Irmlers Klangreise
Im Faust-Studio in Oberchwaben sind musikalische Experimente angesagt
cw. Hans Joachim Irmler setzt seine Reise in die unbekannten Regionen der Musik fort. Der ehemalige Keyboarder der legendären Krautrock-Gruppe Faust betreibt seit Jahren in Scheer in Oberschwaben das Faust-Studio und sorgt dafür, dass ihm nicht langweilig wird. Von Zeit zu Zeit verwandelt er sein Tonstudio in ein Labor für außergewöhnliche Klänge. So hat Irmler mit lokalen Blasorchestern und überregionalen Streicherensembles gearbeitet. Er hat Legenden wie den Jazzsaxophonisten John Tchicai, den Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit und den Schlagwerker der Einstürzenden Neubauten F. M. Einheit aufgenommen und ganze Alben von Bernadette LaHengst, den englischen Post-Punkern The Nightingales oder der Dream-Pop-Gruppe Pram aus Birmingham produziert. Auch mit der amerikanischen HipHop-Band Dälek hat er vor Jahren ein Album eingespielt. Die alte Bekanntschaft mit Dälek frischte Irmler im Sommer 2018 wieder auf. Er setzte eine Session mit zwei Mitgliedern der Formation aus New Jersey an und zog noch zwei Musiker der skandinavischen Formation Fire! hinzu.
Schon immer arbeitet Irmler intuitiv. Die Improvisation steht im Mittelpunkt seiner Klangerkundungen, wobei er sich von seinem Instinkt für neue Sounds leiten läßt. Die entlockt er einem Keyboard, das er 1971 als Mitglied der Gruppe Faust selbst konstruierte und zusammenbastelte. Das Instrument Marke Eigenbau wird ergänzt durch einen Synthesizer und die neusten elektronischen Apperaturen.
Nach der jeweiligen Aufnahmesession feilt Irmler dann an den Einspielungen so lange, bis sie seinen Vorstellungen entsprechen, die oft ziemlich kühner Natur sind. Irmler liebt Klang-Detonationen, Sound-Tornados und Wirbelstürme aus Tönen.
Für das Album „Anguish“ mit Dälek hat Irmler noch weitere gleichgesinnte Musiker hinzugezogen. Manchmal schweben über einem monotonen Beat dunkle Klangwolken durch den Raum, während Will Brooks von Dälek seine düsteren Verse flüstert, spricht oder schreit, die von der aktuellen amerikanischen Politik handeln und von gelegentlichen Ausbrüchen des Saxofons von Mats Gustafsson kommentiert werden. Nur selten gönnt sich die Gruppe eine Verschnaufspause. Dann gehen sie die Improvisationen etwas gemächlicher an.
Dort knüpft Viz Michael Kremietz an. Er ist ein Spezialist für ruhige Musik – Klangmeditationen! Mit ihm hat Irmler ebenfalls ein Album aufgenommen (Titel: Endorphonic), auf dem Kremietz die japanische Bambusflöte Shakuhachi und das australische Didgeridoo spielt. Die Einspielung ist ähnlich avantgardistisch geraten wie die „Anguish“-Produktion, kommt aber um einiges leiser daher. Während Irmler mit seinen Keyboards die typisch wehenden Klänge erzeugt, die man von ihm kennt, erklingt die Flöte manchmal von sehr weit her und macht ein Geräusch, als ob der Wind durch die Blätter der Bäume streicht. In Japan dient die Shakuhachi den buddhistischen Mönchen zur innere Versenkung: Irmler und Kremietz beschreiten den gleichen Weg, bis – wie aus heiterem Himmel – plötzlich ein Klangblitz die meditative Stimmung zerreißt.