Thursday 28 July 2022

KLANGBUCH: Ois ned glong – eine Landjugend von Erwin Rehling

SCHEIBENGERICHT 5:


Landleben


                                                            Erwin Rehling (Foto: Werner Bauer)

Wertung: 5 von 5


Das „Klangbuch“ von Erwin Rehling umfasst 30 Seiten und enthält ein paar "short stories", originell mit Collagen von Linda Wolfsgruber illustriert. Dazu kommt eine CD, auf der der bayerische Literat und Musiker in oberbayrischem Dialekt kleine Geschichten vorträgt, die er mit Marimba, Schlagzeug, Stein- oder Glockenspiel ins Abstakt-Träumerische weiterspinnt. Rehlings Thema ist die Provinz, die ja sonst eher wenig Beachtung findet und im Schatten der Metropolen ein kümmerliches Dasein fristet – so jedenfalls die Meinung der vermeintlich urbanen Kultureliten. 

 

Rehlings Kurzgeschichten handeln vom Aufwachsen auf dem Land. Schon mit dem Vorgängerwerk – den Dorfgeschichten „Neues von früher“ – hat Rehling (zusammen mit dem Posaunisten und Alphornbläser Pit Holzapfel) aufhorchen lassen, und daran knüpft er jetzt mit "Ois ned glong" (=Alles nicht gelogen) solo an. Es ist die Sicht eines Elf- oder Zwölfjährigen, der – staunend und mit großen Augen – versucht, sich auf die verwirrenden Signale, Zeichen und Ereignisse der Welt um ihn herum einen Reim zu machen. Rehling trägt nie dick auf, sondern schildert so lapidar wie präzise Erlebnisse von damals: das Füttern der Säue, Wirtshausstreit, Selbstmorde, Jugendzentrum, Drogen, Fahnenweihe ­usw. Kurzum: das ungeschminkte Landleben von einst als “coming of age“-Story eines Teenagers im Dorf Soyen bei Wasserburg am Inn. Diese Art von Heimatkunde der 1960er und 70er Jahre hat Rehling zu einem rundum gelungenen Hör-, Seh- und Lesevergnügen verbunden – und amüsant und unterhaltsam ist es noch dazu.

 

Erwin Rehling: Ois ned glong – eine Landjugend. Klangbuch. (Mandelbaum Verlag) E 25.-

 

 

Bestellung:

https://www.mandelbaum.at/buecher/erwin-rehling/ois-ned-glong-eine-landjugend/


Zum weiterlesen:


https://christophwagnermusic.blogspot.com/2019/08/neues-von-erwin-rehling.html



Wednesday 6 July 2022

Nachruf auf JÖRG BECKER – Jazzfotograf

Zum Tod von Fotograf JÖRG BECKER 

(8.7.1950 – 5.7.2022)

                                                    Jörg Becker (Foto: Hans Kumpf)



Ich kannte ihn noch aus Studienzeiten als Kommilitone aus dem Geschichtsseminar von Prof. Otto Borst an der Pädagogischen Hochschule in Esslingen: Jörg Becker gehörte dort Ende der 1970er Jahre zu den Älteren, er war ein paar Semester über mir. Jörg hat dann – wie ich auch – eine Lehrer-Laufbahn eingeschlagen, als Jazzfotograf wäre es unendlich schwerer gewesen, überhaupt ein Auskommen zu finden. 

 

Dann bin ich ihm Jahre später wiederbegegnet, als ich auf der Suche nach Fotos war, um einen Artikel für die Jazzthetik oder die Neue Zeitschrift für Musik zu bebildern. Zu Gudrun Endress von der Zeitschrift Jazzpodium hatte Jörg eh ein gutes Verhältnis. Sie liefen sich oft bei Konzerten in Stuttgart über den Weg. Auch war Jörg regelmäßig im Esslinger Kulturzentrum „Dieselstrasse“ bei Konzerten anzutreffen. Als ich für die taz in den 1980ern ein Interview mit Taj Mahal verabredet hatte, sind wir in Ludwigsburg gemeinsam ins Konzert des Bluesmeisters gegangen, Jörg mit seiner Kamera und langer Linse im Anschlag.

 

Als ich dann für die Illustration meiner Bücher über die deutsche bzw. südwestdeutsche Underground-Szene der 1970er Jahre Bilder suchte, war Jörg Becker der natürliche Ansprechpartner. Er hatte schon früh für das MPS-Label fotografiert, eindrucksvolle Fotos, die dann die Plattencovers schmückten. Aber auch in Jazzclubs und auf Festivals war er mit seiner Kamera regelmäßig unterwegs. Bei Bildanfragen meinerseits dauerte es immer ein paar Tage, und dann traf via Internet ein file mit Fotografien ein, die er aus seinem Archiv ausgegraben hatte. 

 

In meinen Büchern „Klang der Revolte – die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Underground“ (Schott, 2013), „Träume aus dem Untergrund – als Beatfans, Hippies und Folkfreaks Baden-Württemberg aufmischten“ (Silberburg, 2017) und „Der Süden dreht auf – die Poprevolte der 60er- und 70er Jahre in Bildern“ (Silberburg, 2019) sind zahlreiche seiner besten Fotos zu sehen: immer nah dran am Geschehen – ob musikalisch, politisch oder gesellschaftlich.


Ganz nah dran – Bluesmusiker Sonny Terry, 1977 (Foto: Jörg Becker)




 

Wir telefonierten regelmäßig alle paar Monate. Manchmal war Jörg nicht zu erreichen: Dann war er mit seiner Frau seinen Sohn in Berlin besuchen. Auch lief man sich gelegentlich beim Jazzfestival im Stuttgarter Theaterhaus über den Weg, was meistens in einer längeren Plauderei mündete. Jörg war einfach ein sehr netter aufgeschlossener Mensch, auch lange Zeit politisch bei den GRÜNEN in Ämtern aktiv.

 

Pläne für eine schon vor Jahren angedachte Fotoausstellung „50 Jahre Jazz in Baden-Württemberg“ wurden dann von der Pandemie durchkreuzt. Danach dachte Jörg, ob es nicht vielleicht sinnvoller wäre, die Fotos auf einer eigenen website der Öffentlichkeit zu präsentieren. Daran hat er in letzter Zeit intensiv gearbeitet. Hunderte Negative seit den 1970er Jahren durchgesehen, die besten ausgewählt, eingescannt, retouchiert – eine Höllenarbeit. Aber er wollte sein Lebenswerk irgendwo dokumentiert sehen. Es ist noch nicht so lange her, da konnte er seine spektakulären Fotografien von Sun Ra beim ersten Auftritt des Arkestras 1971 in Donaueschingen für eine Vinyl-Dokumentation eines englischen Labels zur Verfügung stellen. Darauf war er stolz, auch dass er nicht – wie üblich – mit einem kümmerlichen Honorar abgespeist wurde. Jetzt ist Jörg Becker am 5. Juli 2022 drei Tage vor seinem 72. Geburtstag überraschend an einem Herzinfarkt  in seiner Heimatstadt Ditzingen verstorben. Ich bin geschockt und zutiefst traurig. Die Freunde werden weniger.


Sun Ra in Donaueschingen, 1971 (Foto: Jörg Becker)




Tuesday 5 July 2022

Nachruf auf Klaus Schulze (1947 - 2022)

Magier kosmischer Klänge

Im April hat der elektronische Musikpionier, Komponist und „kosmische Kurier“ Klaus Schulze im Alter von 74 Jahren den Planeten Erde verlassen. Jetzt erscheint posthum noch ein neues Album, sein letztes


cw. Für manche gilt er als Urvater von Techno, andere sehen in ihm den Erfinder der Ambient-bzw. der New-Age-Musik. Fest steht: Klaus Schulze (1947 geboren) war einer der Pioniere der elektronischen Musik. In seiner langen Karriere, die Ende der 1960er Jahre in Berlin begann und sich über mehr als ein halbes Jahrhundert spannte, hat er viele der Musikströmungen maßgeblich beeinflußt, die heute die Popmusik bestimmen. 

Alles fing Ende der 1960er Jahre in Berlin an. Im Stadtteil Wilmersdorf hatte die Jugendmusikschule ein kleines „Beat-Studio“ eingerichtet, das vom Schweizer Experimentalkomponisten Thomas Kessler geleitet wurde. Hier gingen Klaus Schulze und seine Bandkollegen von der Gruppe Tangerine Dream ein und aus. “Wir waren im Rock verwachsen, wollten aber darüber hinaus,“ erinnerte sich Schulze. „Wir wollten keine Bands aus England und den USA mehr nachahmen, sondern unsere eigene Musik finden.“

Schulzes musikalische Interessen waren breit gestreut. In der Berliner Szene kannte man ihn anfangs als Schlagzeuger mit einer äußerst agile Baßdrum. Doch angeregt von den Experimenten im Wilmersdorfer „Beat Studio“ begann er nun auch bei sich zuhause, mit Tonbandgeräten herumzuwerkeln. “Ich habe Tonbänder vor- und rückwärts laufen lassen, geschnitten und wieder zusammengeklebt. Diese Bänder habe ich bei Konzerten mit Tangerine Dream laufen lassen. Das kam bei meinen Bandkollegen nicht so gut an. Deshalb habe ich die Band verlassen.” 

Schulze fand schnell neue Mitstreiter. Mit anderen Musikern aus dem „Beat-Studio“ gründete er 1970 Ash Ra Tempel. Es lief vielversprechend an. Die Musik hob in weite Klangsphären ab. Doch die Zusammenarbeit währte nicht lange. “Ich wollte noch mehr Elektronik machen, aber die anderen zogen nicht mit,” gab er später zu Protokoll. Genervt warf er das Handtuch und trat von nun an nur noch als Solokünstler auf.

Mit anfangs äußerst primitivem Equipment gelangen ihm erstaunliche Klanglandschaften. Seine Debut-Album “Irrlicht” von 1972 war ein Werk von funkelnder Fantasie. Schulze ersetzte Töne durch Klänge. Rhythmen kamen anfangs nicht vor. Ein untergründiges Dröhnen bildet die Hintergrundfarbe. Darüber legen er schillernde Sounds, die in wellenartigen Bewegungen auf- und abbrandeten. „Ambient Music” sagte man ein paar Jahre später dazu. 

Bald kaufte sich Klaus Schulze seinen ersten Synthesizer, direkt beim Hersteller in London, „weil es dort viel billiger war.” Daheim ging dann die Puzzlearbeit los: Da es keine Betriebsanleitung für das Elektronikinstrument gab, mußte jeder Sound eigenhändig erkundet werden. „Was da manchmal bei Konzerten rauskam, hat mich noch mehr überrascht als die Zuhörer,” so Schulze.

Der Elektronik-Nerd stockte auf. Jeden neuen Synthesizer gliederte er sofort in sein Instrumentarium ein, das immer mehr zu einem Instrumentenpark anwuchs. Auf der Bühne sah es bald so aus, als ob er in einem Raumschiff agieren würde, soviele Keyboards und Gerätschaften türmten sich auf. Das passte, waren es doch wirklich kosmische Klänge, die Schulze seinen Maschinen entlockte. 

Ab Mitte der 1980er Jahre kamen Computer, später Laptops dazu und viele andere digitale Klangmaschinen wie der Sampler. Mit dem Sequenzer kehrte der Rhythmus ins Schulzes Musik zurück, was seine Stücke zugänglicher machte. Technologisch war Klaus Schulze immer ganz vorne mit dabei.

Der Wechsel zum britischen Virgin-Label brachte den weltweiten Durchbruch. Nun trat er in großen Konzertsälen in Amerika, Japan und Europa auf und produzierte ein Album nach dem anderen – insgesamt über 50 – mit anhaltendem Erfolg. David Bowie und Brian Eno outeten sich als Fans. Regisseure und -regisseurinnen wie Michael Mann und Sofia Coppola verwendeten seine Titel für die Soundtracks ihrer Filme. Bald war Schulze international weit bekannter als in Germany, wo er nie die Anerkennung fand, die ihm eigentlich gebürte.


Vor zehn Jahren zog sich Klaus Schulze, der von Berlin aufs Land in die Lüneburger Heide gezogen war, aus gesundheitlichen Gründen aus dem Konzertbetrieb zurück. Eine Muskelschwäche in den Beinen und Probleme mit der Bauchspeicheldrüse machten ihm zu schaffen. Dennoch bastelte er weiter unermüdlich in seinem Heimstudio an neue Sounds. 

 

Dabei ist 2021 ein Album mit dem Titel „Deus Arrakis“ entstanden, zu dem Schulze vom renommierten Filmkomponisten Hans Zimmer angeregt worden war, der ihn zuvor für die Arbeit am Soundtrack für den Film „Dune“ von Denis Villeneuve ins Boot geholt hatte. „Deus Arrakis“ ist ein Album voll typischer Schulze-Musik mit weiten elektronischen Klangfelder und pulsierenden Sounds, die auf- und abebben und bei denen man meint, durch sämtliche Galaxien des Universums zu segeln. Schulze entfaltete hier zum letzten Mal mit Hilfe des Cellisten Wolfgang Tiepold die ganze Magie seiner kosmischen Klänge.

 

„Deus Arrakis“ sollte sein letztes Album werden. Es ist posthum erschienen. Am 26. April 2022 ist Klaus Schulze 74jährig überraschend verstorben. 

 

Klaus Schulze – Deus Arrakis (SPV Recordings)