Wednesday 31 March 2021

Niko Ordoulidis (Griechenland): Rembetiko dekonstruieren

GASTBEITRAG von SIMON STEINER:

Rembetiko dekonstruieren 

Niko Ordoulidis und X-Terra: The Eastern Piano Project 


Beim Herumsurfen auf youtube und auf der Suche nach modernen Interpretationen des griechischen Musik-Genres Rembetiko fiel mir Dora Spetsioti auf: Sie interpretierte alte Rembetika in neuem Stil, begleitet mit Klavier. Im Genre Rembetiko war das komplettes Neuland! Rembetiko und Klavier! So stieß ich auf Pianist, Universitätsprofessor und Musikwissenschaftler Nikos Ordoulidis von der Musikhochschule Ioannina, wo auch mein Freund und Gitarrist Vasilis Alexiadis studierte. Mit ihm improvisierte ich an mehreren Abenden in Stuttgart im MBK Keller und er zeigte mir ein paar Rembetiko-Kniffe. Zuvor war einige Jahre Konstantinos "Cby" in unserem Keller bei Live-Sessions dabei. Wir hatten nie Berührungsängste Noise, Jazz, Punk, Elektro und Rembetiko wild zu mischen. Warum auch! Aber kommen wir zu Niko Ordoulidis, diesem großen Geist! Er hebt Rembetiko und alte internationale Volksweisen auf ein neues Level.

Der Pianist wurde in den Bergen Mazedoniens in der kleinen Stadt Naousa geboren. Er lebte jahrelang in Thessaloniki und hat als Musiker und Musikwissenschaftler in Griechenland, Bulgarien, England, Italien und der Schweiz studiert und gearbeitet. Ordoulidis schreibt Musik für Soloklavier, Theater und Volksorchester. Er sucht nach Wegen, die vielfältigen musikalischen Redewendungen einer großen geografischen Spanne neu zu lesen, zu verstehen und zu verhandeln: Populäre Musik aus Osteuropa, dem Balkan und dem Mittelmeerraum. Er gründete verschiedene Formationen mit Studenten der Universität, an der er unterrichtet. 

Nun erscheint im April 2021 sein neues Album: X-Terra – The Eastern Piano Project. Das Album ist eine provozierende Nacherzählung alter Geschichten und Volksweisen, die von ihren ursprünglichen Orten in die Gegenwart transformiert werden. 

Niko Ordoulidis hörte früher zeitgenössische Rembetiko-Aufnahmen, hauptsächlich von George Dalaras. Als Niko 2000 für sein Studium nach Thessaloniki zog, begann er dort als professioneller Musiker zu arbeiten und spielte Klavier, wo es nur ging. Diese Jahre haben seine Liebe zu Rembetiko geprägt. In dieser Phase promovierte Niko und er studierte alte griechische Volksweisen. Ihm war klar, dass es einen Code geben kann, um alte Weisen heute wieder "zum Sprechen zu bringen". Nun entstand ein neues Album, Niko, wie immer am Klavier, mit Akis Pitsanis als Sänger. Auch Pitsanis erneuert Traditionen, "die weder Herkunftsort noch Nationalität haben. Alte Repertoires modernisieren, in neue Kleidungsstücke hüllen - lässig, aber zeitgemäß. Das Alte ist sein Werkzeug, um das Neue zu erschaffen," liest man in dem Begleittext des Albums X-Terra

Rembetika und andere alte Volksweisen füllen das Album: Lieder von Vassilis Tsitsanis von 1940 und Kostas Skarvelis, von 1934 sind dabei, ein Volkslied von ca.1910, "I want a princess", das bereits in Litauen, Serbien, Rumänien, Ungarn, der Ukraine, Russland und natürlich Griechenland aufgenommen wurde, komponiert auf der damals üblichen Mandoline, von dem genialen Panagiotis Tountas, 1936. Ein anderes traditionelles Lied nennt sich "Der Metzger", das seit 1920 immer wieder aufgenommen wurde, mal auf griechisch, auf türkisch oder als Klezmer-Song. Eine Bearbeitung des großen Rembetiko-Star Marko Vamvakaris ist vertreten und eine alte Weise aus Kleinasien, ein Carol von Geflüchteten.

Nach welchen Kriterien habt ihr die Tracks ausgewählt?

NO: Jeder von uns hat die alten Stücke schon lange auf die eine oder andere Weise gespielt, mehrmals und in verschiedenen Kontexten. Es gibt einen Zeitpunkt, da werden einem die Lieder in gewisser Weise langweilig. Es kommt vor, dass man selbst meint, sein Lied, oder seine eigene Schöpfung zu spielen. Deshalb sucht ein Musiker nach neuen Wegen, in denen er zusätzliche Linien, zusätzliche Ornamente, zusätzliche Ausdruckseigenschaften usw. hinzufügt. So entstehen eigene Kreationen.

Ihr nennt euer neues Werk ein "Avantgardistisches Meta-Folk-Album"....

NO: Leute, die dem seriösen oder klassischen Elite-Musiknetzwerk angehören, ordnen unser Projekt als populär ein. Das populäre Musiknetzwerk meint genau das Gegenteil und definiert uns als klassisch. Wir dekonstruieren das Alte, wir modernisieren alte Botschaften und überprüfen Begriffe wie Cover-Song. Die Originalstücke werden während der Aufführung / Probe weitgehend verändert. Dipole wie: traditionell-modern, Ost-West, eigen-fremd, wissenschaftlich-populär sind Denkansätze aber drücken nicht das ganze Werk aus. Diese Dipole sind eher politische als künstlerische Begriffe. Ich komponiere alte Geschichten neu und verwende zeitgenössische und ungewöhnliche Sprachen. Ich glaube, dass ein Stück viele Lesearten, viele Identitäten und viele Formen hat. Und es ist nie zu Ende!

Was können wir zukünftig von dir erwarten?

NO: Ich habe zusammen mit der Sängerin Dora Spetsioti an einem neuen Projekt mit dem Titel "Café Concert" gearbeitet. Es wird sich mit einigen der beliebtesten Melodien aus der historischen Diskographie Osteuropas, des Balkans und des Mittelmeers befassen. Songs auf Türkisch, Sephardisch, Jiddisch, Serbisch, Griechisch und mehr. Dieses Projekt wird auch Videokunst beinhalten.


X-TERRA auf youtube:

https://www.youtube.com/playlist?list=PLVntBt6ykzddQ_74lVSwM3c3alxbNWmOD

www.ordoulidis.gr

www.eastern-piano.com

www.youtube.com/ordoulidis

www.facebook.com/EasternPiano


Mehr zum Thema Rembetiko:

http://christophwagnermusic.blogspot.com/2020/12/das-kosmopolitische-smyrna-und-seine.html


Sunday 21 March 2021

BILL FRISELL@70

Der Freund von Ginger Baker (und der hat wenige Freunde)

 

Er gilt als der einflussreichste Gitarrist des modernen Jazz: Bill Frisell wurde am 18. März siebzig Jahre alt  


                                                                            Foto: Monica Jane Frisell 



 cw. Wenn Bill Frisell keinen so unverkennbaren Gitarrenstil hätte, könnte man ihn für ein musikalisches Chamäleon halten, so geschmeidig vermag er sich  jeder musikalischen Situation anzupassen. Ob Blues, Folk, Avantgarde, Gospel, Country, Pop oder Rock – der Gitarrist hat in seiner Karriere unzählige Male seine Jazzheimat verlassen, um mit Elvis Costello, Ginger Baker, Wilco oder Lucinda Williams zu spielen. Gleichzeitig hat Frisell immer seine eigenen Bandprojekte verfolgt, die ihn oft ebenfalls in jazzfernes Terrain führten. 

 

Ende der 1970er Jahre wagte Frisell den Sprung von der amerikanischen Provinz in die Welthauptstadt des Jazz. Doch in New York ließ der Durchbruch auf sich warten. „Ich spielte bei Hochzeiten und in Hotelbars, nur um über die Runden zu kommen,“ erinnert er sich. Zur Rettung kam der renommierte Schlagzeuger Paul Motian, der den Gitarristen 1981 in seine Band holte. Von da an ging es bergauf. Frisell nahm mit Elvin Jones, dem Schlagzeuger von Jazzgigant John Coltrane, ein Album auf, auch mit Cream-Drummer Ginger Baker. „Ich war supernervös, als ich das Studio betrat,“ erinnert er sich an seine Begegnung mit dem Rockstar, der als launisch und mürrisch galt. „Ginger Baker baute gerade sein Schlagzeug auf. Er hatte keine Ahnung, wer ich war. Ich sagte: „Hallo, ich bin Bill, der Gitarrenspieler.“ Er knurrte etwas und ich dachte: „Oh Scheiße!“ Doch kaum hatten wir mit dem Musizieren begonnen, hellte sich seine Stimmung auf. Das Zusammenspiel klappte vorzüglich. Danach waren wir Freunde.“ 

                                                                                Foto: Monica Jane Frisell 

 

Mit dem Album „Nashville“ begann Frisell 1997 seine Exkursionen in die traditionellen Stilformen der amerikanischen Musik. Die Session führte ihn in die Welthauptstadt der Countrymusik, um mit den besten Studiomusikern von Nashville aufzunehmen. „Die Burschen hatten Heimspiel, ich war der Außenseiter,“ erzählt er. „Das Spielniveau war extrem hoch. Ich hatte Noten dabei, doch sie kannten keine Noten. Ich musste ihnen jedes Stück vorspielen und in Nullkommanichts hatte sie es drauf. Es war unglaublich. Es gefiel ihnen, mit einen Musiker zu spielen, der nicht aus ihrem Stall kam.“ 

 

Über die Jahre hat Frisell einen ganz eigenen Stil entwickelt, der nicht auf Schnelligkeit oder kreischenden Sounds beruht, sondern die Töne sparsam und gezielt setzt, wobei der oft leicht verhangene Klang seiner Gitarre unverkennbar ist. Seine Spielweise hat unzählige Nachahmer gefunden, was Frisell vielleicht zum einflußreichsten Jazzgitarristen der letzten Jahrzehnte macht. „Ich versuche immer weniger die Fußpedale einzusetzen,“ erklärt der Meister. „Ich möchte, dass mein Sound meinen Händen entspringt und nicht einer elektronischer Box.“

 

Daheim in Brooklyn stapeln sich die Gitarren. Frisell ist ein leidenschaftlicher Sammler, der an keiner Musikalienhandlung verbeikommt, ohne hineinzugehen. „Ich mag Gitarren und habe viel zu viele,“ räumt er ein. Der Vorteil seiner Sammelleidenschaft ist jedoch, dass er für jedes Musikprojekt gleich das passende Instrument zur Hand hat. 

 

Seine neuste Einspielung namens „Tone Poem“ (bei Blue Note erschienen) hat er mit dem Altmeister des Jazzsaxofons, Charles Lloyd, gemacht, den Frisell mit der Gruppe The Marvels begleitet. In dieser Band spielt Greg Leisz Pedal-Steel-Gitarre, ein Spitzenkönner, der mit Eric Clapton, Bruce Springsteen und Joni Mitchell gearbeitet hat. „Charles Lloyd wollte unbedingt das Countrymusik-Instrument dabei haben, weil er in seiner Jugend in Memphis mit einem Pedal-Steel-Gitarristen gespielt hatte,“ erzählt Frisell. „Leisz fügte sich so ideal in unsere Jazzmusik ein, dass es fast schon an ein Wunder grenzt.“ 


https://www.youtube.com/watch?v=yO2CcGgIeOs&list=RDMM&start_radio=1=



 

Wednesday 17 March 2021

Piazzolla@100

Prügel für Piazzolla

Astor Piazzolla ist der Erfinder des modernen Tango – vor 100 Jahren kam der Komponist und Bandoneonvirtuose in Argentinien zur Welt


cw. Was wäre der Tango ohne Astor Piazzolla? Der Komponist und Bandoneonmeister, der 1992 verstarb, hat dem argentinischen Tanz zu weltweiter Anerkennung verholfen. Gleichzeitig hat er das Bandoneon zum Hauptinstrument des Tango gemacht, obwohl es eigentlich aus Deutschland stammt, wo es in den 1840er Jahre erfunden wurde.  

Am 11. März 1921 wurde Piazzolla in der Küstenstadt Mar de Plata, südlich von Buenos Aires, geboren. Die Eltern verließen Argentinien 1925, um in den USA ihr Glück zu versuchen. Der Vater richtete in New York einen Friseursalon ein, wo er – von Heimweh geplagt – fortwährend Tangoplatten hörte. Am Sohn ging das nicht spurlos vorbei. Der kleine Astor entpuppte sich als musikalisches Naturtalent, der nicht nur Tangos auf dem Bandoneon spielte, sondern sich auch für Jazz und klassische Musik begeisterte.

Als Piazzolla sechszehn Jahre alt war, kehrte die Familie nach Buenos Aires zurück. Wie besessen übte der Teenager nun auf dem Balginstrument, was ihm zwei Jahre später einen Platz im berühmten Tangoorchester von Anibal Troilo einbrachte. Nach einem Musikstudium in Paris machte sich Piazzolla daran, mit kühnen Kompositionen den Tango zu revolutionieren. Sein „Tango Nuevo“ (=neuer Tango) stieß nicht überall auf Zustimmung. „Die Musiker hassten mich“, erzählte er. „Sie hatten das Gefühl, dass ich ihnen ihren alten Tango wegnehmen würde. Manchmal warteten auf der Straße vor meinem Haus zwei, drei Männer auf mich, die mich verprügeln wollten.“ 

Piazzolla ließ sich nicht beirren. Film- und Ballettmusiken entstanden, selbst vor Werken für Bandoneon und Sinfonieorchester schreckte er nicht zurück. Der Bandoneonvirtuose avancierte zum weltweit gefeierter Star – von der Kritik bejubelt. Von Gidon Kremer über Jo-Jo Ma bis zum Kronos Quartet und Daniel Barenboim – alle haben sie zu Ehren von Piazzolla Alben mit seinen Werken aufgenommen. Am 11. März 2021 jährt sich der Geburtstag des „König des Tango“ zum hundersten Mal.

Monday 8 March 2021

Brötzmann@80

Von Altersmilde keine Spur

 

Er ist weltweit der bekannteste deutsche Jazzmusiker – jetzt wird Saxofonist Peter Brötzmann 80 Jahre

 



 cw. Peter Brötzmann ist einer der wenigen deutschen Jazzmusiker, die man auch im Ausland kennt. Ob Japan, Großbritannien oder die USA, wo immer der Saxofonist auftritt, sind die Säle voll. Vor allem in Amerika verehrt ihn eine ergebene Fangemeinde. Seit er Mitte der 1970er Jahre das erste Mal in New York auftrat, hat er mit einer Vielzahl von Musikern gespielt, darunter  Jazzgrößen wie Bill Laswell oder Cecil Taylor. 

 

Der Freejazzer aus Wuppertal gilt als Saxofon-Berserker, der alle musikalischen Barrieren niederriß und die Improvisation auf die Spitze trieb. Jetzt im Herbst seines Lebens – Brötzmann wird am 6. März 80 Jahre alt – treiben ihn andere Gedanken um. “Man stößt bei der totalen Improvisation an Grenzen, die sich nicht weiter hinausschieben lassen,” bringt er seine Erfahrungen auf den Punkt. Diese Erkenntnis hat Brötzmann für eine Kurskorrektur genutzt. Sowohl sein Soloalbum “I Surrender Dear”, als auch die letzte Einspielung mit der Pedal-Steel-Gitarristin Heather Leigh (Titel: “Sparrow Nights”) bieten anstelle von Freejazz-Tumult über weite Strecken Andacht und Versenkung. Ist Brötzmann altersmild geworden? 

 

Der Schwenk kam nicht über Nacht und auch nicht ganz freiwillig. Vielmehr hat eine Lungenerkrankung, die Brötzmann mehr und mehr den Atem raubt, ihn zur Kurskorrektur gezwungen. Darüber hinaus hat die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Pedal-Steel-Gitarristin Heather Leigh die Tendenz noch verstärkt. “Die Pedal-Steel-Gitarre ist ein Instrument, das sehr gut schwebende und wolkige Töne erzeugen kann,” sagt Brötzmann. “Darauf musste ich reagieren, also anders spielen.” 

 

Seine Neuorientierung möchte Brötzmann keineswegs als Distanzierung von seiner Vergangenheit verstanden wissen – im Gegenteil: “Unsere Revolte in den 1960er Jahren war wichtig, um Dinge aufzubrechen, zu verändern,” bemerkt der einstige Bürgerschreck in Sachen Musik nicht ohne Stolz. “Doch heute stellt sich die Situation anders dar.”


Brötzmann mit Full Blast

 

Wenn jetzt die Pandemie Brötzmann eine musikalische Zwangspause verordnet, beschert sie ihm gleichzeitig mehr Zeit für seine andere Leidenschaft, die bildenden Kunst. Obwohl ihm die kalte Luft im Freien die Brust zuschnürt, geht der Wuppertaler fast täglich die zehn Meter von seiner Wohnung in sein Atelier im Hinterhaus, um sich in die Arbeit an Ölgemälden, Materialbildern, Objektkästen, Druckgraphiken oder kleinen Skulpturen zu stürzen. Ein Buch mit dem Titel “Brötzmann: Along The Way”, das zu seinem 80. Geburtstag erscheint, dokumentiert seine Arbeiten der letzten zehn Jahre.

 

Sein Handwerk hat der Graphikdesigner Ende der 1950er Jahre auf der Werkkunstschule in Wuppertal erlernt. Danach war er Assistent von Nam June Paik und nahm mit dem Multimedia-Avantgardisten an diversen Fluxus-Performances und Ausstellungen teil, die den Kunstbegriff auf den Kopf stellten. 

 

Mit der gleichen Radikalität warf Brötzmann ein paar Jahre später die Jazztradition über den Haufen und schockierte mit brachialen Improvisationen. Seitdem hat er seine Konzeption immer wieder variiert und modifiziert. Nun zwingt ihn die Pandemie zu einer Auszeit, die ihm gar nicht in die Planung passt. “Die Zeit, die mir bleibt, wird kürzer und kürzer. Doch würde ich gerne noch ein paar musikalische Projekte machen. Deshalb bin ich wütend auf den Virus, der mir die Arbeitszeit stiehlt,” echauffiert sich der Jazzveteran. Von Altersmilde keine Spur.