Friday 30 September 2022

Scheibengericht: George Crumb – Black Angels

Scheibengericht 7:

Faszinierender Raum an Tönen

George Crumb: Black Angels – Music For A Summer Evening (Deauville Live)

Quatuor Hanson / Phillippe Hattat, Théo Fouchenneret, Emmanuel Jacquet, Rodolphe Théry (B Records) 


 

Wertung: 5 von 5

 

1970 machte George Crumb (1929-2022) mit seinem Streichquartett „Black Angels“ Furore. Von da an erregte der amerikanische Komponist immer wieder mit bemerkenswerten Werken Aufsehen, etwa mit „Makrokosmos“, einer Serie von vier Kompositionen, die zwischen 1972 und 1979 entstanden sind und Bezug auf Bartoks „Mikrokosmos“ nehmen. 

 

Beim Festival im belgischen Deauville kamen im Sommer 2021 diese beiden Crumb-Klassiker zur Aufführung. „Black Angels – Thirteen Images From A Dark Land“ wurde von einem der führenden französischen Streichquartette, dem Quatuor Hanson, aufgeführt, während „Makrokosmos III – Music For A Summer Evening“ von einem Quartett mit den Pianisten Phillippe Hattat und Théo Fouchenneret sowie den Perkussionisten Emmanuel Jacquet und Rodolphe Théry zu Gehör gebracht wurde.

 

Beide Werke stellen höchste Ansprüche an die Interpreten. „Makrokosmos III“ verlangt von den Musikern nicht nur, dass sie ihre Instrumente virtuos beherrschen, sondern sie müssen sich auch stimmlich einbringen, dazu eine Reihe obskurer Volks- und Novelty-Instrumente spielen, etwa eine tonstufenlose Plastikflöte oder eine Rätsche, die aus dem Kiefer eines Maultiers besteht. In ähnlicher Manier, doch auf ganz andere Art erweist sich „Black Angels“ als eine Wundertüte exquisiter Klänge, die durch allerlei unkonventionelle Spieltechniken erzeugt werden, kombiniert mit Lauten aus dem Rachenraum, pfeifen und dem Streichen eines großen Cymbals mit einem Geigenbogen.


 Quator Hanson



Das Werk, das aus drei größeren sektionen mit jeweils vier bis fünf Sätzen besteht, beginnt mit einem Schwarm „elektrischer Insekten“, der über den Hörer herfällt, sich wieder entfernt, erneut näher kommt, um dann plötzlich wieder zum Angriff überzugehen. Diese Bewegungen im Raum zeichnet Crumb durch extreme Ausschläge der Dynamik nach. Im nächsten Satz – Kontrastprogramm: Mit Flageoletts und Pizzicati sowie Vokalgeräuschen nimmt eine völlig andere Klangwelt Gestalt an, ein Wechselbad an Klängen, das sich in den elf weiteren, zumeist kurzen Stücken fortsetzt, die alle ein jeweils ganz eigenes Gepräge haben und zwischen brachial-laut und kaum hörbar oszillieren, wobei zweimal das Echo einer alten Tanzform (Pavane und Sarabande) anklingt. 

 

In „Makrokosmos III“ evoziert Crumb einen ähnlich faszinierenden Raum an Tönen. In diesem „kosmischen Drama“ (Crumb) in fünf Sätzen und einer Länge von ca. 40 Minuten verbindet Crumb mosaikartig die melodischen Linien und Toncluster zweier Klaviere (gelegentlich im Inneren gespielt) mit der Klangwelt eines beeindruckenden Arsenals an Perkussionsinstrumenten (u.a. Kesselpauken, Gongs, Cymbals, Xylofon, Klangstäbe, Röhrenglocken), wobei auch hier in Form von Bachs wohltemperiertem Klavier eine frühere Musikepoche kurz aufscheint. Derart kompetent in Szene gesetzt, klingen diese beiden Klassiker der amerikanischen Avantgarde auch heute noch so frisch und aufregend wie vor 50 Jahren. 


George Crumb: Black Angels – Music For A Summer Evening (Deauville Live)Quatuor Hanson / Phillippe Hattat, Théo Fouchenneret, Emmanuel Jacquet, Rodolphe Théry (B Records)


Quator Hanson: Black Angels, Thirteen Images from the Dark Land, Return: I. God-music (youtube)




Wednesday 28 September 2022

Schellacksammler-Legende verstorben

Sammelobsession

Zum Tod von JOE BUSSARD 

(11. Juli 1936 – 26. September 2022)


Joe Bussard "down in the basement" vor den Regalen seiner Schellacksammlung

 

Wenn wieder Post von ihm durch den Briefschlitz der Haustür kam, roch man das unverzüglich, denn Joe Bussard rauchte Zigarre. Etliche Briefe (mit Musikcassetten) habe ich vom Schellacksammler aus Frederick, Maryland erhalten, als ich seit den 1990er Jahren für das Trikont-Label CD-Compilations mit amerikanischer Blues- und Hillbilly-Musik  zusammenstellte. Und bei jeder Postsendung bemerkte ich sofort, selbst zwei Stockwerke höher, wenn wieder ein Brief von „Smokin‘ Joe“ dabei war. 

 

Getroffen habe ich ihn nie, doch öfters mit ihm telefoniert. Die Zusammenarbeit verlief recht unkompliziert: Nachdem man seinen dicken, in Maschinenschrift getippten Katalog erworben und durchgesehen hatte (er müsste sich noch irgendwo hier in einer Schachtel in meinen Arbeitszimmer befinden), schickte man ihm ein paar Dollar plus die Liste mit den Titeln, die man gerne gehört hätte und die Joe einem dann auf Cassette aufnahm.

 

Stand nach ein paar Monaten die endgültige Auswahl für eine CD-Compilation fest, schickte man abermals einen Dollarbetrag nach Maryland, damit er in ein Studio gehen konnte, um die entsprechenden Stücke in Top-Qualität zu überspielen. Für die Veröffentlichung auf CD bekam er noch einmal einen gewissen Betrag. Das war alles sehr handfest: Musik gegen Geld, bei äußerst zivilen Preisen. So stellte ich mit seinen Schellacks als schier unerschöpflichem Reservoir und mit dem Fachwissen des britischen „Old Time Music“-Experten Keith Chandler die Trikont-CDs „Black & White Hillbilly Music“, „American Yodelling“, „Prayers from Hell“, „Flowers in the Wildwood“ und „Doom & Gloom“ zusammen. Und das unterschied Bussard von anderen Sammlern: Er saß nicht auf seinen Schätzen und ließ niemanden ran, vielmehr wollte er seine Schellacks so vielen Leuten wie möglich zugänglich machen.

 

Seit den frühen 1950er Jahren hatte Joe Bussard eine der größten, wenn nicht die größte Schellackplattensammlung amerikanischer „Roots Music“ zusammengetragen – ca. 20.000 Scheiben mit Blues, Hillbilly, Gospel, Cajun und frühem Jazz. Für eine solche Sammlerleistung braucht es eine nie versiegende Begeisterung für diese spezielle Art von Musik, und das über Jahrzehnte. Joe hatte diesen Enthusiasmus ohne Frage – eine geradezu kindliche Freude an "Old Time Music" –, und ließ jeden, der ein paar Dollar erübrigen konnte, daran teilhaben. 

 

Mit dem Sammeln hatte er schon als Teenager begonnen, als er mit Freunden wie John Fahey (später ein renommierter Finger-Picking-Gitarrist) durch die Vororte der Städte seiner Heimatregion zog, an Haustüren klopfte und fragte: „Got any old records to sell ?“ 

 

Von seinem Kumpel John Fahey und anderen hat Bussard dann Ende der 1950er Jahre ein paar Schallplatten auf seinem eigenen Label Fonotone veröffentlicht – Neueinspielungen traditioneller Musik, als Schellacks gepresst, in Auflagen von ein paar Dutzend. Einiges aus dem Katalog von Fonotone wurde 2005 auf einer 5er-CD-Box vom amerikanischen Label Dust to Digital wiederveröffentlicht. Dem Label von Lance Ledbetter ist auch ein halbstündiger Dokumentarfilm zu verdanken, der tief in die Welt des Schellackplatten-Sammelns eintaucht. „Joe Bussard – King of Record Collectors“ heißt der Streifen, der ihn im Keller vor seinen Plattenregalen zeigt, wobei er über diverse rare Schellacks redet und den für einen Sammler glorreichen Moment beschreibt, als er sie fand. Dieser Film ist nicht die einzige Dokumentation über ihn. Auch der Film „Desperate Man Blues“ kreist um die Sammelobsession von Joe Bussard.

 

All das machte den Mann aus Frederick, Maryland in Sammlerkreisen zu einer Berühmtheit, und das zurecht: Seine riesige Schellack-Sammlung war einzigartig in den USA. Dabei zog er immer eine klare Geschmacksgrenze: Musik nach 1940 stand beim ihm auf der Giftliste. Er erklärte, er sei inzwischen zu einem Eremiten geworden, weil er nicht mehr ausgehen könnte, da man überall, wo man hinkommt, mit scheußlicher Musik "berieselt" werde. Hiphop und Pop hasste Bussard aus vollem Herzen.


Bei seiner wöchentlichen Radioshow, die er schon im Teenageralter mittels eines Piratensenders betrieb, ließ er Schätze seiner Sammlung hören. Darüber hinaus hat er CDs mit seinen besten Schellacks herausgegeben, eine etwa unter dem Titel „Down in the Basement“, was der Situation recht nahe kam, denn im Kellergeschoß' seines Wohnhauses befand sich sein Reich, eine Welt aus Schellack, fein säuberlich in Regalen geordnet. Hier war Joe Bussard in seinem Element. Hier war er ganz bei sich.

 

Die Sammelleidenschaft hat ihn nie verlassen. Jetzt ist Joe Bussard im Alter von 86 Jahren in Frederick, Maryland verstorben. Alle, die sich für "Old Time Music" interessieren, haben ihm viel zu verdanken. Mit den Schellacks hat er das Gedächtnis dieser frühen amerikanischen Stile aufbewahrt.   


 Dokumentarfilm: „Joe Bussard – King of Record Collectors“ (youtube)




Sunday 25 September 2022

Triadisches Ballett versus Ausdruckstanz

Im Tanzfieber

Vor hundert Jahren erlebte der Ausdruckstanz einen Boom – mit dem „Triadischen Ballett“ widersetzte sich Oskar Schlemmer der Mode

Oskar Schlemmers Triadisches Ballett (Staatsgalerie Stuttgart, Leihgabe 1979 Freunde der Staatsgalerie Stuttgart e.V.) 


 

cw. Am 30. September 1922 war es soweit: Nach jahrelanger Vorbereitung fand an jenem Samstagabend im kleinen Saal des Stuttgarter Staatstheaters die Premiere des „Triadischen Balletts“ statt – erdacht, entworfen und in Szene gesetzt von Oskar Schlemmer. In diesem „theatralischen Kostümtanz“ mutierte der Mensch zur abstrakten Kunstfigur, transformiert durch eine Aufmachung, die auf Formen wie Kugel, Kegel, Reifen, Scheiben und Trichter basierte. Schlemmer wollte „über den Menschen hinausgreifen“ und strebte deshalb eine „Entpersönlichung des Tänzers“ an. „Nicht nur das Gesicht trägt eine Maske, auch der Körper ist in eine Maske gesteckt, die das Erkennen einer menschlichen Figur nahezu verhindert,“ kommentierte eine Zeitung.

 

Mehr als zwei Jahre hatte der Stuttgarter Künstler, der kurz zuvor ans Bauhaus nach Weimar berufen worden war, mit Unterstützung von Albert Burger und Elsa Hötzel-Burger an der Realisierung des Stücks gearbeitet, wofür er in einem Cannstatter Hinterhaus einen Saal mit Bühne gemietet hatte. Aus Pappmaschee, Celluloid, Alufolie, Stahlblech, Drähten, Leder und Gummi wurden dort „seit einem halben Jahr Kostüme genäht“, wie Schlemmer in seinem Tagebuch notierte. Mit den roboterhaften Kunstfiguren zwischen „Automat und Marionette“ strebte er „die Entmaterialisierung der Körper“ an. Dann ging es an die Choreographie: Mit Hilfe des Ehepaars Burger, die zuvor Solotänzer am königlichen Hoftheater in Stuttgart gewesen waren, entwarf Schlemmer eine „Bodengeometrie“, erdachte Tanzwege, Gesten und Bewegungsformen.

 

Die Premiere war ein Ereignis, zu der extra eine Gruppe von Schülern und Kollegen vom Bauhaus aus Weimar angereist war, die für lebhaften Applaus sorgten. Nach der Rezitation von Auszügen aus Heinrich von Kleists Novelle „Über das Marionettentheater“, trat Schlemmer unter Pseudonym in sechs verschiedenen Rollen auf. Das machte einen rasanten Kostümwechsel nötig, den auch das Ehepaar Burger bewerkstelligen musste, was bei den schweren und starren Kostümen nicht leicht zu bewältigen war. Längere Pausen zwischen den einzelnen Szenen traten auf, auch lösten sich Teile von den Kostümen ab. 

 

Die Reaktion der Presse waren gespalten: Während manche das Stück über den grünen Klee lobten und – wie die Sonntags-Zeitung – von „märchenhaft entrückter Schönheit und von Erzeugnissen einer unerschöpflichen Phantasie“ schwärmten, konnten andere dem Triadischen Ballett „nicht den geringsten Geschmack abgewinnen“ und erhoben prinzipielle Einwände: „Der Mensch wird immer im Mittelpunkt des Tanzes stehen müssen und der menschliche Körper mit seinem unendlichen Formenspiel und seiner ungeheuren Ausdrucksfähigkeit wird stets das allein gültige Material sein,“ kritisierte das Karlsruher Tagblatt. „Niemals aber Maschinenkörper mit Kugel-, Schrauben- oder Flächenwirkungen.“

 

Schlemmer hatte mit dem „konstruktivistischer Tanz“ bewußt einen Kontrapunkt gesetzt, mit dem er sich der grassierenden Mode des Ausdruckstanzes widersetzte. Er grenzte sich bewußt vom „Körpertanz der Seelentänzerinnen“ ab, der damals als letzter Schrei galt und auf einer Welle der Begeisterung schwamm. Überall im Südwesten, vor allem in den städtischen Zentren, ob Stuttgart, Karlsruhe, Heidelberg, Baden-Baden, Freiburg i. B. oder Mannheim, schossen Kunsttanzschulen wie Pilze aus dem Boden. Allein in der württembergischen Landeshauptstadt existierten Ende der 1920er Jahre über zwanzig Tanzinstitute. 

Ausdruckstanz, 1923 (Sammlung C. Wagner)

 

Auftritte von führenden Persönlichkeiten der Szene steigerten die Begeisterung noch, ob es sich dabei um die „berühmte Barfußtänzerin“ Isadora Duncan im „dürftigen Tanzgewand“ handelte oder um Tanzstar Mary Wigman aus Dresden, die viel Publikum anzog. „Da eine große Anzahl von auswärtigen Besuchern, besonders aus Baden-Baden und Pforzheim, zu erwarten ist, wird um pünktliches Einnehmen der Plätze gebeten, damit die Auswärtigen rechtzeitig nach Schluß zum Zug kommen,“ mahnte 1926 die Presse in Karlsruhe. 

Ausdruckstänzerinnen, ca. 1920 (Sammlung C. Wagner)


Neben Duncan und Wigman war auch die „Loheland“-Schule ein Begriff. Die Lebensreformkolonie für Körperbildung, Landbau und Handwerk aus der Nähe von Fulda kam unter der Leitung von Louise Landgaard auf „Deutschlandfahrt“ gelegentlich auch zu Aufführungen in den Südwesten. Das Ziel: neue Schülerinnen für die Tanz- und Gymnastikausbildung des Reforminternats zu gewinnen, wobei gleichzeitig in einem ausgesuchten Ladengeschäft am Ort kunsthandwerkliche Arbeiten verkauft wurden. Für Frauen bildete der Beruf der Gymnastiklehrerin damals eine der wenigen Gelegenheiten zum Einstieg in eine selbständige Existenz. „Das Ziel ihres Unterrichts liegt nicht in der Bildung kraftstrotzender Muskeln, sondern in der Flüssigkeit, Flüchtigkeit und Bewußtheit jeder Bewegung,“ kommentierte Der Volksfreund 1925 ein Gastspiel in Karlsruhe. Das Publikum war begeistert und belohnte mit enthusiastischem Beifall die Darbietungen. Es war nicht zu übersehen: Die neuen künstlerischen Bewegungsformen zogen viele Frauen in den Bann und machten die 1920er Jahre zu einer Ära des Ausdruckstanzes.

Tuesday 20 September 2022

Scheibengericht: Ensemble 0 – Musica Nuvolosa

Scheibengericht 6:

Delikate Musik als Ziel

Das Ensemble 0 mit neuem Album – von Ligeti bis Oliveros

 


Wertung: 4 von 5


Das französische Ensemble 0 (sprich: zero) hat sich durch diverse Projekte in den letzten Jahren einen exzellenten Ruf erworben. Im Kielwasser von Gruppen wie Bang On A Can, Alarm Will Sound und Zeitkratzer 2004 gegründet, widmet sich die Formation neben Kompositionen ihrer Mitglieder, vor allem solchen Komponisten und Komponistinnen, die in die Ritzen zwischen den Stilen fallen. Eine undogmatische Begeisterung für vielerlei Arten von moderner, post-moderner und avantgardistischer Musik prägt die Ästhetik, wobei sich die Gruppe anfangs als „post-minimalistisch“ verstand, inzwischen aber jede Kategorisierung von sich weist: Delikate Musik zu machen, sei das Ziel. 

 

Nach dem Debutalbum, einem Schelmenstreich mit dem Titel „4‘33“, das fünf verschiedene Versionen des berühmten stummen Stücks von John Cage enthielt und 2006 erschien, hat die Gruppe auf den folgenden Veröffentlichungen Kompositionen u.a. von Julius Eastman, Moondog, Arthur Russell, Lou Harrison, Gavin Bryars oder Petar Klanac auf interessante Weise in Szene gesetzt. 


 Ensemble 0 (Foto: Raphaelle Mueller)


Die aktuelle Einspielung „Musica Nuvolosa“ (=wolkige Musik) ist die sechzehnte Veröffentlichung des Ensembles und als Werk der Gegensätze konzipiert. Auf der einen Seite steht das Eröffnungsstück „Horse sings from cloud“ der Amerikanerin Pauline Oliveros – eine Meditation in monochromen Klängen aus dem Jahr 1982. Den Kontrast dazu bildet  „Musica Ricercata“ von Györgi Ligeti, ein Werk, das zwischen 1951 und 1953 entstand und dessen elf Sätze selbst schon in die Extreme gehen. Von lyrisch-verträumt über temperamentvoll-quirrlig bis zu dramatisch-expressiv reicht das Spektrum. Ligeti nimmt dabei auf die „Ricercata“ aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Bezug, eine musikalische Form, die dazu einlud, die Möglichkeiten eines Motivs auf fantasievolle Weise auszuloten.

 

Sowohl das Akkordeon-Stück von Oliveros als auch die Klavierstücke von Ligeti sehen sich vom Ensemble 0 in kammermusikalische Arrangements überführt, wobei eine farbenreiche Instrumentierung neue Facetten zum Vorschein bringt. Ligeti flirtet im fünften Satz etwa mit Tanzformen wie dem Walzer („tempo di valze“), während der fast 20minütige „Drone“ für Akkordeon und Stimme von Oliveros an einen buddhistischen Om-Gesang erinnert. 


Ensemble 0 (Foto: Promo)


 

Durch feinste Überlagerungen von Instrumenten wie Flöte, Klarinette, Violine, Bratsche, Cello, Marimba, Vibrafon und Piano gelingt es dem Ensemble 0, dem meditativ versunkenen Charakter des Stücks gerecht zu werden. Lange, sich wiederholende Töne kreieren eine ruhige Stimmung, was auf mikroskopische Weise kleinste Tonschwankungen und Schattierungen zum Vorschein bringt. Im Gegensatz dazu entfaltet bei den Ligeti-Stücken das Ensemble 0 mit riesigem Instrumentarium eine Buntheit an Klängen, deren hellwache Interpretation die „Musica Ricercata“ zu einer höchst abwechslungsreichen Angelegenheit macht, diverse Überraschungen inbegriffen.


Ensemble 0: Musica Nuvolosa (Sub Rosa)


Wednesday 14 September 2022

Tobias Hoffmann – Popklassiker neu interpretiert

Stehblues

Tobias Hoffmann bittet zum Tanz und liefert mit seinem neuen Album die Musik dazu: „Slow Dance“ enthält Popklassiker von Cream bis Bruce Springsteen 


Foto: Thomas Löllmann

 


„Standards“ zu spielen, ist im Jazz eine beliebte Praxis. Tobias Hoffmann hat nach zwei Alben mit Evergreens aus Jazz, Blues und Pop jetzt ein Album vorgelegt, das (fast) ausschließlich Popklassiker enthält. Der Kölner E-Gitarrist kehrt in seine Jugend zurück, indem er Songs von Cream, The Doors, Bruce Springsteen und Neil Young covert, wobei es sich nicht –  wie der Titel nahelegen könnte –  durchweg um langsame Nummern handelt, im Gegenteil: Bei manchen Titeln legt Hoffmanns Trio noch einen Zacken zu.

 

In der Vergangenheit stand Popmusik bei Jazzern nicht gerade hoch im Kurs. Woher kommt ihr Interesse an Pop?

 

Tobias Hoffmann: Ich sehe mich nicht unbedingt als reinen Jazzgitarristen, sondern habe Interesse an verschiedenen Stilen und deren Mischungen. Alle Songs, die wir spielen, mag ich auch im Original. Mein Trio ist eine Art Jamband, die sich diese Klassiker vornimmt und versucht, ihnen neue Seiten abzugewinnen. Charlie Parker hat nichts anderes gemacht: Er hat alte Melodien, also Gassenhauer, genommen und in seinem Stil gespielt, sei es „How high the moon“ oder „All the things you are“. Mittlerweile hat sich auch im Jazz die Einstellung gegenüber Popmusik gewandelt. In der Szene, in der ich mich bewege, wird keineswegs die Nase über Pop gerümpft. Die Musiker sind reifer und ehrlicher geworden, viele bewegen sich in mehreren Genres ohne sich viele Gedanken darüber zu machen. Man hat auch keine Scheu mehr, einmal etwas Schönes oder Simples zu spielen. Einfaches zu spielen, ist eine Herausforderung, die nicht ohne Risiko ist. Die Gratwanderung, die ich mit meinem Trio unternehme, verläuft zwischen schön, aber noch nicht kitschig, wobei ich der Meinung bin: Man muss auch Kitsch wagen!


Foto: Thomas Löllmann


Geht damit eine Rehabilitierung der Melodie einher, die ja im Jazz lange Zeit verpönt war?

 

Tobias Hoffmann: Die Zeiten haben sich geändert. Was einst verschrien waren, wird heute geschätzt. Bei diesem Projekt ist viel Biographisches im Spiel, weil die Songs, die wir interpretieren, ja wirklich die Lieblingslieder sind, die ich in meiner Kindheit und Jugend gehört habe. Meine Vorbilder Bill Frisell oder John Scofield haben ähnliches getan und immer wieder populäre Songs aus allen möglichen Stilen aufgegriffen. Frisell hat Countrymusik neu interpretiert, womit ich mich identifizieren kann, da mein Vater Pedal-Steel-Gitarre in einer Countryband spielte, bei deren Auftritten, ob bei Stadtfesten oder in Restaurants, ich oft dabei war. Ich habe diese Musik von klein auf absorbiert. Auch standen bei uns zuhause Beatles- und Cream-CDs in Regal, dazu viel Blues. Über Gary Moore kam ich zu den Blues-Altmeistern Albert Collins, Albert King und B.B. King. Und mit Robben Ford, Mike Stern und John Scofield bin ich dann zum Jazz gekommen. Und plötzlich habe ich nur noch Miles Davis und John Coltrane gehört.


Sie spielen die Popsongs nicht detailgetreu nach, sondern interpretieren sie neu. Was ist ihre Herangehensweise?

 

Tobias Hoffmann: Wir gehen improvisatorisch an die Songs heran. Wenn wir uns einen Titel vornehmen, versuchen wir ihn zu Beginn ohne große Vorgaben zu spielen. Wir jammen und sehen dann, in welche Richtung es geht und was wir daraus machen können. Mit der Zeit kristallisiert sich eine Form heraus, die bei Konzerten recht offen ist, die wir im Studio aber etwas verbindlicher festgeschrieben haben. Doch generell ist die Musik erimprovisiert.


Gibt es einen speziellen Gitarrensound, der ihnen vorschwebt?

 

Tobias Hoffmann: Ich mag den Fender-Sound. Ich spiele verschiedene Fender-Gitarren mit Fender-Amps, um einen klaren, drahtigen Sound mit viel Transparenz zu erreichen, der manchmal leicht angezerrt ist.  


'Slow Dance'-Teaser, youtube


 

Wie kamen sie als Jazzgitarrist überhaupt auf die Idee, Popklassiker zu covern?

 

Tobias Hoffmann: Die Gitarrentradition im Jazz war ausschlaggebend. Nach Charlie Christian spielten Gitarristen ja erstmal keine groß innovative Rolle mehr. Trotzdem gab es unheimlich feine Musiker, die sich im Grenzbereich von Jazz und Pop bewegten. Barney Kessel hat etwa neben seiner Tätigkeit als lupenreiner Jazzgitarrist auch als Studiomusiker bei Popproduktionen mitgewirkt, genauso wie Mickey Baker, der zwei einflussreiche Lehrbücher über Jazzgitarre schrieb, aber auch im Popbereich tätig war und mit "Love is Strange" sogar einen Hit hatte. Im Jimmy Guiffre Trio, das schon damals für eine tolle Verbindung von Jazz, Blues und Folk stand, spielte Jim Hall Gitarre, der auf Paul Desmonds Album "Desmond Blue" mit extrem schnulzigen Streichern durch einen wunderbaren Sound besticht. Apropos Streicher: Selbst Wes Montgomerys Popmusik-Alben mit Geigen hatte einen Einfluß auf mich. Eine wunderbare Gitarrenplatte ist außerdem „Moonlight in Vermont“ des Jazzgitarristen Johnny Smith von 1956. Nicht zu vergessen Kenny Burrell, der sich sehr bluesig geben konnte, während jemand wie der Blueser T-Bone Walker immer leicht jazzig klang. Summa summarum bedeutet das: Jazzgitarristen waren immer recht vielseitig und näher an der Popmusik dran. Daran knüpfe ich an. Wenn ich jetzt Popsongs instrumental spiele, sehe ich mich in der Rolle des Sängers und empfinde unsere Musik als ziemlich tanzbar, selbst wenn es eher Stehblues ist. 

 

 

Tobias Hoffmann Trio: Slow Dance (Klaeng) 

 

Saturday 10 September 2022

Kaja Draksler mit neuem Soloalbum

Im Inneren des Klaviers 

Kaja Draksler über ihr neues Soloalbum

 

Im Alter von vier Jahren fing Kaja Draksler mit dem Musikmachen an. Ihr erstes Instrument war ein Spielzeugklavier an, das ihr die Eltern gekauft hatten. Sie zeigte Talent und trat in die Musikschule ihres Heimatdorfs in Slowenien ein. Als Teenager gründete sie eine Rockband, spielte aber auch die Orgel in der Kirche. In Lubliana ging sie dann in der Oberstufe neben dem Gymnasium nachmittags auf eine Jazzschule, bevor sie im niederländischen Groningen Jazzpiano studierte, um in Amsterdam noch ein Kompositionsstudium anzuhängen. In den letzten Jahren hat sich Draksler vor allem mit ihrem eigenen Ensemble sowie der Gruppe Punkt.vrt.Plastik mit Petter Eldh (Baß) und Christian Lillinger (Schlagzeug) einen Namen gemacht als eine der interessantesten Pianistinnen des modernen Jazz.

 

 

Sie haben garde ein Soloalbum mit dem Titel „In Otherness Oneself“ veröffentlicht. Was war die Idee dahinter?

 

Kaja Draksler: Ich wollte mit dem Album unterschiedliche musikalische Welten erkunden. Ich wollte mit verschiedenen Klangmaterial arbeiten und habe mich also bewußt bei jedem einzelnen Stück auf ein spezielles Klangmaterial beschränkt, das ich ausloten wollte. Ich bewegte mich also bewußt bei jedem Stück in einer ganz speziellen Klangwelt und vermied, weit darüber hinauszugehen. Jedes Stück sollte also seine eigene Sprache haben. Die meisten Stücke sind Kompositionen, die ich im voraus entworfen habe. Es gibt aber auch ein paar Improvisationen, bei denen ich ebenfalls versuchte, im vorgegebenen Rahmen zu bleiben.

 

Das Eröffnungsstück beginnt mit der Zuspielung einer Stimme. Was hat es damit auf sich?

 

Kaja Draksler: Dieses Stück hatte ich ursprünglich für mein Oktett geschrieben. Die eingeblendete Stimme ist die des amerikanischen Poeten Robert Frost, der eines seiner eigenen Gedichte rezitiert. Die Stimmen, die man am Ende des Stücks hört, sind die Stimmen der beiden Sängerinnen meines Oktetts. Ich verwende außerdem kleine Speziallautsprecher, die nur einen Klang von sich geben, wenn sie an einen größeren Gegenstand angeheftet werden. Diese Lautsprecher habe ich im Inneren des Klaviers angebracht und wenn ich eine Zuspielung mache, hört sich das so an, als ob der Klang vom Piano stammen würde. 

 

Auf dem dritten Stück des Albums „Prst, roka, laket“ ist ein anderer verblüffender Klangeffekt zu hören, jeder angeschlagene Pianoton klingt wie ein rassendes Stakkato....

 

Kaja Draksler: Dieser Effekt ist dem Mini-Keyboard geschuldet, bei dem ich mit der Funktion des „Arpeggiators“ arbeite. Das Stück wird sowohl mit dem akustischen Piano als auch mit einem kleinen Keyboard realisiert. Es ging mir dabei darum, die digitale Welt in mein Spiel einzubauen, wobei ich das Keyboard generell vor allem dazu verwende, mit Vierteltönen zu arbeiten. Ich bin an dieser Art von Mikrotonalität interessiert, um das temperierte Tonsystem zu erweitern.




 

Hat dieses Interesse in Mikrotonalität damit zu tun, dass das Klavier ja ein tonal sehr festgelegtes und sogar starres Instrument ist. Mit einem Saxofon oder einer Violine kann man Vierteltöne erzeugen, ein normales Klavier ist dagegen im wohltemperierten System gestimmt....

 

Kaja Draksler: Ja, für Pianisten ist das eine Frustration. Wir wollen das starre System der Tastatur überwinden und zwischen die Noten im Halbtonabstand gelangen. Für diesen Zweck verwende ich ein kleines Keyboard, um diese vielen ungehobenen Klangfarben ans Tageslicht zu fördern. Da gibt es so viele ungenutzte Möglichkeiten in der Welt der Mikrotöne: Intervalle mit Mikrotönen, Akkorde mit Mikrotönen usw. Schon vor 100 Jahren haben der tschechische Komponist wie Alois Hába Vierteltonklaviere entworfen. Manche Pianisten spielen heute mit zwei Flügeln, wobei das eine Instrument in Vierteltönen gestimmt ist. Ich verwende stattdessen das kleine Keyboard, was viel praktischer ist als mit einem eigenen auf Vierteltöne gestimmten Flügel zu reisen.

 

Wie halten Sie sich technisch fit?

 

Kaja Draksler: Ich übe regelmäßig, ich muß, sonst kann ich meinen musikalischen Standard nicht halten. Wenn ich nicht übe, verliere ich unweigerlich an Fähigkeiten. Und eigentlich übe ich gerne. Es trägt zur Entspannung bei, zu meinem geistigen Wohlbefinden. Wenn ich auf Tournee bin oder komponiere, ist es schwierig, die täglichen Übungspraxis beizubehalten. Ich übe mit klassischer Musik, obwohl ich nicht damit auftrete, spiele viel Bach, auch Chopin. Das sind gute Übungen.

 

Entwickeln sich die Kompositionen am Klavier aus der Übungspraxis?

 

Kaja Draksler: Eher selten. Ich setze mich eher hin und denke über eine Idee nach, die sich dann in einem Stück manifestiert. Komponieren ist ein schwieriges Geschäft. Wie komm ich auf eine Idee oder eine Idee zu mir? Schwer zu sagen. Manchmal übe ich mich im Komponieren. Ich nehme eine bestimmte Methode und entwickle systematisch ein Stück daraus. Manchmal entsteht dabei etwas Schönes. Das ist hilfreich, damit man sich nicht immer im Kreis um die gleiche Idee dreht. Diese Methode ist auch hilfreich für die Improvisation, damit man nicht in seinem eigenen Käfig gefangen bleibt. Es kann leicht passieren, dass man seine eigene Ausdrucksform entwickelt und dann kommt man davon nicht mehr los. Das gilt es zu vermeiden. Es geht darum, sein Spiel frisch zu halten. Darüber denke ich öfters nach. Es ist wichtig, länger mit Leuten in einer Band zu spielen, um gemeinsam etwas zu entwickeln. Andererseits ist es auch nötig, neue Musiker und Musikerinnen zu treffen, um neue Impulse zu erhalten. Das ist wesentlich für die musikalische Hygiene.




 

Wann empfinden Sie eine Komposition als geglückt?

 

Kaja Draksler: Wenn man das Stück mag. Es ist mehr ein Gefühl. Oft ist es schwierig genau zu benennen, was seine Qualität ausmacht. Wenn ich ein Ensemblestück schreibe, versuche ich es immer wieder zu analysieren. Ist es zu viel oder zu wenig? Was macht die Dynamik, wie steht es mit der Energie und dem Klangmaterial? Auf solche Fragen versuche ich die richtigen Antworten zu finden. Am Ende vertraue ich meiner Intuition.

 

Treten Sie gerne solo auf?

 

Kaja Draksler: Teils, teils. Es kann sehr einsam sein, allein unterwegs zu sein, aber dadurch, dass man alleine ist, trifft man auch viel mehr Leute. Man kommt für ein Konzert an einen Ort, und, da die Leute wissen, dass du alleine bist, nehmen sie sich deiner viel mehr an. In etlichen größeren Städten kenne ich vielfach schon verschiedene Leute, was es einfacher macht. Es ist darüber hinaus eine große Herausforderung, allein ein Konzert zu bestreiten. Was die Energie betrifft, laugt es einen aus. Man ist auf sich völlig alleine gestellt. Man kann sich auch nicht hinter anderen Musikern verstecken, wenn man sich einmal nicht wohl fühlt, krank ist oder auch sonst nicht gut drauf ist. Dazu kommen die Knoten im Gehirn. Man ist mit seinen Ideen allein, ohne Imput von anderen Musikern. Man muss sich sehr stark konzentrieren und die Unterstützung des Publikums gewinnen. Es ist nicht mehr als du und das Publikum! Und wenn es dann los geht, dann kommt Adrenalien ins Spiel, dass dich im Ernstfall trägt, manchmal über eine ganze Tour, und kaum bist du zuhause, erfolgt der Kollaps.


Kaja Draksler: In Otherness Oneself (Unsounds)