Friday 26 February 2021

KRONOS spielt PETE SEEGER

Protestsongs als Kammermusik 

Das Kronos Quartet würdigt die Folklegende Pete Seeger


 

 

 

Sie gelten als das kreativste Streichquartett der zeitgenössischen Musik. Das Kronos Quartet aus den USA kennt keine Scheuklappen. Seine Konzertprogramme greifen weit über Beethoven und Mozart hinaus und verbinden Klassik und Neutönerisches mit Jazz, Blues, Folk, Rock und Weltmusik. Die stilistische Bandbreite hat Kronos den Vorwurf der „Beliebigkeit“ eingebracht, was das Streichquartett mit dem Hinweis kontert, unzähligen Menschen den Weg zur Musik erschlossen und ihren musikalischen Horizont erweitert zu haben. Unbeirrt setzen die vier ihre Mission fort, das Repertoire des Streichquartetts auf die Höhe der Zeit zu bringen und aus dem Elfenbeinturm des klassischen Musikbetriebs zu befreien. 

 

Das Kronos Quartet besitzt einen exzellenten Riecher für neue Themen und Projekte, wobei sich die Gruppe schon lange von der Hochnäsigkeit abgewandt hat, die Welt in gute klassische und schlechte andere Musik einzuteilen. Zwischen all der Musik, die Kronos jemals aufgeführt hat, gibt es für mich keine Hierarchie, keine Über- und Unterordnung von Kunstmusik und populärer Musik, stellt Ensembleleiter David Harrington klar. Ich betrachte Volksmusik nicht in einem abwertenden Sinn. Für mich ist eine Bluesnummer von Blind Willie Johnsons eine ungeheure musikalische Erfahrungen. Kann Musik besser sein?

 

Kronos ist äußest produktiv. Nach dem Album Folk Songs von 2017, bei dem es mit verschiedenen Folksängern zusammenarbeitete, geht es jetzt noch einen Schritt weiter in diese Richtung und widmet der Folklegende Pete Seeger ein Album mit dem Titel Long Time Passing (Label: Smithsonian/Folkways). Seeger, der 2014 im Alter von 94 Jahren verstarb, war eine amerikanische Institution. Seit den 1940er Jahre nutzte er seine Lieder als Waffen im Kampf für Frieden und sang gegen soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Unterdrückung an. Er trat bei Gewerkschaftsversammlungen und Streiks auf, vor Suppenküchen und bei Friedensdemonstrationen und war noch im hohen Alter im Umweltschutz aktiv. Überall auf der Welt, wo gegen Unrecht gestritten wird, gibt Seegers We shall overcome den Protestierenden Hoffnung. Der hochgewachsene Banjospieler mit dem schmalen Gesicht, der glockenklaren Stimme und dem schütteren Haar machte keinen Unterschied: als Musiker verstand er sich als politischer Aktivist. Er glaubte an die gesellschaftsverändernde Kraft seiner Lieder. 


 


Nach dem Muster von Folk Songs ist auch das aktuelle Seeger-Album gestrickt. Kronos taucht Folkhymnen wie We shall overcomeoder If I had a hammer in exquisite Streicherklänge, während die friends, darunter die Spanierin Maria Arnal, der Folksänger Sam Amidon und der Veteran Lee Knight, in die Rolle von Pete Seeger schlüpfen, um dem jeweiligen Song so viel Ausdruckskraft wie möglich zu verleihen. 

 

Für die Arrangements der Stücke zeichnet der Jazzmusiker Jacob Garchik verantwortlich, der Hausarrangeur von Kronos. Wenn Kronos ein neues Projekt in Angriff nimmt, bespreche ich mit den Musikern das Thema, erzählt Garchik. Danach beginnt für mich eine intensive Phase der Recherche. In diesem konkreten Fall las ich Bücher über Pete Seeger, hörte viele seiner Schallplatten, versuchte mehr über die Zeitumstände zu erfahren, in denen ein bestimmtes Lied entstanden ist. Das alles beeinflußt meine Arrangements, wobei das Ziel ist, die Stimmung, die Gefühle und die Atmosphäre des jeweiligen Lieds präzise einzufangen.

 

Die Arrangements von Garchik gespielt von den Meistergeigern des Kronos Quartets lassen die Lieder des alten Haudegens Pete Seeger in neuem Licht erscheinen mit Klängen, die auch für Folkmuffel einiges zu bieten haben. 


Meine Sendung in den 'Musikpassagen' auf SWR2 über das KRONOS QUARTET SPIELT PETE SEEGER steht jetzt online und kann nachgehört werden:

https://www.swr.de/swr2/musik-jazz-und-pop/kronos-spielt-pete-seeger-protestsongs-als-kammermusik-swr2-musikpassagen-2021-12-09-100.html

 

DIE BIRMINGHAM CONNECTION – Wie Black Sabbath & Co. den Underground-Rock nach Südwestdeutschland brachten

DIE BIRMINGHAM CONNECTION  

Tea & Symphony 1971 in Stuttgart – "traditionsgemäß" gekleidet (Foto: Jim Simpson)


Um 1970 waren es vor allem Bands aus Birmingham, die die damals neue Underground-Rockmusik nach Südwestdeutschland brachten, Gruppen wie Black Sabbath, Locomotive, Bakerloo, Tea & Symphony, Hardin & York und Hannibal. Warum das so war und welche Rolle dabei persönliche Kontakte spielten, erzählt die Sendung 'Die Birmingham Connection' am Sonntag, den 7. März 2021 (23:03 – 24:00) in den 'Musik-Passagen' auf SWR2.

Mehr Infos:

Locomotive aus Birmingham bei Aufnahmen zur TV-Jugendsendung 'P' des SDR-Fernsehens, 1969 in Stuttgart



Wednesday 24 February 2021

Shantys: Von Wehmut, Leid und Kummer

Seemannslieder auf Erfolgswelle

 
In den sozialen Medien stehen alte Shantys gerade hoch im Kurs
 
 
cw. Millionenfach wurde die Seite auf TikTok aufgerufen. Auf der Internet-Plattform singt Nathan Evans das alte Walfanglied „The Wellerman“ und Tausende singen mit. Zigtausende Videos wurden inzwischen hochgeladen, denen Evans‘ „Shanty“-Gesang als Ausgangspunkt dient, um den Titel z. B. als Dub-Step zu remixen, eine eigene Version zu singen oder dazu zu tanzen. Der Riesenerfolg hat dem Hobbysänger aus Schottland, der eigentlich Briefträger ist, Hunderttausende Follower beschert, dazu einen Plattenvertrag mit einem Major-Label.
 
Die Formel für den Erfolg ist simpel: Shantys sind leicht zu singen! Es sind einfach gestrikte Songs mit eingängigen Melodien, kurzen Versen und eindringlichem Refrain – wahre Ohrwürmer. Shantys folgen einem Ruf-Antwort-Schema, wobei ein Vorsänger, der “Shantyman”, eine Zeile vorgibt, die dann von der Mannschaft nachgesungen wird. 
Ursprünglich stammt das Wort „Shanty” aus dem Französischen und ist vom Verb „chanter” (=singen) abgeleitet. Daraus wurde das englische „chant”, was einen Anfeuerungsruf bezeichnet, sowie „chanting”, was soviel wie „laut singen“ bedeutet. Ein Shanty braucht also Kraft beim Singen!
 


Die Seemannslieder hatten ihre Blütezeit im Zeitalter der Segelschifffahrt, wo sie zur Arbeit an Deck gesungen wurden. Zu jeder einzelnen Verrichtung gab es maßgeschneiderte Lieder, die im Rhythmus dem Tempo der Tätigkeit entsprachen. Es gab Shantys zum Segel hissen, zum Ankel einholen und zum Auspumpen des Schiffs. Das gemeinschaftliche Singen im stampfenden Rhythmus machte die schwere Arbeit leichter und verlieh ungeahnte Kräfte. Darüber hinaus synchronisierte der Rhythmus die Tätigkeit im Team und förderte das Gemeinschaftsgefühl. „Es will viel heißen, wenn ein Matrose sich auf’s Singen versteht, denn das verschafft ihm Ansehen bei den Offizieren und große Beliebtheit bei den Kameraden. Manche Kapitäne fragen immer, ehe sie einen Mann heuern, ob er am Tau auch singen kann,” heißt es in Herman Melvilles Roman “Redburn” von 1849.
 
Die Texte der Shantys sind oft vulgär, andere erzählen von Wehmut, Leid und Kummer,ausgelöst durch die Trennung, wenn es wieder einmal raus ging aufs Meer - monatelang, einem ungewissen Schicksal entgegen. Die Seemannslieder können aber auch von der harten Arbeit an Bord berichten, einem sadistischen Kapitän oder dem Kampf gegen eine unerbittliche See mit peitschenden Stürmen, haushohen Wellen und eisigem Wetter. 
 
Seemannslieder kamen weit herum. In den Kaschemmen der Hafenviertel begegneten sich Matrosen aus der ganzen Welt und sangen ihre Lieder, die von anderen aufgegriffen wurden. Die Mannschaft eines Schiffs setzte sich aus den unterschiedlichster Nationalitäten zusammen, wodurch die Shantys in alle Ecken der Welt gelangten. Deshalb konnte ein bestimmtes Shanty in der jeweiligen Landessprache gleichzeitig in Norwegen, den Niederlanden, den USA, der Karibik, Australien oder England in Gebrauch sein. Das deutsche Seemannslied vom „Hamborger Veermaster” basiert etwa auf dem Shanty „The Banks of the Sacramento”. 
 
Im 19. Jahrhundert verloren mit dem Niedergang der Segelschifffahrt die Shantys ihre Funktion. Aus Arbeitsliedern wurde Folklore, gesungen von Männern im Pub oder von Shanty-Chören, die es heute fast in jeder größeren Küstenstadt an der Nord- und Ostsee gibt. Shanty-Festivals, ob in Großbritannien, Amerika, Holland, Polen oder Deutschland, bringen heute Chöre aus der ganzen Welt zusammen und ziehen Tausende von Besuchern an. 
                                                                                    Fisherman's Friends

Für frischen Wind sorgte vor ein paar Jahren der Seemannschor Fisherman’s Friends aus dem englischen Cornwall, dem südwestlichen Zipfel der Insel. Dort gab die zehn Mann starke Truppe aus dem Fischerdorf Port Isaac über Jahre regelmäßig abends im Pub „Golden Lion” ihre Meereslieder zum Besten, sehr zur Freude der Touristen, die in Massen strömten. Als der Unterhaltungskonzern Universal davon Wind bekam, nahm er kurzentschlossen den Chor unter Vertrag. Mit ihrer Einspielung „Port Isaac’s Fisherman’s Friends” schaffte es der Amateurchor 2010 bis auf Platz 9 der englischen Album-Charts, was ihm eine goldene Schallplatte einbrachte und dazu führte, dass ein Film über die Truppe gedreht wurde, der auch in deutschen Kinos lief.
 
Jetzt spült das Internet die Shantys abermals nach oben und beschert ihnen eine zweite Erfolgswelle. Vielleicht sind sie in tristen Corona-Zeiten einfach eine willkommene Abwechslung. Denn Singen hebt die Laune!