Sunday, 29 June 2014

AUGEundOHR: Tamburica in den USA

Eine Familien-Tamburica-Gruppe aus den USA, ca. 1910
Die Tamburica, eine Langhalslaute, gilt als Nationalinstrument Kroatiens, ist aber in ganz Südosteuropa verbreitet. Emigranten brachten das Instrument in die USA, wo in den Einwanderer-Kolonien der Serben und Kroaten viele Tamburica-Gruppen und Orchester entstanden, die bereits in den 1920er Jahre unzählige Schallplattenaufnahmen machten. Die Fotos stammen aus dem Fotoalbum einer einzigen Familie.




Tuesday, 24 June 2014

Horace Silver (1928-2014)

Der Jazzprediger

Zum Tod des Pianisten Horace Silver 


cw. Horace Silver war einer der prägenden Jazzmusiker der Nachkriegszeit und galt als einer der Erfinder des “Hardbop”. Sein “funky” Pianospiel machte ihn bekannt, das tief im schwarzen Erbe aus Blues, Spirituals und Gospel wurzelte. Mit “Song for my Father” gelang ihm sogar ein Hit, der zum Evergreen wurde und bis heute im Repertoire jüngerer Jazzgenerationen einen festen Platz einnimmt. Am 18. Juni 2014 ist Horace Silver gestorben. Er wurde 85 Jahre alt.

Silver war lange Zeit aufs Engste mit dem “Blue Note”-Label verbunden und einer der stilprägenden Musiker, die maßgeblich zum Aufstieg der heute legendären Schallplattenfirma beigetragen haben.

Am 2. September 1928 als Horace Silva geboren, durchstreifte er bereits als Teenager Trödelläden auf der Suche nach alten Jazzplatten. Diese Musik zog ihn in den Bann. Zuerst spielte er Saxofon, um mit elf zum Klavier zu wechseln. Ohne große Anleitung klimperte er seine Lieblingsnummern, ob Boogie Woogie, Blues oder Swing. Vom Klavier war er nun kaum mehr zu trennen. Man musste ihn regelrecht von den Tasten vertreiben, wollte die Familie einmal ihre Ruhe haben.

Zuerst spielte er in Tanzlokalen und Stripbars in seiner Heimatstadt Norwalk in Connecticut. Bald begleitete der Zwanzigjährige durchreisende Solisten, unter denen sich Schwergewichte wie Charlie Parker befanden. Der Saxofonist Stan Getz war so begeistert von Silvers sparsamen Spiel, dass er ihn vom Fleck weg engagierte.
Silvers Talente sprachen sich herum. Jazzgrößen wie Coleman Hawkins und Lester Young griffen auf ihn zurück. Selbst Miles Davis heuerte ihn an. Doch Silver wollte höher hinaus und gründete seine eigene Band: die Jazz Messengers mit Art Blakey am Schlagzeug.


Von Freejazz und Jazzrock ließ er die Finger. Viel überzeugender präsentierte er sich in seinem angestammten Stil, den er mit lateinamerikanischen und afrikanischen Elementen anreicherte oder Klänge von den kapverdischen Inseln einstreute, wo sein Vater her stammte. Mit Horace Silver verliert die Jazzmoderne einen ihrer letzten großen Pioniere.

Saturday, 21 June 2014

Riffs und Miniloops: To Rococo Rot mit Arto Lindsay

Aus der Tiefe nach oben

Neues Album von To Rococo Rot

cw. Im Riff, das sich fortwährend erneuert, erkannte Holger Czukay (einer der Väter der Pop-Avantgarde) das Herzstück aller Rockmusik. Inzwischen ist in der elektronischen Clubmusik der Loop an die Stelle des Riffs getreten. Die Düsseldorfer-Berliner Formation To Rococo Rot, die nächstes Jahr zwanzigsten Geburtstag feiert, bringt beide Elemente zusammen. Die drei Musiker, Robert Lippok (Electronics), sein Bruder Ronald Lippok (Schlagzeug) und der Bassist Stefan Schneider, sind Meister der kleinen Form. Ihre kleinteiligen Riffs und Miniloops besitzen eine hypnotische Kraft, die einen starken Sog entfalten.

To Rococo Rot stellen die Gepflogenheiten des Pop auf den Kopf, indem nicht die Leadgitarre oder die Keyboards das Leitmotiv übernehmen, sondern die Bassgitarre. Eingehüllt in elektronische Klangnebel, die fortwährend wiederkehren und dabei ganz allmählich die Farbe wechseln, dringt die “hookline” aus der Tiefe nach oben.

Verstand sich die Band bisher als Instrumentalenemble, hat sie sich für das neue Album den Sänger Arto Lindsay an Bord geholt, der in drei Nummern den Vokalpart übernimmt.
Arto Lindsay
Lindsay, ein Urgestein der New Yorker Post-Punk- und No Wave-Szene der 80er Jahre, ist ein Vokalist von abgeklärter Coolness, der es versteht, mit Lakonie eine Melodie zum Klingen zu bringen.

Doch das Album hält noch andere Überraschungen bereit. Wie ein Fremdkörper in der elektronischen Klangwelt wirkt ein akustisches Pianoriff, das aus gewaltigen Tastensprüngen entsteht. Im Schlußstück kommt Arto Lindsay als (Anti-)Gitarrist zum Zuge. Seine bekannten Feedback-Exerzitien injizieren ein Element von Chaos und Aufruhr in die präzise konstruierte Musik. Lindsays melancholisch-versonnerer Gesang über den “Longest escalator in the world” versinkt am Ende in einem Meer aus Lärm, um in sanften Klangwellen zu verebben.


To Rococo Rot: Instrument (City Slang)

Saturday, 14 June 2014

30 Jahre JAZZCLUB TÜBINGEN

Kluger Schachzug

Mit einer Vielfalt von Musik feierte der Tübinger Jazzclub 30. Geburtstag


cw. Zupackender Swing neben kammermusikalischen Tönen, erdiger New Orleans-Jazz neben Funk und Blues – mit mehr als einem halben Dutzend Bands und einer Vielfalt von Stilrichtungen beging der Jazzclub Tübingen seinen 30. Geburtstag. Das kleine Jubiläums-Festival präsentierte die Crème der Tübinger Szene und bewies, dass in der Universitätsstadt am Neckar viel hochkarätiger Jazz zu Hause ist.

Nicht nur die Musiker und das Publikum spielten mit – auch das Wetter. Bei hochsommerlichen Temperaturen feierten die Tübinger Jazzer mit Hunderten von Zuhörern ihre dreißigste Geburtstagsparty mit viel Sonnenschein und guter Laune. Sonst meistens in der Tiefe des Tübinger Jazzkellers versteckt, war diesmal der Südwestrundfunk Gastgeber, dessen Landesstudio-Areal auf dem Österberg als Austragungsort diente. Umlagert von Bierbänken, fanden die eher extrovertierten Auftritte auf einer Bühne im Freien statt, während die delikateren Darbietungen im Foyer und im Hörspielstudio des SWR-Gebäudes über die Bühne gingen.

Ein Urgestein des modernen Jazz und ein Häuptling der Tübinger Szene ist Dizzy Krisch, der gleich zwei Mal zum Zuge kam: Die Formation “Special Delivery” des Vibraphonisten - mit erstklassigen Musikern besetzt - bot herzhaften Swing und beeindruckende Improvisationen, während sich Krisch im Duo mit dem Pianisten Thilo Wagner eher als Feingeist erwies, dessen Filzschlegel nicht weniger rasant über die Metallstäbe des Vibraphons sausten als die Finger seines Partners über die Tasten des Flügels. Dem Sohn des Altmeisters, dem Pianisten Anselm Krisch, blieb es mit seinem Trio Flüstertüte vorbehalten, zeitgenössischere Töne anzuschlagen, die jedoch sehr geordnet und diszipliniert, ja fast brav daherkamen. Das Programm aus Fusion, Hiphop und groove-orientiertem Funk kam bei dem generell schon etwas angegrauten Publikum genauso gut an wie die Retro-Nummern der Alten.

Flüstertüte
 
Dazwischen bot die amerikanische Jazzsängerin Jane Rudnick, die seit langem in Tübingen lebt, mit ihrem Quartett ein Programm, das Songs der amerikanischen Singer-Songwriterin Joni Mitchell neu interpretierte, was sich als kluger Schachzug erwies. Mitchell hatte als Folkpopsängerin in den späten sechziger Jahre begonnen, um sich im Laufe ihrer Karriere immer mehr in Richtung Jazz zu bewegen. Hier knüpfte Rudnick an und nutzte die Möglichkeit, mit Hilfe dieser hochkarätigen Lieder – wie etwa dem Hit “Big Yellow Taxi” - aus dem engen Rahmen konventioneller Jazzvokalistik auszubrechen.

Ähnlich delikat musizierte das Duo von Thomas Horstmann (E-Gitarre) und Wolfgang Lindenfelser (Saxofon). Zwischen leisen Balladen und beseelten Improvisationen verstand es Horstmann immer wieder, ein paar elektronische Klangüberraschungen einzubauen.


Auf der Freilichtbühne unter grünem Blattwerk drückten derweil die Louisiana Funky Butts
mächtig auf die Tube. Die Bläsertruppe aus Tübingen/Stuttgart ist auf Spaß und gute Laune aus und brachte das Publikum mit zupackender Blechmusik und rollenden Trommelwirbeln auf die Beine. Mit etwas Fantasie hätte man meinen können, beim Mardi Gras in New Orleans zu sein.

Tuesday, 10 June 2014

Mike Heron & Trembling Bells: fulminantes Konzert in Schorndorf

Versponnene Songs

Die britische Folklegende Mike Heron mit Trembling Bells unterwegs 


cw. Die Beatles und Elton John zählten zu ihren Bewunderern. 1969 spielte die Gruppe auf dem legendären Woodstock-Festival: Die Incredible String Band aus Schottland war in der Hippie-Ära eine der einflussreichsten Gruppen einer neuen psychedelischen Folkmusik, zu deren Erfindern sie zählten. Mitte der siebziger Jahre trennten sich die beiden Mitglieder und gehen seither getrennte Wege. Jetzt hat sich Sänger Mike Heron, mittlerweile 71 Jahre alt, mit der jungen schottischen Folkrockband Trembling Bells zusammen getan, um dem damals revolutionären musikalischen Material neue Lebensgeister einzuhauchen. Im Club Manufaktur in Schorndorf zeigten sich die sieben Musiker und Musikerinnen aus Glasgow in Hochform und absolvierten ein fulminantes Konzert, das erst nach mehreren Zugaben zu Ende ging. 
Mit Hilfe des Produzenten Joe Boyd entfaltete einst die Incredible String Band erst im Studio ihre wahre Stärke. Neben akustischer Gitarre und Mandoline verwandelte ein Arsenal von außergewöhnlichen und exotischen Instrumenten wie Flöten, Maultrommel, Kazoo, Bongos, Sitar, Cembalo und Mundharmonika, die im Mehr-Kanal-Verfahren aufgenommen wurden, ihre zarten versponnenen Lieder in ein Rad bunter Pfauenfedern. “Live” konnten die beiden Musiker diese Arrangements jedoch nie in ihrer ganzen Vielfalt in Szene setzen.

Mit dem kleinen Folkorchester aus sechs Musikern, das die Trembling Bells darstellen, ist das nunmehr möglich, wobei sich die Arrangements nicht sklavisch an die  Originale halten, sondern diese Klassiker der psychedelischen Ära fantasievoll in andere Farben tauchen.

Dazu bringen die Trembling Bells noch ein paar ihrer eigenen Songs ein, die gleichfalls Folkeinflüsse mit Rockrhythmen vermischen und von der Stimmkunst ihrer Sängerin und der Virtuosität ihres Gitarristen und Schlagzeugers leben. An Abwechslungsreichtum ließ das Konzert nichts zu wünschen übrig. Bei manchen Songs wurden sogar die Instrumente ganz aus der Hand gelegt, um die Lieder im unbegleiteten mehrstimmigen Harmoniegesang zu intonieren, was von den Fans im Auditorium mit prasselndem Beifall bedacht wurde.

Oft schon sind solche Wiederbelebungen von früheren glorreichen Zeiten gründlich in die Hose gegangen – nicht hier: Wie ein klassisches Kammermusik-Ensemble schafften es Mike Heron and die Trembling Bells die alten kleinen Folksinfonien mit frischen Ideen zu erfüllen und damit zu neuem Leben zu erwecken.

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Südwestdeutschland

Wednesday, 4 June 2014

Zum 50. Jahrestag des 1. Waldeck-Festivals 1964

Liedfest auf der Burg
 
Vor 50 Jahren begann die deutsche Liedermacherbewegung

cw. Popsongs oder Chansons in deutscher Sprache werden heute als selbstverständlich betrachtet. Das war nicht immer so! Erst in den sechziger Jahre entstand in Westdeutschland eine junge Liedbewegung, die sich wieder in der Muttersprache ausdrückte. Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey und Hannes Wader wurden zu Stars der neuen Szene. Einmal im Jahr trafen sich diese Songpoeten damals auf der Burgruine Waldeck im Hundsrück zu einem Festival, das zur Wiege der bundesrepublikanischen Liedermacher-Bewegung wurde.
 
Dieses Jahr wird vom 6. bis 8. Juni auf der “Waldeck” wieder ein Liederfest gefeiert. Veteranen wie Hein & Oss Kröher, Christof Stählin und Walter Mossmann werden Rückschau auf ein Ereignis halten, das 1964 zum ersten Mal stattfand. Dazu kommen junge Sängerinnen wie Dota Kehr oder Gruppen wie Tschaika und Schlagsaite, die zeigen, was heute aus den Anstößen geworden ist. Ein Dokumentarfilm von Gabi Heleen Bollinger, der gerade auf DVD erschienen ist, zeichnet die Entwicklung über ein halbes Jahrhundert nach.
 
“Ein Programm ist gemacht worden über das ganze Gelände. Auf der  Hauptbühne, aber auch an kleineren Konzertorten - in Hütten und Jurten -fanden Veranstaltungen statt,” erinnert sich der Hechinger Liedermacher Christof Stählin, der damals dabei war. “Nachts haben überall Feuer gebrannt und es ist gesungen worden. Da ist tagaus tagein und nachtaus nachtein musiziert worden.”
 
Die Waldeck-Premiere 1964 brachte zum ersten Mal Liedpoeten, Kabarettisten, Barden und Bänkensänger an einem Ort zusammen. Sie schufen die Grundlagen für eine neue deutsche Liedtradition, die sich als gesellschaftskritisch und demokratisch verstand und von französischen Chansons, Freiheitsliedern, Landstreicher-Balladen, Brecht-Moritaten und amerikanischen Folksongs beeinflußt war. Georges Brassens und Bob Dylan gaben die Richtung vor.

Franz Josef Degenhardt auf der Waldeck
 
Zum ersten “Festival für Chanson und Folklore International” kamen 350 Besucher. Im darauffolgenden Jahr waren es bereits 2000. Aufbruchstimmung machten sich breit. “Die Sensation waren Sänger, die ihre eigenen Lieder machten,” erinnert sich Stählin. Die aufgewühlte Atmosphäre der Studentenrebellion prägte ab 1967 das Festival. Ein ideologischer Riss tat sich auf zwischen den Protestsängern und den weniger politischen “Privatlieder”-Machern, die mehr und mehr ins Abseits gerieten. Reinhard Mey sah sich heftiger Kritik ausgesetzt. Eine hitzige Debatte entbrannte.

                                                                                                       Reinhard Mey auf der Waldeck
 
1968 platzte das Festival aus allen Nähten. 5000 Besucher strömten auf das Burggelände und brachten die nur rudimentäre Infrastruktur an den Rand des Kollaps. Die politischen Konflikte schwelte weiter. Es kam zu Bühnenbesetzungen. Auftritte wurden gestört. Kabarettisten wie Hanns-Dieter Hüsch wurden attackiert. Ein Jahr später dann das Finale: Das Waldeck-Festival passte sich dem neuen Zeitgeist an - Diskussionen, Teach-Ins, Underground-Rock und Gegenkultur dominierten das Programm, die Lieder wurden an den Rand gedrängt. Damit war der Endpunkt erreicht. Das Festival löste sich sang- und klanglos auf.
 

Die Auszeit währte lange. Erst zum 40. Jahrestag des ersten Festivals gab es 2004 eine Nachfolgeveranstaltung. Danach kam langsam wieder ein Festival zustande, das allerdings nicht mehr an die Bedeutung der ursprünglichen Waldeck-Festivals anknüpfen konnte. Junge Liedermacher und Folkgruppen geben sich seither alljährlich auf der Burgruine ein Stelldichein -  so auch dieses Jahr! Selbst 50 Jahre nach dem ersten Festival wirkt der Geist der Waldeck immer noch inspirierend.

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Südwestdeutschland.