Sunday 12 May 2024

LAUTyodeln 2024

Polyphon-verschlungene Gesänge

Eindrücke vom Festival LAUTyodeln, Vol. 3, München

Traudi Siferlinger und ihre Geschwister (Foto: C.Wagner)


Zum dritten Mal ging vom 9. – 11. Mai in München das LAUTyodeln-Festival über die Bühne, das sich vorgenommen hat, das Jodeln in seiner ganzen Vielfalt auf die Bühne zu bringen. Bei dieser Edition lag der Schwerpunkt auf zeitgenössischen Formen dieses besonderen Gesangstils, den man in unseren Breiten vor allem aus den Alpen kennt. 

Ein Abstecher in die traditionellen Gefilde des sich überschlagenden Singens bot am Eröffnungsabend Traudi Siferlinger und ihre beiden Geschwister im Münchner Traditionlokal "Fraunhofer". Als Vertreter des oberbayerischen "Dreigesangs" gaben sie textlose Jodler zum Besten, stimmten daneben auch alte Jodellieder an und spielten zudem instrumentale Jodler auf Geige, Gitarre und "Ziech", wie man die Handharmonika in Bayern nennt. Diese langsamen, oft fast meditativen Gesänge besitzen häufig eine melancholische Qualität, wobei es Traudi Siferlinger glänzend verstand, das zahlreiche Publikum singend in ihren Auftritt einzubeziehen.

Ausgehend von der Tradition nahm am nächsten Abend die Schweizer Vokalistin Nadja Räss die Zuhörer auf eine "Stimmreise.ch" mit, wie der Name ihres vierköpfigen, rein weiblichen A-Cappella-Ensembles lautet. Die Vokalexkursion führte bis in avantgardistisches Terrain, wobei die Dramaturgie des Auftritts so wunderbar durchdacht und ausblanciert war, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Juchzer, Zäuerli und Naturjodeltechniken in hochkomplexen Kompositionen zum Zuge kam. 

Mit dadaistischem Klamauk begann einen Tag später die Gruppe Opas Diandl aus Südtirol ihre Vorstellung, um nach etlichen Minuten doch noch die Kurve zu ihren ernsteren Songs zu kriegen. In diesen polyphon-verschlungenen Gesängen, die durch die Begleitung von Saiteninstrumenten wie der Viola da Gamba und einer dumpfer Trommel gelegentlich an Renaissance-Musik erinnerten, erreichte die Gruppe eine Tiefe und poetische Kraft, die berührte und direkt ins Herz ging.

Ernst Molden mit Maria Petrova (Schlagzeug) (Foto: C.Wagner)

Einen Umweg über die USA nahm der bekannte österreichische Liedermacher Ernst Molden, der sein spezielles "Yodelling"-Programm mit Adaptionen alter Hillbilly-Evergreens gestaltete, deren Texte er frei ins Weanerische überträgt. Da erlebten dann ein paar Jimmie-Rodgers-Songs aus den späten 1920er Jahren ihre Auferstehung im Dialekt der österreichischen Hauptstadt. Daneben stimmte der Troubadour, unterstützt von der Schlagzeugerin Maria Petrova, alte Schlachtrößer wie den "St. James Infirmary Blues" an, den Molden auf die zweifelhafte Reputation eines Hospitals seiner Heimatstadt Wien bezog. 

Unbefangene Hörer mögen der Auffassung sein, dass so viel Jodeln auf die Dauer doch schwer erträglich sein müsste, ein Einwand, der prinzipiell sticht, den aber auch die Künstler in ihr Kalkül einbeziehen. Deshalb setzten sie die Jodel häufig eher als Zutat ein, mit denen man ein Programm würzt, ohne sie in Penetranz in den Mittelpunkt zu stellen. 

Opas Diandl (Foto: C. Wagner)


Insgesamt ein gelungenes Festival, das allerdings etwas Schlagseite in Richtung moderner Jodel-Adaptionen besaß. Man sollte – und da beziehe ich mich als Beteiligter bei der Programmgestaltung selbstkritisch mit ein – über all den zeitgenössischen Mischformen das Alte nicht vergessen. Weil es kaum noch jemand kennt, könnte es die Entdeckung des wirklich Neuen sein.

Wednesday 8 May 2024

Kühn mit 80

Eine Nummer für sich – Joachim Kühn zum 80sten

Joachim Kühn, 1970 


Joachim Kühn, der deutsche Jazzpianist mit internationalem Renommee (er hat immerhin mit Ornette Coleman ein Album eingespielt), ist diesen März 80 Jahre alt geworden. Um seinen Geburtstag öffentlich zu feiern, gibt er gerade ein paar Konzerte, bei denen er mit seinem Trio (Eric Schäfer, Drums & Chris Jennings, Baß) zu hören ist, und sich zudem den jüngeren Pianokollegen Michael Wollny ins Boot geholt hat. Im Stuttgarter Theaterhaus eröffneten die beiden an zwei Flügeln den Abend.

Mit zehn Fingern kann ein Virtuose am Klavier alleine wie ein vielstimmiges Ensemble klingen, zwei Pianisten beinahe wie ein ganzes Orchester. Diese Möglichkeiten nutzten Kühn und Wollny, indem sie streckenweise Cecil-Taylor-artig voll in die Tasten griffen und einen brausenden Strom aus Tönen erzeugten, der an- und abschwoll, sich ausdünnte und wieder verdichtete, um sich im Crescendo in dynamischen Eruptionen zu entladen. Wie bei einem ausdauernden Regenguß ließen die beiden die Töne und Noten nur so purzeln und prasselten und arbeiteten sich mit längeren Improvisationen von einer kurzen, kantigen Unisono-Passage zur nächsten vor. Mehr Raum, mehr Pausen hätten der Musik gut getan. In diesem Fall kann man die generelle Kritik von Brian Eno am Jazz nachvollziehen: Zu viele Töne!

In der zweiten Halbzeit des Abends spielte sich dann Altmeister Kühn durch Stücke seiner drei letzten Alben mit seinem aktuellen Trio, was deutlich jazzigere Züge trug als die neo-klassische Pianomusik der ersten Halbzeit. Eric Schäfer am Schlagzeug und Chris Jennings am Baß gaben die kongenialen Partner, die einfühlsam die Improvisationen ihres Chefs zu begleiten wußten, aber auch selbstbewußt eigene Akzente setzen. Hier verlief die Reise gelegentlich in eher impressionistisches, besinnliches Terrain – es wurde eine Balladenmelodie angestimmt und in feinen Linien weitergesponnen. Erwähnenswert, weil auffällig: die superbe Lichtregie des Abends, die so dezent wie abwechslungsreich der Musik eine zusätzliche Dimension gab.

Das Joachim Kühn Trio, Theaterhaus 2024 (Foto: Jane Revitt)


Für meinen Teil hätte ich gerne auf das obligatorische Schlagzeug- bzw. Baß-Solo verzichtet, das ja normalerweise nichts mit der jeweiligen Komposition zu tun hat, sondern allein die technischen Fertigkeiten des jeweiligen Musikers zur Schau stellt und ausschließlich der demokratischen Attitüde geschuldet ist, dass auch die beiden Begleiter – die Wasserträger des Solisten – es verdienen, einmal im Vordergrund zu stehen. Geschenkt!  Die Qualität eines Begleiters offenbart sich in der Begleitung.

Im letzten Stück des Abends verstärkte dann Michael Wollny einmal mehr die pianistische Wucht, wobei Geburtstagskind Kühn die Zugabe als Solist bestritt. Ob er seinen 85sten Geburtstag wieder hier feiern würde? "Wir werden sehen", war die sybillinische Antwort des vitalen Oldies, der in seiner Person 60 Jahre deutsche Jazzgeschichte verkörpert. Mir war er das erste Mal 1973 beim Flute Summit der Donaueschinger Musiktage begegnet, wo er mit John Lee (Kontrabaß) und Aldo Romano (Drums) eine derart superbe Rhythmusgruppe bildete, dass sie mir bis heute in Erinnerung geblieben ist. Schon damals war Kühn eine Nummer für sich – wagemutig, hochvirtuos und doch einfühlsam: kühn eben im wahrsten Sinne des Wortes!


Monday 6 May 2024

Alexis Korner – zum 40ster Todestag

Alexis Korners Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Jazzpianisten Chris McGregor (Brotherhood of Breath) 


Auf dem Flohmarkt fiel mir neulich ein Album in die Hände, von dem ich nicht wußte, dass es überhaupt existiert. 1970 aufgenommen, 1971 veröffentlicht, handelt es sich um eine LP des englischen Bluesbarden Alexis Korner, das eine interessante Besetzung aufweist: Neben Larry Power (Gitarre) und Jack Brooks (Drums) stechen Colin Hodgekinson (Baß) ins Auge und vor allem der Pianist Chris McGregor, der Mitte der 1960er Jahre mit The Blue Notes aus Südafrika zuerst in die Schweiz, dann nach Großbritannien gekommen war und dort mit der Brotherhood of Breath Furore machte. Colin Hodgekinson sollte mit der Gruppe Backdoor kurze Zeit später eine kometenhafte Karriere hinlegen. 




Es ist eine typische Alexis-Korner-Platte (auf Philips erschienen) mit dem für ihn so typischen Mix aus Rhythm 'n' Blues, Gospel, Folk und Country Blues, der auch seine Konzerte ausmachte – vorzüglich mit ungekünsteltem Gesang und solider Begleitung in Szene gesetzt. Korner war damals häufig in Südwestdeutschland unterwegs, spielte in der Balinger Eberthalle mit Peter Thorup und in Tübingen mit seiner Band Snape. Neben ein paar eigenen Nummern, findet sich auch ein Cover des "Stump Blues" von Big Bill Broonzy auf dem Album und – überraschenderweise – der Song "Saturday Sun" des englischen Folkbarden Nick Drake. Alexis Korner, der als Vater des weißen Blues in Europa galt, ist vor 40 Jahren im Alter von 55 Jahren verstorben. 

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