Tuesday 12 March 2019

Selten in Europa: Larry Ochs

Wechselbad an Tönen

Ein rarer Auftritt des amerikanischen Spitzenjazzensembles Larry Ochs’ The Fictive Five in Schorndorf


cw. Der hochgeschossene, schlanke Mann mit schlohweißem Haar ist nicht mehr der Jüngste: Larry Ochs, der im Mai siebzig wird, ist seit mehr als 40 Jahren im Geschäft. In dieser Zeit hat sich der Saxofonist und Komponist das Renommé erworben, einer der kreativsten Jazzmusiker der Bay Area um San Fransisco zu sein. 1978 gründete er das Rova Saxophone Quartet, das bis heute besteht und Jazzgeschichte schrieb. Seither hat Ochs noch etliche andere Gruppen ins Leben gerufen, um immer erneut unbekannte Klangräume auszukundschaften. Das sieht er als seine Mission! Seine aktuelle Band The Fictive Five steht für die Kooperation mit ein paar der besten jüngeren Jazzimprovisatoren aus New York. Einer davon ist Kontrabassist Pascal Niggenkemper, der aus Singen am Hohentwiel stammt, aber seit Jahren in New York lebt. Dem Club Manufaktur gelang es, dieses hochkarätige Ensemble, das gerade seine erste Europa-Tournee absolviert, nach Schorndorf zu holen, ein rarer Auftritt, der Jazzfans selbst aus München anreisen ließ.  

Für sein Quintett hat Larry Ochs einen historischen Bezugspunkt gewählt: das Album „Ascension“, das der legendäre Saxofonist und Jazzgroßmeister John Coltrane 1965 mit einer Band jüngerer Musiker einspielte und das als Meilenstein des freien Jazz gilt, da es die Möglichkeiten gelenkter Improvisation erkundete. Ein Merkmal von Coltranes damaligem Ensemble war neben mehr als einem halben Dutzend Bläser zwei Kontrabassisten, ein Charakteristikum, das Ochs für sein Ensemble übernahm. Und zwei Bäße können einen massiven Klangraum erzeugen, vor allem wenn sie wie bei The Fictive Five noch mit elektronischen Verfremdungen arbeiten oder mit Gebrauchsgegenständen aus der Alltagswelt die Saiten traktieren. 

Über dieses Fundament legte Ochs seine Kompositionen strukturierter Improvisation, wobei er mit einfachen Hand- und Fingerzeichen blitzschnelle Klangwechsel herbeiführte, in Szene gesetzt von dauernd wechselnden Kombinationen der Instrumente. Da spielte gerade noch die Trompete mit dem Schlagzeug ein kurzes Duett, um schlagartig von einem Zwiegespräch zwischen Saxofon und Kontrabaß abgelöst zu werden. Die Kombinatorik von Klängen und Geräuschen kennt bei Larry Ochs keine Grenzen! Manchmal wogte ein Riesensound in machtvoller Weise hin und her, um ein paar Minuten später in ein leises Zirpen von Flageolett-Tönen überzugehen. Die musikalische Landschaft veränderte sich manchmal so rasch wie bei der Fahrt mit einem Hochgeschwindigkeitszug – ein permanentes Wechselbad an Tönen! 

Und Larry Ochs behielt das Lenkrad fest in der Hand. Ein Vokabular einfacher Gesten ermöglicht es ihm, die Improvisationen in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken, was ein spannendes Spiel von Überraschungen ergab, den Musikern aber auch ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Reaktionsschnelligkeit abverlangte. Das Ergebnis war eine Jazzmusik, wie man sie nicht jeden Tag zu hören bekommt und die von den zahlreichen Besuchern mit langem Beifall quittiert wurde.   

Sunday 10 March 2019

Jazzmoderne: MARK TURNER in Singen

Kreative Jazzmoderne

Das Mark Turner Quartet beim Jazzclub Singen in der Gems


cw. Als „musician’s musician“ bezeichnet man im Jazzjargon einen Musiker, der wegen seines überragenden Könnens vor allem von Kollegen geschätzt wird, einer breiteren Öffentlichkeit aber unbekannt ist. Der amerikanische Saxofonist Mark Turner wurde lange mit diesem Etikett versehen. Dass das inzwischen nicht mehr zutrifft, zeigte  der Publikumsandrang bei seinem Konzert beim Jazzclub Singen im Kulturzentrum Gems, das überdurchschnittlich gut besucht war. 

In der aktuellen Jazzlandschaft hat sich Mark Turner klar positioniert. Der Tenorsaxofonist versteht sich nicht als visionären Avantgardist, der in radikalen Klangerkundungen sein Heil sucht, sondern gibt eher den modernen Traditionalisten, der durch das kreative Ausloten bereits bekannter Formen besticht. Was Turner mit seinem Ensemble bot, war solistischer Jazz auf höchstem Niveau, also mehr Einzelkämpfer-Disziplin als Mannschaftssport. Deshalb standen die Soli der vier Musiker auch im Zentrum des Geschehens, die in ausführlichen Improvisationen ihr großes Können unter Beweis stellten. 

Mit ungeheurer Virtuosität und Erfindungsgabe brillierte der Bandleader bei seinen solistischen Ausflügen, die – von einfachen Kadenzen ausgehend – ihn mit der Zeit zu immer halsbrecherischen Tonfolgen animierten. Dem stand Trompeter Jason Palmer in nichts nach. Auch er steigerte spärlichen Notenfluß zu immer wahnwitzigeren Läufen, was ihm lautstarken Szenenapplaus einbrachte. Dahinter entfachte der junge Schlagzeuger Jonathan Pinson ein prasselndes Trommelfeuer, das manchmal allerdings etwas zu verspielt wirkte. Kontabassist Joe Martin hielt mit grundsolidem Pizzicato-Spiel das Ganze zusammen, um sich daneben auch in mehreren exzellenten Soli hervorzutun.

Das Programm enthielt allerneuste Kompositionen, die noch nicht einmal einen Namen hatten, während andere Stücke dem Soulsänger Stevie Wonder gewidmet waren oder den Samba-Rhythmen Brasiliens die Referenz erwiesen. Trotz dieser Bandbreite wirkten die Musik des Mark Turner Quartets auf Dauer doch etwas gleichförmig und vorhersehbar. Stärkere Kontraste, kräftigere Abstufungen und größere Abwechslung hätten dem Abend gut getan.

Wednesday 6 March 2019

JOHN MAYALL in Stuttgart 1969 – 2019

Musikalische Kaderschmiede

1969 spielte John Mayall eines der ersten Bluesrock-Konzerte in Südwestdeutschland. Nach 50 Jahren tritt der Urvater des weißen Blues jetzt abermals in Stuttgart auf – vielleicht das letzte Mal 
 

cw. Nachdem Jimi Hendrix im Januar 1969 mit seinem Auftritt in der Stuttgarter Liederhalle zum ersten Mal den damals neuen Underground-Rock nach Südwestdeutschland gebracht hatte, legte John Mayall ein paar Wochen später nach. Der „Urvater des weißen Blues“ kam damals mit einer superben Band in die Landeshauptstadt und demonstrierte sein Können mit solcher Leidenschaft, dass die Fans völlig aus dem Häuschen waren. Hunderte, die keine Eintrittskarten mehr bekommen hatten, stürmten die Liederhalle, wobei es zu erheblichem Sachschaden kam. „Nach dem Ende des Konzert machten jugendliche Besucher mit tumultartigen Szenen ihrer Begeisterung Luft,“ berichtete die Presse. „Unzählige Bluesfans stiegen mit ihren Straßenschuhen auf die Polstersessel und begannen auf ihnen wie auf einem Trampolin herumzuspringen.“ 

Im Gegensatz zu Jimi Hendrix, der mit seinem ohrenbetäubenden Gitarrenspiel die Liederhalle zum Erzittern gebracht hatte, schlug John Mayall sanftere Töne an. Seine Band war ein Quartett, das hauptsächlich akustische Instrumente wie Saxofon, Mundharmonika und akustische Gitarre verwendete und aufs Schlagzeug völlig verzichtete, was damals ziemlich ungewöhnlich war. Dennoch schaffte es Mayall mit Nummern wie „Room to move“ die Fans in Verzückung zu versetzen, ein Titel, bei dem er sein Können auf der „Blues Harp“ voll ausspielen konnte.  

Abgesehen von seinem Harmonikaspiel, war Mayall, der auch Gitarre und Piano spielte, nicht gerade der größte Virtuose, doch bewies er immer eine gute Nase für außergewöhnliche Talente. Nicht nur Gitarrengott Eric Clapton begann bei Mayall’s Bluesbreakers seine Karriere, auch Peter Green und Mick Fleetwood von Fleetwood Mac und Mick Taylor von den Rolling Stones durchliefen Mayalls musikalische Kaderschmiede.

1933 in Macclesfield geboren, einer Kleinstadt südlich von Manchester in Nordengland, begann sich Mayall schon früh für den Blues zu interessieren. Nach dem Krieg brachte der englische Bandleader Chris Barber erstmals schwarze Bluesmusiker wie Muddy Waters zu Konzerttoruneen nach Großbritannien, und Mayall hörte genaustens hin. Bald gründete er seine eigene Gruppe namens Powerhouse Four, die sich kurze Zeit später in Blues Syndicate umbenannte und in der John McVie Baß spielte, der später mit Fleetwood Mac zu Weltruhm kam. 

Nach dem Ende des Blues-Booms wurde es in den 1980er Jahren etwas ruhiger um John Mayall, der in den USA in einem Baumhaus wohnte und von dort weiterhin zu weltweiten Tourneen aufbrach. Bei seiner Feier zum 70. Geburtstag brachte ihm Eric Clapton, Mick Taylor und Chris Barber ein Ständchen.

Schon immer ging Mayall mit der Zeit und frischte seine Band mit jungen Talenten auf. Das ist heute nicht anders als in den 1960er Jahren. Bei seinem Auftritt am 7. April 2019 im Stuttgarter „Wizemann“ wird es eine Premiere geben. Erstmals wird die Leadgitarre bei dieser Tour von einer Frau gespielt: Carolyn Wonderland gilt als Ausnahmetalent, wobei ihr Familiennamen als Zeichen verstanden warden kann: Frau Wonderland katapultiert das Publikum mit rasanten Soli ins Wunderland des Blues, wobei sie so souverän und gefühlvoll in die Saiten greift, als hätte sie bei Eric Clapton Unterricht gehabt.