal-Steel-Gitarre spielte Russ Pahl, dann waren da noch Victor Krauss und natürlich Alison und Robert – das war die Band der Sessions, an denen ich teilnahm. Es wurde richtig Musik gemacht, gesungen, so daß ich nie das Gefühl hatte, zu einer toten Tonspur zu spielen. Es war eine Session, wie man früher Platten aufgenommen hat. Keine Tricks, keine Studiozauberei, sondern einfach nur in einem Raum gemeinsam Musik machen. Man hört den Liedtext und die Melodie, und reagiert auf die Atmosphäre und die Stimmung. So entsteht Musik, die atmet und lebt.


Alison Krauss & Robert Plant




 Wurden sie eingeladen, um ungewöhnliche Ideen einzubringen?

 

BF: Sicher nicht. Jeder dieser Musiker ist ein größerer Exzentriker als ich. Ich war fast der konservativste. Wir lernten gemeinsam jeden einzelnen Song. Wir fingen bei Null an, probten, probierten, bis das Lied zusammenkam. Jeder Song wurde am Schluß ein paar Mal eingespielt. Dann machten wir uns an den nächsten. Manchmal schafften wir drei Songs pro Tag.    

 

Fanden Sie gleich ihre Rolle?

 

BF: Ja, es geschah alles völlig organisch. David Hidalgo war phänomenal – wie er den innersten Kern eines Lieds erfasst, ob rhythmisch, klanglich oder 

harmonisch, und ihn dann zum Leuchten bringt. Wie seine Gitarre sich mit dem Schlagzeug verzahnt. Das machte es für mich einfach, meinen Platz zu finden. Es gab nie irgendwelche Spannungen, alles lief völlig locker ab. Es kann im Studio passieren, dass man in eine falsche Richtung geht und sich immer weiter verirrt. Hier passte alles zusammen.


Robert Plant & Alison Krauss: It's over (youtube)



 Die Platte wurde im Sound Emporium in Nashville aufgenommen. Kannten Sie das Studio?

 

BF. Es war das gleiche Studio, in dem ich einst mein „Nashville“-Album aufgenommen hatte. Ein tolles Studio – urgemütlich. 

 

Wie war die Atmosphäre?

 

BF: Entspannt! Keine unterschiedlichen Vorstellungen, kein Gerangel, kein Hader. Alles lief völlig harmonisch ab. Es war das reinste Vergnügen. Wenn man Hunger hatte – schon kam das Essen! Dann saß man zusammen, redete und aß. Am Abend gingen alle in die Bar, ich dagegen ins Hotel, um mich auszuruhen. Vor dreißig Jahren wäre ich nach einem Tag im Studio auch noch in die Bar gegangen.


T-Bone Burnett

 


Welche Rolle spielte T-Bone Burnett als Produzent?

 

BF: Er ist wie der Regisseur bei einem Film, und spielt dazu noch Gitarre. Zu Beginn sitzen alle um ihn herum und er singt und spielt uns den Song vor, zum ersten Mal, und erklärt, wie er ihn haben möchte. Dann versucht jeder, seinen Teil dazu beizusteuern. „Vielleicht kann ich das so spielen oder so?“ T-Bone macht sich im voraus Gedanken zu jedem einzelnen Song, entwickelt Ideen. Ein paar der Titel würde ich einem bestimmten Stil zuordnen. Er sagt dann aber: „Nein, wir machen das ganz anders. Wir behalten nur den Liedtext und die Melodie bei, gehen das aber stilistisch anders an.“ Wenn uns T-Bone etwas verdeutlichen wollte, schnappte er sich einfach eine Gitarre und spielte uns vor, was ihm vorschwebte, etwa einen Sound oder einen Groove. Aber der wichtigste Aspekt ist natürlich die Auswahl der Musiker. Das ist wie bei einem Film. Wer spielt wen! Der Drummer Jay Bellerose ist eine Klasse für sich. Niemand spielt Schlagzeug wie er. Als ich vor Jahren das erste Mal mit ihm im Studio war, dachte ich: „Was macht der Bursche da eigentlich? So kann man doch nicht Schlagzeug spielen!“ Wie er die Trommeln stimmt, wie er einen Rhythmus auffasst, ist einfach so etwas von abgefahren. So einen Drummer bei den Aufnahmen dabei zu haben, gibt bereits die Richtung vor. Das hat Auswirkungen darauf, wie die ganze Band klingt. Ansonsten läßt einem T-Bone Burnett jede Freiheit. Keine Idee ist zu abwegig, um sie nicht auszuprobieren.

 

Robert Plant & Alison Krauss: Raise the Roof (Warner Music)


Das Interview erschien zuerst im hoch respektierten MusikMagazin JAZZTETHIK (jazzthetik.de)

 

 

 

Friday 18 March 2022

Jazz in stürmischen Zeiten: Patrik Landolt vom Zürcher INTAKT-Label zieht Bilanz

Ein Leben voller Jazz

 

Seit der Gründung von Intakt Records im Jahr 1986 hat sich das Label zu einer weltweit hochangesehenen Plattenfirma für Jazz entwickelt. Jetzt übergibt Labelchef Patrik Landolt den Staffelstab an seine Nachfolger und zieht Bilanz


Foto: Manuel Wagner




 Interview von Christoph Wagner

 

 

Sie haben 36 Jahren lang Intakt Records in Zürich geleitet. Wie und wann begann Ihre musikalische Leidenschaft?

 

Patrik Landolt: Ich habe schon auf dem Gymnasium Immensee Konzerte veranstaltet. In den 1970er Jahren habe ich dann während des Studiums in Thalwil gewohnt, zu einer Zeit, als in Zürich in Sachen moderner Jazz und Underground-Musik nicht viel los war. Wir haben den Verein „Musig bi de Lüüt“ gegründet und sehr erfolgreich Konzerte veranstaltet. Hochkarätige Musikerinnen und Musiker des modernen Jazz wie Don Cherry, Anthony Braxton und Irène Schweizer traten bei uns auf. Das war für mich der Ausgleich für das etwas langweilige Philosophie-Studium.

 

Die Zürcher Jugendunruhen mischten dann die Szene auf....

 

PL: Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, wie verschlafen Zürich damals war. Nachts um 23 Uhr wurden die Gehsteige hochgeklappt, um Mitternacht schlossen die Kneipen. Für die neue Kultur gab es keine Räume und kein Geld. Die Jugendkultur wurde ausgegrenzt. Diese muffige Situation kam dann in der 1980er-Bewegung zur Explosion, und wir waren mittendrin. Im Zuge der Revolte wurde die Rote Fabrik besetzt, woraus ein Zentrum für alternative Kultur entstand. Wir als Gruppe Fabrikjazz waren ein kleiner Teil davon. Es gab Literaturgruppen, sehr viel Popkultur, Punk und solche Sachen. 

 

Wie wurde aus der Veranstaltergruppe eine Plattenfirma?

 

PL: 1984 veranstalteten wir das erste Taktlos-Festival und luden Musikerinnen und Musiker aus den USA, England, Frankreich, Ost- und Westdeutschland ein, dazu die Zürcher Pianistin Irène Schweizer. Das Taktlos war von Beginn an ein Erfolg – grosses Publikum, viel Medienaufmerksamkeit. Das Schweizer Radio schnitt die Auftritte mit, und dann lagen die Bänder bei uns herum. Was damit anfangen? Wir wollten keine Festival-Compilation machen, also haben wir um Irène Schweizer herum eine Schallplatte aus den Aufnahmen konzipiert, die dann 1986 erschien. Das war der Startschuß. Es herrschte große Neugierde und Offenheit – Aufbruchstimmung! Wir haben ohne großes Vertriebsnetz beachtliche 2000 LPs verkauft.


Irène Schweizer


Wie wurde aus diesen wackligen Gehversuchen ein professionelles Plattenlabel?

 

PL: 15 Jahre haben wir das Label in kleinem Rahmen ehrenamtlich betrieben – vier bis fünf Produktionen im Jahr. Keiner von uns wusste wie ein Plattenlabel funktioniert. Wir mussten alles Schritt für Schritt lernen. Die Zürcher Alternativ-Firma RecRec hat anfangs den Vertrieb übernommen. Ich habe schließlich meinen Journalistenberuf bei der Wochenzeitung (WoZ) aufgegeben und meine musikalische Leidenschaft zum Beruf gemacht.

 

Was sind die Werte, die Intakt Records leiten?

 

PL: Ich hatte immer die Vorstellung, das Musiklabel wie einen Buchverlag zu betreiben, bei dem man über Jahre mit Autoren und Autorinnen – sprich: Musiker und Musikerinnen – zusammenarbeitet und gemeinsam Projekte entwirft. Es geht darum, optimale Bedingungen zu schaffen, damit sich die Künstler kreativ entfalten können. Als Musikverleger braucht es Einfühlungsvermögen, Geschmackssicherheit und vor allem Enthusiasmus für die Musik. Das A und O ist die Vernetzung. Intakt hat mit dem Schweizer Radio zusammengearbeitet, mit dem Veranstalter Fabrikjazz, mit den Jazzfestivals Willisau, Schaffhausen und Berlin. Nur gemeinsam sind solche ambitionierten Projekte finanziell zu stemmen.

 

Intakt hat sich nie auf die Schweiz beschränkt. Wie wichtig war die internationale Dimension?

 

PL: Wir waren von Anfang an international ausgerichtet, was ja auch dem Geist des Jazz entspricht, der heute auf der ganzen Welt gespielt wird. Viele Musikerinnen und Musiker wurden zu Botschaftern, die uns auf andere Künstler aufmerksam machten und als Türöffner fungierten. Es ist ja nicht so, dass ein Mangel an Angeboten besteht. Wir werden im Jahr mit bis zu 2000 Anfragen für Plattenproduktionen geradezu überhäuft. Das Problem ist, aus dieser Masse von Angeboten diejenigen herauszufiltern, die im Kontext unseres Katalogs Sinn machen. Dabei geht es nicht um Eintagsfliegen, sondern wir wollen mit den Künstlern eine langfristige Zusammenarbeit eingehen.

 

Wie wichtig ist der persönliche Kontakt?

 

PL: Unentbehrlich. Dabei entstehen Freundschaften. Manche unserer Musiker und Musikerinnen verstehen sich explizit als Intakt-Künstler, die bei ihren Konzerten auf das Label aufmerksam machen. Das ist für unsere Sichtbarkeit ungeheuer wichtig. Dazu kommt, dass in der heutigen Flut von Musik, die via Internet alles überschwemmt, unser Label ein Ort der Orientierung und der Verläßlichkeit ist. Wir weisen auf wichtige Musiker und Musikerinnen hin. Unsere Kunden können sich auf die Qualität unserer Produktionen verlassen. Das ist in der Zeit der Fragmentierung heute eine ganz wichtige Funktion. Zu diesem Zweck haben wir ein Abonnenten-System eingerichtet, das den Abonnenten aus allen unseren Produktionen jährlich sechs ausgewählte CDs zukommen läßt. Das Echo ist oft enthusiastisch, weil die Leute auf diese Weise Musik kennenlernen, die sie sonst nicht wahrgenommen hätten.

 

 In den letzten Jahrzehnten hat der Musikmarkt grundlegende Veränderungen erfahren. Heute bestimmen Downloads und Streaming-Plattformen das Geschehen. Wie bewegt sich Intakt in dieser völlig neuartigen Umgebung?

 

PL: Wir müssen auf verschiedenen Kanälen fahren. Wir produzieren CDs, einzelne Musiker machen daraus noch Vinyl-Produktionen. Wir sind auf den Download-Portalen präsent und haben auf Bandcamp einen eigenen Shop für unsere Produktionen, der sich sehr gut entwickelt hat. Dort herrschen faire Bedingungen im Unterschied zu den Streaming-Plattformen, die auf der Ausbeutung von Musikern, Produzenten und Labels basieren. Wir haben manchmal Hunderttausend Streamings im Monat und bekommen dafür lächerliche 250 Dollar. 

 

Hat sich über die Jahre die ästhetische Ausrichtung von Intakt verändert?

 

PL: Das musikalische Spektrum hat sich immer mehr ausdifferenziert. Auf das Spielideal der freien Improvisation folgten die Einflüsse der elektrifizierten Rockmusik. Es ist allerdings immer die Realität, die die Musikgeschichte schreibt – wir dokumentieren dann diese Veränderungen. Heute sind z.B. viel mehr Musikerinnen aktiv, eine Entwicklung, die wir von Anfang an unterstützt haben. Auch ist eine junge Generation afroamerikanischer Musiker sichtbar geworden mit einem neuen „Spirit“.


Cecil Taylor in Willisau

 

Gab es einschneidende Erlebnisse in Ihrer persönlichen Geschichte mit Intakt?

 

PL: Ein Ereignis hat sich bei mir besonders tief in die Erinnerung eingegraben: Die Begegnung mit dem Pianisten Cecil Taylor im September 2001 in New York. Ich war dort, um mit ihm die Veröffentlichung des Live-Mitschnitts seines Solokonzerts auf dem Willisauer Jazzfestival aus dem Jahr zuvor klar zu machen. Es war ein vierstündiges Gespräch über Musik, Architektur, Literatur – sehr intensiv. Am nächsten Morgen, dem 11. September, spazierte ich den Broadway hinunter, als ich Zeuge wurde, wie das erste Flugzeug in einen der Twin Towers flog. Auf einen Schlag war nichts mehr wie es vorher war.

 

Welche Chancen bzw. Herausforderungen sehen Sie in der Zukunft? 

 

PL: Intakt ist gut aufgestellt, hat einen kulturell reichen Backkatalog und ein höchst kompetentes junges Team, das die Aufnahmen pflegen und die Musikproduktion in die Zukunft führen wird. Ich bin trotz aller Unkenrufe optimistisch.